Erik Hauser (Interview)
Michael Schmidt: Hallo Erik, stell dich den Lesern von Zwielicht kurz vor!
Erik Hauser: Ich bin jetzt Lehrer an einem Gymnasium, vorher Lehrbeauftragter am Anglistischen Seminar der Uni Heidelberg, und schreibe in meinen Freistunden Horrorgeschichten, um den täglichen Horror der Schule zu vergessen. Auch „Mein Onkel Stanislaus“ ist zum großen Teil während meiner Freistunden in der Schule entstanden.
Michael Schmidt: Du bist mit Mein Onkel Stanislaus in Zwielicht IV erschienen. Worum geht es in der Geschichte?
Erik Hauser: Um die schädlichen Folgen des Rauchens. Was ja, wie jeder weiß, zum Verlust von Körperteilen und sogar zum Tod führen kann.
Michael Schmidt: Sind weitere, ähnliche Geschichten geplant?
Erik Hauser: Ich bin seit einiger Zeit dabei, eine Reihe solcher skurriler 'Dorfgeschichten' zu schreiben, aus denen hoffentlich mal ein kompletter Kurzgeschichtenband entsteht. Die Geschichten spielen nicht nur am selben Ort – mein Arkham, mein Gotham City -, sondern sollen sich auch intertextuell aufeinander beziehen; so treten beispielsweise dieselben (Neben-)figuren mehrmals auf, oder ein phantastisches Ereignis erscheint in einer anderen Geschichte in einem gänzlich anderen Licht. „Mein Onkel Stanislaus“ ist sozusagen die 'Werbegeschichte', mein Aushängeschild, mit der ich hoffe, Verleger für diese Idee zu interessieren. Ich erwarte, dass sie nach diesem Interview Schlange stehen.
Michael Schmidt: Meine erste Begegnung mit deinen Geschichten war Odem des Todes, eine Geschichte, in der Edgar Allan Poe die Hauptrolle spielte. Wie kam es dazu?
Erik Hauser: Auf Aufforderung von Alisha Bionda, die mir als erste eine Plattform für Veröffentlichungen geboten hat (großen Dank hier an dieser Stelle, falls du das liest, Alisha). Alisha stellte eine Anthologie zusammen, in der Edgar Allan Poe in Geschichten à la Poe selbst auftreten sollte. Kurioserweise stand der Titel der Anthologie – Odem des Todes – bereits fest, ohne dass es eine Geschichte dieses Namens darin gegeben hätte. Diesem Umstand wollte ich abhelfen und schrieb deshalb die passende Titelgeschichte dazu. – Nein, ganz so geplant war das natürlich nicht, aber am Ende ist es genau darauf hinausgelaufen.
Michael Schmidt: Viele deiner Geschichten erschienen in Anthologien von Alisha Bionda und spielen in bekannten Universen wie Sherlock Holmes. Wie kam es zu der Zusammenarbeit? Und stell doch mal die Highlights vor.
Erik Hauser: Das mit den bekannten Universen, also konkret hier: Sherlock Holmes, war der Wunsch der Herausgeberin, die eben Geschichten für einen Sherlock-Holmes-Band suchte. Offensichtlich gehen eingeführte Universen auf dem Markt eben besser, weil sie den Lesern bereits vertraut sind; gerade Sherlock Holmes boomt ja, was sich auf die diversen Verfilmungen und Fernsehserien zurückführen lässt. … Die Verbindung zu Alisha kam über Oliver Plaschka zustande, mit dem ich seit vielen Jahren befreundet bin, seit er damals als Student zum ersten Mal in einem meiner Seminare zur Phantastik auftauchte. Jahre später – inzwischen hatte er zwei Romane und etliche Kurzgeschichten im Genre publiziert – fragte er an, ob ich eine Sherlock-Holmes-Geschichte zu einer deutschen Anthologie beitragen könne; die Herausgeberin suche noch nach Geschichten, da einer der vorgesehenen Autoren abgesprungen sei. Ich hatte mit Frank Rainer Scheck Sherlock Holmes - die unauthorisierte Biographie (Artemis & Winkler, 2007) übersetzt, weshalb ich die richtige Wahl erschien. Meine erste Geschichte, die ich übrigens für nicht so übel hielt, die aber nie ein großes Echo bekommen hat, war also der Lückenbüßer „Sherlock Holmes und der verschwundene Fakir“ in Der verwunschene Schädel (Voodoo Press, 2011; Titelgeschichte von Oliver Plaschka). Seit dieser Zeit ereilen mich in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen Anfragen von Alisha für ihre Anthologien, von denen ich zwar nicht alle wahrnehmen kann, die aber bis heute eine willkommene Herausforderung und Anregung darstellen.
