Laird Barron (Interview)
Michael Schmidt: Hallo
Laird, dein erstes Buch namens Hallucigenia ist in Deutschland bei Golkonda erschienen. Da stellt
sich die Frage: Wer ist Laird Barron und warum schreibt er solch seltsame
Sachen?
Laird Barron: Hallo Michael, vielen Dank für die Möglichkeit, ein paar Fragen zu
beantworten. Ich bin in Alaska geboren und aufgewachsen. Während meiner
Kindheit und Jugend lebte meine Familie in der Wildnis der weite Alaskas. In
den frühen Neunzigern trainierte ich Huskys und nahm mit ihnen dreimal am
Iditarod teil, dem längsten und härtesten Hundeschlittenrennen der Welt.
Ich
war schon immer ein Autor. Ich schrieb schon in jungen Jahren drei Romane und
eine große Anzahl an Kurzgeschichten. Ich nahm ein paar Jahre Auszeit vom
Schreiben in meinen Zwanzigern, um anderen Interessen nachzugehen, darunter dem
Kampfsport. Am Ende des 20. Jahrhunderts kehrte ich zum Schreibpult zurück.
Meine erste professionelle Veröffentlichung erschien 2000 und seitdem reiht
sich eine Geschichte an die andere.
Warum
Unheimliche Phantastik und Horror?
Die
Antwort ändert sich von Tag zu Tag. Vielleicht sind es die chronischen
Albträume, die mich quälen oder es ist irgendwas im Trinkwasser von Alaska, das
mich dahin treibt. Ich befürchte aber, meine Vorliebe auf Horror und
Unheimliches sind einfach Teile meiner DNA.
Michael Schmidt: Die meisten
modernen Horrorautoren werden mit H.P. Lovecraft oder Stephen King verglichen. Ich
habe im Zusammenhang mit deinem Namen von ein paar Vergleichen zu Harlan
Ellison und Richard Matheson gelesen. Für meinen Geschmack erinnerst du ein
wenig an Fritz Leiber. Aber natürlich habe ich niemals etwas Ähnliches wie Hallucigenia vorher gelesen. So intensiv, gleichzeitig so hart und realistisch.
Laird Barron ist Laird Barron, habe ich festgestellt, nachdem ich die ersten
Seiten von dir gelesen habe. Magst du die Vergleiche mit anderen Autoren und
wenn du dich den Lesern vorstellen dürftest, wie würdest du den Autor Laird
Barron beschreiben?
Laird Barron: Vergleiche sind notwendig und ein natürliches Bedürfnis. Es ist klar,
du bist als Autor auch ein Produkt aus dem, was du als Leser verschlungen hast
und entsprechend entwickelt sich dein eigenes Werk, du willst unbewusst zeigen,
was du schätzt. Das Beste, was du erreichen kannst, ist die Transformation dieser
Einflüsse zu etwas ehrlichem und eigenständigem. Aktuell verspüre ich keine
Neigung, mich in besonderer Form zu beschreiben. Ich sage einfach: Hallo, ich
bin Laird Barron und ich bin Schriftsteller!
Die
Autoren die du nennst gehören zu den vielen, die mich in meiner Jugend geprägt
haben. Fritz Leiber ist ein herausragender Autor. Ich liebe seine Fafhrd und
Grauer Mausling Geschichten und das zermürbende Newhon Setting. In diesem Sinne
möchte ich Roger Zelazny und Jack Vance zufügen – jeder dieser Autoren hatte
einen barocken Sinn von Humor und eine geschickte Art, mit großen und schwierigen
Themen umzugehen. Sie haben mir gezeigt, wie eine gewisse Leichtigkeit den
Horror umso bedrohlicher und bedrückender einbringen kann.
Ich decke ein ganzes Spektrum von
Horror und Unheimlicher Phantastik mit meiner Prosa ab. Vieles davon ist, wie
du richtig anmerkst, härter und realistischer als unsere Vorbilder. Das langsame
Einsickern der dunklen Macht in unseren Alltag ist genau der Gegensatz, der
diese Furcht hervorruft, diesen Nervenkitzel, den der Leser liebt. Ich schreibe
über mächtige Menschen, über höhere Angestellte, die Gewalt mit Gewalt
beantworten und auch die Mittel dazu haben, da es lehrreich ist, sich an die
Realität anzulehnen und nicht immer Hollywood nachzubeten und die üblichen
Stereotypen zu verwenden.
Schwere Waffen, Sprengstoff oder
fliegende Fäuste sind nichts gegen die unerbittlichen Kräfte der Natur, und die
sind noch weniger als das Grauen das in den Tiefen des Universums lauert.
Der jüdische und christliche Glaube
lehrt uns, dass nur die Reinheit der Seele und religiöse Symbole uns vor den
dunklen Kräften schützen können, während Hollywood uns lehren will, dass
Feuerkraft und der unerschütterliche Wille an uns selbst uns rettet.
