Philip K. Dick - Die drei Stigmata des Palmer Eldritchs


1965 erschien der Roman The Three Stigmata of Palmer Eldritch von Philip K. Dick.
Der Roman erschien auf Deutsch als LSD-Astronauten im Jahr 1971 bei Insel/Suhrkamp und 1997 neu übersetzt als Die drei Stigmata des Palmer Eldritch bei Haffmanns. 
Insgesamt wurde der Roman in dreiundzwanzig Sprachen übersetzt, dabei gibt es 90 verschiedene Ausgaben. Die meisten Übersetzungen eines Romans von Philip K. Dick hat Do Android Dreams of Electric Sheep mit 39 Übersetzungen und 230 Ausgaben. Bisher wurde der Roman nicht verfilmt, wenn sich Netflix auch 2023 die Rechte gesichert hat.

 



In den 60ern erschienen einige bemerkenswerte Romane von Dick:
Dr. Futurity /Schachfigur im Zeitspiel (1960)
The Man in the High Castle/Das Orakel vom Berge (1962)
Martian Time-Slip/Mozart für Marsianer/Marsianischer Zeitsturz (1964)
Clans of the Alphane Moon/Kleiner Mond für Psychopathen/Die Clans des Alpha-Mondes (1964)
Do Android Dreams of Electric Sheep/Blade Runner/Träumen Androiden von elektrischen Schafen? (1968)
Ubik (1969)
Galactic Pot Healer/Joe von der Milchstraße/Der galaktische Topfheiler (1969).

Das sind nicht alle Romane aus den 60ern von Dick, aber allein diese sieben sind alle auf ihre Art beachtlich. Das Orakel vom Berge gewann dabei als einziger den Hugo Award.
Die drei Stigmata des Palmer Eldritch ist aber besonders und sticht heraus. Der Roman wurde 1965 für den Nebula Award nominiert, als einer von zwölf. Gewonnen hat Dune von Frank Herbert, Dicks Roman Dr. Bloodmoney (1965) war ebenfalls nominiert.
Die drei Stigmata des Palmer Eldritch schrieb der Autor inmitten eine spirituellen Krise. Die Krise hat ihn dermaßen gefangen genommen, dass er nicht einmal die Korrekturfahnen las und den Roman niemals mehr selbst gelesen hat wie er in einem Interview berichtet:
Ich habe das Schreiben all dieser Bücher genossen. Doch das wichtigste von allen fehlt: DIE 3 STIGMATA DES PALMER ELDRITCH. Ich fürchte dieses Buch; es handelt vom absoluten Bösen, und ich schrieb es während einer tiefen Krise meines Glaubens. Ich beschloss, einen Roman zu schreiben, der das absolute Böse in Gestalt eines Menschen personifiziert. Als die Korrekturfahnen von Doubleday kamen, konnte ich sie nicht korrigieren, weil ich den Text nicht ertragen konnte, und das gilt noch immer.



 
Der Roman greift das Thema einer Kurzgeschichte auf, die 1963 erschienen ist. Zur Zeit der Perky Pat (The Days of Perky Pat) erschien 1963 in der Dezemberausgabe von Amazing Stories und ist eine Kritik am Mainstream und dem Kommerz. Perky Pat und Walt sind die Protagonisten einer heilen Welt der USA in den 50ern und gehen auf Barbie und Ken zurück. Mittels des Perky Pat Layout baut man sich eine Welt auf. Die Einzelteile dieser Welt sind Bausteine, die man erwerben kann. Diese erweitern die Möglichkeit der Welt. Die Welt existiert in der Vorstellungskraft derer, die mithilfe des Additivs Can-D, einer Droge, die man kauen kann, eine Welt erschaffen, die zwar real anmutet, aber keine Konsequenzen in der realen Welt hat. Wer also eine Affäre im Perky Pat Layout hat, oder gar jemanden dort umbringt, für die echte Welt ist das nicht relevant, weil es nur in der Vorstellungswelt passiert. Die Justiz kann einen nicht verurteilen. Auch gibt es in dieser recht statischen Welt nur diese zwei Personen. Die Erweiterungsidee mit den einzelnen Komponenten erinnert vor allem an Playmobil. Das Perky Pat Layout ist sowas wie die mechanische Version einer virtuellen Welt, die allerdings mittels Droge zum Leben erweckt werden muss.