Die Highlights sind wahrscheinlich, neben dem schon erwähnten „Odem des Todes“, die Titelgeschichte der Erotik-Steam-Punk-Anthologie Der Ritt auf der Maschine (Fabylon, 2012) und die mit Oliver zusammen verfasste Sherlock-Holmes-Geschichte „Die Wahrheit über Sherlock Holmes“ (in Sherlock Holmes und die Tochter des Henkers; Fabylon 2012).
„Der Ritt auf der Maschine“ behandelt – auf etlichen Seiten – den Orgasmus einer Frau, die von einem bösen Wissenschaftler lustvoll ‚gefoltert’ wird – eine Altherrenphantasie also, aber ich habe mich wirklich angestrengt, in den Kopf dieser Frau zu gelangen; und das Ganze durch Ironie und komische Übertreibung zu brechen, damit es nicht (nur?) Pornographie ist. Das Besondere an der Geschichte ist, dass der teuflische Wissenschaftler, Dr. Never, einen 'Gedankenstuhl' oder besser: einen Empathiestuhl erfunden hat, mit dem er direkt die Empfindungen seines Opfers miterlebt, was, wie man sich vorstellen kann, zu etlichen Verwirrungen führt.
Letztere Geschichte enthüllt wie gesagt die Wahrheit über Sherlock Holmes – oder vielleicht doch nicht die ganze Wahrheit? Alle Geschichten in der Antho sind von einem Autorenduo verfasst, wobei einer jeweils die Perspektive von Holmes und der andere die (gewohnte) Perspektive von Watson darstellte. „Die Wahrheit über Sherlock Holmes“ ist nicht nur die Wahrheit über den berühmten Detektiv, sondern auch über die Hintergründe des Ausbruchs des 1. Weltkriegs – gerade wieder ein heißes Thema im Jubiläumsjahr 2014. Außerdem ist uns, so hoffe ich jedenfalls, auch ein raffiniertes Vexierspiel mit den Realitätsebenen und den Perspektiven der Figuren gelungen.
Michael Schmidt: Gibt es noch weitere Geschichten von dir?
Erik Hauser: Ja, leider: Ich gehörte jahrelang zu der traurigen Spezies von Möchtegern-Autoren, die viel beschriebenes Papier für die Schublade (heute: abgelegte Word-Dateien auf alten Computerfestplatten) produzierten. Lange Zeit verfolgte ich den Irrweg, englischsprachiger Autor werden zu wollen – tatsächlich sind drei meiner ‚ghost stories’ in All Hallows erschienen, dem offiziellen Publikationsorgan der Ghost Story Society England, in der ich damals Mitglied war (es wird wohl für die Veröffentlichung nicht geschadet haben). – Erst Alisha Bionda hat mich aus diesem Dornröschenschlaf befreit. Außer „Mein Onkel Stanislaus“ sind alle meine Geschichten bislang in Anthologien von ihr erschienen.
Michael Schmidt: Gerüchten zu Folge arbeitest du an einer Werwolfgeschichte. Erzähl mal!
