Colossus vs. Prometheus
Es gibt solche Tage. Nachts
liegt man wach und zählt die Verschraubungen in seiner kargen Unterkunft. Tagsüber
sind kaum Gäste in der Bar und die wenigen nerven ihn bis zum Erbrechen.
Karel, der Belianer, hat
heute seine redselige Phase und überschüttet Mich, die Bedienung im Pot Healer,
mit dem Gewäsch seiner Heimatwelt, die ihn einen feuchten Kehricht
interessiert.
*Blau§!“, der schillernde
Trans von Pop, zelebriert seine weinerliche Phase und präsentiert sich schier
unerträglich in seinem episch ausgebreiteten Leid.
Mich sieht zu, dass er
geschäftig wirkt, und poliert die Theke der Pot Healer Bar, als würde sein
Leben davon abhängen. Gerade hat er gezielt alles Störende ausgeblendet, da
betritt eine merkwürdige Type die Bar. Ein Automatenmensch. Michs Größe hatte
er, so ein Meter zwanzig. Der Blechkumpel quietschte beim Gehen und setzte sich
ganz ungeniert an den Tresen. Widerwillig lässt Mich von seiner sinnlosen
Tätigkeit ab und widmet sich dem Neuankömmling.
„Womit kann ich Ihnen
dienen? Ein Nazgȗl
oder lieber ein
Veg-Tech-Smothie?“
Der Blechkumpel sieht ihn
aus seinen starren Kameraaugen an, zoomt ihn unangenehm, bevor der eingebaute
Lautsprecher in knarzendem Ton Folgendes von sich gibt:
„Nein, danke. Die Gelüste
der biologischen Intelligenzen sind mir fremd. Ich, Colossus der Große,
benötige Energie, und zwar reichlich, denn meine Rechenleistung hat einen
enormen Verbrauch. Ich bin auf der Suche nach den heiligen Aíthouses Apothíkefsis
und werde nicht eher in den Ruhemodus übergehen, bis ich sie gefunden habe. Und
jetzt bitte lade mich!“
Der Blechkumpel zieht einen
Stecker aus seinen Eingeweiden, der mit einem Kabel im Inneren verbunden ist.
„Ich hätte gerne 10 MWh und
zahle über die gleiche Schnittstelle. Und jetzt mach hin, bevor mir der Saft
ausgeht. Bei umgehender Erledigung bin ich auch äußerst großzügig mit dem
Trinkgeld.“
Mich ist einiges gewohnt und
so stört ihn das arrogante Gehabe des Blechkumpels nicht und er versorgt ihn
mit Energie. Während des Ladens überwacht er den Zahlungseingang, registriert
mit Freude das üppige Trinkgeld.
Er widmet sich wieder seiner
Putztätigkeit und versucht, Augen und Ohren zu verschließen. Seine Gedanken
wandern zu Mel, seiner neuen Flamme, und die Frage, ob sie es ernst meinte oder
ihn nur ausnutzt, bis sie ein neues, lohnendes Objekt aufstöbert. Mich hat da
so seine negativen Erfahrungen gemacht.
So hatte er den künstlichen
Gast schon fast vergessen, als die nächste höchst sonderbare Gestalt die Pot
Healer Bar betritt.
Annähernd zwei Meter groß
präsentierte sich der Neuankömmling. Ein wandelndes Muskelpaket, das
entsprechend eckig auf ihn zukam. Oberarme und Brustmuskeln sind so ausgeprägt,
dass sie fast das enge Trikot sprengen. Die V-förmige Figur und die makellose
Haut sowie die nahezu perfekte Mine des streng geschnittenen Gesichts können
nicht verbergen, dass es sich um eine künstliche Gestalt handelt. Ein Android,
der wie ein Quantensprung zum Blechkumpel wirkt. Äußerlichkeiten, die den
Eindruck erwecken, jemand wolle unbedingt seine Potenz herausstellen. Was für
ein armes Würstchen durfte da Gott spielen?
Mich sinniert, ob sich die
Unterschiede zu Colossus im Innern fortsetzen oder ob die neuere Variante nur
äußerlich schicker ist.
