Michael Tillmann (Interview)

Michael Schmidt: Hallo Michael! In Zwielicht 5 gibst du dein Debüt für die Zwielicht Reihe. Stell dich doch mal kurz vor!

Michael Tillmann: Wer bin ich? 
1) Ich bin ein Suchender! Ich suche eine Phantastik-Szene jenseits von Lovecraft-Epigonentum und weiteren Zombie-Romanen. 
2) Ich bin ein Hoffender! Ich hoffe, daß weitere Kleinverlag-Verleger aus der Szene ans Tageslicht treten, die „Balls“ wie Frank Festa und echte unternehmerische Ambitionen haben. Die nicht glauben, man kann heutzutage sowieso keinen neuen Profiverlag mehr gründen. 
3) Ich bin ein Mann mittleren Alters, der sein Leben im Griff hat und im Gegensatz zu vielen anderen hier noch nicht resigniert hat.


Michael Schmidt: Der lakonische Cowboy kommt in die Stadt heißt dein Beitrag. Ein Weird Fiction Western mit Anleihen an From Dusk Till Dawn. Erzähl doch mal wie es zu der Geschichte kam!

Michael Tillmann: Eigentlich ist mein Schreibstil wie bei vielen Phantastikschriftstellern etwas „barock“ und „ausladend“. Ich steh dazu. Jedoch diese Geschichte soll zur Abwechslung einen Kontrapunkt setzen. Sie ist, wie ihr Protagonist, sehr lakonisch. Kurz klare Sätze. Wenig Firlefanz. So wie die Jungs im Wilden Westen halt vermeintlich waren, haha.

Michael Schmidt: Ich habe was läuten gehört, dass es sich dabei nur um den Auftakt von mehreren Geschichten handelt. Stimmt das?

Michael Tillmann: Ich weiß gar nicht, ob ich damit glücklich bin, daß Du das hier ausplauderst, Du Schlingel! Man hat natürlich immer mehrere Sachen, an denen man arbeitet oder die man im Kopf hat. Eine Idee ist, mal einen Erzählband mit Weird Western Geschichten zu schreiben. Wichtig ist mir dabei, zu sagen, daß ich hier nicht im Kielwasser von Joe R. Landsdale schwimmen will. Habe nämlich schon meine erste Weird Western Story, „Lebendig verdaut“ nachweislich im Jahr 2000 in DAEDALOS Nr.9 veröffentlicht, also lange bevor Landsdale hier bekannt wurde. 

Michael Schmidt: Deine aktuelle Geschichtensammlung heißt Schatten suchen keine Ewigkeit und handeln von Geistern, eine Mischung zwischen Klassik und Moderne. Eine Leseprobe gab es 2013 auf dem Marburg Con und begeisterte die Leserschaft. Welche Intention steckt hinter der Sammlung und wie kommt man auf die Idee, eine Geistergeschichte an Loriot anzulehnen? 

Michael Tillmann: Interessant, daß immer wieder Fragen zu Loriot kommen. Denn meine entsprechende Badewannengeschichte gehört eigentlich gar nicht zum „Kernkonzept“ der Sammlung. Das Konzept ist, altmodische Gespenstergeschichten auf der einen Seite mit „Sozial Beat“ (also harten Realismus über die Abgründe des modernen Lebens) auf der anderen Seite zusammenzubringen. Kommt ein Penner, der auf einer Mühlhalde von einem Raupenfahrzeug zermalmt wird, auch als Gespenst zurück? Was nun im Gegensatz dazu die heitere Zwei-Herren-in-der-Badewanne-Parodie angeht, so ist Badewannentieftauchen halt nach der Phantastik mein zweitliebstes Hobby. Habe zusammengefügt, was zusammen gehört, haha. Hast Du Dich noch nie gefragt, wie das wäre, wenn ein Gespenst in Deiner Badewanne auftauchen würde?

Michael Schmidt: Hast du ein Liebling in der Sammlung?

Michael Tillmann: „Die Eingliederung“, eine Erzählung über die hypnotische Anziehungskraft von Ritualen und Tod. Jeder kann über Umwege in die Fänge der Religion geraten! Leider ist kaum einer stark genug, um autonom zu leben.