Die drei Stigmata des Palmer Eldritch beginnt genau damit. Die zukünftige Welt ist heiß. In New York sind es tagsüber 70° im Schatten und man kann nur mit Kühlanzug vor die Tür. Barney Mayerson ist ein  Präkog und soll die neue Kollegin Rondinella Fugate aus China einarbeiten. Beide landen direkt am ersten Abend im Bett, da sie Präkogs sind und vorhersehen können, dass dies passieren wird und schieben es somit nicht auf die Lange Bank. Mayerson, der führende Pre-Fash-Berater von P.P.Layout in New York, droht der Wehrdienst. Das bedeutet, er muss, wenn er eingezogen wird, in die unwirtlichen Kolonien wie auf dem Mars oder den diversen Monden des Sonnensystems auswandern. Dort überleben die meisten nur durch die Droge Can-D und das Perky Pat Layout. Dadurch unter Druck konsultiert er regelmäßig den Psychiater Dr. Smile, einer Maschine, die er immer dabei hat, die mit dem Zentralrechner in seinem Apartment verbunden ist und seinen psychischen Zustand überwacht.

Die beiden Präkogs, können die Zukünfte ersehen, die aber nicht immer eintreffen, da sie nur mögliche Entwicklungen erkennen. Mayerson und Fugate arbeiten für Leo Bulero, dem Chef und Besitzer von P.P. Layouts, der ein Monopol für das Perky Pat Layout hat sowie für den illegalen Zweig seines Geschäfts, den Anbau und Vertrieb von Can-D, der Droge, die aus dem Layout erst eine lebendige Welt macht. Eine Welt, die von den Konsumwünschen von Perky Pat und Walt dominiert werden.


Doch es droht Ungemach. Palmer Eldritch, ein weiterer Großindustrieller und Gegenspieler von Bulero, kehrt nach Jahren zurück aus dem Proxy System. Eldritch hat nicht nur das Konkurrenzprodukt Connie Companion Layout, sondern auch mit Chew-Z eine Droge im Gepäck, die Can-D in allen Belangen überlegen sein soll. Aber Chew-Z ist laut Eldritch auch die Möglichkeit für die Proxer, auf ungewöhnliche Art eine Invasion im Solsystem zu starten. Beide Firmen sind sich natürlich spinnefeind und während Bulero die Polizei wie eine Marionette dirigiert, ist es bei Eldritch die UN. Zu allem Überfluss sehen die Präkogs, dass Bulero Eldritch ermordet, so lautet zumindest eine Zeitungsschlagzeile.


Das ist der Ausgangspunkt für einen Konflikt, in dem sich schnell zeigt, Chew-Z ist viel mehr als eine Konkurrenz für Can-D. So sagt Palmer Eldritch: „Sie haben sich geirrt", sagte Eldritch. "Ich habe im Prox-System nicht Gott gefunden. Sondern etwas viel Besseres.“
(Philip K. Dick – Die drei Stigmata des Palmer Eldritch, Heyne 2002, S.112)


Denn der Konflikt zwischen den beiden Mächtigen ist nicht nur ein Konflikt zwischen den beiden Geschäften, sondern auch zwischen der atheistischen Welt und einer religiösen Welt. Während Perky Pat und Can-D den Kommerz als Religion verkörpern, erschafft Chew-Z individuelle Welten.


Doch auch das ist noch nicht die volle Wahrheit. Denn weder war Palmer Eldritch auf Proxy, noch ist er zurückgekehrt. Denn es ist ein höheres Wesen, das in Gestalt Palmer Eldritchs zurückgekehrt ist und durch Chew-Z sein Überleben sichert.