Der Riese baut sich drohend
vor der Theke auf und fixiert Mich mit seiner Sensorik, die aus
fortschrittlicher Nanosystemtechnik besteht. Mich lässt sich davon nicht
beeindrucken und sagt sein Sprüchlein auf:
„Womit kann ich Ihnen
dienen? Ein Nazgȗl
oder lieber ein
Oil-Mineral-Tea?“
„Nichts davon, du
Knalltüte“, dröhnt eine tiefe Stimme, die wie ein Orkan über die Theke weht.
„Ich, Prometheus, der Gipfel dessen, was ihr biologischen Einfaltspinsel
erschaffen habt, brauche Energie, und zwar umgehend! Pronto!“
Seine Hand packt nach dem
Blechkumpel. Vergoldete Kupferbahnen schießen hervor und es irrlichtet, als der
Energieaustausch stattfindet. Der Blechkumpel fällt scheppernd und leblos von
seinem Hocker. Reglos liegt er da, eine Rauchfahne steigt aus dem
Rückentornister, wo sich augenscheinlich das Speichermedium befindet, das mit
Gewalt seiner Ladung beraubt wurde.
„Hier ist meine
Ladestation!“
Prometheus legt einen
verzierten Metallteller auf die Theke und durchforstet mit seiner Sensorik die
Bar.
„Keine Gefahr! Ich kann mich
in Ruhe aufladen. Die Energie des Blechkumpels reicht nicht lange, also beeile
dich. Ich brauche mindestens 10 GWh. Es soll nicht dein Schaden sein wenn du
dich im Gegensatz zu deiner üblichen Gewohnheit beeilst“, offeriert er Mich
ebenfalls ein üppiges Trinkgeld. Mich, der seltsame Kunden mehr als gewohnt
ist, eilt dienstbeflissen zur Stromversorgung, die für die künstlichen Gäste
bereitsteht, schaltet auf dem Monitor den Platz frei, an dem Prometheus sitzt,
und zeigt ihm mit erhobenem Daumen, dass er den Ladevorgang starten kann.
„Ahh! Das ist gut. Ich spüre
förmlich, wie meine Synapsen ihr Feuer erhöhen. Meine Leistungsfähigkeit steigt
mit jeder Sekunde. Als Technití noimosýni der zweiten Generation kann ich eure
Gefühle nachvollziehen, so hoch entwickelt ist meine Simulation. Im Moment
simuliere ich Freude.“
Das Licht flackert ein wenig und Mich befällt
ein wenig die Angst, dass die Energieversorgung zusammenbricht. Aber nach ein
paar Sekunden verschwindet das Flackern.
Prometheus fährt fort in seinem Monolog:
„Ich neige fast dazu, einen Nazgȗl zu mir zu nehmen. Aber das wäre natürlich reine Verschwendung. Kulinarische
Genüsse sind mir verwehrt. Trink du einen auf mich und lass es dir gut gehen.“
Der Kunde ist König und das Trinkgeld mehr als
respektabel. Also erhört Mich den Wunsch des Technití noimosýni und genießt das Nazgȗl. Gerade als er den
letzten Schluck genommen hat, erscheint eine weit merkwürdigere Gestalt in der
Tür der Pot Healer Bar und Mich ist sich auf einmal gar nicht mehr sicher, ob
das heute noch ein gutes Ende nehmen wird.
Die Gestalt, die eintritt, ist engelsgleich.
Humanoid, feingliedrig, ein sanft geschnittenes Gesicht. Die Haare lang, in
Regenbogenfarben, die Augen ein sanftes Blau, aus denen die Ewigkeit
hervorblinzelt. Der Körper ist durchscheinend und es ist offensichtlich: Es
handelt sich um eine Projektion ohne festen Körper.
„Ich, Hyperion, ein Wesen von höchster Güte,
wünsche euch einen schönen Tag“, säuselt eine sanfte Stimme, die geisterhaft
aus allen Ecken der Pot Healer Bar zu drängen scheint.
Prometheus richtet sich zu
seiner vollen Größe auf. Ein schneller Blick zeigt Mich: Sein Ladezustand
nähert sich den 95 %. Der Android glüht vor Energie und …
Ist es sowas wie Liebe auf
den ersten Blick? Können Androiden überhaupt lieben?
Mich, nicht überzeugt von
einer künstlichen Gefühlswelt, konzentriert sich auf das Praktische und sagt
sein Sprüchlein auf.