Erik Hauser: Auch das wieder eine Auftragsarbeit für die rührige Alisha, die Novelle soll nächstes Jahr als eigenständige Publikation erscheinen. Bedingung war, dass darin ein Werwolf vorkommen sollte. Die übliche Folge davon ist, dass die Liste der anderen Charaktere bald recht überschaubar ist. Außerdem treten auch noch die Gebrüder Grimm auf. Aber nicht irgendwelche Hollywoodactionhelden, die nur den Namen mit den 'echten' Brüdern gemeinsam haben und mit Pfeil und Bogen Jagd auf Monster machen, sondern Figuren, die möglichst nahe an der Realität bleiben – wofür ich einigermaßen gründlich recherchiert habe. Das Ganze spielt im Jahre 1806, während der Napoleonischen Kriege, und ich habe mich bemüht, die Sprache zeitgemäß klingen zu lassen, was vielleicht nicht jedermanns Geschmack ist, für mich aber den besonderen Reiz dieses 'Krimimärchens', wie ich es im Untertitel nennen möchte, ausmacht.
Michael Schmidt: Gibt es neben den genannten Geschichten noch weitere Veröffentlichungen? Und hast du einen persönlichen Favorit?
Erik Hauser: Ich liebe alle meine Geschichten, genauso wie ein Vater alle seine Kinder liebt. Mein Favorit ist daher immer die Geschichte, an der ich gerade schreibe. Ein Kind, auf das ich aber dennoch gesondert hinweisen möchte, damit es nicht ganz untergeht, ist „Ihnen zum Bilde“ aus der Anthologie Düstere Pfade, erschienen bei p.machinery. Ich weiß nicht, warum der Band insgesamt so wenig Beachtung fand – ich weiß von keiner einzigen Rezension dazu. Ohne jetzt mehr als sonst überheblich wirken zu wollen: Es ist ja mindestens eine gute Geschichte darinnen und außerdem tolle Illustrationen, sogar in Farbe, wenn man den Band direkt bei Michael Haitel bestellt. - „Ihnen zum Bilde“ beschreibt eines meiner Lieblingsszenarien dunkler Phantastik: ein Pärchen allein in einer bedrohlichen (hier: norwegischen) Umwelt, keine Hilfe von außen ist möglich, und an die Tür ihres Ferienhauses pocht ein unheimliches Wesen. Aber die wirkliche Gefahr lauert nicht draußen, sondern im Innern: in der Seele der beiden Menschen.
Michael Schmidt: Du hast zusammen mit Frank Rainer Scheck diverse Anthologien zusammengestellt. Aktuell steht „Aut Diabolus Aut Nihil“ an. Was erwartet den Leser?
Erik Hauser: Ein Doppelband mit unheimlicher Phantastik aus der Feder US-amerikanischer Autoren um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Eine Fundgrube von phantastischen Geschichten aus dieser Zeit, alle in deutscher Erstveröffentlichung, von zumeist unbekannten oder doch im deutschen Sprachraum unbekannteren Autoren, wie z.B. Thomas Russell Sullivan oder James Branch Cabell; aber auch eine noch nicht veröffentlichte Erzählung der von mir sehr geschätzten Edith Wharton, die nicht in dem seinerzeit in der Phantastischen Bibliothek erschienenen Sammelband ihrer Gespenstergeschichten enthalten war. Zusammen über 600 Seiten, mit ausführlichen Autorenporträts und einer umfassenden Einleitung des mittlerweile leider verstorbenen Frank Rainer Scheck. Eine Liste der enthaltenen Autoren und ihrer Geschichten sollte sich mittlerweile auf der Homepage des Blitz-Verlags finden. Die Bände sind aktuell bereits erschienen. – Noch ein Wort vielleicht zu Frank Rainer Scheck, dessen Tod eine große Lücke in der Phantastikszene hinterlässt: Er verstarb, kurz nachdem die Manuskriptfassung von Aut Diabolus Aut Nihil an den Blitz-Verlag abgegangen war; der Doppelband ist somit auch eine letzte posthume Veröffentlichung und Würdigung seines Schaffens als Herausgeber und Übersetzer.
