Ronnie James
Ein Haufen Kurzgeschichten (Link führt zur Auflistung der bisher erschienenen) haben sich im Laufe der Zeit angesammelt. Geschichten verschiedenster Genres, verschiedenster Art. Zeit genug, diese Stück für Stück zu präsentieren:
Ronnie James aus (Weltenportal Vampire)
(zur musikalischen Untermalung empfehle ich Sixteenth Century Greensleeves und Heaven and Hell)
Traumwelt
Die Stille des Friedhofs wurde nur hin und wieder von den Flügelschlägen eines Raben durchbrochen. Marc packte seinen Pflock fester. Der dichte Nebel verhinderte, dass er allzu viel von seiner Umgebung sah, doch er würde sich wie gewohnt auf sein Gehör verlassen können.
Vampire töteten zwar leise, doch ihm als Meister der Jagd würden sie nicht verborgen bleiben. Reihenweise hatte er diese Ungetüme schon von ihrem unheiligen Fluch befreit. Jetzt stand er kurz davor, ihr Oberhaupt dem gleichen Schicksal zuzuführen. Etwas nervös war er schon. Modred war ein gänzlich anderes Kaliber als die Blutsauger, denen er bisher den Garaus gemacht hatte.
Vorsichtig näherte er sich dem Mausoleum, in dem er Modred vermutete. Seine Schritte klangen unnatürlich dumpf, als wollte die Umgebung die Geräusche schlucken, um die Ruhe der Toten zu bewahren.
Plötzlich nahm er von rechts einen huschenden Schatten wahr. Er war sofort hellwach. Ohne zu zögern sprang er nach vorne und rollte sich über die Schulter ab.
Keine Sekunde zu spät. Der Angreifer sprang dorthin, wo er eben noch gestanden hatte, und verfehlte ihn nur um wenige Zentimeter. Sofort wirbelte er herum, den Pflock stoßbereit erhoben. Und erstarrte für den Bruchteil einer Sekunde zu Stein.
Es war nicht Modred.
Ein gänzlich anderes, wenn auch ebenso unnatürliches Wesen stürzte sich auf ihn.
Zum Glück funktionierten seine Reflexe einwandfrei. Er sprang zur Seite. Der Werwolf verfehlte ihn abermals. Marc ließ den Pflock fallen und griff nach seinem silbernen Dolch.
Der Werwolf griff erneut an. Marc wich aus, die Krallen des Angreifers rissen seine Wange auf. Er stieß zu, doch die behaarte Kreatur war schneller, sprang zur Seite und wirbelte herum.
Marc brachte sich in Position und erwartete den nächsten Angriff. Dabei musterte er sein Gegenüber. Die Gestalt wirkte verwachsen. Entfernt menschenähnlich, war er ein wenig größer als Marc. Ein gewaltiger Brustkorb endete in dem kurzen Hals, auf dem das entartete Gesicht ihn aus gelben Augen hasserfüllt anstarrte. Speichel floss aus den Winkeln einer Schnauze, die keine Ähnlichkeit mit dem Mund eines Menschen hatte. Spitze Reißzähne schimmerten fleckig, und das Wesen brüllte ihn an, einen Schwall stinkenden Brodem ausstoßend.
Er sah die langen und schlanken Hinterbeine zucken und wich aus. Gerade rechtzeitig. Der drohende Schatten fiel über ihn, verfehlte sein Ziel aber knapp.
Sich aufrappelnd, sah er den Werwolf durch die Luft fliegen und ging in die Offensive. Er sprang ihm waghalsig entgegen, drehte sich in der Luft und stieß der Kreatur den Dolch mitten ins Herz. Mit einem grauenhaften Schrei brach der Werwolf zusammen, wälzte sich noch einige Zeit gequält am Boden, bevor er verendete und sein unnatürliches Leben durch das geweihte Silber verwirkte.
Schwer atmend stand Marc da, sein Herz pumpte wie wild und seine Beine zitterten. Er hatte gesiegt, doch der Kampf hatte ihm schwer zugesetzt. Die Wunde an der Wange brannte höllisch, und urplötzlich erinnerte er sich, wie der Fluch des Lykanthropen übertragen wurde.
Was hatte ihn im entscheidenden Moment zögern lassen?
Er befand sich auf dem Höhepunkt seiner körperlichen Leistungsfähigkeit, aber es ließ sich nicht leugnen: die Kämpfe kosteten Substanz. Doch er würde erst zur Ruhe kommen, wenn Modred vom Antlitz der Welt getilgt war.
Marc setzte seinen Weg fort, alle Sinne bis zum Äußersten angespannt, er konnte sich keinen weiteren Fehler mehr erlauben. Der Nächste würde sein letzter sein. Und darauf warteten die Kreaturen der Nacht nur.
Er ging weiter, der finalen Auseinandersetzung entgegen.
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