Jörg Kleudgen (Interview) - Teil 1
Michael
Schmidt: Hallo Jörg, stell dich den Zwielicht Lesern doch mal kurz vor!
Jörg
Kleudgen: Nun, ich bin 46 Jahre alt, verheiratet, ein Kind, bin nach einem
abgebrochenen Architekturstudium in einer Ausbildung in der Altenpflege
gelandet und arbeite inzwischen als Gutachter in diesem Bereich. In den 1990ern
habe ich neben meiner Band THE HOUSE OF USHER und dem GOTHIC-Musikmagazin die
GOBLIN PRESS (mit)gegründet, einen Kleinverlag, der sich auf lovecraftnahe
Literatur spezialisiert hatte.
Michael
Schmidt: Wenn ich es richtig in deiner Biografie gelesen habe, bist du in
Zülpich geboren. Ist es da zwangsläufig, dass man düstere Geschichten schreibt?
Jörg
Kleudgen: Naja, im Rückblick betrachtet vielleicht schon. Das hat ja durchaus
seine Geschichte, auch wenn die nicht ausschließlich vom Ort abhängt, sondern
von vielen anderen Faktoren. Zülpich ist eine zweitausend Jahre alte
Römerstadt, besitzt eine Burg und eine gut erhaltene Stadtmauer mit vier
Stadttoren. Die Begeisterung für phantastische Literatur verdanke ich meinem
Schulkameraden Kai Meyer, der sich damit schon etwas früher befasst hat und
mich für Fantasyrollenspiele wie DAS SCHWARZE AUGE begeistern konnte. Wir zwei
waren nicht direkt Außenseiter, hatten aber doch ganz andere Interessen als
unsere Mitschüler. Beim Sport waren wir immer die letzten, die in die Teams
gewählt wurden. Das hatte nichts mit Unsportlichkeit zu tun, sondern eher damit,
dass wir uns lieber über phantastische Geschichten unterhielten, als einem Ball
hinterherzulaufen. Anfangs schrieb ich noch Rollenspielabenteuer für gemeinsame
Spielrunden, während Kai erste Erfahrungen mit Fanzines sammelte. Er schlug
nach dem Abitur dann ja auch eine journalistische Laufbahn ein. Meine ersten
Erzählungen veröffentlichte ich in Rollenspielermagazinen, die ich teilweise
selbst herausgab. Von da an nahm dann wohl alles ganz automatisch seinen Lauf…
Michael
Schmidt: Wie kann man sich die deutsche Phantastikszene als Neuling vorstellen.
Kennt da jeder jeden? Oder kennt man nur einen kleinen Kreis, der vielleicht im
Laufe der Jahre größer wird?
Jörg
Kleudgen: Ich glaube nicht, dass es „die“ Szene gibt, auch wenn sich das nach
außen hin so darstellen mag. Ich bin mir nicht mal ganz sicher, ob ich selber
Teil einer Szene bin. Ich verfolge zum Beispiel die meisten der Diskussionen in
Foren zur Phantastik überhaupt nicht, weil mir schlichtweg die Zeit dazu fehlt.
Klar, könnte ich mich auf Facebook mehr in dieser Richtung engagieren. Aber
dann käme ich leider nicht mehr dazu, irgendetwas anderes zu schreiben.
Natürlich ist der Austausch wichtig. Aber mir als Autor ist das Schreiben
wichtiger, und ich finde es manchmal erheiternd, wenn jemand schreibt, er habe
keinen Zeit für einen Anthologiebeitrag, den er liebend gerne beisteuern würde,
im selben Atemzug aber eine dermaßen umfassende Facebook-Aktivität aufweist,
dass einen nichts mehr wundert.
Aber, um zur
eigentlichen Frage zurückzukehren: ja, der Kreis wird mit den Jahren größer,
aber er kann auch wieder schrumpfen, etwa wenn man erkennt, dass für eine
Zusammenarbeit keine Basis mehr vorhanden ist. Das ist dann nichts Schlimmes,
sondern ein natürlicher Prozess.
Michael
Schmidt: Wie würdest du die deutschsprachige Phantastik Szene beschreiben?
Jörg
Kleudgen: Sie ist in erster Linie vielfältig und bunt. Eigentlich spiegelt sich
auch hier nur das Bild unserer Gesellschaft wider. Es gibt Leute, die
Großartiges geleistet haben und völlig bescheiden geblieben sind, und es gibt
welche, die sich selbst viel zu ernst nehmen. Obwohl es einfacher geworden ist,
selber Bücher zu veröffentlichen, was zu einem Boom an Klein- und
Kleinstauflagen geführt hat, habe ich den Eindruck, dass es wenig wirklich
tolle Neuentdeckungen bei uns gibt. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass
ich mich nur für ein eher begrenztes Spektrum interessiere.