Michael Schmidt: Welche Veröffentlichungen stehen sonst noch an?
Erik Hauser: Im Blitz-Verlag wird – nach Ein Neffe aus venezianischem Glas, dem letzten noch von Frank Rainer Scheck betreuten Projekt – unter meiner Ägide The Joss von Richard Marsh erscheinen, den Andreas Schiffmann übersetzen wird; danach will ich auf Anregung eines Fans einen Vampirroman von Paul Favel bringen, in dem Anne Radcliffe die Hauptrolle spielt – man könnte ihn gewissermaßen als Vorläufer der neuerdings beliebten Mash-up-Romane à la Sissy, die Vampirjägerin oder der Jane-Austen-Travestie Stolz und Vorurteil und Zombies ansehen. Sollte die Reihe solange durchhalten, würde ich gerne noch die phantastischen Kurzgeschichten von Gaston Leroux, Autor von Das Phantom der Oper, sowie von Claude Seignolle einem deutschen Publikum nahebringen. Aber da Ein Neffe aus venezianischem Glas bei BLITZ erst fürs Frühjahr 2015 angekündigt ist, bleibt dies vorerst Zukunftsmusik.
Michael Schmidt: Und woran arbeitest du im Moment?
Erik Hauser: An den Drittkorrekturen zum Englischabitur 2014 in Baden-Württemberg – Banales, Kurioses und Merkwürdiges vermischen sich auf eine Weise, dass es dem abgebrühtesten Horrorfan einen kalten Schauder über den Rücken jagt. Das glaubst du nicht? Hier ein anonymisiertes, nur leicht verändertes Beispiel: „My flashlight not have much battery. When it turned up the dark I heard a screaming. So I was looking up again who was also there, but I didn’t know who it was because of no-seeing. I wasn't part of the crime, I’ve only observe this dramatical action of crime in darkness.“ Gruselig, oder? - Aber ernsthaft: die Werwolfnovelle ist im Prinzip fertig, sie muss nur noch etwas aufpoliert werden. Danach widme ich mich wieder den skurrilen Dorfgeschichten (siehe oben) oder eventuell auch einem Werwolfroman, da bei der Arbeit an der Novelle viel Stoff liegengeblieben ist, der nach einer breiteren Ausformung verlangt.
Michael Schmidt: Die deutschsprachige Horrorszene lebt und gedeiht. Wie würdest du sie einschätzen?
Erik Hauser: Ich kenne sie noch zu wenig, um darüber ein wirklich qualifiziertes Urteil abgeben zu können. Lobenswert sind die Bemühungen von Herausgebern und Verlegern, diesem 'Kellerkind' der Literatur ein Forum zu bieten. Ich sage das auch – aber nicht nur -, weil ich natürlich selbst publiziert werden möchte.
Michael Schmidt: Welche Autoren würdest du einem interessierten Leser empfehlen?
Erik Hauser: Wie gesagt: ich kenne mich besser in der anglo-amerikanischen, französischen oder klassischen deutschen Phantastik (E.T.A. Hoffmann, Theodor Storm, Leo Perutz) aus. Zu den heutigen Autoren, von denen ich bislang mit Vergnügen einige wenige Kurzgeschichten gelesen habe, gehören Andreas Gruber und Malte S. Sembten. Ich mag ironische Erzählungen mit schwarzem Humor. Nicht so gut gefallen mir 'Splattergeschichten', deren einzige Absicht zu sein scheint, dem Leser eine möglichst eklige Schlachtplatte zu bieten. - Ach ja: und natürlich der bereits mehrfach erwähnte Oliver Plaschka, dessen „Drachenschwingen“ (in Geisterhafte Grotesken) eine wirklich anrührende Geschichte ist.
Michael Schmidt: Ein letztes Wort an die Leser!
