DSFP (Interview)

Michael Schmidt: Lieber DSFP, den Deutschen Science-Fiction-Preis in den ANDROMEDA NACHRICHTEN zu fragen, was der DSFP ist, hieße, Eulen nach Athen zu tragen. Andererseits ist die BuCon-Ausgabe ja auch immer eine, die einen erweiterten Leserkreis hat. Daher vielleicht trotzdem kurz die Frage: Was ist der DSFP?

DSFP: Der Deutsche Science-Fiction-Preis, ursprünglich unter dem Namen SFCD-Literaturpreis gestartet, wird seit 1985 jährlich in den zwei Kategorien »Beste deutschsprachige Kurzgeschichte« und »Bester deutschsprachiger Roman« verliehen. Er ist der einzige dotierte Genrepreis im deutschsprachigen Raum, die 1.000 Euro je Kategorie werden von Thomas Recktenwald und der Villa Fantastica in Wien gespendet. Für den Preis liest das Komitee möglichst alle im Original in deutscher Sprache erschienene Science Fiction.

Michael Schmidt: Wer gehört zur Jury und wie kann man sich bewerben? Oder besteht die Möglichkeit nicht?

DSFP: Das Komitee besteht zur Zeit aus 14 Personen. Die Mitarbeit ist jedem Interessierten möglich, eine Mitgliedschaft im SFCD ist dafür nicht notwendig (auch wenn sie natürlich gern gesehen wird). Wichtigste Voraussetzung ist die Bereitschaft, viel deutschsprachige SF zu lesen (der Jahrgang 2012, der für die Preisverleihung 2013 relevant ist, besteht aus 56 Romanen und 17 Kurzgeschichtensammlungen und Zeitschriften).

Michael Schmidt: Die Jury liest alle erschienenen Romane und Kurzgeschichten. Fluch oder Segen?

DSFP: Sowohl als auch. Es ist eine Menge Lesestoff, und wir müssen uns jedes Jahr anstrengen, für die Nominierungen möglichst viele Werke zu lesen, und die Qualität reicht durch das gesamte Spektrum. Es ist aber letztlich doch ein Segen, dass wir die gesamte Bandbreite lesen, denn wir entdecken immer wieder verborgene Perlen, die bei der Beschränkung auf »die üblichen Verdächtigen« nie gefunden würden. Das schlägt sich dann in Nominierungen und auch den Preisträgern nieder. Zu den Autoren, die vom DSFP quasi entdeckt wurden, zählen Andreas Eschbach und Oliver Henkel.

Michael Schmidt: Es gibt ja eine eBook-Schwemme. Trifft das auch auf die SF zu und wie beurteilt ihr das? Gibt es Highlights bzw. No-Gos?

DSFP: Auch SF erscheint verstärkt im elektronischen Format. Ähnlich wie vor zehn Jahren die »Schwemme« bei Print-on-Demand-Büchern werden hier neue Herstellungs- und Vertriebswege genutzt. Auch diesmal wird der Markt sich selbst regulieren: Qualität verkauft sich auf lange Sicht einfach besser. Schlecht oder gar nicht korrigierte und lektorierte Werke werden keine Leser finden. Bei einigen Verlagen gibt es oft erst einmal nur eine gedruckte Version. Oder eBook und gedrucktes Buch erscheinen parallel. Hier gibt es keine Probleme. Wenn ein Jury-Mitglied ein reines eBook »entdeckt« und für lesenswert hält, so kommt es auf die Leseliste. Es kommt also nicht auf das Medium an, sondern auf den Inhalt.

Michael Schmidt: 8 Kurzgeschichten kamen auf die Nominierungsliste des DSFP. Stellt sie uns doch mal kurz vor und erläutert, warum es gerade diese in die Endrunde geschafft haben.

DSFP: Folgende Storys sind nominiert worden:

Matthias Falke: »Der Bruch der nordwestlichen Stelze«, erschienen in »Nova 19«;
Klaus N. Frick: »Im Käfig«, erschienen in »Exodus 29«;
Marcus Hammerschmitt: »Der Ethiker«, erschienen in »Nachtflug«;
Michael K. Iwoleit: »Zur Feier meines Todes«, erschienen in »Die letzten Tage der Ewigkeit«;
Karsten Kruschel: »Teufels Obliegenheiten«, erschienen in »Nova 20«;
Axel Kruse: »Doppeltes Spiel«, erschienen in »Exodus 29«;
Frank Lauenroth: »K’Tarr!«, erschienen in »2012 T Minus Null«;
Michael Marrak: »Der Kanon mechanischer Seelen«, erschienen in »Nova 20«.



