Erik Hauser (Interview Jenseits des Rheins)
Michael Schmidt: Hallo Erik, ich begrüße dich zum zweiten
Teil unseres Interviews. Der erste Teil fand im Mai 2014 statt. Da dies schon wieder eine
Zeitlang her ist, stell dich doch mal kurz vor!
Erik Hauser: Ich bin immer noch mehr oder weniger derselbe,
allerdings mit ein paar mehr grauen Haaren und deutlich schlechteren
Dioptrinwerten auf beiden Augen als bei unserem ersten Interview vor zwei
Jahren (was wohl von der ungesunden Tätigkeit des Schreibens am Laptop kommt).
Ansonsten gehe ich trotz meines fortgeschrittenen Alters morgens weiterhin
regelmäßig zur Schule, wo ich in meinen Freistunden in der Schulmensa schreibe,
und verbringe nachmittags viel Zeit in Cafés mit derselben Tätigkeit.
Michael Schmidt: Aus den im ersten Teil beschriebenen
Sammlung mit Dorfgeschichten ist ja das Buch Jenseits des Rheins geworden. Wie fühlt es sich
das Buch in den Händen zu halten?
Erik Hauser: So oft halte ich es gar nicht in Händen, aus Angst es
schmutzig zu machen. Aber im Ernst: Ja, das ist schon schön, nach etlichen
Beiträgen in Anthologien endlich einen Geschichtenband mit dem eigenen Namen
drauf zu haben. Aber irgendwie auch beängstigend: Jetzt kann man sich nicht
mehr in der Masse der anderen verstecken, sondern muss Lob wie Kritik
gleichermaßen annehmen. Meine Mutter z.B. meint, das Ganze sei irgendwie
seltsam, ganz bestimmt keine 'Literatur'. Na ja.
Michael Schmidt: Ist Brühl eigentlich wirklich so ein
düsterer Ort, wie du ihn beschreibst, oder sind das die normalen Abgründe in
der Verwandtschaft, die jeder so ertragen muss und die dem einen bewusster, dem
anderen unbewusster sind?
Erik Hauser: Brühl
ist eigentlich ein ganz normales Dorf, wie jedes x-beliebige andere Dorf auch.
Die Einwohner Brühls sind nicht mehr, aber auch nicht weniger komisch, skurril
oder seltsam als die Einwohner anderer ähnlicher Ortschaften auch. Nein, ich
habe mich zwar von einigen Örtlichkeiten meiner Heimatgemeinde inspirieren
lassen, aber habe sie alle dem phantastischen Genre anverwandelt. Den
Krötenbrunnen, das Stauwehr (bzw. Durchlassbauwerk), in dem die Leiche der
Biologin gefunden wird, das alte Kino, die von Schnaken heimgesuchten
Rheinauen, die gibt es alle wirklich, sie dienten meiner Phantasie aber
lediglich als Sprungbrett. Niemand muss Angst haben, beim Spaziergang in dem
Naturschutzgebiet einem anderen Monster zu begegnen als einem Spaziergänger mit
seinem sabbernden Großhund. Und auch meine wenigen im Ort wohnenden Verwandten
sind (soweit ich das beurteilen kann) ganz harmlose, nette Leute. Ich wollte
lediglich ein fiktionales Brühl erschaffen, das so ähnlich wie Lovecrafts
Arkham oder Stephen Kings Castle Rock als ein Schauplatz für viele unheimliche
Geschehnisse fungiert. Am Ende wollte ich übrigens anstatt Brühl ein Pseudonym
für den Ort wählen, mir schwebte da Kryhl oder Gryhl am Rhein vor, aber Steffen
Boiselle, mein Verleger, bestand auf dem realen Namen. Jetzt, fürchte ich,
werden mir viele Brühler und Brühlerinnen
geographische und sonstige Unrichtigkeiten in den Geschichten vorhalten.
Michael Schmidt: „Mein Onkel Stanislaus“, „Onkel Herberts
große Stunde“ oder „Tante Theas langer Abschied“. Ist es die grausige
Verwandtschaft oder kann Verwandtschaft grausig sein? Bzw. großartig, Onkel
Herbert steht ja am Ende als der große Held da, auch wenn er sich nicht feiern
lässt.