Erik Hauser: Solltet ihr – was unwahrscheinlich ist - nachts allein auf der Straße einem Buch von mir begegnen – nehmt es mit nach Hause. Solltet ihr (wahrscheinlicher) einem Werwolf begegnen – lauft!
Michael Schmidt: Du bist mit Mein Onkel Stanislaus in Zwielicht IV erschienen. Worum geht es in der Geschichte?
Erik Hauser: Um die schädlichen Folgen des Rauchens. Was ja, wie jeder weiß, zum Verlust von Körperteilen und sogar zum Tod führen kann.
Michael Schmidt: Sind weitere, ähnliche Geschichten geplant?
Erik Hauser: Ich bin seit einiger Zeit dabei, eine Reihe solcher skurriler 'Dorfgeschichten' zu schreiben, aus denen hoffentlich mal ein kompletter Kurzgeschichtenband entsteht. Die Geschichten spielen nicht nur am selben Ort – mein Arkham, mein Gotham City -, sondern sollen sich auch intertextuell aufeinander beziehen; so treten beispielsweise dieselben (Neben-)figuren mehrmals auf, oder ein phantastisches Ereignis erscheint in einer anderen Geschichte in einem gänzlich anderen Licht. „Mein Onkel Stanislaus“ ist sozusagen die 'Werbegeschichte', mein Aushängeschild, mit der ich hoffe, Verleger für diese Idee zu interessieren. Ich erwarte, dass sie nach diesem Interview Schlange stehen.
Michael Schmidt: Meine erste Begegnung mit deinen Geschichten war Odem des Todes, eine Geschichte, in der Edgar Allan Poe die Hauptrolle spielte. Wie kam es dazu?
Erik Hauser: Auf Aufforderung von Alisha Bionda, die mir als erste eine Plattform für Veröffentlichungen geboten hat (großen Dank hier an dieser Stelle, falls du das liest, Alisha). Alisha stellte eine Anthologie zusammen, in der Edgar Allan Poe in Geschichten à la Poe selbst auftreten sollte. Kurioserweise stand der Titel der Anthologie – Odem des Todes – bereits fest, ohne dass es eine Geschichte dieses Namens darin gegeben hätte. Diesem Umstand wollte ich abhelfen und schrieb deshalb die passende Titelgeschichte dazu. – Nein, ganz so geplant war das natürlich nicht, aber am Ende ist es genau darauf hinausgelaufen.
Michael Schmidt: Viele deiner Geschichten erschienen in Anthologien von Alisha Bionda und spielen in bekannten Universen wie Sherlock Holmes. Wie kam es zu der Zusammenarbeit? Und stell doch mal die Highlights vor.
Erik Hauser: Das mit den bekannten Universen, also konkret hier: Sherlock Holmes, war der Wunsch der Herausgeberin, die eben Geschichten für einen Sherlock-Holmes-Band suchte. Offensichtlich gehen eingeführte Universen auf dem Markt eben besser, weil sie den Lesern bereits vertraut sind; gerade Sherlock Holmes boomt ja, was sich auf die diversen Verfilmungen und Fernsehserien zurückführen lässt. … Die Verbindung zu Alisha kam über Oliver Plaschka zustande, mit dem ich seit vielen Jahren befreundet bin, seit er damals als Student zum ersten Mal in einem meiner Seminare zur Phantastik auftauchte. Jahre später – inzwischen hatte er zwei Romane und etliche Kurzgeschichten im Genre publiziert – fragte er an, ob ich eine Sherlock-Holmes-Geschichte zu einer deutschen Anthologie beitragen könne; die Herausgeberin suche noch nach Geschichten, da einer der vorgesehenen Autoren abgesprungen sei. Ich hatte mit Frank Rainer Scheck Sherlock Holmes - die unauthorisierte Biographie (Artemis & Winkler, 2007) übersetzt, weshalb ich die richtige Wahl erschien. Meine erste Geschichte, die ich übrigens für nicht so übel hielt, die aber nie ein großes Echo bekommen hat, war also der Lückenbüßer „Sherlock Holmes und der verschwundene Fakir“ in Der verwunschene Schädel (Voodoo Press, 2011; Titelgeschichte von Oliver Plaschka). Seit dieser Zeit ereilen mich in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen Anfragen von Alisha für ihre Anthologien, von denen ich zwar nicht alle wahrnehmen kann, die aber bis heute eine willkommene Herausforderung und Anregung darstellen.
