Der subjektive Mann


Ich lasse den Macallan von 1941 langsam auf der Zunge wirken. Ein guter Genuss braucht seine Zeit bis er sich ausbreitet. Der Macallan schmeckt nach trockenen Früchten, Zitrus, Rosinen, Sultaninen und besitzt einen vollmundigen Abgang. Mit einem elektrisierenden Gefühl lasse ich die Flüssigkeit die Kehle herunter gleiten. Ein wohliger Seufzer entfährt mir.
Mein Gegenüber mustert mich genau. Wie schön das Kollier zu ihrer sanften Statur passt. Der Saphir am Ringfinger spiegelt die Schönheit ihrer Augen wieder.
Ein kurzer Blick zum Tesla, dem Quantensprung ausgerechnet der kulturlosen Amerikaner, der unweit der Fensterfront parkt und wartet, dass sein unglaubliches Drehmoment von mir entfesselt wird. Und das quasi emissionsfrei. Dabei, glaube ich, passt der Q7 mit seinem ebenfalls drehmomentstarken Diesel besser zu meiner aktuellen Stimmung.
Ich wende die Bratwurst, die günstig zu haben war im Gegensatz zum Weber Grill, dem Nonplusultra.
"Schatz, ist es nicht schlimm wie unsere Meere vermüllen?"

Ich gebe ein zustimmendes Geräusch und trinke erneut an meinem Macallan. Ja, ist das schlimm. Der Macallan gibt es zum Glück nur stilecht im Glas. Das wäre ja noch schöner.
"Liebling, daran ist der Pöbel schuld, der gemeine Pöbel, ganz sicher."
Gerade die Unterschicht, die Ungebildeten, die sich rasant vermehren. Und natürlich die untere Mittelschicht, die gerne wäre wie die Überschicht, aber sich nur die Plastikvariante leisten kann. Aber was soll der Pöbel in seiner allgegenwärtigen Verelendung und Verrohung auch tun. Kopftuchträgerinnen, junge aggressive Nordafrikaner oder fettleibige Harzer, das System ist krank und keine Besserung in Sicht.
Ich nehme einen weiteren Schluck vom Macallan, genieße sein exquisites Flair.
"Meine Liebe, Marx hatte Recht, wenn auch auf andere Weise. Die Massen, ohne sinnvolle Beschäftigung, verwahrlosen an Körper und Geist. Es wird Zeit für eine Revolution. Das Proletariat muss aufstehen und sein Schicksal wieder selbst in die Hand nehmen, sich nicht von den Milliardären steuern lassen. Das Geld muss den Superreichen und Mächtigen entzogen werden und der Allgemeinheit zugefügt werden. Diese Multimilliardäre, die sind an allem schuld."
Versonnen blicke ich auf das MG Cabrio, der stolz meiner Autosammlung, während ich die günstige Wurst auf dem Grill wende.
"Wir sollten beim nächsten Parteitag doch unbedingt für den Antrag der Genossin Wahre-Knecht stimmen. Wir sind doch bis dahin wieder zurück, oder?"
Den Maledivenurlaub würde ich dafür natürlich nicht sausen lassen. Aber die Revolution läuft uns ja nicht davon. Alles zu seiner Zeit. Schließlich muss nicht nur die Welt gerettet, sondern auch das Leben genossen werden.
Darauf noch einen guten Schluck!


Weitere Stories in Geschichten der Dekadenz

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Zwielicht – Das deutsche Horrormagazin