Sascha Dinse (Interview)
Michael
Schmidt: Hallo Sascha, stell dich den Zwielicht Lesern doch mal vor!
Sascha
Dinse: Also gut, ich versuch das mal in Kürze. Ich bin 35, lebe und arbeite in Berlin. Hauptsächlich bin ich als
freiberuflicher Dozent für
Medienkompetenz unterwegs, halte Vorträge
und führe
Lehrveranstaltungen durch. In 2015 möchte
ich mit meiner Promotion beginnen.
Daneben
schreibe ich Kurzgeschichtena aus den Genres Horror, Science-fiction und
(seltener) Fantasy. Ich arbeite parallel an einem Roman, habe derzeit aber nur
wenig Zeit zum Schreiben. Hin und wieder mache ich elektronische Musik,
komme dazu aber noch seltener als zum Schreiben.
Als
Inspirationsquellen dienen mir z.B. die älteren Werke von Stephen King, von ihm besonders "Stark -
The Dark Half", das ich für
eine seiner besten Arbeiten halte. Daneben bin ich großer Film-, Musik-, Games- und Serienfan, bin als Goth dem
Morbiden und Makaberen natürlich
durchaus zugeneigt und finde oft auch im Alltäglichen Dinge, die mich zu bestimmten Geschichten inspirieren.
Michael
Schmidt: Du gibst mit „23b“ deinen Einstand in Zwielicht V und hast sofort für Furore gesorgt. Dabei ist es
nicht die typische Horrorgeschichte a la Lovecraft oder Poe. Versuch doch mal
einen potenziellen Leser für
„23b“ zu begeistern!
Sascha
Dinse: Ich mag Geschichten, in denen sich der Schrecken langsam entfaltet, die
unerwartete Wendungen enthalten, langsam ins Surreale abdriften und die den
Leser herausfordern, selbst zu interpretieren, was dort wirklich geschieht.
Letztlich schreibe ich so, wie es selbst gern lesen würde.
Wie
die meisten meiner Geschichten, beginnt auch "23b" mit einer alltäglichen Situation. In das
Apartment neben dem des Erzählers,
nämlich in Nummer 23b, zieht
eine neue Nachbarin ein. Beide lernen sich kennen, verbringen Zeit gemeinsam
und dann … geschehen
seltsame Dinge. Verstörende
Visionen, Erinnerungslücken
und bizarre Ereignisse lassen den Erzähler
langsam aber sicher an seinem Verstand zweifeln. Irgendwas scheint mit der
neuen Nachbarin nicht in Ordnung zu sein …
Michael
Schmidt: Hast du einen Favorit in Zwielicht V!
Sascha
Dinse: So eindeutig kann ich mich da nicht festlegen. Es gibt einige
Geschichten, die Elemente enthalten, die mir gefallen. "Obskure
Bettgesellen" von Michael Bönhardt
mag ich für die angenehm
gemeine Art, wie die Geschichte endet, "Sterben wie Iggy Pop" von
Dominik Grittner dafür, dass
das psychologisch-mystische Element hinter den Geschehnissen nur angedeutet
wird, statt plakativ im Mittelpunkt zu stehen und "Das Auge" von
Angelika Pauly mag ich für
die recht skurrile Grundidee, wenngleich ich hier die ganze Zeit auf ein böses Ende gehofft hatte und dann
doch leicht enttäuscht wurde
:)
Michael
Schmidt: Gibt es weitere Geschichte dieser Art aus deiner Feder?
Sascha
Dinse: Ich arbeite gerade an einigen weiteren Geschichten, die vom Stil her
vergleichbar sind. Allerdings versuche
ich, mich nicht zu wiederholen. Jede Geschichte soll möglichst einzigartig sein. Das kommende Material wird teils ähnlich verschachtelt und surreal
sein wie "23b", soviel kann ich schon mal verraten. Auf
"Hollowbrook" darf man ebenso gespannt sein wie auf "Risse"
oder "Isabelle". Aber dazu später
mehr.
Michael
Schmidt: In Zwielicht Classic VI ist deine Geschichte „Jahrestag“ erschienen. Sie ist damit schon dreimal erschienen.
