Die brennenden Männer

  Ein Haufen Kurzgeschichten haben sich im Laufe der Zeit angesammelt. Geschichten verschiedenster Genres, verschiedenster Art. Zeit genug, die Geschichten Stück für Stück zu präsentieren:



In Neuer Stern 85 findet sich meine Gruselgeschichte Die brennenden Männer, die 1917 in Siebenbürgen spielt und auf einer Legende fußt. Die Andromeda Nachrichten 280 fanden lobende Worte wie man hier nachlesen kann.


Siebenbürgen, Herbst 1917

Beine

Wald soweit das Auge reichte. Nachdem es stundenlang bergab ging und ich meine schwindenden Kräfte schonen konnte, schien der Aufstieg kein Ende zu nehmen. Die Knobelbecher sanken mit jedem Schritt schmatzend in den allgegenwärtigen Matsch der aufgeweichten Erde. Das Mauser 98 hielt ich wie einen Rettungsanker fest. Sie war meine letzte Hoffnung. Die Handgranaten hatte ich leichtfertig verloren und die Luger wollte ich als Faustpfand benutzen, sollte ich in die Hände der Russen fallen.

Ich hatte vor Gott und dem Kaiser geschworen, dem deutschen Vaterlande treu zu sein und so würde ich kämpfen bis zum Schluss. Kein Russe würde mich von dieser Linie abbringen und ich war bereit, den letzten Schritt zu gehen, bevor ich in den russischen Folterkammern meinem Schwur abtrünnig werden würde. Die letzte Kugel der Luger war für mich reserviert.

Links, rechts, links, rechts.

Ein Schritt nach dem anderen, die Beine geschmeidig, wie es sich für einen deutschen Landser gehörte. Ich ignorierte die brennenden Muskeln, den schmerzenden Rücken und das allgegenwärtige Hungergefühl. 

Stattdessen bewunderte ich die zahlreichen und vielfältigen Bäume und Sträucher, die meinen Weg säumten. Fichten, Tannen, Kiefern, Birken, Buchen und Eichen. Siebenbürgen war eine Augenweide. Einfach jeder Naturliebhaber musste die Gegend zu schätzen wissen und auch ich, der aus dem Riesgengebirge stammte, konnte dieser Schönheit etwas abgewinnen.

Normalerweise. Doch jetzt war ich auf der Flucht. Mein Landwehrkorps der 9. Armee war noch keine zwei Wochen in Siebenbürgen stationiert, da geriet meine Patrouille in einen Hinterhalt und wir wurden ausgelöscht. Mir gelang im letzten Moment die Flucht, im Hagel der Projektile flüchtete ich ins Unterholz und nur Gott wusste, wie ich das unverletzt geschafft hatte. Seit mittlerweile zwei Tagen jagten mich die Russen gen Osten und mir war nichts Anderes übriggeblieben, als die Beine in die Hand zu nehmen und auf mein Glück zu hoffen. 

Im April hatte Lenin seine Thesen veröffentlicht und die Gerüchte über eine kommende Revolution wurden immer lauter. Der Russe stand davor, aus dem Krieg auszuscheiden, da waren sich meine Kameraden und ich sicher. Doch die Oberste Heeresleitung zog uns trotz allem an die Ostfront und ich hatte das unglaubliche Pech in diesen Hinterhalt zu geraten und spürte jetzt den Russen im Nacken. 

Immer weiter trieben mich meine Beine, über Stock und Stein, durch Schluchten und Täler, ich durchquerte Flüsse und überquerte Pässe, doch es war absehbar, dass mein Weg ein Ende finden würde. Zwei Tage ohne Schlaf, die letzte Ration hatte ich vor sieben Stunden zu mir genommen, und ich stolperte mehr als dass ich marschierte, gehetzt wie ein wehrloses Wild.

Links, rechts, links, rechts.

Mein Vaterland, ich habe dir immer treu gedient. Geliebter Kaiser, ich werde dir keine Schande bereiten.

Rechterhand entsprang ein kleiner Wasserfall dem Felsen. Sofort eilte ich dorthin und trank gierig das kühle Nass. Der Bauch schmerzte nach den ersten Schlucken, aber ich wusste, das würde nachlassen und der Magen würde kurze Zeit Ruhe geben. Ich gönnte mir ein paar Minuten der Ruhe, trank mehrmals, doch als ich spürte, wie sich Mattigkeit in mir breitmachte, riss ich mich hoch, packte mein Mauser und marschierte weiter.

Links, rechts, links, rechts.