Die Highlights sind wahrscheinlich, neben dem schon erwähnten „Odem des Todes“, die Titelgeschichte der Erotik-Steam-Punk-Anthologie Der Ritt auf der Maschine (Fabylon, 2012) und die mit Oliver zusammen verfasste Sherlock-Holmes-Geschichte „Die Wahrheit über Sherlock Holmes“ (in Sherlock Holmes und die Tochter des Henkers; Fabylon 2012).
„Der Ritt auf der Maschine“ behandelt – auf etlichen Seiten – den Orgasmus einer Frau, die von einem bösen Wissenschaftler lustvoll ‚gefoltert’ wird – eine Altherrenphantasie also, aber ich habe mich wirklich angestrengt, in den Kopf dieser Frau zu gelangen; und das Ganze durch Ironie und komische Übertreibung zu brechen, damit es nicht (nur?) Pornographie ist. Das Besondere an der Geschichte ist, dass der teuflische Wissenschaftler, Dr. Never, einen 'Gedankenstuhl' oder besser: einen Empathiestuhl erfunden hat, mit dem er direkt die Empfindungen seines Opfers miterlebt, was, wie man sich vorstellen kann, zu etlichen Verwirrungen führt.
Letztere Geschichte enthüllt wie gesagt die Wahrheit über Sherlock Holmes – oder vielleicht doch nicht die ganze Wahrheit? Alle Geschichten in der Antho sind von einem Autorenduo verfasst, wobei einer jeweils die Perspektive von Holmes und der andere die (gewohnte) Perspektive von Watson darstellte. „Die Wahrheit über Sherlock Holmes“ ist nicht nur die Wahrheit über den berühmten Detektiv, sondern auch über die Hintergründe des Ausbruchs des 1. Weltkriegs – gerade wieder ein heißes Thema im Jubiläumsjahr 2014. Außerdem ist uns, so hoffe ich jedenfalls, auch ein raffiniertes Vexierspiel mit den Realitätsebenen und den Perspektiven der Figuren gelungen.
Michael Schmidt: Gibt es noch weitere Geschichten von dir?
Erik Hauser: Ja, leider: Ich gehörte jahrelang zu der traurigen Spezies von Möchtegern-Autoren, die viel beschriebenes Papier für die Schublade (heute: abgelegte Word-Dateien auf alten Computerfestplatten) produzierten. Lange Zeit verfolgte ich den Irrweg, englischsprachiger Autor werden zu wollen – tatsächlich sind drei meiner ‚ghost stories’ in All Hallows erschienen, dem offiziellen Publikationsorgan der Ghost Story Society England, in der ich damals Mitglied war (es wird wohl für die Veröffentlichung nicht geschadet haben). – Erst Alisha Bionda hat mich aus diesem Dornröschenschlaf befreit. Außer „Mein Onkel Stanislaus“ sind alle meine Geschichten bislang in Anthologien von ihr erschienen.
Michael Schmidt: Gerüchten zu Folge arbeitest du an einer Werwolfgeschichte. Erzähl mal!