Erik Hauser: Ich glaube, jeder hat schon Erfahrungen mit der
'Verwandtschaft' gemacht, gute wie schlechte. Die 'Verwandten' des
Ich-Erzählers in Jenseits des Rheins sind Archetypen. Jeder kennt sie: den
geizigen Onkel, die eingebildete Tante, den Aufschneider und Lügenbold. Am
meisten hat es mich gefreut, als jemand im Internet bemerkte, er kenne die
Figur des Onkel Stanislaus, sein Opa sei genau so gewesen. Die Figuren in Jenseits
des Rheins sind in diesem Sinne Archetypen, in denen jeder Züge seiner
eigenen Verwandten, natürlich grotesk verzerrt und übertrieben, wiedererkennen
kann.
Michael Schmidt: „Ohne Fleisch kein Preis“ ist eine der
Geschichten im Band. Inwiefern steht die Geschichte mit Edgar Allan Poe in
Verbindung und gab es reale Vorbilder für die Geschichte?
Erik Hauser: Nun, die Geschichte ist dem „Meister und seiner
schwarzen Katze“ gewidmet. Gemeint ist Edgar Allan Poes „The Black Cat“ (Die
schwarze Katze), in der der (Anti-)held der Geschichte ebenfalls durch eine
(schwarze) Katze zugrunde geht. Auch Poes Geschichte „The Pit and the Pendulum“
(Grube und Pendel) stand ein wenig Pate. Bei Poe schafft es der Held ja, durch
intellektuelle Anstrengung und sein verzweifeltes Bemühen (aber auch ein wenig
durch glückliche Fügung) dem eigenen Tod zu entgehen. Metzger Bölke ist in
dieser Hinsicht ein negativer Antiheld (falls es so was gibt): Alles, was er
tut, um seinen Konkurrenten hereinzulegen und sich aus der selbst gegrabenen
Grube zu befreien, führt ihn nur noch tiefer in die Scheiße und endet mit
seinem (Achtung: Spoiler!) Tod am Haken. Ja, in dieser Hinsicht ist „Ohne
Fleisch kein Preis“ das Gegenstück zu „The Pit and the Pendulum“ und meine
rot-braune Katze ein hoffentlich würdiger Nachfolger von Poes schwarzer Katze.
Michael Schmidt: „Der alte Niklas“ wirkt wie die Klammer,
die alles zusammenhält, ist aber andererseits auch eine Geschichte, die am
ehesten dem Horror entspricht, während die anderen Geschichten ja eher
Alltagsgeschichten sind, mal etwas makabrer, aber immer humorvoll. Wie würdest
du die Geschichten selbst einordnen und wie viel Gesellschaftskritik steckt in
den Geschichten Jenseits des Rheins?
Erik Hauser: Ja, Humor schon,
aber kein leichter, gefälliger Humor. Schwarzer Humor, das trifft es schon
besser. Alltagsgeschichten mit einem hinterhältigen Stachel. (Immerhin habe ich
es doch auch auf einen ganz schönen Body-Count gebracht, in neun Geschichten
und eben so vielen Vignetten sterben, mal rasch überschlagen, über ein Dutzend
Leute, also ca. 1,23 pro Geschichte. Das spricht doch für sich, oder?)
Das
Übernatürliche wird dabei eher angedeutet, der Zweifel ist erlaubt, ob Onkel
Herbert tatsächlich ein Werwolf ist oder nur wieder aufschneidet. Daher – und weil
der Ich-Erzähler die Geschehnisse meist ironisch kommentiert – ergibt sich der
Eindruck heiterer Alltagsgeschichten, doch lauert hinter dieser Oberfläche, wie
hinter der scheinbaren Wohlanständigkeit meines Brühls insgesamt, das Grauen. - Was die Gesellschaftskritik anbelangt, da
tue ich mich immer etwas schwer. Du hast in einer Rezension so ungefähr
geschrieben, dass der Mief oder die Muffigkeit des Dorfes und seiner Bewohner
gut rüberkommt. Das mag sein; aber ich liebe diese „spießbürgerlichen“ Gestalten,
zumindest als fiktionale Figuren, ich finde sie überaus faszinierend mit ihren
Schrullen und Macken, ihren Launen und Absonderlichkeiten, die ewig wehleidige
Tante Thea, der geizige, sadistische Onkel Stanislaus, Onkel Herbert, der
Aufschneider und Phantast. Was wäre das Leben ohne diese Typen? Und noch viel
mehr: Was wäre eine Geschichte ohne sie?