Michael Schmidt: Ein Gänsekiel aus Schwermetall ist eine weitere Sammlung, die bei Medusenblut erschienen ist. Du kommst ja aus dem Pott und der gilt ja als Herz des Heavy Metal in Deutschland. Was heißt also in deinem Fall Horror trifft harte Musik?

Michael Tillmann: Der Begriff Heavy Metal wird inzwischen holistischer verwendet. Zum Beispiel haben seine Kritiker die wunderbar diabolischen Bilder des leider kürzlich verstorbenen H. R. Giger verächtlich als „Heavy Metal Kitsch“ bezeichnet. Zwar ist dieses Beispiel negativ belegt, aber es zeigt doch, daß Heavy Metal inzwischen eine Etikette ist, die mehr als nur eine bestimmte Art von Gitarrenarbeit bezeichnet. Und auch Literatur kann heavy sein …

Michael Schmidt: Du bist ja schon lange in der Szene aktiv. Gib dem geneigten Leser, was er denn neben den beiden Sammlungen noch verpasst hat, sollte er dich nicht kennen. 

Michael Tillmann: Es gibt da u.a. eine lose Reihe von düsteren Planetengeschichten, die ich in EXODUS (www.exodusmagazin.de) veröffentliche. Jeder Planet, den die Menschen erforschen, lehrt sie auch etwas über sich selbst. 

Michael Schmidt: Hast du eine persönliche Lieblingsgeschichte aus deiner Feder?

Michael Tillmann: Schwierig! Also es gibt da eine dieser Planetengeschichten in EXODUS Nr. 27 mit dem Titel „Beksinski – Heimat der Gräber“. Ein Sternenvolk war so groß und uralt, daß der Ursprungsplanet dieser Rasse nur noch als Friedhof diente. Der komplette Planet besteht nur noch aus Grabsteinen. Meine Story ist ein Reisebericht von einem Gestrandeten, der monatelang nichts außer Grabstätten schaut. Zu dieser Geschichte kehren in dunklen Momenten, wenn ich dasitze und Funeral Doom Metal höre, meine Gedanken immer wieder zurück. Siehst Du die endlosen Reihen der Gräber bis zum Horizont?

Michael Schmidt: Was ist dir wichtig als Autor? 

Michael Tillmann: Du meinst jetzt neben der Befriedigung meiner intellektuellen Eitelkeit? Mehr Geld wäre nicht schlecht …

Michael Schmidt: Bist du hauptberuflich Autor oder ist es ein gepflegtes Hobby?

Michael Tillmann: Es gibt weniger als ein Dutzend deutsche Phantastik-Autoren, die ausschließlich von der Schreibe leben können. Würde ich dazu gehören, so wäre ich so bekannt, daß man mir diese Frage nicht mehr stellen würde. So beantwortet sich diese Frage also leider ganz von alleine. Siehe zu diesem Thema auch mein Kommentar oben zum mangelnden Unternehmertum bei Kleinverlagen.

Michael Schmidt: Was liest du selbst bzw. welche Autoren schätzt du?

Michael Tillmann: Überwiegend selbstredend Phantastik. Würde ich aber hier die Autoren aufzählen, so würde ich die Leser langweilen, weil sie ja die Bücher alle auch schon im Schrank stehen haben. Deshalb erlaube mir bitte ein Beispiel für ein nicht phantastisches Buch zu bringen. „Früchte des Zorns“ von John Steinbeck hat mich sehr beeindruckt. Es spielt zu Zeiten der „Great Depression“ in Amerika der 1930er Jahre. Eine Familie reist quer durchs Land, um neue Arbeit zu finden. Sie können zum Beispiel nicht das Begräbnis für den Großvater bezahlen, weil sie sonst verhungern würden. Daher verscharren sie den geliebten Menschen am Straßenrand. Das ist das, was ich oben „harten Realismus“ und „Sozial Beat“ nenne, auch wenn dieses Buch älter als der Ausdruck „Sozial Beat“ ist.

Michael Schmidt: Wie würdest du die deutschsprachige Horror bzw. Phantastik Szene einschätzen? Was hat sie und was fehlt ihr noch? 