Erik Hauser: Auch das wieder eine Auftragsarbeit für die rührige Alisha, die Novelle soll nächstes Jahr als eigenständige Publikation erscheinen. Bedingung war, dass darin ein Werwolf vorkommen sollte. Die übliche Folge davon ist, dass die Liste der anderen Charaktere bald recht überschaubar ist. Außerdem treten auch noch die Gebrüder Grimm auf. Aber nicht irgendwelche Hollywoodactionhelden, die nur den Namen mit den 'echten' Brüdern gemeinsam haben und mit Pfeil und Bogen Jagd auf Monster machen, sondern Figuren, die möglichst nahe an der Realität bleiben – wofür ich einigermaßen gründlich recherchiert habe. Das Ganze spielt im Jahre 1806, während der Napoleonischen Kriege, und ich habe mich bemüht, die Sprache zeitgemäß klingen zu lassen, was vielleicht nicht jedermanns Geschmack ist, für mich aber den besonderen Reiz dieses 'Krimimärchens', wie ich es im Untertitel nennen möchte, ausmacht.
Michael Schmidt: Gibt es neben den genannten Geschichten noch weitere Veröffentlichungen? Und hast du einen persönlichen Favorit?
Erik Hauser: Ich liebe alle meine Geschichten, genauso wie ein Vater alle seine Kinder liebt. Mein Favorit ist daher immer die Geschichte, an der ich gerade schreibe. Ein Kind, auf das ich aber dennoch gesondert hinweisen möchte, damit es nicht ganz untergeht, ist „Ihnen zum Bilde“ aus der Anthologie Düstere Pfade, erschienen bei p.machinery. Ich weiß nicht, warum der Band insgesamt so wenig Beachtung fand – ich weiß von keiner einzigen Rezension dazu. Ohne jetzt mehr als sonst überheblich wirken zu wollen: Es ist ja mindestens eine gute Geschichte darinnen und außerdem tolle Illustrationen, sogar in Farbe, wenn man den Band direkt bei Michael Haitel bestellt. - „Ihnen zum Bilde“ beschreibt eines meiner Lieblingsszenarien dunkler Phantastik: ein Pärchen allein in einer bedrohlichen (hier: norwegischen) Umwelt, keine Hilfe von außen ist möglich, und an die Tür ihres Ferienhauses pocht ein unheimliches Wesen. Aber die wirkliche Gefahr lauert nicht draußen, sondern im Innern: in der Seele der beiden Menschen.
Michael Schmidt: Du hast zusammen mit Frank Rainer Scheck diverse Anthologien zusammengestellt. Aktuell steht „Aut Diabolus Aut Nihil“ an. Was erwartet den Leser?
Erik Hauser: Ein Doppelband mit unheimlicher Phantastik aus der Feder US-amerikanischer Autoren um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Eine Fundgrube von phantastischen Geschichten aus dieser Zeit, alle in deutscher Erstveröffentlichung, von zumeist unbekannten oder doch im deutschen Sprachraum unbekannteren Autoren, wie z.B. Thomas Russell Sullivan oder James Branch Cabell; aber auch eine noch nicht veröffentlichte Erzählung der von mir sehr geschätzten Edith Wharton, die nicht in dem seinerzeit in der Phantastischen Bibliothek erschienenen Sammelband ihrer Gespenstergeschichten enthalten war. Zusammen über 600 Seiten, mit ausführlichen Autorenporträts und einer umfassenden Einleitung des mittlerweile leider verstorbenen Frank Rainer Scheck. Eine Liste der enthaltenen Autoren und ihrer Geschichten sollte sich mittlerweile auf der Homepage des Blitz-Verlags finden. Die Bände sind aktuell bereits erschienen. – Noch ein Wort vielleicht zu Frank Rainer Scheck, dessen Tod eine große Lücke in der Phantastikszene hinterlässt: Er verstarb, kurz nachdem die Manuskriptfassung von Aut Diabolus Aut Nihil an den Blitz-Verlag abgegangen war; der Doppelband ist somit auch eine letzte posthume Veröffentlichung und Würdigung seines Schaffens als Herausgeber und Übersetzer.
Michael Schmidt: Welche Veröffentlichungen stehen sonst noch an?