Sie sind das Salz, die dem Dorf erst den richtigen Kick geben.
Michael Schmidt: In Zwielicht 8 erschien deine Geschichte „Tante
Ellas Männer“. Wirkt wie der Auftakt für den zweiten Band Geschichten Jenseits des Rheins. Ist ein Nachfolgeband
geplant?
Erik Hauser: „Tante Ellas Männer“ war eine Geschichte, deren
Idee mir erst nach Einsendung des Manuskripts an den Verlag kam. Sonst wäre sie
wohl auch in Jenseits des Rheins gelandet. Ein Nachfolgeband ist aber
konkret nicht geplant. Ich möchte jetzt auch nicht auf ewig auf das Genre
makabre Dorfgeschichte festgelegt werden (auch wenn das nicht gar so übel
wäre). Sollte Jenseits des Rheins jedoch ein phänomenaler Erfolg werden
und mein Verleger, die Leser etc. mich drängen, einen Nachfolgeband zu
schreiben, könnte ich der Versuchung, zumal gegen viel Geld, erliegen.
Michael Schmidt: Gerüchten zu Folge liest du am 22.10 auf
dem Bucon
in Dreieich. Auf was darf sich der Zuhörer freuen?
Erik Hauser: Auf den
bekannten Fantasy- und Phantastikautor Oliver Plaschka und mich, die wir
zusammen den Leseslot am Samstag um 17 Uhr im Transporterraum bestreiten, gegen
Bernhard Hennen und andere starke Konkurrenz. Auf makabre, humorvolle,
phantastische, unheimliche Geschichten. Oliver, dessen großer Marco-Polo-Roman
bei Droemer Knaur nächsten Monat erscheinen wird, wird aus Das öde Land und
andere Geschichten vom Ende der Welt lesen, dem Erzählband, der dieses Jahr
auch für den DPP nominiert ist. Wir spannen den Bogen von einem Dorf in der
Kurpfalz bis in die Antarktis und die Weiten des Weltalls. Zusammen wollen wir
eine abwechslungsreiche, unterhaltsame und (schwarz-)humorige Stunde gestalten,
die die Zuhörer erstaunt, verblüfft, fassungslos, fasziniert, erschrocken oder
auch schockiert zurücklässt. Alles, nur nicht gelangweilt.
Michael Schmidt: Woran arbeitest du gerade?
Erik Hauser: An der Aufhellung meines dunklen Charakters.
Außerdem an der Idee zu einer Ausschreibung eines Rock'n Roll-e-zines, die mir
der Interviewer nahegebracht hat. Und natürlich hoffe ich, dass eines meiner
Projekte, die durch die Agentur Ashera/Alisha Bionda vertreten werden und auf
deren Webseite sowie Literra zu finden sind, jetzt, nach der Veröffentlichung
von Jenseits des Rheins die Aufmerksamkeit des ein oder anderen Verlegers
erregt.
Michael Schmidt: Veröffentlichungen geplant in nächster
Zeit?
Erik Hauser: Nun, in nächster Zeit wird ein Gedächtnisband
für den letztes Jahr verstorbenen Crossvalley Smith erscheinen, den Alisha
Bionda herausgibt. Darin enthalten sind zwei kurze Geschichten von mir zu
Graphiken von Crossvalley Smith. Außerdem erscheint wohl zur BuCon Zwielicht 9 als e-book und bei Create Space, in der eine überzählige Vignette, die nicht in
Jenseits des Rheins aufgenommen wurde, enthalten ist.
Michael Schmidt: Oh, leider nicht. Der Leser muss sich noch bis in den November gedulden. Noch ein Wort an die Meute dort draußen!
Erik Hauser: Hallo: Da ihr gerade dieses Interview gelesen
habt, denke ich, dass Jenseits des Rheins und meine Geschichten euer Interesse
erregt haben. Dafür möchte ich mich bedanken, egal ob ihr den Band tatsächlich
kauft oder nicht (ich weiß, er ist nicht unbedingt billig, dafür aber schön
ausgestattet). Es würde mich auch freuen, den ein oder anderen bei der
bevorstehenden Lesung auf der BuCon zu treffen. Macht's gut und lasst euch
nicht vom Werwolf beißen – es sei denn, ihr wollt eure Persönlichkeit einmal
drastisch runderneuern.
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