Sascha
Dinse: Der Erfolg von "Jahrestag" überrascht und erfreut mich in der Tat sehr. Ursprünglich habe ich die Geschichte für den HALLER verfasst, im Rahmen
einer "Halloween"-Ausschreibung. Dabei sollte nicht der Horror im
Vordergrund stehen, sondern eher eine gewisse Stimmung. Nach der Veröffentlichung im HALLER 9 fragte mich die Herausgeberin an, ob
die Geschichte auch in einer weiteren Anthologie erscheinen könnte. Und etwas später kam dann noch Zwielicht Classic VI dazu. Interessant finde ich, dass auch eine Geschichte wie
"Jahrestag", die eher subtil vorgeht und auf exzessives Gesplatter
oder dergleichen (weitestgehend) verzichtet, so gut angenommen wird. Es muss
also nicht immer "Hostel" sein, was mich persönlich sehr beruhigt. Grafische Gewalt, z.B. in Filmen nehme
ich als Stilelement durchaus an, bei mir funktioniert aber "The Ring"
sehr viel besser als "I spit on you grave", da ich Horror mag, der
sich im Kopf abspielt. Was nicht heißt,
dass in meinen Geschichten kein Blut fließt, wie "23b" ja beweist.
"Jahrestag"
ist meine Interpretation einer Lovestory, für meine Verhältnisse
richtig romantisch und trotzdem auch ein wenig gemein.
Michael
Schmidt: Du hast noch mehr im Literaturmagazin Haller veröffentlicht…
Sascha
Dinse: In den Anthologien "Blutmond" und "Schatten des
Grauens" sind von mir neben "Jahrestag" noch "Funken"
und "Fegefeuer" enthalten. Während
"Funken" mit knapp vier Seiten sehr kurz ausfällt und seine Geschichte dadurch recht komprimiert erzählt, ist "Fegefeuer"
eher ein längeres
Psychogramm des Erzählers.
Die Erzählstruktur ist
linearer als in "23b", die Grundstimmung fällt aber ähnlich
düster aus. Der Gewaltgrad
ist durchaus hoch, höher als
in "23b" auf jeden Fall, und um die Geschichte zu verstehen, muss man
zum Teil die Szenen als das erkennen, was sie sind: Metaphern. Ich habe mir
durchaus was dabei gedacht :)
Michael
Schmidt: Du schreibst nicht nur Horror wie ein Blick auf dein Blog
zeigt. Sind deine Interessen so vielfältig
oder bist du als Autor noch auf der Suche nach Orientierung?
Sascha
Dinse: Ich bin in der Tat sehr vielseitig interessiert und schreibe daher auch
verschiedene Genres. "Das Alison-Szenario" z.B., eine
Sc-fi-Geschichte, die unlängst
auch in
einer Anthologie erschien, ist von "The Outer Limits"
inspiriert, einer Sci-fi-Serie, die mich stark beeinflusst hat. Als großer "Doctor Who"-Fan,
"Star Trek"-Liebhaber und generell Sci-fi-Vielgucker ist das auf
jeden Fall ein Genre, dem ich neben dem Horror treu bleiben werde. Zeitreisen
und damit zusammenhängende
Paradoxien, Raum-Zeit-Anomalien und dergleichen faszinieren mich zu sehr, um
diese nicht auch in Geschichten unterzubringen.
Dabei
ist all meinen Geschichten gemein, dass sie fast immer Horrorelemente besitzen.
Auch in "Das Alison-Szenario" gibt es solche Momente, wobei die
Geschichte selbst eindeutig dem Sci-fi-Genre zugeordnet werden kann.
Geschichten wie "Asche", die ich gerade plane, muss ich als
Sci-fi-Horror klassifizieren, da sie sich nicht eindeutig einem der Genres
zuordnen lassen. Inspiration finde ich z.B. in Filmen wie "Event
Horizon" oder Spielen wie "Dead Space", die auf ihre Art die
beiden Genres verbinden und natürlich
im schon angesprochenen "The Outer Limits", hier sei mal die Episode
"Quality of Mercy" (Season 1, Ep. 13) exemplarisch genannt. Großartiges Kammerspiel zwischen
Robert Patrick (u.a. der T-1000 aus Terminator 2) und Nicole deBoer (u.a. Ezri
Dax aus Deep Space Nine) mit einem wirklich gemeinen Ende.
Fantasy
spielt für mich eine eher
untergeordnete Rolle. Mit "Ein neuer Morgen" ist gerade eine
Geschichte von mir veröffentlicht
worden, die Elemente wie Magie mit einem leicht steampunkigen Touch kombiniert,
natürlich finden sich auch
darin düstere Momente.
Michael
Schmidt: Du schreibst seit 15 Jahren, hast aber andererseits erst sieben
Geschichten veröffentlicht.
Welche Schwierigkeiten hat ein unbekannter Autor und wie kann er auf sich
aufmerksam machen? Veröffentlichst
du gezielt oder eher dort, wo sich eine Gelegenheit ergibt?
