Lesegewohnheiten!
Es
wird eine Sau durchs Dorf getrieben. Science Fiction und Frauen! Im vorliegenden Falle
geht es um Autorinnen und deren Diskriminierung. Der Anlass dazu ist vielfältig
und geht wohl auf Diskussionen in der englischsprachigen Science Fiction
zurück, in der die Science Fiction als von weißen alten rassistischen Männern dominiertes
Genre dargestellt wird. Aktuell dreht sich die Diskussion aber vor allem um
eine Liste von deutschsprachigen Science Fiction Autorinnen, die wegen fehlender
Relevanz von Wikipedia gelöscht wurde und einen Kleinkrieg zwischen diesen
Fronten ausgelöst hat. An der Stelle möchte ich nicht verschweigen, dass die
Wikipedia dem Vincent Preis
ebenfalls die Relevanz verwehrt.
Zugegebenermaßen
gibt es Aspekte in der Science Fiction, die bejahen, dass es sich um ein angestaubtes Genre
handelt. Viele erfolgreiche Science Fiction Autoren sind männlich, die Themen wie Weltraumschlachten
(neudeutsch Military SF), Wissenschaft/Technik oder das Heldentum sprechen ebenfalls dafür.
Dagegen
sprechen aber Strömungen wie die damalige New Wave of
Science Fiction, in der völlig andere Themen aufkamen. Das war aber auch einer Umbruchzeit geschuldet. Man denke nur die gesellschaftlichen Strömungen damals,
Stichwort 68er. Aktuell haben wir auch einen Umbruch, aber eher einen
rückwärtsgewandten, wie man ja an Trump und AfD unschwer erkennen kann, und
sowas macht vor literarischen Strömungen kaum halt.
Science Fiction und Frauen, kritisiert wurde vor allem, das Autorinnen in Literaturpreisen
nicht berücksichtigt wurden. Die Nominierungen des
DSFP 2019 zeigen 7 Autoren und 4 Autorinnen bei Kurzgeschichten, 10 Autoren
und 2 Autorinnen bei Romanen. Den Roman Hier
ist es schön von Annika Scheffel habe ich begonnen, aber motiviert, zu Ende
zu lesen, wurde ich leider nicht.
Bei den Kurzgeschichte Coming Home von Tetiana Trofusha ist eine Androidin die Hauptperson, die Geschichte ist explizit weiblich, sowohl von der Herangehensweise sehr interessant, als auch vom Thema. Dass sie mir persönlich nicht zugesagt hat, steht auf einem anderen Blatt.
Bei den Kurzgeschichte Coming Home von Tetiana Trofusha ist eine Androidin die Hauptperson, die Geschichte ist explizit weiblich, sowohl von der Herangehensweise sehr interessant, als auch vom Thema. Dass sie mir persönlich nicht zugesagt hat, steht auf einem anderen Blatt.
Der
DSFP wird von einer Jury ermittelt. Wie viele Frauen da mitstimmen, ist der
Öffentlichkeit unbekannt und daher kann nicht genau ermittelt werden, ob die Jury in irgendeiner Form repräsentativ ist. Der generelle Geschmack des DSFP scheint
aber schon eher altbacken wenn man sich die Werke ansieht, die dort regelmäßig
auf der Nominierungsliste landen und befeuert natürlich die oben genannten
Vorwürfe. Allerdings ist schwer zu ermitteln, welche herausragenden Werke nicht
berücksichtigt wurden. Vergessen darf man auch nicht, dass es jedes Jahr
Diskussionen darüber gibt, welche Werke dort zu Unrecht fehlen, unabhängig vom
Geschlecht des Verfassers und auch unabhängig von einer inhaltlichen
Ausrichtung.
Der
KLP
2019 ist schon entschieden und bei den Kurzgeschichten landete mit Baum Baum Baum eine Öko-SF
Kurzgeschichte auf einem beachtlichen Platz 2. Die Autorin Heidrun Jänchen war
in der Vergangenheit regelmäßig nominiert und ist ein gutes Beispiel, dass es
nicht auf das Geschlecht, sondern die Fähigkeit der Autorin ankommt, denn sie
schreibt sehr gut, packt wirklich interessante Themen an und ist damit eine der
besten deutschen Kurzgeschichtenautoren. Leider hat sie sich dazu
entschieden, ihre Energie an anderer Stelle als beim Schreiben einzusetzen. Heidrun Jänchen gewann 2009
den KLP als Bester Erzählung, der diesjährige Thorsten Küper, qualitativ
meines Erachtens auf gleicher Ebene, musste zehn Jahre länger warten. Man
sieht, es hängt weder am Geschlecht noch an der Qualität. Preise haben ihre
eigenen Regeln.