Michael
Schmidt: Groß, schlank, dunkle Haare. Gothic oder New Wave würde man direkt schätzen.
Stimmt das? Oder was für eine Musik macht The House Of Usher und was ist dein
Anteil an der Band?
Jörg
Kleudgen: Ha, es gibt „Gruftis“, die nicht im Geringsten Deiner Beschreibung
entsprechen :-), aber ich weiß, was Du sagen willst. Und Du kennst ja den
Hintergrund von THE HOUSE OF USHER ein wenig. Unsere musikalische Sozialisation
fand in den 1980ern statt, als wir Bands wie THE SISTERS OF MERCY, BAUHAUS; JOY
DIVISION und THE CURE gehört haben. Ich glaube, wir klingen heute noch so, auch
wenn andere Einflüsse hinzukamen … U2, SIMPLE MINDS, DEPECHE MODE, COLDPLAY …
aber seltsamerweise würdest Du ein THE HOUSE OF USHER-Album sofort erkennen,
wenn Du schon mal was von der Band gehört hast. Meine Rolle ist in erster Linie
die des Sängers, aber vielleicht ist es noch wichtiger, dass ich über die
vergangenen inzwischen 25 Jahre über das Weiterbestehen und die Kontinuität
gewacht habe. Ich habe einmal gesagt, dass alle Musiker der Band den Körper
bilden, dass ich aber die Seele beisteuern muss. Ja, ich glaube, das trifft es
ganz gut!
Michael
Schmidt: Welche CD sollte man als erstes goutieren, wenn man die Band noch
nicht kennt?
Jörg
Kleudgen: Oh, das ist schwer zu entscheiden! Mein persönlichstes Album ist
„Angst“, aber ich glaube nicht, dass es einen breiteren Geschmack trifft. Dazu
ist es zu rau. „Pandora’s Box“ von 2011 und das 2006 erschienene „Radio
Cornwall“ sind die populärsten Alben mit sehr eingängigen und stimmungsvollen
Stücken. Die kann ich beide guten Gewissens empfehlen.
Michael
Schmidt: Die Anthologie Necrologio (Blitz Verlag) erschien zum 20jährigen
Jubiläum von The House Of Usher. Wo ist die genaue
Verbindung zwischen deiner Musik und deiner Literatur?
Jörg
Kleudgen: Die Verbindung ist alleine durch den Namen vorgegeben, aber der
sollte nie Programm sein, in dem Sinne, dass wir lauter Poe-Texte vertonen
würden. Das haben wir nie getan. Aber Poe fühle ich mich schon sehr verbunden,
und ich glaube, es ist mehr die Ästhetik seiner Geschichten, die uns
beeinflusst hat.
Musik und
Literatur sind für mich untrennbar miteinander verbunden. Eigentlich kommt noch
ein dritter, graphischer Bereich hinzu. Unter anderem habe ich den „Kingsport“-
und nun auch den „Ulthar“-Reiseführer des Basilisk-Verlages illustriert. Bei
meinen/unseren Veröffentlichungen ist mir ein stimmiges Gesamtbild sehr
wichtig. Es muss sich einfach richtig anfühlen.
Bei
Necrologio war die Verbindung sehr eng und auch nach außen hin sichtbar, mehr
noch bei Cosmogenesis (ebenfalls Blitz-Verlag), das einige Geschichten zu
Titeln des gleichnamigen Albums von THE HOUSE OF USHER enthält.
Und dann sind
da noch die Erzählungen, die in den Booklets der CDs abgedruckt sind, und von
denen ich glaube, dass es meine besten sind!
Michael
Schmidt: Du schriebst zusammen mit Michael Knoke den Roman Totenmaar, der den Vincent Preis 2011 gewann. Michael Knoke ist ja leider
schon verstorben. Wie war euer Verhältnis und was für ein Mensch war er?
Jörg
Kleudgen: Unsere Zusammenarbeit war von einem unvergleichlichen gegenseitigen
Vertrauen und Respekt gekennzeichnet. Ich habe das nie wieder in ähnlicher
Weise bei einem anderen Autor erleben dürfen, was mir besonders in der Zeit
direkt nach Michaels Tod sehr zu schaffen gemacht hat. Ich habe verschiedene
Versuche unternommen, einen anderen passenden Co-Autor zu finden, aber es nicht
gut funktioniert. Das Tolle an der Arbeit mit Michael war, dass jeder von uns
einen begonnen Text des anderen problemlos übernehmen und weiterführen konnte.