Die Nominierungsliste ist ein interner Mehrheitsentscheid. Jedes Komitee-Mitglied entscheidet, welche Storys es für nominierungswürdig hält und hat durchaus seine eigenen Gründe. Einige legen Wert auf eine originelle Idee und deren Entwicklung, andere richten ihr Augenmerk mehr auf die sprachliche Umsetzung. Kommt beides zusammen, hat eine Story gute Chance auf vordere Plätze. Dieses Jahr sind sich aber alle Mitglieder einig, dass die Qualität der Kurzgeschichten in dieser Liste sehr hoch ist.

Die Storys sind sehr unterschiedlich und das macht ihren Reiz aus. Der Text von Michael K. Iwoleit hat einen deutlich größeren Umfang, während »Doppeltes Spiel« von Axel Kruse auf eine Pointe herausläuft. Michael Marrak beschreibt eine Erde und eine Menschheit nach einem langen Weg der Entwicklung. Marcus Hammerschmitts »Die Ethiker« tendiert zu einer Sozialsatire. »Teufels Obliegenheiten« ist eine Parallelweltgeschichte, und in Frank Lauenroths »K’Tarr!« geht es um das Ende der Welt.

Das Komitee befindet sich zur Zeit des Interviews ja noch im Entscheidungsprozess …

Michael Schmidt: Ein Wort an die Vielzahl derer, die nicht unter die ersten 8 kamen …

DSFP: Bereits die DSFP-Nominierung ist ein harter Ausleseprozess. Intern wurden viele gute und sehr gute Geschichten benannt, deutlich mehr als offiziell nominiert wurden. Die nominierten Storys sind nach unserer gemeinsamen Meinung die Besten des Referenzjahres. Eine Nominierung hängt also auch von der Tagesform eines Autors ab, es gibt kein »Abonnement« auf eine Nominierung. Das ist dieses Jahr für uns vom DSFP ganz besonders schwer gewesen, weil viele Autoren gleichzeitig sehr gute Geschichten abgeliefert haben. Aber nach dem DSFP ist vor dem DSFP – für das nächste Jahr ist wieder alles offen. Überrascht uns mit gut geschriebenen Geschichten, die auf guten Ideen basieren, dann ist eine DSFP-Nominierung nicht ganz unwahrscheinlich.

Michael Schmidt: Gleiche Frage zu den Romanen. Sieben Streiche schaffte die Nominierungsliste. Stellt sie uns doch mal vor und erklärt, was das jeweils Besondere an ihnen ist.

DSFP: Das sind die Nominierungen:


Andreas Brandhorst: »Das Artefakt«, Heyne;
Dietmar Dath: »Pulsarnacht«, Heyne;
Frank W. Haubold: »Die Gänse des Kapitols«, Atlantis;
Oliver Henkel: »Die Fahrt des Leviathan«, Atlantis;
Anja Kümmel: »Träume digitaler Schläfer«, Thealit;
Jacqueline Montemurri: »Die Maggan-Kopie«, Edition Paashaas;
Chris Schlicht: »Maschinengeist«, Feder & Schwert.


Auch die Romane sind dieses Jahr sehr unterschiedlich. Oliver Henkel liefert einen Alternativweltroman, »Maschinengeist« ist Steampunk. Andreas Brandhorst, Dietmar Dath und Frank W. Haubold liefern SF-Romane, die zeigen, wie groß die Spanne in diesem Genre ist. Anja Kümmels Roman spielt parallel in mehreren Zeiten, und die »Maggan-Kopie« ist eine kritische Betrachtung heutiger wissenschaftlicher Tendenzen.

Aber auch hier gilt: Wir müssen noch bewerten.

Michael Schmidt: Der DSFP läuft ja schon Jahre. Welches waren die Höhepunkte, welches die Tiefpunkte seiner Geschichte aus eurer Sicht?