Beim
KLP
2019 wurde bei den Romanen nur eine Autorin nominiert, das war Judith C.
Vogt mit Roma Nova, da gebe ich ehrlich zu, hat mich das Konzept nicht
angesprochen. Theresa Hanning,
die Initiatorin der ganzen Diskussion, wurde mit ihrem Buch ebenfalls nicht
nominiert, sagen kann ich dazu wenig, da ich es nicht gelesen habe.
Schauen
wir ein klein wenig über den Tellerrand hinaus. Die Ergebnisse
des Vincent Preis 2018 sind verfügbar. Horror und unheimliche Phantastik ist ebenso eine
Männerdomäne wie die Science Fiction, beim Vincent Preis kann allerdings jeder abstimmen, es
gibt keine Gremien wie bei den beiden Science Fiction Preisen. Gewonnen bei den Romanen hat
Faye Hell mit Rigor Mortis, nachdem
sie in der Vergangenheit schon zweimal hintereinander mit der Beste Kurzgeschichte
gewonnen hat. Auf Platz 4 landete mit Der
Vogelgott von Susanne Röckel ein unheimlicher Roman, der gleichzeitig für
den Deutschen Buchpreis nominiert war und unter die ersten sechs kam. Der Vogelgott ist sehr lesenswert und
ebenso nicht spezifisch weiblich. Es wird eine düstere Familiengeschichte aus
vier Perspektiven erzählt, nur eine ist weiblich. Auch aus anderen Perspektiven
ist die Geschichte positiv geschlechtslos geschrieben, der Roman ist einfach
gut und wäre er von Sascha Röckel, wäre das Buch wohl kaum anders.
Wie
man sieht, es gibt schon herausragende Geschichten von Autorinnen und das wird
auch mehr oder minder honoriert, aber es gibt eher selten eine weibliche Art
der Geschichtenerzählung. Julia Annina Jorges ist so eine, einfach mal die
Besprechung zu Symbiose
lesen. In der englischsprachigen Phantastik ist das anders, da gibt es
schon mehr Beispiele für, ich sage mal, spezielle Literatur. Jennifer
Foehner Wells hat mit Frequenz eine sehr weibliche Sicht des Erstkontakt
verfasst. Ich gebe zu, ich fand es grottig. Beliebt ist Becky Chambers, aber
ihr Der
lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten war mir persönlich zu seicht. Nnedi
Okorafor schreibt weiblich und afrikanisch, Wer
fürchtet den Tod fand ich trotz anfänglicher Faszination insgesamt aber
doch sehr mäßig. Bei diesen drei Beispielen muss ich mich also Schuldig im
Sinne der Anklage bezeichnen. Drei weibliche Science Fiction Romane (wenn ich das mal so
salopp formulieren darf), alle drei sind bei mir durchgefallen. Auch Octavia
E. Butler – Kindred und Margaret
Atwood - Der Report der Magd gefielen mir nur bedingt. Scheinbar bin ich
einer der alten weißen Männer, wenn ich mir so meine Urteile anschaue.
Es
gibt aber natürlich auch Romane von Autorinnen, die ich besonders großartig
fand. Pat Cadigan z.B. mit Snyder und Bewusstseinspiele
ist eine der großartigsten Vertreterinnen des Cyberpunk (und die weibliche Form
nehme ich hier als allgemeine, Cadigan ist vielleicht sogar mein absoluter
FavoritIn des Cyberpunk). Marge Piercy mit Er, Sie und Es sowie Die
Frau am Abgrund der Zeit gehört ebenfalls zum Besten was ich jemals von phantastischer
Literatur gelesen habe. Wenn man das so rekapituliert bin ich dann doch nicht
einer der alten weißen Männer. Ich bin einfach ein Leser phantastischer
Literatur, dem gefallen gewisse AutorInnen und Themen besser als andere und da
befinde ich mich in guter Gesellschaft mit dem Großteil der Leser.
