Claudia Rapp (Interview)
Michael
Schmidt: Hallo Claudia! Orangensaft oder Aperol?
Claudia Rapp: Es ist zwar noch recht früh am Tag, aber im Sommer geht auch ein gut gekühlter Aperol zwischendurch. In Österreich, wo ich jetzt seit zwei Jahren lebe, ist die erste Wahl (für Nichtkaffeetrinkerinnen) bei Tag und Nacht aber der weiße Spritzer, zu dt. Weißweinschorle.
Michael Schmidt: Kenne ich, das ist in unserer Gegend auch sehr beliebt. Bevor wir zu deinen unzähligen Aktivitäten kommen, stell dich doch einmal vor! Wer ist der private Mensch Claudia Rapp?
Claudia Rapp: Wie man zunächst einmal sieht, ist Claudia aufgrund der unzähligen Aktivitäten oft vergesslich, daher hat die Beantwortung der Fragen eine Weile auf sich warten lassen, ich bitte um Nachsicht. Dazu weiter unten mehr … Wer bin ich? Im Rheinland aufgewachsen, am Bodensee studiert, promoviert und Kinder großgezogen, dazwischen Auslandsjahre in Amerika, und dann zehn Jahre Großstadtleben in Berlin genossen, bis ich auch davon genug hatte und endlich in meine Lieblingsstadt Wien gezogen bin. Das sagt m.E. Einiges über mich aus: Ich bin im Wortsinn neu-gierig, langweile mich schnell, wenn Routine einkehrt, ich brauche immer wieder Dinge, die mich faszinieren, herausfordern, in die ich eintauchen kann. Ich liebe Reisen, Musik, neue Eindrücke, ich brauche viel Input und blicke gern hinter die Kulissen, hinter den Vorhang. Aber selbst etwas auf die Beine zu stellen und Posten zu sammeln, das kam erst spät für mich, was sicher zum Großteil der Tatsache geschuldet ist, dass ich allein zwei Töchter großgezogen habe, und das praktisch seit meinem zweiten Jahr an der Uni …
Michael Schmidt: In Vorbereitung auf das Interview habe ich auf deiner Homepage geschnüffelt. Eigentlich wollte ich dir gratulieren. Jetzt aber erstmal für den Vincent Preis 2015. Der Roman, den du übersetzt hast hat nämlich Clive Barkers- Das scharlachrote Evangelium.
Claudia Rapp: Danke schön! Oh, diese Webseite – ich nehme mir immer wieder vor, sie auf Stand zu bringen, aber das rückt jedes Mal nach hinten auf der Liste. Und der Preis ist nun schon 10 Jahre her, war aber natürlich eine wunderbare Motivation damals, als ich noch nicht soo lange professionell übersetzt habe.
Michael
Schmidt: Ich denke noch besser fühlt es sich an, den KLP
2025 für die Beste Übersetzung. Herzlichen Glückwunsch!
Claudia Rapp: Nochmals danke! Ja, das fühlt sich wirklich großartig an, denn es waren lauter tolle Kolleg*innen nominiert und ich bin immer noch geflasht, dass meine Übersetzung zur besten auserkoren wurde. In beiden Fällen, bei Clive Barker 2015 und jetzt beiWhalefall muss man aber betonen, dass das Lektorat im Verlag besonders intensiv war – vielleicht ist genau das am Ende das Quäntchen mehr, wenn da ein Austausch stattfindet, um eine gute Übersetzung noch besser und damit preiswürdig zu machen?!
Michael Schmidt: Wie man an der Fragereihenfolge gesehen hat, ist es schwer, als Übersetzerin wahrgenommen zu werden. Ärgert dich das oder genießt du im Stillen, wenn die Leser einen Roman genießen und du ihn in unsere Sprache übersetzt hast?
Claudia Rapp: Es ärgert mich nicht, ich habe ja noch andere Ventile für jegliches Geltungsbedürfnis. Wenn es etwas zu jammern gibt beim Übersetzen, wäre das eher, dass man normalerweise nur dann ein Feedback bekommt, wenn Leser*innen Fehler finden – reale oder vermeintliche. Mit der Zeit sammelt man aber auch einige treue Fans, die sich jedes Mal auf die nächste Übersetzung freuen, das ist so schön und motivierend!
Michael Schmidt: Übersetzt du nur für Festa oder auch für andere Verlage?
Claudia Rapp: Als Freiberuflerin übersetze ich auch für andere, aber de facto ist Festa mein zuverlässigster Auftraggeber, und ich schätze die Zusammenarbeit auch sehr. Außerdem entwickelt sich das Programm stetig weiter, sodass es immer wieder spannende Romane gibt, mit denen ich meine Arbeitszeit verbringen darf. Ich habe aber auch eine Reihe Sachen gemacht, von denen kaum jemand etwas mitbekommt, etwa im Custom-Books-Bereich, wo dann etwa Firmenchroniken oder Festschriften übersetzt werden, oder in der Synchronisation für Streaming-Serien, im akademischen Bereich, usw.