Obwohl wir uns im Schreiben doch sehr unterschieden. Ich bewundere Michael für
seine Gabe, selbst scheinbar nebensächlichen Dingen wie einer morgendlichen
Rasur oder dem Kaffeekochen eine tiefere Bedeutung zu geben und solchen
Ritualen in seinen Geschichten Raum zu geben. Er war für mich immer mehr als
nur ein Autor von phantastischer Literatur, denn nur in den wenigsten
Geschichten ging es ihm darum, eine spannende Geschichte zu erzählen. Das
Schreiben war für ihn eine Methode, um mit dem Wahnsinn des Alltags
klarzukommen. Als ausgesprochen sensibler Mensch war er verletzlich, und obwohl
er nicht durch Suizid gestorben ist, kam es mir vor, als sei er an der Welt
zugrunde gegangen. Texte wie das phantastische „Im Wendekreis der Angst“, „Vom
Flüstern der Mollusken“ oder „Der kataleptische Traum“ haben immer eine starke
autobiographische Komponente.
Ich habe mit
Michael anfangs zahllose Briefe ausgetauscht und oft telefoniert. Mit Aufkommen
des Internets haben wir uns täglich mindestens einmal geschrieben. Persönlich
getroffen habe ich ihn nur ein einziges Mal.
Michael
Schmidt: Kann man erkennen welcher Teil von Michael und welcher Teil von dir
ist? Wo sind eure Unterschiede als Autor?
Jörg
Kleudgen: Also, die Teilung ist relativ deutlich … die erste Hälfte stammt von
Michael, ist aber erst nachträglich verfasst worden, als ich die zweite schon
fast fertig hatte. Michael war ja für Uwe Voehl eingesprungen, der aus dem
Projekt ausgestiegen war, als ich schon ziemlich weit war. Michael hat sich in
die Thematik wunderbar eingefühlt, und man merkt gar nicht, dass er die Orte
nicht kannte, an denen die Geschichte spielt. Diesbezüglich habe ich bei der
Überarbeitung natürlich auch nachbessern können. Ich denke schon, dass der Roman
sich wie aus einem Guss liest, wobei Michaels Stärke wie immer in der
erschreckend authentischen Schilderung des Seelenlebens des Protagonisten
liegt.
Michael
Schmidt: Saburac gewann den Vincent Preis 2013. Herzlichen Glückwunsch! Was bedeutet
dir ein solcher Preis. Ist ja immerhin das zweite Mal dass du die
Romankategorie abräumst.
Jörg
Kleudgen: Der Vincent-Preis ist die einzige Auszeichnung, die mir wirklich
etwas bedeutet. Und wahrscheinlich ist es auch die einzige, bei der ich
überhaupt eine Chance habe.
Als Saburac
zum besten Roman gewählt wurde und ich in Marburg die Urkunde entgegennahm,
wurde mir richtig schwindelig. Ich hatte damit nicht gerechnet, nicht, nachdem
kurz vorher einige schlechte Leserkritiken auf www.amazon.de laut geworden waren. Mir fehlten dann auch
bei der Preisverleihung die Worte. Ich kann so etwas sowieso nicht gut … da
stehen, ein Lob entgegennehmen und dann noch etwas Kluges dazu sagen.
Michael
Schmidt: Saburac erschien gedruckt bei Goblin Press und unter dem Namen
„German Gothic“ als E-Book bei der Horror Factory. Wie kam es dazu? Man
hört auch, die Versionen unterscheiden sich.
Jörg
Kleudgen: Ich habe für die E-Book-Version einen neuen Anfang und ein
alternatives Ende geschrieben, weil ich schon befürchtet hatte, dass ein
typisch offenes Kleudgen-Ende nicht dem Geschmack eines größeren Publikums
entsprechen würde. Die Änderung des Titels erfolgte auf Wunsch des
Verlags/Herausgebers, außerdem wurde Beuringen in Mahringen umbenannt. Ich
hatte die Geschichte eigentlich als Geburtstagsgeschenk für meine Frau verfasst
und dabei auf ein älteres Fragment zurückgegriffen, „Das Tagebuch des toten
Träumers“, das wieder eine ganz eigene Geschichte hat.