Man
sieht, die Welt ist weder schwarz noch weiß. Als Leser sollte man immer
versuchen offen zu sein, aber man hängt auch in seinen Gewohnheiten fest. Am
Schluss möchte ich noch meine Leseliste 2019 zu Rate ziehen, die sich allerdings nicht auf phantastische Literatur beschränkt. Und siehe da, neben
gemischten Anthologien (bei denen ich beim besten Willen keine
autorengeschlechtliche Referenz bei der Bewertung der Geschichten erkennen
kann), sieht die Verteilung wie folgt aus: 23 Bücher von Autoren und 8 Bücher
von Autorinnen. Unbedingt empfehlen möchte ich das sehr weibliche Buch von Carmen
Maria Machado – Ihr Körper und andere Teilhaber, der ebenfalls sehr
weibliche Kurzroman Xoa von
Lisanne Surborg und Kerstin
Ehmers Die schwarzer Fee (Krimi).
Und als Werbung in eigener Sache möchte ich noch zwei Kurzgeschichten von Autorinnen, die beide für eine Preis nominiert wurden, empfehlen:
G.V. Anderson mit Das Steingeschöpf in Schiff der Spione sowie Carrie Laben mit Postkarten von Natalie in Zwielicht 12.
Ich denke, da muss man differenzieren. In der Diskussion werden oft zwei grundverschiedene Sachen, nämlich "Science Fiction von Autorinnen" und "Science Fiction für Leserinnen" zusammengewürfelt, und das tut weder der Auseinandersetzung mit dem Thema, noch den Werken gut.
AntwortenLöschenPat Cadigan (danke, danke, danke für die Nennung) zum Beispiel ist eine Autorin, wo man beim Lesen keinen einzigen Moment lang das Gefühl hat, hier wird für eine bestimmte (weibliche?) Zielgruppe geschrieben. Ebensowenig wie bei "Die Frau am Abgrund der Zeit", obwohl es die Frau im Titel trägt.
Und dann gibt es, wie du selbst schreibst, "sehr weibliche Bücher" (was auch immer das genau sein mag), die aufgrund ihrer Qualität ungeachtet des Geschlechts der Rezipienten gut ankommen.
Kritischer wird es, wenn sich Bücher alleine darauf stützen. Man möge mich dafür kreuzigen, aber Ann Leckies Maschinen war vielleicht ein gewagtes, großes sprachliches und erzählerisches Experiment, dass für den Mut den Hugo von mir aus verdient hat. Als Science Fiction und Unterhaltungsliteratur ist es allerdings an der breiten Masse von Leserinnen und Lesern gleichermaßen gescheitert.
Man kann die Sau am besten wieder aus dem Dorf treiben, wenn man ein paar klare Trennlinien zieht:
Männlicher Autor bedeutet NICHT Buch für (alte, weiße) Männer.
Männlicher Protagonist ebenso wenig.
Autorin bedeutet nicht automatisch "weibliches Buch" oder Buch für Frauen.
Weibliche Protagonistin übrigens ebenso wenig.
David Webers Honor Harrington ist seit beinahe schon Generationen der Prototyp einer starken Frau der Military SciFi, trotzdem ist die Leserschaft großteils männlich.
Im deutschsprachigen Bereich kommen aktuell die Romane von Ivan Ertlov (insbesondere Mutation) bei weiblichen Lesern sehr gut an - mich musste meine bessere Hälfte förmlich zwingen, zu meinem Glück. Generation 23 von ihm ist meiner Meinung nach sogar eher ein "weibliches" Buch, ohne deswegen für mich weniger spannend zu sein.
Umgekehrt - Das ebenfalls von dir genannte Rigor Mortis ist ungeachtet des Geschlechts (oder Genders) von Lesern, aber auch Protagonisten einfach nur großartige Unterhaltung. Kudos an die Autorin.
Fazit:
Wenn man sich schon mit der Sau beschäftigen will, dann sollte man eher dorthin blicken, wo Entscheidungen für eine Veröffentlichung getroffen werden. Werden hier Autorinnen von den Entscheidungsträgern in den Verlagen für manche Genres aufgrund ihres Geschlechts weniger oft berücksichtigt und angenommen? Dann haben wir ein Problem.
Aber bei den veröffentlichten Werken ist es der Geschmack und das Wohlwollen der Leserinnen und Leser, die letztendlich entscheiden.