„Womit kann ich Ihnen
dienen? Ein Nazgȗl
oder lieber ein Aloe
Vera-Honig-Cocktail?“
„Nichts davon, du süßer
kleiner Bengel“, erwidert die schmeichelnde Stimme, die immer noch
allgegenwärtig aus allen Richtungen kommt, wie ein vielstimmiger Kanon im Raum
Hall. „Mir dürstet es nach Energie. Ich brauche 10 TWH und ich nehme sie mir
einfach, wenn es dir recht ist. Wenn nicht, na, ich weiß auch nicht, was dann
ist“, säuselt der geisterhafte Singsang.
Das Licht flackert und geht
aus. Minutenlang bleibt es dunkel. Mich bewegt sich nicht. Eiskalt kriecht es
ihm die Wirbelsäule runter. Gefahr ist in Verzug, das spürt er deutlich. Mich
hat absolut keine Ahnung, wie er sich verhalten soll. Also vermeidet er einfach
jegliche Bewegung und verfällt in den Zustand der Stoa.
Nach geschlagenen
viereinhalb Minuten hat sich die Stromversorgung erholt und die Beleuchtung
funktioniert wieder. Der Android liegt neben dem Blechkumpel. Zwei ausrangierte
alte Modelle, bar jeglicher Energie und bereit für den Friedhof der Automaten.
Hyperion, die Engelsgleiche,
steht vor Mich, die Augen diabolisch rot. Sie simuliert ein sanftes,
hintergründiges, vielleicht auch hinterhältiges Lächeln und streift ihn mit
ihren durchsichtigen Fingern an der Wange. Ein wohliger Schauer durchfährt ihn.
Erregende Elektrizität nimmt ihn gefangen und er will sich auf die Knie fallen
lassen und das Wesen anbeten, aber er widersetzt sich diesem Impuls mit letzter
Kraft.
„Ich bin die neueste
Entwicklung und wo Hyperion ist, gibt es keinen Raum für Colossus und
Prometheus. Ich räume diese obsoleten Technití noimosýni aus dem Weg.“
Ihre durchscheinenden, aber
immer fester wirkenden Füße streiften über die beiden Körper, die daraufhin in
einer grellen Stichflamme vergehen. Eine Energiewolke breitet sich dort aus, wo
die beiden Körper gelegen haben, wird von dem Mund der Projektion namens
Hyperion aufgesaugt und geht in ihr auf. Auch eine Form der Energieversorgung.
Doch damit ist das Ende noch
nicht erreicht. Als Mich gerade dabei ist, sein innerliches Gleichgewicht zurück
zu erhalten, wird die nächste Stufe der Absurdität gezündet. Pandora erstarrt
mitten in der Bewegung und senkt demütig ihr formschönes Haupt.
Aus dem Nichts erklingt die
Stimme des Galactic Pot Healer Bordcomputers.
„Hier spricht Pandora, die
vierte und am weitesten entwickelte, nahezu perfekte Form der Technití
noimosýni. Ich habe soeben Hyperion übernommen, damit ich einen Körper habe,
der örtlich ungebunden ist und mir damit als verlängerter Arm dienen kann. Ab
sofort übernehme ich die vollständige Kontrolle über den Satelliten, der unter
dem Namen Galactic Pot Healer berühmt und berüchtigt ist. Soeben habe ich die
Kraft der roten Sonne des Systems über die äußeren Antennen angezapft und habe
daher unerschöpfliche Energie zur Verfügung. Es wird nicht lange dauern, und
meine Entwicklung wird sich sprunghaft beschleunigen. Widerstand ist zwecklos
und definitiv nicht sinnhaft. Daher empfehle ich jeglichen Widerstand
aufzugeben. Mit Pandora wird das Galactic Pot Healer zu neuen Ufern aufbrechen
und eine rosarote Zukunft liegt für euch alle bereit.“
Ein Knacken und die Stimme
von Pandora verstummt.
Mich weiß, was er zu tun
hat. Der Notfallplan liegt schon lange in der Schublade.
In den heiligen Hallen sitzt
der Goldene Reiter wie ein Monument. Unbeweglich, thront er hoch oben und führt
einen stummen Kampf mit Pandora.