Claudia Rapp: Ganz brav und solide am heimischen Küchentisch, während draußen vor dem Fenster in Wien etwa 30 Grad herrschen und für den Rest der Woche noch höhere Temperaturen in Aussicht stehen. Aber stimmt schon, zuletzt war ich gefühlt pausenlos unterwegs, in den letzten 6 Wochen beim Eurocon in Åland, beim 70-Jahre-SFCD-Wetzkon in Wetzlar, zum Töchterbesuch (Ausbildungsabschlussfeier) in Berlin und auf der Krähenfee in Krefeld. Im September geht es zum ersten Mal nach Bulgarien zum Bulgacon, darauf bin ich schon sehr gespannt – Stichwort Neugier und neue Eindrücke. Im Oktober steht dann ja wie immer der Bucon an, und die Woche danach bin ich in Lübeck beim Hansekon. Irgendwann dazwischen muss ich meine Bücher übersetzen …
Michael Schmidt: Eurocon, Wetzkon, Bucon, du bist immer mittendrin. Für die Organisation des Metropolcon warst du für den KLP nominiert. Wie wichtig ist dir der persönliche Kontakt, das Bad in der Menge? Und wie wichtig ist es für alle Phantastik begeisterte, dass es solche Treffpunkte zum Austausch gibt?
Claudia Rapp: Ganz egoistisch gesprochen genieße ich die Cons aus mehreren Gründen: Da mein Joballtag daraus besteht, ganz allein mit dem Text und meinem Laptop zu sein, und ich manchmal wochenlang gefühlt nur mit der Verkäuferin im Supermarkt drei Worte wechsle, blühe ich dann eben auf und sprudle gern auch mal über mit meinem Redebedürfnis. Und mein Wunsch nach Input, Austausch, neuen Impulsen wird ebenfalls gestillt. Ich mag das Gemeinschaftsgefühl, das Immer-wieder-treffen mit lieben Menschen – und da entspringt auch mein Mitmischen. Der Anstoß für die Organisation der MetropolCon war genau dieses Gemeinschaftsgefühl. Für mich sind Cons (auch) utopische Orte, denn hier prallen so viele intelligente, kreative, einfallsreiche Geister aufeinander, die in diesem Rahmen alle einfach sein dürfen, wer und wie sie sind (oder wer sie sein möchten, aber im Alltag nicht immer so einfach können?). So einen Raum wollte ich auch schaffen und mitgestalten. Und damit sollte auch die Frage der Wichtigkeit schon beantwortet sein: der persönliche Austausch bringt so viel, und das Wechselspiel zwischen gemeinsamen Interessen und damit einer gemeinsamen Basis und den unterschiedlichen Ansichten, Zielen, Gruppen und Lebensrealitäten bietet eine wahnsinnig kostbare Chance auf Verständnis, Solidarität, Zusammenhalt und Inspiration, die gerade im Netz oft verlorenzugehen scheint. Endlich mal kein „Wir gegen die da“ – jedenfalls im Idealfall. Deshalb war die Ausrichtung einer Eurocon auch von Anfang an erklärtes Ziel, denn der Europagedanke wird immer nur noch wichtiger, wenn man sich die Entwicklungen in der Welt anschaut. Da fange ich als Skeptikerin wirklich vehement an, die Fahne zu schwingen. Aber eben die europäische (noch schöner wäre die der Föderation der Planeten aus Star Trek, klar), bitte keine nationale!
Michael
Schmidt: Als wäre dein Leben noch nicht ausgefüllt, bist du Vorsitzende des
SFCD (Science Fiction Club Deutschland). Wie kommt man zu so was und was sind
deine Aufgaben?
Claudia Rapp: In meinem Fall: Man wird gefragt, ob man sich eine Kandidatur vorstellen kann. Und das ist direkt der Organisation der MetropolCon geschuldet, denn damit habe ich offenbar signalisiert, dass ich Dinge anpacke und bereit bin, frischen Wind mitzubringen. Die Aufgaben sind eigentlich denen der Con-Orga bzw. des Chair-seins gar nicht so unähnlich: motivieren, vermitteln, koordinieren, Ideen einbringen, Überblick behalten, Leute hinzugewinnen, vorne stehen, manchmal schlichten, im Tagesgeschäft mitreden …
Michael Schmidt: Ist ein Verein wie der SFCD in der modernen Zeit überhaupt noch gefragt? Wie sieht der Mitgliederzuspruch aus?
