Früher war alles besser
Früher, da war alles besser. Da war die Luft für den echten wilden Mann. Benzingeschwängert, voller Kohlenwasserstoffe. Der Lunge war es egal, die war schließlich geteert, Roth-Händle und Reval lassen grüßen. Wer will schon frische Luft in der Kneipe oder Disco? Der allgegenwärtige Qualm macht doch echt Atmosphäre und schließlich hat man doch genügend Lungenflügel und wenn man japst, nimmt man halt die Benzinschleuder. Bewegung ist was für Ökos.
Früher war geiler. Feinstaub war gar nicht so
fein, wenn die Fräsmaschine ihren Metallstaub in das geöffnete Maul blies. Die
Hände, verhornt und vernarbt, nur Weicheier und Warmduscher benutzten
Handschuhe, geschweige denn Schutzbrillen, die Linse musste doch geschliffen
werden und da sind Eisenspäne genau das richtige.
Früher, da gab es kein ABS und kein Airbag. Stabile Bleche, die hielten was aus, im Gegensatz zu den Fahrzeuginsassen. Wer zu schnell fuhr war, wenn er es richtig einstellte, halt direkt tot. Für alle anderen, ja, selbst schuld, so viele Autos waren ja gar nicht unterwegs und die meisten fuhren doch eh nicht unter anderthalb Promille. Ein guter Autofahrer fuhr besoffen am sichersten. Und wenn halt mal ein Fahrradfahrer von einem Laster überrollt wurde, mein Gott. Wer radelt schon und wenn, sollen die besser aufpassen. Im Autoverkehr gab es doch nur 20.000 Tote, heute sind es 3000, ist das vielleicht gut für die Rentenkasse?
Früher, da gab es auch Schnee. Da war es richtig kalt und wir haben stundenlang mit Schneebällen geworfen und sind Schlitten gefahren. Früher, da gab es auch keine Diskussionen über Klimawandel. Aber da war es im Winter immer kalt und der April, der machte was er will, im Zweifel sogar Frost. Im November gab es viele Feiertage, Buß- und Bettag beispielsweise, aber das war kein schöner Monat. Viel zu kalt und ungemütlich. Dafür hatten wir Sommer. Mücken, Wespen, ach ja, und dauernd ist man gestochen worden, das war echt übel. Wenn wir Päns Glück hatten, war der Sommer nicht verregnet. Aber früher war alles besser.
Früher war alles billiger. 19 Pfennige ein Ei, Butter 70 Pfennige für 100 Gramm und der halbe Liter Bier kostete 70 Pfennige. 6 Mark bekam man die Stunde und musste nicht mal 44 Stunden die Woche arbeiten. Aber der Sonntag, der war wenigstens was für die Familie. Da konnte man dann die Eltern und Schwiegereltern besuchen. Im Fernsehen gab es eh nur drei Programme und das nicht mal rund um die Uhr. Kinder bekam man viele, obwohl die Sterblichkeit nur noch bei 25 lag. Auch wenn sie heute 3,6 beträgt, ganz früher war es noch besser, 1910 waren es 160.
Früher hatte man noch Normen. Sonntags vormittags ging es in die Kirche und wurde über das doofe Kleid der Nachbarin gelästert. Unzucht gab es vor der Ehe nicht, da wurde geheiratet und danach konnte man ungehemmt vögeln, mal die Frau, mal die Schwester oder die Nachbarin, das war dann ja doch alles egal, Hauptsache man machte es stekum.
Überhaupt, wenn die Frau nicht parierte, wenn das Schnitzel zu schwarz war, da bekam sie eine gedongt und die blöden Plagen natürlich auch. Die Ehefrauen hatte es gut. Den ganzen Tag mit der Nachbarintratschen und sich die Nägel lackieren, das hätte man sich als Schwerarbeiter, der in der Mittagspause noch mit der Kollegin rummachen musste, auch mal gewünscht. Dann wollte die auch noch arbeiten, aber da habe ich gesacht, Sachte, du musst dich um den Haushalt kümmern und es mir schön machen wenn ich heim komm. Da haste keine Zeit dich selbst zu verwirklichen.
Früher, da hatten die Filme noch Handlung. Und da konnte selbst ich folgen, so gemütlich war das erzählt. Aber die ganzen Tricks waren ja auch leicht zu durchschauen, nicht wie heute, da sieht man gar nicht was echt und was falsch ist.
Früher war alles besser. Da gab es ordentlich Asbest, FCKW und Blei im Benzin. Da war die Luft geschwängert, da wusste man, die Firma läuft auf Hochtouren. Der Fluss war schön dreckig, da konnte ich alte Drecksau mich ordentlich suhlen, wenn es hinterher auch ganz schön juckte.
Früher, da war alles besser. Da hat der Chef nicht alles verklickert. Der hat einfach gesacht wo es langgeht und dann war ruh. Da gab es noch Respektspersonen, die waren unfehlbar. Die Ärzte, die Bullen und die Politiker. Die haben dir schon gesacht was du denken sollst. Und wenn du dat nicht kapiert hast, in der Bild, da stand das ganz genau.
Früher, da waren Männer noch Männer. Die starben wenigstens jung, unter 70, heute werden die ja fast 80. 1910 war das noch besser. Da verreckte man unter 50. Die Weiber werden auch immer älter, aber der Abstand schrumpft.
Früher gab es auch keine Künstliche Intelligenz, die vor der Entfesselung stand. Früher hatte man Angst vor Delirium furiosum, was bei hohen Geschwindigkeiten erwartet wurde. Früher gab es auch kein Corona, dafür AIDS oder die Grippeepidemie. Letztere war bestimmt besser, so in mies beheizten und schlecht isolierten Räumen und ohne die schlimmen Impfungen.
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