Karla Schmidt (Interview)

Michael Schmidt: Hallo Karla, stelle dich doch mal kurz vor!

Karla Schmidt: Schreibt an zu vielen Projekten gleichzeitig, verlegt und lektoriert beim „Verlag das Beben“, betätigt sich außerdem täglich als Mutter und versucht, trotzdem bei Verstand zu bleiben.

Michael Schmidt: Du steuerst „Plateau“ zu „Am Ende des Regens“ bei. Wie kam es zu der Geschichte? Hat die Geschichte eine besondere Intention?

Karla Schmidt: Ich habe die Geschichte kurz nach einer Reise in die Marokkanische Sahara geschrieben und habe daher wahrscheinlich nicht nur Bilder, sondern auch ein für mich schwer fassbares „Sehnsuchtsgefühl“ mit in die Geschichte genommen. Ein Gefühl wie ein Versprechen, das immer kurz vor der Einlösung steht, wie etwas, das man immer nur fast, aber nie ganz zu fassen bekommt.

Michael Schmidt: Deine Geschichte „Weg mit Stella Maris“ gewann den Deutschen Science Fiction Preis 2009. Was bedeutet dir der Preis und was ist das Besondere an der Geschichte?

Karla Schmidt: Der Preis hat mir damals sehr viel bedeutet. Ich war ja ein absoluter Neuling. „Weg mit Stella Maris“ ist eine der ersten Geschichte, die ich überhaupt geschrieben habe. Das war fast ein Schock, dafür gleich einen Preis zu bekommen. Der mich aber sehr bestärkt hat, weiterzuschreiben.

Michael Schmidt: Du hast eine SF Anthologie zur Musik von David Bowie herausgegeben. Wie kam es dazu und wie kam das Buch bei den Lesern an?

Karla Schmidt: Ich glaube, das Buch kam ähnlich bei SF-Lesern an, wie die meisten SF-Anthologien. Die Inspirationsquelle „Bowie“ hat (zumindest für mich) keinen wahrnehmbaren Unterschied ergeben. Das Konzept war auch explizit, keine Fan-Fiction zu schreiben, damit Fans ihren Star anschmachten, sondern Geschichten, die für sich allein stehen können. Die Idee dazu ist in einem Bowie-Forum entstanden. Dort gab es ein paar Leute, die schon mit „bowistischen“ Texten experimentiert hatten. Wir haben angefangen, zu sammeln – und irgendwann bin ich mit der Idee zu andern Autoren außerhalb der Bowie-Szene gegangen.

Michael Schmidt: Welche weitere SF Geschichten gibt es aus deiner Feder und welchen Stellenwert nimmt die SF bei dir ein?

Karla Schmidt: Es gibt noch ein paar weitere Anthologie-Beiträge, die bei Wurdack und bei Begedia erschienen sind. SF war im Zuge der Bücher für größere Verlage ein wenig ins Hintertreffen geraten, ist aber aus meinem Kopf nicht weg. Im Moment schreibe ich gerade an einem neuen Anthologie-Beitrag.
Ich merke aber auch, dass Genrekonventionen mir im Grunde zunehmend egal werden. Eine (fast fertige) Novelle z.B. nutzt surreale Elemente, Horror, SF. Dennoch ist es für mein Empfinden kein Genretext, sondern vor allem einer, der möglichst nah an die psychische Disposition seiner Figur heranzukommen versucht. Ich brauche die Genreelemente, weil die Figur so tickt. Würde die Figur anders ticken, wäre es vielleicht ein Krimi oder eine Vampirschmonzette geworden, wer weiß.

Michael Schmidt: Dein Roman „Das Kind auf der Treppe“ (Piper) war ein fulminanter düsterer Roman mit Horrorelementen, hatte Berlin und David Bowie aber auch Randfiguren der Gesellschaft als zentrales Thema. Wie würdest du den Roman jetzt mit ein wenig Abstand einordnen?

Karla Schmidt: Im Nachhinein würde ich KAT als Versuch einordnen, bei Lesern echtes Unbehagen hervorzurufen. Ich wollte, dass das Buch „hängenbleibt“, keine Wegwerfware ist. Gerade die teilweise fast wütenden Reaktionen von Lesern zeigen mir heute, dass das zum Teil wohl gelungen ist. Damals fand ich es allerdings erschreckend und verletzend, wenn Leser z.B. schrieben, dass die Autorin krank ist und in die Psychiatrie gehört.
Wenn ich das Buch noch einmal überarbeiten würde, würde ich der Geschichte wahrscheinlich mehr Raum geben, sich zu entfalten.

Michael Schmidt: Der Nachfolger hieß „Die Rote Halle“. Worum geht es da?

Karla Schmidt: Körperhorror? Zuhause- bzw. Nichtzuhausesein im eigenen Leib, um Krankheit und Begehren. Das ist das innere Thema. Der Ort ist wieder Berlin – vor allem der stillgelegte Flughafen Tempelhof, ein ziemlich bedrückender Gebäudekomplex.
Janina, die Hauptfigur, arbeitet dort bei einer Theaterinszenierung mit. Erst verschwindet eine Tänzerin in den Tiefen des Flughafens, dann auch Janinas Sohn, und retten kann sie ihn nur, wenn sie selbst anfängt, sehr schlimme Dinge zu tun.