Volle Konzentration, marsch, marsch. Ich fegte meinen Kopf frei, folgte dem Drill, der mich in diesen Krieg geführt hatte. Nicht nachdenken, nicht hinterfragen, nicht nachlassen.

Links, rechts, links, rechts.

Immer voran, den Kopf immer erhoben. Ich war eine Maschine, getrieben vom Dampf der Vaterlandsliebe. Ein deutscher Soldat gibt nicht auf und kennt keine Schwäche.

Links, rechts, links, rechts.

Ich hörte ein Pfeifen, die Welt drehte sich, Dreck spritzte auf, dann erst nahm ich den Knall war und lag am Boden, während der Schmerz wie eine Woge über mir zusammenbrach. Ein weiteres Pfeifen, ein weiterer Knall, dann wurde es dunkel.


Arme

Das Heulen des Wolfes weckte mich. Ich lag da, zerschlagen, die Glieder brannten und die Zuversicht sank wie die Sonne, die am Horizont gute Nacht sagte. 

Geliebter Kaiser, womit habe ich das verdient?

Es verging Minute um Minute, Stunde um Stunde, mittlerweile war es finster wie Hans Muff. Ich war bereit zum Sterben, doch das Jaulen hatte mich zurück ins Leben gerufen. In mir breitete sich eine urtümliche Panik aus. Dieses Mal war es nicht die Angst vor dem Russen, sondern die Angst vor dem Raubtier.

Ich versuchte mich aufzurichten, doch jede Bewegung badete mich in Schmerzen und erst mehrere Sekunden später registrierte ich, dass ich schrie. Ich brüllte meinen Schmerz und meine Verzweiflung in die menschenleere Landschaft von Siebenbürgen. 

Wo blieb der Russe? Der Feind war mir jetzt fast lieber als der drohende Wolf. Ich tastete nach meiner Mauser und tatsächlich fand ich sie direkt neben mir. Ich packte sie wie ein Rettungsanker und versuchte die Umgebung im Blick zu halten. Am Himmel thronte der Vollmond und spendete ein wenig Licht. Einen halben Tag hatte ich mittlerweile verloren und scheinbar hatte der Russe gedacht, mich erledigt zu haben. Achtlos hatte er mich im Dreck liegen lassen.

Mittlerweile wusste ich was mir so Schmerzen verursachte. Die Granate hatte mir Teile meiner Beine weggerissen. Ich wusste nicht, ob es Teile meiner Füße oder gar das ganze Bein erwischt hatte oder ob es nur Splitter waren, die meine Wadenmuskeln getroffen hatten und wie der Teufel schmerzten. Jeder Bewegung geriet zur Qual und ich vermied es tunlichst, allzu genau hinzublicken. Ich fingerte in meiner Patronentasche und fand einen Beutel Kokain, den mir mein Vater zugesteckt hatte bevor ich in den Krieg zog mit dem Versprechen, es immer bei mir zu tragen. Der Moment war gekommen, sein Geschenk zu schätzen.

Zitternd riss ich den Beutel auf, stob mir ein Teil des Pulvers auf den Handrücken und schnupfte es. Mein Herz hämmerte, während das Leben aus mir floss. Ich schnupfte eine weitere Prise, verstaute das Kokain gewissenhaft und legte mich zurück.

Ich würde den Rest noch brauchen, diese Einsicht schien mir unverrückbar. Jetzt wartete ich bis die Wirkung des Kokains eintrat. Mein Vater beschrieb die Wirkung in den blumigsten Farben und beschwor mich, wenn ich Schmerzen erleiden müsste, würde der weiße Stoff meine Rettung sein.

Und tatsächlich, langsam machte sich die Wirkung bemerkbar. Ich dankte meinem Vater in Gedanken und machte mich daran, meine Situation zu verbessern. Der Russe war weg, der Wolf drohte mit seinem Geheul in der Ferne, doch ich war noch nicht bereit zu sterben.

Mein Schwur vor Gott galt noch und meine Mauser würde Blei spucken, sobald ich den ersten Russen auf diesem Pass erblicken würde oder eine blutrünstige Bestie sich mir nähern würde. Ich richtete mich mit den Armen auf, den Schmerz so gut wie möglich ignorierend und bettete mich an einen Felsen, sodass ich einen Überblick über die Schlucht hatte. Ich riss mir den Stoff vom Tornister und band notdürftig meine zerfetzten Beine ab. Es war keine richtige Presse, dafür fehlte mir die Kraft und Zuversicht und immer wieder verlor ich für kurze Zeit das Bewusstsein. Aber es war besser als nichts. 

Vater, du würdest stolz auf deinen Sohn sein, wenn du ihn jetzt sehen könntest. 


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