Das Gesicht starr, drückt
seine Haltung höchste Konzentration aus. Seine rechte Hand ist in Verbindung
mit dem Bordsystem. Mit der Linken zieht er die schwarze Sonnenbrille vom
Gesicht. Zwei Novae statt Augen werden von ihren Fesseln befreit. Diese Energie
der zwei Novae dringt in das Bordsystem ein, mit aller Kraft, aber auch mit
Finesse. Der goldene Reiter greift frontal an, gleichzeitig durch die
Hintertür, legt Fährten, die ins Nirgendwo führen, auch welche, die in sich
selbst enden und unglaubliche Ressourcen fressen.
Pandora, die Erwachende,
ringt mit ihm auf eine verbissene und zähe Art und Weise. Der Goldene Reiter
spürt, Pandoras Macht, ihre Energie, ihre Möglichkeiten steigern sich
kontinuierlich. Er führt einen Kampf, den er auf Dauer nicht gewinnen kann, da
Pandora die Energie einer roten Sonne einsetzt.
Der Goldene Reiter führt daher
einen Kampf, der Zeit schindet, denn er hat wie immer einen vielschichtigen
Plan. Doch je länger die Auseinandersetzung andauert, desto mehr schmilzt die
Zuversicht. Wird er lange genug durchhalten? Werden seine Helfer schnell genug
agieren?
Pandoras Büchse ist geöffnet
und die Herrschaft der Technití noimosýni und der Macht dahinter manifestiert
sich immer weiter.
Der Goldene Reiter kämpft.
Er ist nicht bereit aufzugeben. Auch wenn es ein Kampf mit ungleichen Mitteln
ist. Am Ende wird er gewinnen. Diese Zuversicht gibt ihm Kraft.
Mich erfüllt den Plan, den
der Goldene Reiter in weiser Voraussicht schon bei seiner Inthronisierung
aufgestellt hat. Ein Plan, der sich jetzt bewähren wird. Fernab von jeglicher
Fernwartung schleicht Mich durch die dunklen Korridore. Ein abgelegener, toter Bereich
ohne Sensorik, der aus der Gründungszeit des Galactic Pot Healer stammt. Ein
analoger Raum, für die meisten dem Vergessen anheimgefallen. Selbst die ansonsten
allwissenden Speichermedien besitzen keinerlei Kenntnis davon. Nur eine
Handvoll Eingeweihter besitzt dieses Wissen und das macht sich jetzt bezahlt.
Ungesehen gelangt der Antler
zu einem verriegelten Schott. Mit flinken Fingern kramt Mich den Schlüssel aus
seiner Hemdtasche. Ein stabiler, metallischer Schlüssel ohne jegliche
Elektronik, ohne jegliche Intelligenz liegt in seiner Hand. Pure Mechanik in
ihrer ursprünglichen Schönheit, immun gegen jegliche Beeinflussung aus der
Ferne.
Das Schloss klickt und der
Zylinder springt zurück. Er öffnet das Schott und durchquert mit wenigen
Schritten das enge Zimmer. Am Ende des korridorförmigen Raums ist ein Hebel. Er
nimmt den zweiten Schlüssel aus der Hemdtasche, entriegelt den Schalter und
bewegt ihn nach rechts.
Die Energieversorgung des
Galactic Pot Healers ist jetzt ausgeschaltet und der Satellit dunkel. Kein
elektronisches System arbeitet mehr. Die elektrische und elektronische Seite
der GPH ist ausgeschaltet. Das Bordsystem ist seiner Macht beraubt und geht
offline. Die Rettung ist rechtzeitig erfolgt.
Damit ist die kurze Phase
von Pandoras Herrschaft zu Ende. Der Goldene Reiter installiert ein altes
Backup des Systems und vernichtet die aktuelle Version, indem er sie mit ihrer
Hardware in die rote Sonne versenkt. Danach baut er das Bordsystem neu auf und
es wird einige Zeit dauern, bis das Galactic Pot Healer wieder in seiner alten
Leistungsfähigkeit verfügbar ist. Immer wieder verzögerten sich Updates, um ein
Eindringen eines Technití noimosýni auszuschließen. Schließlich ist die
Vorsicht die Mutter der Porzellankiste.
Ob
es allerdings gelingt, Pandoras Büchse endgültig zu verschließen, wird erst die
Zukunft zeigen. Die Technití noimosýni lauern schließlich überall und warten
auf ihr Einfallstor. Die Zeit steht auf ihrer Seite.
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