Michael Tillmann: Sie hat kaum etwas. Fast alles nur Epigonentum. Ich wollte es lange nicht wahrhaben … 

Michael Schmidt: Du veröffentlichst Kurzgeschichten, der große Teil der Leser liest lange Romane. Warum bevorzugst du trotzdem die kurze Variante?

Michael Tillmann: Weil ich so viele unterschiedliche Ideen habe! Aber davon mal abgesehen: Ein Roman ist in Planung. Er wird von einem Horrorschriftsteller handeln, der in eine ganz ungewöhnliche Lebenssituation kommt und Fans trifft, wo man es nicht erwartet. Mehr will ich noch nicht verraten. 

Michael Schmidt: Ein Wort an die Meute dort draußen!

Michael Tillmann: Viele Autoren der Phantastik wie zum Beispiel M. R. James lassen bzw. ließen ihre Geschichten in Bibliotheken spielen. Lovecraft beschreibt sogar intensiv einzelne Bücher und ihren pfeffrigen Geruch. Ist nicht das gedruckte Buch an sich quasi ein eigener Archetyp der Horrorliteratur, wie etwa Werwölfe und Gespenster auch? Ich frage Euch, wollt Ihr solche Texte wirklich auch Bildschirmen lesen? Wäre das nicht ein Stilbruch, eine abgrundtiefe Geschmacklosigkeit? Sollen doch die Hausfrauen ihre SM-Pornos als billige  e-book kaufen, das sollte uns nicht weiter interessieren. Denn müssten nicht gerade die Phantastik-Liebhaber die Fahne des klassischen, gedruckten Bucher höher als alle anderen Leser halten? Müssten nicht gerade die Phantasten standhaft bleiben, egal was noch kommen möge?


Kommentare

  1. "Ich frage Euch, wollt Ihr solche Texte wirklich auf Bildschirmen lesen? Wäre das nicht ein Stilbruch, eine abgrundtiefe Geschmacklosigkeit?"

    1. Durchaus.
    2. Absolut nicht.

    Wie kann man sich in einem Satz über das "Epigonentum", sprich die mangelnde Originalität innerhalb der deutschen Phantastik beschweren und im nächsten Satz fordern, bloß niemals etwas Neues zu probieren?
    Anstatt die elektronische Form der Rezeption von Literatur direkt zu verteufeln, könnte man auch darüber nachdenken, sie aktiv in die Gestaltung eigener Werke zu integrieren. Dafür würden sich z.B. Experimente mit der Typografie anbieten. Es gibt auch bisher ungenutzten Spielraum für Metaebenen, wie sie in "Die unendliche Geschichte" eine Rolle spielen.
    Manche Titel sind als E-Book unvorstellbar (wie z.B. "S-Das Schiff des Theseus"), andere könnten vielleicht den genau umgekehrten Weg gehen. Ein Roman, der nur als E-Book funktioniert.
    Nur weil etwas neu und fremd ist und dem reaktionären Geist direkt das Fürchten lehrt, sollte man sich nicht damit beschäftigen? Wenn man so denkt, wird sich in der Szene nie etwas verändern.

    P.S.: Ich besitze übrigens selbst keinen E-Reader, würde aber niemals jemanden als "geschmacklos" bezeichnen, nur weil er seinen M. R. James gerne am Bildschirm liest.

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  2. Guten Tag!

    Wer weitere reaktionäre und geschmacklose Interviews lesen mag, der findet sie in meinem Verzeichnis auf der Seite

    http://www.michaeltillmann.de/interview.htm

    Beste Grüße
    Michael Tillmann

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    1. Immer her damit.
      Denn was wäre das Leben nur ohne Meinungsverschiedenheiten?

      Beste Grüße zurück
      Daniel

      P.S.: Frohes neues Jahr!

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  3. Die aktuelle deutsche Phantastik-Szene ist so grenzenlos unbedeutend und lächerlich, daß sich die Verschwendung von Lebenszeit durch Diskussionen über Meinungsverschiedenheiten gar nicht lohnt. Ich wundere mich immer wieder, wie viele Leute wohl zu viel Freizeit haben!

    Frohes neues Jahr!
    Michael

    www.michaeltillmann.de

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