Dabei ist nicht klar, ob der Außerirdische mit dem Aussehen Eldritch Gott ist oder zumindest gottähnlich. Am Ende kommt Barney Mayerson die Erkenntnis, dass Eldritch, also das äonenalte außerirdische Wesen, Gott ist. Ein Gott, der Böse ist oder zumindest alle Seiten in sich vereint (Kapitel 12). Doch auch diese Erkenntnis stellt der Autor wenig später wieder in Frage:
„Ein Wesen, das mit leeren Händen dasteht, ist nicht Gott. Es wurde von der höchsten Macht nach ihrem Ebenbild geschaffen, genau wie wir; Gott hingegen existiert aus sich selbst heraus, und er ist nicht verwirrt.“ (Anne)
„Aber er hat etwas Göttliches an sich“, widersprach Barney. "Ich habe es deutlich gespürt."
„Natürlich", pflichtete Anne bei. „Ich dachte, darüber wüsstest du Bescheid. Er ist in jedem von uns, und in einer höheren Lebensform würde er sich bestimmt noch deutlicher manifestieren."
(S.278)



 

Die Macht, die Gott gleicht, ist nicht Gott. Sie will überleben, in dem sie den Mensch opfert, statt wie in der biblischen Geschichte Jesus für die Menschen starb. So ist diese Macht aus dem Raum außerhalb des Sonnensystems, das Palmer Eldritch übernommen hat, ein höher entwickeltes Wesen, das sich mit Hilfe Chew-Z mit allen Menschen auf den drei Planeten und sechs Monden verbindet und ihre Realität abbildet, die es jederzeit formen kann.
Am Ende weiß niemand was Realität ist, aber die außerirdische Invasion hat die Macht zur Manipulation. Das Wesen ist hier, überlebt durch die Verbindung zu allen Menschen und am Ende sind alle stigmatisiert und es gibt keine Hoffnung.



 
Eine Hintertür lässt Philip K. Dick natürlich offen. Denn ob das Realität ist, oder nur das subjektive Empfinden von Mayerson durch den Genuss des Chew-Z, bleibt offen. So spielt PKD in dem Roman mit den Wirklichkeiten und den Möglichkeiten, die Raum und Zeit bieten, die Glaube, aber auch die rationale Sicht bieten.

Die drei Stigmata des Palmer Eldritchs ist ein wilder Ritt und es wundert nicht, dass der erste Titel der deutschen Übersetzung LSD-Astronauten hieß. 

Noch eine Anmerkungen zu dem Namen Palmer Eldritch. Eldritch bedeutet soviel wie „unheimlich“, „übernatürlich“ oder „seltsam“ und wird in Zusammenhang mit H.P. Lovecraft genannt. Bei Lovecraft kommt das Böse, die sogenannten Großen Alten, ebenfalls aus dem All, also ist das Wesen hinter Palmer Eldritch ein Teil des kosmischen Horrors. Perky Pat ist die kecke Pat und Connie Companion bedeutet Connie Kamerad. Leo Bulero, da kommt der Nachname aus dem Spanischen und bedeutet Ablasshändler oder Schwindler. Fugate ist aus dem Lateinischen und bedeutet in die Flucht schlagen und das macht Rondinella Fugate ja mit ihrem Vorgesetzten Barney Mayerson und übernimmt seinen Job.

Gelesen habe ich diese Version.


Aktuell gibt es die Geschichte auch als Hörspiel im WDR zum Download.

Kommentare

  1. Dies ist einer der besten Romane von Philip K. Dick, ohne Zweifel, ein Hauptwerk: und daher in viele Sprachen übersetzt, 23 sind es in meiner Liste, sogar auf Koreanisch! Georgisch! Katalan! Rund 90 Ausgaben sind es ...

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  2. So viele? Das wusste ich nicht. Ich habe es direkt korrigiert.

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  3. Do Androids Dream ... (Blade Runner) hat die meisten: 38. The Man in the High Castle, Scanner, Ubik folgen. Stigmata ist nur vierter in dieser Wertung, die hat aber eher etwas mit dem Verfilmungen zu tun - aber es sind sicher auch die besten Romane von Dick.

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  4. 38 Übersetzungen ist schon gewaltig.

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  5. Sind das 23 bzw. 38 verschiedene Sprachen oder 23 bzw. 38 verschiedene übersetzte Bücher?

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  6. Der Roman "Do Androids Dream of Electric Sheep?" ist in 38 Sprachen übersetzt und veröffentlicht. Es gibt in den 38 Sprachen insgesamt 230 Ausgaben, in einigen Sprachen nur eine, in anderen 10 oder im Deutschen z. B. 14 Ausgaben. Bei Stigmata sind es 23 übersetzte Sprachen und 90 Ausgaben. Usw.

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  7. Super, danke für die Rückmeldung. Habe ich direkt eingearbeitet.

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