Erik Hauser: Im Blitz-Verlag wird – nach Ein Neffe aus venezianischem Glas, dem letzten noch von Frank Rainer Scheck betreuten Projekt – unter meiner Ägide The Joss von Richard Marsh erscheinen, den Andreas Schiffmann übersetzen wird; danach will ich auf Anregung eines Fans einen Vampirroman von Paul Favel bringen, in dem Anne Radcliffe die Hauptrolle spielt – man könnte ihn gewissermaßen als Vorläufer der neuerdings beliebten Mash-up-Romane à la Sissy, die Vampirjägerin oder der Jane-Austen-Travestie Stolz und Vorurteil und Zombies ansehen. Sollte die Reihe solange durchhalten, würde ich gerne noch die phantastischen Kurzgeschichten von Gaston Leroux, Autor von Das Phantom der Oper, sowie von Claude Seignolle einem deutschen Publikum nahebringen. Aber da Ein Neffe aus venezianischem Glas bei BLITZ erst fürs Frühjahr 2015 angekündigt ist, bleibt dies vorerst Zukunftsmusik.
Michael Schmidt: Und woran arbeitest du im Moment?
Erik Hauser: An den Drittkorrekturen zum Englischabitur 2014 in Baden-Württemberg – Banales, Kurioses und Merkwürdiges vermischen sich auf eine Weise, dass es dem abgebrühtesten Horrorfan einen kalten Schauder über den Rücken jagt. Das glaubst du nicht? Hier ein anonymisiertes, nur leicht verändertes Beispiel: „My flashlight not have much battery. When it turned up the dark I heard a screaming. So I was looking up again who was also there, but I didn’t know who it was because of no-seeing. I wasn't part of the crime, I’ve only observe this dramatical action of crime in darkness.“ Gruselig, oder? - Aber ernsthaft: die Werwolfnovelle ist im Prinzip fertig, sie muss nur noch etwas aufpoliert werden. Danach widme ich mich wieder den skurrilen Dorfgeschichten (siehe oben) oder eventuell auch einem Werwolfroman, da bei der Arbeit an der Novelle viel Stoff liegengeblieben ist, der nach einer breiteren Ausformung verlangt.
Michael Schmidt: Die deutschsprachige Horrorszene lebt und gedeiht. Wie würdest du sie einschätzen?
Erik Hauser: Ich kenne sie noch zu wenig, um darüber ein wirklich qualifiziertes Urteil abgeben zu können. Lobenswert sind die Bemühungen von Herausgebern und Verlegern, diesem 'Kellerkind' der Literatur ein Forum zu bieten. Ich sage das auch – aber nicht nur -, weil ich natürlich selbst publiziert werden möchte.
Michael Schmidt: Welche Autoren würdest du einem interessierten Leser empfehlen?
Erik Hauser: Wie gesagt: ich kenne mich besser in der anglo-amerikanischen, französischen oder klassischen deutschen Phantastik (E.T.A. Hoffmann, Theodor Storm, Leo Perutz) aus. Zu den heutigen Autoren, von denen ich bislang mit Vergnügen einige wenige Kurzgeschichten gelesen habe, gehören Andreas Gruber und Malte S. Sembten. Ich mag ironische Erzählungen mit schwarzem Humor. Nicht so gut gefallen mir 'Splattergeschichten', deren einzige Absicht zu sein scheint, dem Leser eine möglichst eklige Schlachtplatte zu bieten. - Ach ja: und natürlich der bereits mehrfach erwähnte Oliver Plaschka, dessen „Drachenschwingen“ (in Geisterhafte Grotesken) eine wirklich anrührende Geschichte ist.
Michael Schmidt: Ein letztes Wort an die Leser!
Erik Hauser: Solltet ihr – was unwahrscheinlich ist - nachts allein auf der Straße einem Buch von mir begegnen – nehmt es mit nach Hause. Solltet ihr (wahrscheinlicher) einem Werwolf begegnen – lauft!
Ui, so ein Englisch-Abitur zu korrigieren, muss tatsächlich Horror sein.
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