Michael Schmidt: „Die Rote Halle“ wurde als E-Book wieder veröffentlicht, im Eigenverlag. Wie kam es dazu und was ist der Vor- bzw. Nachteil einer Eigenveröffentlichung?
Karla Schmidt: Ich hatte laut Vertrag die Möglichkeit, mir die E-book-Rechte nach einer gewissen Zeit zurückzuholen. „Die Rote Halle“ noch einmal selbst zu veröffentlichen, ist für mich jetzt vor allem ein Versuch. Ich will sehen, was sich auf diesem Markt tut und wie ich mich darin bewegen könnte.
Wenn man nicht gerade in der Bestsellerliga spielt, dann verkaufen sich Verlags-E-books bisher allgemein eher schlecht, weil sie kaum günstiger sind als die Printausgaben. Dann kostet ein E-book z.B. 8,99 €, das ist für viele Leser und eine Autorin ohne Bestsellerstatus einfach zu teuer. Wenn ich das Buch bei amazon für 2,99 € anbieten kann, kaufen es mehr Leute, und es bleibt pro verkauftem Buch sogar mehr für mich übrig – nämlich knapp 2 Euro. In dieser Hinsicht also schon mal ein Vorteil.
Der Nachteil ist derzeit noch, dass selbstverlegte E-books bei vielen Leuten einen schlechten Ruf haben: Hobbyautoren veröffentlichen unlektorierten Müll, um es überspitzt auszudrücken. Das ändert sich derzeit aber bereits, die sogenannten Selfpublisher organisieren sich, werden professioneller, und viele Bücher, die weiter oben in den Rankings stehen, stehen Verlags-Büchern in nichts mehr nach.
Ein großer Verlag hätte demgegenüber immer noch den Vorteil, dass er professionelles Marketing betreiben und ein Buch besser wahrnehmbar machen könnte. Das tut er aber nur, wenn man zu den wenigen Spitzenautoren gehört. Ist man Teil des Beiprogramms, das vor allem dazu dient, einen gewissen mengenmäßigen Output zu sichern, damit der Verlag überhaupt als „groß“ wahrgenommen wird, ist das Marketing exakt null und bleibt, genau wie beim Selfpublishing, am Autor hängen.
Der Vorteil des Selfpublishing kann dann sein, dass man sich relativ unkompliziert seine eigene Nische mit treuen Lesern schaffen kann. Man muss dann nicht 50.000 Bücher verkaufen, damit ein Verlag das nächste Buch überhaupt sehen will. Es genügt, vielleicht 3.000 oder 5.000 Bücher zu verkaufen, um einen wirklich guten finanziellen Puffer zum Schreiben des nächsten Buchs zu erhalten. Die Erfolgshürde erscheint mir da deutlich kleiner. Wir gesagt, ich experimentiere noch - in einem Feld, in dem sich gerade ständig die Bedingungen verschieben. Es ist für mich natürlich auch spannend, ob sich kleine Verlage wie das „Beben“ hier etablieren können.

Michael Schmidt: Du schreibst auch unter Pseudonym. Was und warum?

Karla Schmidt: Unter dem Pseudonym „Charlotte Freise“ sind bei Rowohlt bisher zwei historische Romane erschienen. Sie spielen beide im Berlin des 19. Jahrhunderts. Sie als Steampunk zu bezeichnen, wäre sachlich falsch, aber es gibt wissenschaftlich-fantastische Elemente, die mir viel Spaß gemacht haben. Das Pseudonym empfinde ich persönlich als überflüssig – die Verlage wollten das so, damit es keine Verwechselung mit den Thrillern gibt.

Michael Schmidt: Auf deinem Blog ist die letzte Veröffentlichung mit 2010 angegeben. Gibt es nach „Die rote Halle“ weitere Veröffentlichungen aus deiner Feder?

Karla Schmidt: Ich fürchte, den Blog führe ich zu unregelmäßig. „Die Rote Halle“ ist im Januar 2012 erschienen, und danach, im Oktober 2012, „Kaltes Herz“, der zweite „historisch-fantastische“ Roman. Es geht darin um Liebe, um (Sphären-)Musik und um ein Perpetuum Mobile, das keines ist und trotzdem funktioniert.

Michael Schmidt: Was ist für die nächste Zeit geplant?

Karla Schmidt: Viel zu viel! Es steht ein langer Essay über Michael Jackson an, die Novelle, von der ich schon erzählt habe, ein Horror-Thriller, eine SF-Erzählung. Für diese Projekte gibt es Herausgeber, die muss ich jetzt systematisch zu Ende bringen. Aber dann sind da auch noch die angefangenen Sachen, über die ich noch mit niemandem geredet habe ... Ich wünschte, ich hätte viel mehr Zeit zum Schreiben und müsste nicht so oft sagen, es dauert noch, es dauert noch, es dauert noch.

Michael Schmidt: Du hast bei Piper veröffentlicht. Wie empfindest du die Verlagsszene?

Karla Schmidt: Ich habe mich weder bei Piper noch bei Rowohlt als Teil einer Szene empfunden. Eher als sehr kleines Rädchen in einem sehr großen Getriebe.

Michael Schmidt: Und wie die kleine SF Szene?

Karla Schmidt: Vor allem wohltuend direkt und unkompliziert in der Kommunikation.

Michael Schmidt: Ein Wort an die Leute da draußen?

Karla Schmidt: Lest aus allen Epochen, Ländern und Genres, erkundet Gebiete, die Ihr noch nicht kennt. :-)


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