Sascha
Dinse: Ich schreibe zwar schon recht lange, früher überwiegend
Gedichte, doch das Ziel war nie eine Veröffentlichung. Eher sowas wie das gezielte Kanalisieren der
eigenen Gefühle in
Schriftform. Das Schreiben war und ist für mich ein notwendiges Ventil, um kreative Energie
loszuwerden, quasi literarischen Druck abzubauen. Lange Zeit Ideen im Kopf mit
sich rumtragen zu müssen,
ohne sie aufschreiben zu können,
bereitet mir psychisches Unwohlsein. Daher habe ich mir angewöhnt, Inspiration und
Geistesblitze mit Werkzeugen wie Evernote zu sammeln, damit sich das nicht in
meinem Kopf anstaut.
Irgendwann
2012 habe ich dann begonnen, mich für
Ausschreibungen zu interessieren, und habe es mit "Funken" auch
gleich mit der ersten (!) von mir jemals für eine Ausschreibung verfassten Geschichte zu einer Veröffentlichung gebracht. Das hat
mich natürlich motiviert
weiterzumachen. Anscheinend kommen meine literarischen Kreationen gut an, fast
alles, was ich bei Ausschreibungen einreiche, wird auch veröffentlicht. Ich kann leider im
Augenblick nur sehr wenig Zeit ins Schreiben investieren, pro Woche teils eine
bis zwei Stunden. So betrachtet sind sieben Veröffentlichungen richtig viel und ich freue mich sehr darüber. Plan für 2015 ist natürlich, viel mehr zu schreiben und
auch zu veröffentlichen.
Ich
nutze natürlich diverse Kanäle in Social Networks, also mein Blog, meine
Schriftstellerseite
bei facebook, Twitter oder (zum Teil) instagram,
um u.a. über meine
schriftstellerischen Aktivitäten
zu berichten. Auch Gruppen in facebook sind sehr hilfreich, wenn man Kontakt zu
anderen Autoren sucht oder Fragen hat, beispielsweise zu Erfahrungsberichten
mit Plattformen wie Amazon, Neobooks & Co. Ich will demnächst den Schritt zum
Self-Publishing gehen und meine gesammelten Werke als e-Book veröffentlichen. Daneben suche ich
zum Teil gezielt nach Ausschreibungen zu den Genres, in denen ich aktiv bin, so
habe ich damals z.B. auch die Halloween-Ausschreibung im HALLER gefunden.
Langfristig möchte ich natürlich meinen Roman bei einem
Verlag unterbringen. Ich schätze
zwar die Unabhängigkeit
(nicht zuletzt deswegen bin ich ja Freiberufler), aber als unbekannter Autor
heutzutage auch nur ansatzweise mit der Schriftstellerei Geld zu verdienen ist
schwer. Zumindest, wenn man keine tatkräftige
Unterstützung eines Verlages
hat. Und selbst dann ist es bei der enormen Konkurrenz auf dem Markt ein gutes
Stück Arbeit, den eigenen
Namen und die eigenen Werke publik zu machen. Zumal meine Geschichten und auch
der kommende Roman nicht unbedingt dem Bestseller-Muster des generischen
Baukasten-"Thrillers" folgen, sondern schon eher Special-Interest
sind. Für mich sind daher
Anthologien, in denen meine Geschichten veröffentlich werden, Teile meines "Personal Brandings",
sie helfen mir, meinen Namen als Autor bekannt zu machen.
Michael
Schmidt: Welche Geschichten stehen vor der Veröffentlichung und worum geht es da?
Sascha
Dinse: Oh, das ist eine gemeine Frage. Ich habe den Kopf voller Ideen, einiges
ist als Entwurf auch schon fertig, aber, ach!, es fehlt gerade die Zeit.
Was
demnächst an Kurzgeschichten
fertig wird und dann auf die eine oder andere Art seinen Weg zu einer Veröffentlichung finden wird:
"Isabelle"
- Ein Bildhauer, der bizarre und verstörende
Kunst schafft, lernt seinen größten
Fan kennen - Isabelle. Sie tut alles, um ihn zu inspirieren, um ihm zu helfen,
seine künstlerische Vision
zu erfüllen: das
schockierendste aller Kunstwerke zu erschaffen. Auch wenn das heißt, im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen gehen zu müssen. Und natürlich sind die Dinge nicht so,
wie sie anfangs scheinen. Aber das sind sie ja nie.
