Kleinstaaterei

Ja, einst gab es Zeiten der Stabilität. Der eiserne Vorhang war mächtig und undurchlässig. Die 80er Jahre waren ein Hort der Stabilität. Die Weltkarte hatte Bestand und fast bekam man den Eindruck, die Landesgrenzen gelten für die Ewigkeit.
Bekanntermaßen waren es die 90er, die in Europa viele neue Länder schufen. Jugoslawien teilte sich auf, die Sowjetunion und die Tschechoslowakei.

Gleichzeitig startete eine Globalisierungswelle, die Glauben machen durfte, Landesgrenzen hätten keine Bedeutung, da die Freizügigkeit des Handels und des Kapitals die Welt enger zusammen rücken ließen.
Deutsche Firmen produzieren in Nordafrika, in China, in Osteuropa. Gleiches gilt für die USA oder die Franzosen. Skoda aus der Tschechei gehört jetzt VW, Dacia aus Rumänien ist Teil von Peugeot. China investiert im großen Maß in Afrika und die japanischen Automarken Toyota und Nissan sind Schwergewichte auf dem nordamerikanischen Markt. Speichermedien kommen zum Großteil aus Asien, egal welche europäische oder amerikanische Marke sie verkauft.
Wie sehr das Kapital vernetzt ist, zeigte die Finanz- und Wirtschaftskrise. Die Konjunktur überhitzte weltweit und hatte Rekordstände bei Öl und fast allen Rohstoffen wie Kupfer und Eisen. Stahl wurde begehrtes Gut und Schrotthändler berichteten von Diebstählen ihrer Bestände direkt vom Hof. Auch Altpapier wurde knapp da die Chinesen alles aufkauften.
Der Zusammenbruch geschah dann auch überall gleichzeitig. Rohstoffpreise rauschten in den Keller, nur Gold erklimmte immer neue Rekordmarken. Amerikanische Immobilienbesitzer sorgten für den Zusammenbruch riesiger deutscher Bankinstitute.
Die Globalisierung hatte mehr als einen Dämpfer erhalten. Als Heilsbringer weltweiten Wohlstands hatte sie für eine weltweite Depression gesorgt. Die Alarmglocken gingen an.
Siehe da, fast alle Regierungen tendierten dazu, ihre Märkte abzuschotten und versuchten ihre Konjunktur zu stützen.
Doch die Erfahrungen längst vergangener Krisen sorgten wohl dafür, dass die Staaten trotz dieser Tendenz zusammen rückten und versuchten, ihre Konjunkturpakete zu koordinieren und die Flucht zurück zum nationalen Blick zu begrenzen.
Das ist aber nur eine Seite der Medaille. Der andere ist die Autonomiebestrebung diverser Regionen, die teilweise schon länger anhalten, teilweise aber neueren Datums sind. Der Kosovo war bis 1918 ein Teil Albaniens und so ist die ausgerufene Unabhängigkeit von Serbien zwangsläufig.
Die Bestrebung der Rumänen und Moldawier, eine Nation zu werden, ist dagegen eher der Wunsch, zur EU zu kommen (Moldawien) bzw. ein Großrumänien zu werden. Gleichzeitig will sich der östlich des Dnepr gelegene Transnistrien abspalten.
Gleiches gilt für Georgien, auch dort gibt es Unabhängigkeitsbestrebungen einzelner Regionen.
Auch in Afrika wird fleißig an den Landesgrenzen gewerkelt. Somalia oder auch der Kongo stehen vor einem Auseinanderbrechen. Einzig in China werden Abspaltungsbestrebungen wie gewohnt blutig verhindert.
Das alles ist aber nichts gegen einen Blick in das alte Westeuropa. Asien, Afrika und Osteuropa waren schon immer fragile Gebilde. Die Bevölkerung war gemischt und unterschiedliche Interessen der diversen Eliten sorgten für Bewegung in den Landesgrenzen.
In Westeuropa war dagegen Stabilität angesagt. Wir haben eine EU, das bedeutet ein Wirtschaftsraum, Freizügigkeit und mittlerweile eine einheitliche Währung. Wozu also Grenzen verschieben, gerade wenn den einzelnen Regionen ein großes Maß an Autonomie eingeräumt wird?
Südtirol ist seit 1918 italienisch, auch wenn rund zwei Drittel der Menschen dort deutsch sprechen. Immer wieder gibt es Bestrebungen, sich mit Tirol wieder zu vereinigen.
Italien selbst ist faktisch zweigeteilt in den wohlhabenden Norden und den verarmten Süden. Auch dort gibt es Autonomiebestrebungen.
Aktueller ist die Situation in Belgien. Das Land ist zweigeteilt zwischen den Wallonen und Flamen, die einen sind französischsprachig, die anderen sprechen einen holländisch, dazu kommt ein kleiner, deutschsprachiger Teil.
Schwelt der Sprachenstreit in Belgien schon lange, eskalierte er aber zuletzt und sorgte für eine tiefe Regierungskrise, die immer noch nicht gelöst ist.
Basken (in Spanien und Frankreich) und Nordirland sind weitere, allerdings schon lange schwelende Konflikte, die leider zumeist blutig geführt werden.
Ein neues, fast schon originelles Streben nach Grenzveränderung betrifft die ach so neutrale Schweiz. Da deren Bevölkerung nicht in die EU will, andererseits aber die Krisensignale der Eidgenossen unüberhörbar sind, hat man einen neuen Weg zu Wachstum gefunden.
Baden-Württemberg, Deutschlands wirtschaftliches Vorzeigeland, soll vereinnahmt werden und das natürlich freiwillig. Denn es ist laut schweizerischem Gesetz möglich, sich als Kanton an die Alpenrepublik anzuschließen.
Da ist das potente Baden-Württemberg natürlich der erste Kandidat. Weitere sind das Elsass, das ausnahmsweise nicht die Deutschen den Franzosen streitig machen wollen (und wo es auch immer mal wieder Strömungen gibt, sich wieder Deutschland anzuschließen), Voralberg aus Österreich und die Lombardei aus Italien sind weitere Kandidaten.
Die Großschweiz als neue europäische Großmacht ist allerdings bisher nur ein Wunschgebilde einer Schweizer Partei.
Mal sehen, ob es wirklich neue Grenzziehungen gerade in gefestigten Strukturen gibt. Die anstehende Verwaltungsreform in Deutschland zeigt, die Bürger sind nicht so veränderungswillig wie die Politik sich das wünscht. Auch die föderale Reform Deutschlands mit der Neuordnung der Bundesländer sowie der Kompetenzverschiebung zwischen Bund und Ländern steckt bisher nur in den Köpfen mancher Politiker.
Es wird wohl alles beim Alten bleiben. Weder wird die USA in mehrere Gebilde auseinander fallen, noch wird es in Europa unter dem Schirm der EU große Verschiebungen geben. Schon der Euro zeigt, wie kompliziert es ist, aus diesem System auszubrechen.
Doch wenn es Veränderungen geben sollte, ist jetzt die Zeit gekommen. Warten wir ab, wo die Grenzen in den nächsten Jahren verlaufen werden.

Original hier erschienen.

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