DSFP: Die Preisverleihung ist natürlich der jährliche Höhepunkt. Besonders freut das Komitee sich, wenn wir ein bislang eher unbekanntes Werk auszeichnen und der Preisträger auch weiterhin gute Literatur verfasst. Da kann man sich dann sagen, ein neues Talent mitentdeckt zu haben. Schön sind die Jahre, in denen es viele gute Werke zu lesen gilt und die Bewertung richtig schwer ist. Tiefpunkte sind vielleicht die Jahre, in denen es in einer Kategorie schwierig wird, sich auf eine gute Nominierungsliste zu einigen, weil zwar gute SF geschrieben worden ist, aber nicht das eine herausragende Werk dabei ist.

Michael Schmidt: Die Welt ändert sich. Ändert sich auch der DSFP? Was habt ihr für die nächsten Jahre geplant? Wie wollt ihr die deutschsprachige SF fördern?

DSFP: Der DSFP ändert sich vor allem durch neu ins Komitee kommende Leser und das Ausscheiden anderer. Außerdem überprüfen wir immer wieder unsere Vergaberichtlinien und Prozesse. So hat sich die Kommunikation von per Post verschickten Rundschreiben über eine Mailingliste zu einem geschützten Forum mit online gepflegter Leseliste entwickelt.

Die nominierten und prämierten Kurzgeschichten und Romane sind auch immer ein gutes Stück Zeitgeist. Gerade ist die Sammlung der ersten 28 Kurzgeschichten-Preisträger erschienen, herausgegeben von Ralf Boldt und Wolfgang Jeschke: Die Stille nach dem Ton. Wir hoffen, dass diese schwergewichtige Anthologie vielen Lesern zeigt, dass man nicht zu fremdsprachiger Literatur greifen muss, um gute SF zu lesen.

Michael Schmidt: Hinter dem DSFP steckt der SFCD. Warum sollte man Mitglied werden und wie geht das?

DSFP: Mitglied sollte man werden, um sich mit Gleichgesinnten zusammenzuschließen und zu kommunizieren. Der SFCD bietet auch eine gute Plattform, um eigene Ideen umzusetzen. Außerdem erhalten die SFCD-Mitglieder die ANDROMEDA NACHRICHTEN (dieses Magazin) viermal im Jahr sowie das ANDROMEDA SF MAGAZIN als jährliches Themenheft. Mitglied wird man am einfachsten über www.sfcd.eu und den »Mitglied werden«-Link, oder man fordert beim Schriftführer (siehe Impressum) ein Beitrittsformular an.

Michael Schmidt: Ihr als Kenner der Szene, was hat die deutschsprachige SF und was fehlt ihr noch?

DSFP: Die deutschsprachige SF hat gute Autoren und gute Werke. Ihr fehlt noch die Wahrnehmung und Akzeptanz in Feuilleton und Wissenschaft – es hat sich in den letzten Jahren zwar einiges getan, aber im Gegensatz zu den USA, wo SF-Titel regelmäßig in den Bestsellerlisten stehen, wird die SF in Deutschland gerne immer noch als »trivial« abgetan. Viele gute SF-Werke werden von den Verlagen bewusst nicht als solche bezeichnet, sondern erscheinen in den allgemeinen Reihen. Ein weiterer Nachteil des deutschen Sprachraums ist die äußerst schwere Vermarktbarkeit von Kurzgeschichten, dabei finden sich gerade hier viele Perlen. Die Publikumsverlage veröffentlichen lieber noch einen weiteren Romanzyklus mit möglichst dicken Bänden als eine schöne SF-Anthologie. Diese finden sich in der sehr aktiven deutschsprachigen Kleinverlags-Szene. Das sieht man auch sehr gut an den Nominierungen in diesem Jahr.

Michael Schmidt: Zum Schluss ein Wort an all die SF-Schaffenden und Lesenden dort draußen!

DSFP: Liebe Autoren, schreibt und lasst euch nicht entmutigen, wenn nicht gleich jedes Werk ein Bestseller wird. Liebe Leser, habt Spaß an der SF und schaut euch unbedingt die Romane und Kurzgeschichten deutschsprachiger Autoren an. Es lohnt sich! Wirklich!

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