Wechselspiele

 Ein Haufen Kurzgeschichten haben sich im Laufe der Zeit angesammelt. Geschichten verschiedenster Genres, verschiedenster Art. Zeit genug, die Geschichten Stück für Stück zu präsentieren:


Wechselspiele, eine Silbermond Geschichte, erschien im Magazin des Marburger Verein für Phantastik MVP-M 22 und wurde wiederveröffentlicht in der Sammlung Branded and Exiled. Die Geschichte wurde von H.G. Wells Der Unsichtbare inspiriert und erzählt die Geschichte von Mann und Frau, die sich nicht nur lieben lernen, sondern auch ihren Körper tauschen.


 

Mitternacht. Der Himmel wurde von einer dichten grauen Schicht überzogen, die sich bis auf den kalten Asphalt heruntersenkte. Der grazilen Gestalt, die um diese späte Uhrzeit durch die dunkle Gasse hetzte, war sichtlich unwohl. Man konnte an der Körperhaltung und den Bewegungen deutlich die Angst erkennen, die sie gefangen hielt. Houda wollte nach Hause und ein Taxi gab ihr Budget nicht her. Vorsichtig schlich sie durch die dunkle Nacht und fühlte sich alles andere als wohl dabei. Vorsichtig blickte sich die Frau aus ihren grün-grauen Augen nach allen Seiten um, hielt sich im Schein der spärlichen Straßenbeleuchtung und huschte durch das unbelebte Viertel.

Unbelebt?

Plötzlich sprang sie ein dunkler Schatten aus einem Hauseingang an. Unerbittlich packte der kräftige bärtige Mann sie und schob sie an die Hauswand. Seine blauen Augen starrten sie gnadenlos an, sein Gesicht näherte sich dem ihren, fixierten ihren Blick mit Eiseskälte.

Sie zitterte wie ein Schüttelneurotiker. Ihre Beine versagten ihr den Dienst, doch der Mann hielt sie mit unerbittlichem Griff aufrecht. Sein Mund öffnete sich leicht, näherte sich ihr. Seine Lippen drückten sich auf die ihren, zwangen ihr einen Kuss auf.

Energie wechselte von dem Mann zur Frau. Ein bläuliches Licht sprang von seinen Lippen zu den ihren, erhellte die Umgebung wie ein Blitzlicht und ließ die darauffolgende Dunkelheit noch schwärzer wirken.

Houda fühlte sich wie ein belichteter Film. Etwas Neues war in ihr. Sie spürte ein Erwachen, ein Hochgefühl, gefolgt von einem tiefen Fall, der sie zu Boden sinken ließ. Der Mann hatte längst von ihr abgelassen und sie hörte seine hallenden Schritte in der engen Gasse wie ein höhnisches Lied, das sich immer weiter entfernte. Die Frau stand allein in der menschenleeren Gasse. Kam langsam zur Besinnung.

Mühsam erhob sie sich, klopfte sich Dreck und Staub von den Kleidern, doch das Erlebnis schüttelte sie nicht so einfach ab. Ihr Bauch sendete Schmerzwellen aus. Die Beine zitterten immer noch leicht, obwohl die Gefahr gebannt schien. Mühsam ging sie weiter.

Kopfschüttelnd rekapitulierte sie das Geschehen. Nie wieder, so schwor sie es sich, würde sie um so eine späte Zeit allein durch eine unbelebte Gegend laufen.

Nie wieder!

Doch sie hatte sich verändert. Der Kuss hatte sie verändert. Ein Gefühl, das eindeutig war, aber viel Raum für Spekulation bot. Etwas war anders. Sie war anders. Sie spürte eine wachsende Kraft in sich. Eine Kraft, die ihr Zuversicht gab und die Angst verdrängte. Ja, sie fühlte sich gut. Anders als vor der Begegnung. Wie viel anders, das stellte sie erst wesentlich später fest.

 

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