Ich dagegen will zeigen, dass nichts und
niemand uns retten kann. Wir sind Verlorene in den Unendlichkeiten des Kosmos.
Michael Schmidt: Die
Geschichtensammlung Hallucigenia ist keine Eins-zu-eins Übersetzung einer englischsprachigen
Sammlung. Warum wähltest du gerade diese vier Geschichten aus? Oder war das die
Wahl des Verlages Golkonda bzw. des Übersetzers?
Laird Barron: Ich war da nicht involviert. Der Verlag kontaktierte meinen Agenten und
fragte genau diese Geschichten an und so kam es zu der Zusammenstellung.
Michael Schmidt: Die
Geschichten in Hallucigenia
sind sehr unterschiedlich. Ist das ein
Querschnitt deines Schaffens und welche Story ist dein Favorit?
Laird Barron: Das ist definitiv ein Querschnitt meines frühen Werks. Hallucigenia und Mysterium Tremendum befassen sich mit dem kosmischen Horror. Strappado ist ein Sonderfall.
Geschrieben für Ellen Datlow’s Poe Anthologie ist das purer psychologischer
Horror. Die Prozession des schwarzen
Faultiers ist mein persönlicher Favorit. Dabei handelt es sich um eine
Originalnovelle aus meiner ersten Sammlung und ist eine Hommage zum Horror im
Allgemeinen und dem asiatischen Horrorfilm im speziellen. Mich fasziniert diese
Albtraumlogik und Procession of the Black
Sloth war die erste Geschichte, die ich zu diesem Thema verfasste. Novellen
sind mir die liebste Literaturform, unabhängig ob als Autor oder als Leser. Ich
bin froh, dass Hallucigenia direkt
drei Novellen vereint.
Michael Schmidt: Die meisten
Protagonisten der Geschichten sind modern und wohlhabend. Der Geschäftsmann in Hallucigenia oder das schwule Pärchen in Mysterium Tremendum oder der Expat in Die Prozession des
schwarzen Faultiers. Ist das ein
Wahrzeichen der Barron Geschichten? In Deutschland sind die meisten
Horrorgeschichten ein wenig altmodisch angehaucht.
Laird Barron: Es gibt einige meiner Geschichten mit Protagonisten, die Zugriff auf
Reichtum und Macht haben. Solche Hauptpersonen sind dankbar, denn sie verfügen
über die entsprechenden Motive, die einer Geschichte ihre Würze geben und sind
weit weg von dem Alltag des Durchschnittsbürgers. Sie bieten damit eine
exzellente Basis für einen Horrorplot. Das ganze Geld verhindert nicht, dass
sie mit dem Grauen in Kontakt kommen und wenn es dann passiert, ist die Wirkung
umso durchschlagender.
Auf
der anderen Seite findest du in meinen Geschichten viele Protagonisten, die
sind normale Arbeiter und werden mit allerlei Bedrohungen konfrontiert, oft in
ein historisches Setting gebettet.
Michael Schmidt: Ich las,
dass die TV Serie True Detectives von deinen Geschichten inspiriert wurde.
Ist das wahr und gibt es Planungen, etwas aus deinem Werk zu verfilmen?
Laird Barron: True Detective nimmt Anleihen
von allerlei Quellen, so z.B. auch von Der
König in Gelb von Robert Chambers. Das ist nicht unüblich. Nic Pizzolatto ist
ein Unterstützer und Bewunderer meiner Werke seit 2008. Wir tauschten über
Jahre Bücher und Briefe aus. Ich habe mich für ihn gefreut, als er die
Anstellung als Drehbuchautor für die The
Killing Fernsehserie bekam und später zum Mitproduzenten für True Detective aufstieg. Ich liebe seine
Geschichten und betrachte ihn als einen der besseren zeitgenössischen Künstler.
Es
ist offensichtlich, dass meine Geschichten und meine Biografie seine
künstlerischen Entscheidungen bei True
Detective beeinflussten. Aber er
nahm mehr und offensichtlichere Anleihen bei Thomas Ligotti. In meinem Fall ist
das etwas diffiziler zu betrachten. Was unbewusst einfloss und was bewusst dazu
kam, ist schwierig zu beurteilen. Und letztendlich drücke ich ihm die Daumen, dass
die dritte Staffel wieder erfolgreicher sein wird als die zweite.
Ja, einige meiner Geschichten haben
eine Option für eine Verfilmung. Philip Gelatt, Verfasser von Europa Report,
hat -30- verfilmt und ich rechne in der
näheren Zukunft mit konkreteren Neuigkeiten zu dem Thema.
Michael Schmidt: Laird
Barron als Lektüre ist sehr spannend und aufregend. Deine Geschichten sind
langsam und intensiv, in deinem Fall eine eher intellektuelle Art der
Phantastik, aber im gleichen Atemzug sind sie brutal und blutig und kümmern
sich um keine Grenzen guten Geschmacks. Bei uns in Deutschland lieben die Leser
entweder die von Poe inspirierte Literatur oder Splatter, aber normalerweise
keine Mischung aus beidem. Bekommst du Leserbriefe, dass die Leute deinen Stil
mögen, ihnen die Geschichten aber zu düster sind?