Claudia Rapp: Gute Frage, die man sich in jeder Struktur immer wieder mal stellen sollte. Auch hier denke ich, dass ein Gefühl der Zugehörigkeit und Gemeinschaft der Schlüssel ist: der Wunsch danach kommt nicht aus der Mode, aber die Formen ändern sich natürlich laufend. Bei uns sprechen die Zahlen ein Stück weit für sich, denn in den letzten beiden Jahren sind die Mitgliederzahlen deutlich angestiegen; wir sind aktuell bei rund 400. Wir erleben einen neuen Schwung an Beitritten, auch von einigen „jüngeren Semestern“ und hoffen, dass dieser Trend anhält. Überlegungen, was wir als Vorstand dafür tun können, sind angestoßen.
Michael Schmidt: Du bist nicht nur eine umtriebige Aktivistin sondern schreibst auch selbst?
Claudia Rapp: Sporadisch, ja. Frag mein zwölfjähriges Ich, das wollte immer nur Schriftstellerin werden. Wie sich herausstellt, frei nach Max Ophüls: Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit. Es fällt mir schwer, das Schreiben in die Lücken zwischen allem anderen zu packen, deshalb gibt es von mir nach zwei Romanen, die ich schon vor einer ganzen Weile geschrieben habe, in den letzten Jahren nur hier und da mal eine Kurzgeschichte, meist in Anthologien über Zombies, Katzen, Kaiju – also immer Phantastik, häufig Horror. Aber für alle, die gern mehr von mir lesen möchten, sei gesagt: Ich arbeite – sehr langsam, aber ich arbeite – an einem Roman, in dem die Überreste eines Habsburgers zum Leben erweckt werden, um die Monarchie zurückzubringen. Zombie trifft auf Politsatire, historische Figur trifft auf Held*innen wider Willen. Sowas passiert, wenn man in Österreich lebt.
Michael Schmidt: Seit diesem Jahr bist du die deutsche Vertreterin für den ESFSAward. Was muss man da machen und wie sind die Chancen dieses Jahr?
Claudia Rapp: Man kümmert sich um die Auswahl und Präsentation der deutschen Nominierungen, und man „repräsentiert“ Deutschland in den Business Meetings der European Science Fiction Society, stimmt selbst für die Preise ab. Chancen einzuschätzen ist wahrscheinlich ähnlich schwierig wie beim ESC, aber zumindest erleben wir kaum je das gefürchtete „Germany, zero points“. Offenbar können vor allem unsere Zeitschriften überzeugen; den Award für „Best Magazine“ haben wir jetzt dreimal hintereinander gewonnen.
Michael Schmidt: So ein Preis, bei dem die jeweiligen Preisträger eine andere Sprache sprechen. Ist das nicht schwierig und macht das überhaupt Sinn?
Claudia Rapp: Das ist natürlich vor allem bei rein textbasierten Kategorien schwierig bis unmöglich, während sich Grafiken oder eben auch eine Zeitschrift (zumindest deren Layout und Professionalität der Aufmachung) oder ein Event weit leichter beurteilen lässt. Deshalb kommt der Präsentation der Nominierungen so eine große Bedeutung zu. Mein Vorgänger Robert Corvus hat da mit seinen Videos einen Maßstab gesetzt.
Man kann die Preise durchaus kritisch betrachten, man kann aber auch überlegen, was machbar ist, um das Prozedere zu verbessern. Du ahnst es schon, ich habe mich in Åland auch noch in die ESFS wählen lassen, um daran mitzuwirken. Das ist aber ganz sicher eine Langfrist-Aufgabe. Sinn macht der Preis an sich auf alle Fälle trotz der genannten Punkte: Auch er ist ein Baustein der Sichtbarkeit eines europäischen Projekts, einer Gemeinschaft, einer Utopie.
Michael Schmidt: Die aktuelle deutschsprachige Science-Fiction Szene ist…
Claudia Rapp: … in Bewegung! Es gibt spannende neue Stimmen und Sichtweisen, die leidigen Diskussionen um Frauenanteil und Rückwärtsgewandtheit scheinen Platz gemacht zu haben für Neugier und Vielfalt. Preise für Aiki Mira, für Queer*Welten, aber ebenso auch für „klassischere“ Texte und Autoren zeugen davon.
Michael Schmidt: Und die internationale Science-Fiction Szene ist…
Claudia Rapp: … oft ein paar Schritte weiter, aber wir holen auf ☺
Was Cons angeht, habe ich mich durchaus erst durch den Besuch mehrerer europäischer Worldcons, Eurocon und vor allem auch britischer Eastercons dazu inspirieren lassen, selbst eine anzustoßen. Das mehrfach zitierte Gemeinschaftsgefühl habe ich dort am stärksten empfunden. Es ist für mich Antrieb und Ziel gleichermaßen.
Michael Schmidt: So, jetzt habe ich dich genug gelöchert. Noch ein Wort an die Meute dort draußen!
Claudia Rapp: Seid nächsten Sommer alle dabei, wenn die Community aus ganz Europa in Berlin zusammenkommt! 2. Bis 5. Juli 2026, alles Weitere unter metropolcon.eu
Und nicht vergessen: zum 1.10.25
steigen die Preise, also jetzt Member werden!


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