Nun, in der
Goblin-Press gab es dann eine kleine Auflage, und Uwe Voehl, der eines der
Bücher in die Finger bekam, begeisterte sich für den Text so sehr, dass er
anbot, ihn in die Horror
Factory aufzunehmen. Das war eine mutige Entscheidung, die aber zur
Vielfalt der Reihe beigetragen hat. Wobei ich gestehen muss, dass ich nicht mal
einen E-Bookreader besitze und auch das German Gothic-E-Book nicht habe. Das
dazugehörige Hörbuch finde ich aber sehr gelungen!
Michael
Schmidt: Dieses Jahr ist das Buch Die Horror-Fabrik erschienen. Erstens
ähnelt sie Saburac und zweitens scheint der Bezug zu Horror Factory offensichtlich.
Erzähl doch mal von dem Buch und seiner Entstehungsgeschichte.
Jörg
Kleudgen: Nach dem Erscheinen von Saburac bzw. German Gothic hatte ich das
Gefühl, dass Beuringen (übrigens ein umgangssprachlicher Name für meine
gegenwärtige Heimatstadt Büdingen) noch Inspiration für mindestens eine
Fortsetzung bereithielt. Tatsächlich dachte ich an eine „Beuringen“-Trilogie,
deren dritter Teil aber noch nicht fertiggeschrieben ist. Gleichzeitig war die
Resonanz auf German Gothic in der Horror Factory ja sehr unterschiedlich. Ich
glaube, viele Leser waren damit einfach völlig überfordert und hätten gerne
alles erklärt gehabt, was in der Geschichte offen bleibt. Die Horror-Fabrik
sollte in sich abgeschlossener wirken, und ich hatte die Hoffnung, das Buch
könne vielleicht als letzter Band der Reihe erscheinen, bei der schon damals
absehbar war, dass sie eingestellt würde. Ich finde aber, dass es in der
Goblin-Press wunderbar aufgehoben ist!
Die Horror-Fabrik handelt von einer alten Fabrik vor den Toren Beuringens, die
eine schlimme Vergangenheit hat. Niemand, nicht einmal die Arbeiter wissen ganz
genau, was dort eigentlich hergestellt wird. Als der Protagonist als Inspekteur
zur Messung der Umweltwerte dort eintrifft, ist gerade eine Mitarbeiterin
verschwunden. Es heißt, es habe einen Streit zwischen ihr und dem Inhaber Max
Sandmann gegeben. Aber das ist nicht die ganze Wahrheit …
Michael
Schmidt: In der Goblin Press erscheinen handgemachte Bücher. Und das in Zeiten
der Uniformität. Wie kam es dazu und wie ist das Feedback der Leser?
Jörg
Kleudgen: Nun, die Goblin-Press hat ja früher (Anfang der Neunziger) schon
Kleinauflagen herausgegeben, die um die Jahrtausendwende „professioneller“
gedruckt wurden. Durch die Tatsache, dass ich immer mehr Arbeiten auslagern
musste, weil ich sie selber nicht mehr bewältigen konnte, habe ich dann
irgendwann den Bezug zu diesem Kleinverlag verloren. Gleichzeitig habe ich als
Autor bei anderen Verlagen wesentlich höhere Auflagen erzielen können. Die
Goblin-Press hatte ihre Daseinsberechtigung verloren. Aber irgendwann habe ich
dann gemerkt, dass mir dieses Gefühl fehlt … ein Buch vom ersten Wort über die
Illustration bis hin zur Vervielfältigung bis zur Bindung und dem
Schutzumschlag zu begleiten und all das selber in der Hand zu haben. In dieser
Hinsicht war STELLA MARIS eine Offenbarung für mich. Nach all den größeren
Veröffentlichungen kamen mir fast die Tränen vor Rührung, als ich dieses
Büchlein aus dem Copy Shop abholte. Ein so befriedigendes Gefühl hatte ich seit
langem nicht mehr beim Erscheinen eines Buches von mir gehabt. Ich habe es die
ersten Tage überall mit hingenommen, weil ich immer wieder hineinschauen
musste.
Die Resonanz
der Leser ist durchweg sehr gut, wobei ich sagen muss, dass der Leserkreis ein
sehr auserlesener sind. Meistens liegt die Auflage bei rd. 50 Exemplaren. Mehr
könnte ich auf diese Weise aber auch kaum herstellen (lassen), da die Seiten ja
vor der Bindung einzeln von Hand gefaltet werden.
Tolles Interview. Jörgs bescheidenen und intelligenten Antworten folgt man nur zu gern. Freue mich schon auf Teil 2
AntwortenLöschen