Laird Barron: Poe übt einen Einfluss auf wirklich viele Schriftsteller in den USA
aus, egal ob sie ihn zu schätzen glauben oder nicht. Mir war niemals bewusst,
wie tief er mich beeinflusste, bis ich bemerkte, wie oft ich das Lebendig begraben-Motiv in meinen
Geschichten verwendete.
Wer
Horrorgeschichten schreibt, hat generell ein schmaleres Spektrum an Leserschaft
zu erwarten als im Mainstream. Ein Teil der Leser beschwert sich dann über die
Menge an Gewalt, Unzucht und Drogenkonsum in meinen Geschichten. Ich sehe
solche Beschwerden als Zeichen, dass ich einiges richtig mache – und
intensiviere meine Anstrengungen in dieser Richtung. Für richtige Kunst ist es
gut, geliebt oder gehasst zu werden – es sind die lauwarmen Reaktionen, vor
denen man als wahrer Künstler Angst haben muss.
Michael Schmidt: Ich hoffe
viele Menschen werden Hallucigenia kaufen und es werden weitere Geschichten von
dir übersetzt und veröffentlicht. Sind denn schon weitere Veröffentlichungen
auf Deutsch in Planung?
Laird Barron: Ich fühle mich schon allein dadurch geehrt, dass Hallucigenia auf Deutsch erschienen ist. The Croning, The Beautiful Thing, and Occultation sind oder
werden in Spanien, der Tschechei, Italien und Russland erscheinen. Es sind noch
einige weitere Übersetzungen in Arbeit und ich bin mir sicher, ich habe jetzt
die ein oder andere vergessen aufzuzählen. Es ist ein großartiges Gefühl, ein
neues Publikum zu erreichen. Und die ersten Rückmeldungen sind sehr
hoffnungsvoll.
Michael Schmidt: Hast du mit
deinem deutschen Übersetzer Jakob Schmidt Kontakt gehabt und hattest du einen
Einfluss auf die deutsche Ausgabe?
Laird Barron: Ich war mit Jakob per Email in Kontakt und habe seine Besprechungen zu
meinen früheren Werken gelesen, aber das war es auch. Die Übersetzung und die
Gestaltung des Buches war allein Sache des Übersetzers und des Verlages.
Michael Schmidt: Für all
diejenigen, die nicht auf eine mögliche Übersetzung warten mögen und sich an
die englischsprachigen Originalausgaben wagen wollen - und das ist nicht so
selten wie man denkt -: Welche deiner Romane oder Sammlungen kannst du
empfehlen?
Laird Barron: Als Auftakt würde ich die Sammlung
The Imago Sequence empfehlen. Als nächstes solltet ihr zu Occultation und The Beautiful Thing That Awaits Us All greifen. Erst danach sollte
man The Croning goutieren, da der
Roman auf der Welt meiner Kurzgeschichten aufbaut.
Michael Schmidt: Du bist
auch schon als Herausgeber aufgetreten. So denke ich, du bist ein Experte für
englischsprachige Horror und Unheimliche Phantastik. Welche Autoren würdest du
den deutschen Lesern ans Herz legen?
Laird Barron: Wenn wir bei dem Genre bleiben, würde ich auf jeden Fall Livia
Llewellyn empfehlen, die es meisterhaft versteht, Horror und Erotik zu
verbinden; John Langan, dessen Einflüsse von M.R. James bis Clive Barker
reichen und der bekannt dafür ist, bekannte Schemata völlig neu und
überraschend zu arrangieren, Stephen Graham Jones, einer der besten, noch
lebenden Schriftsteller und ein brillanter Stilist, sowie Gemma Files, eine Horrorautorin, die
seit den Neunzigern aktiv ist und einfach alles vom Splatterpunk bis zum
postmodernen Psychothriller bietet.
Michael Schmidt: Danke für
deine Antworten. Noch eine Nachricht an deine deutschen Leser?
Laird Barron: Michael, ich bedanke mich für das Interview und die Möglichkeit, mit
meinen deutschen Lesern in Kontakt zu treten. Die Rückmeldungen zu meinem
ersten Buch Hallucigenia waren unglaublich
positiv und ich hoffe, es ist der Beginn einer langen und erfolgreichen
Beziehung und es werden viele weitere Bücher folgen.
Michael Schmidt: Hier noch kurz der Hinweis. Hallucigenia wurde für den Vincent Preis 2015 nominiert.
Ein sehr informatives Interview! Danke dafür!
AntwortenLöschenVielen Dank!
AntwortenLöschenJa, kann ich so unterschreiben, sehr schön.
AntwortenLöschenDarf ich das für den Golkonda-Verlag auf Facebook teilen?
Mit freundlichen Grüßen,
André Taggeselle, Presse Golkonda
Klar, gerne!
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