"Risse"
- Ein fehlgeschlagenes Experiment ist der Anfang vom Ende der Welt. Weltweit öffnen sich Risse in der
Wirklichkeit, schreckliche Wesen strömen
hindurch und verzehren alles. Die Menschheit steht diesem Angriff machtlos
gegenüber. Der Erzähler ist Teil des
Wissenschaftlerteams, das für
das Experiment verantwortlich war und versucht fieberhaft, herauszufinden, was
schiefgelaufen ist und ob man das Ende der Welt noch verhindern kann. Doch die
Wahrheit, die er entdeckt, ist schlimmer als jeder Alptraum.
"Hollowbrook"
- Der surreale Alptraum eines Mannes, der auf der Flucht ist. Auf der Flucht
vor etwas, das ihn auf Schritt und Tritt verfolgt, ihm keine Atempause gönnte und buchstäblich die Realität zum Einsturz bringt. Begonnen
hat all das, als er nach Hollowbrook kam, an den Ort, der ihm Ruhe und
Geborgenheit bringen sollte.
Auf
Veröffentlichungstermine
lasse ich mich hierbei aber nicht festnageln. When it’s done :P
Und
es passiert durchaus, dass mich eine bestimmte Idee anspringt und dann außer der geplanten Reihe unbedingt
geschrieben werden muss. Dann verschiebt sich die Planung natürlich. Aber so ist das mit der
Inspiration, sie kommt und geht halt, wie und wann sie will.
Michael
Schmidt: Was liest du selbst so?
Sascha
Dinse: Ironischerweise lese ich kaum selbst Horror oder Phantastik. Ich finde
kaum Zeit dazu. Zwar steht die Gesamtausgabe der Lovecraft’schen Geschichten bei mir im
Regal, aber ich komme kaum dazu. Bei Romanen schätze ich die "Dexter"-Reihe von Jeff Lindsay, früher habe ich viel Stephen King
gelesen, ein paar Sachen von Hohlbein, weniges von Clive Barker. Vielleicht ist
das eine Art Berufskrankeit, aber ich kann Romane und ganz besonders
Kurzgeschichten kaum entspannt lesen. Zu sehr sehe ich das durch die kritische
Brille des Schriftstellers, analysiere und bewerte, vergleiche und kritisiere,
statt mich einfach treiben zu lassen. Daneben beziehe ich Inspiration aus Sachbüchern über Theoretische Physik, Quantenmechanik und dergleichen, hin
und wieder lese ich Sartre oder Kierkegaard, wenn es mal Philosophie sein darf.
Michael
Schmidt: Was denkst du über
die deutsche Horror- bzw. Phantastik Szene und hast du Autoren, die dir
besonders imponieren?
Sascha
Dinse: Wie gerade schon angesprochen lese ich wenig Horror und Phantastik.
Nicht weil mich die Genres nicht reizen würden, sondern wegen der Mischung aus Zeitmangel und dem
bereits beschriebenen Unvermögen,
mich einfach treiben zu lassen, statt den professionellen Blick auf das
Geschriebene zu legen.
Insgesamt
wünsche ich mir, dass gerade
Horror und Science-Fiction wieder mehr Bedeutung auch in den Regalen der Buchhändler gewinnen. Aus meiner Sicht
sind es gerade diese beiden Genres, die in den Lesern Bewusstseinsprozesse in
Gang setzen können, seien es
nun Gedanken über zukünftige technologische
Entwicklungen und deren Konsequenzen oder sei es die Auseinandersetzung mit den
eigenen Abgründen und Dämonen.
Michael
Schmidt: Noch ein Wort an die Leute dort draußen!
Sascha
Dinse: Meine einzige Empfehlung an all diejenigen da draußen, die selbst gern schreiben würden, sich aber nicht trauen,
weil sie sich nicht für
talentiert halten: Macht es einfach, schreibt. Letztlich hilft es auf jeden
Fall, um die Gedanken loszuwerden, niederzuschreiben, festzuhalten. Und man wächst an sich selbst. Gebt eure
Gedichte, Geschichten, Romane jemandem zu lesen, der euch ein ehrliches Feedback
gibt, alles andere ist Augenwischerei. Kein Autor beginnt damit, bereits die
perfekte Geschichte schreiben zu können.
Schreiben ist Weiterentwicklung und der erste Schritt dahin ist, überhaupt anzufangen.
An
dieser Stelle möchte ich
mich noch mal lobend zum Lektorat zu "23b" äußern. Achim Hildebrand hat hier einen wirklich guten Job gemacht und mir ermöglicht, aus dem guten
"23b" ein noch besseres zu machen.
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