Branded and Exiled (Leseprobe)
Ein Haufen Kurzgeschichten haben sich im Laufe der Zeit angesammelt. Geschichten verschiedenster Genres, verschiedenster Art. Zeit genug, die Geschichten Stück für Stück zu präsentieren:
Hier die Leseprobe:
Kritisch betrachtet sich Elisabeth Sutton im Spiegel. Sie ist Ende Fünfzig. Ausuferndes Hüftgold macht sich breit, das Fleisch wird langsam wabbelig und faltig. Die Brüste hängen und als sie diese mit ihren von der chronische Polyarthritis geschwollenen Händen greift und hochhebt, zaubert sich ein zartes Lächeln auf ihre Lippen.
Schon besser. Liz, wie schön wäre es nochmal jung zu sein. Jung und attraktiv.
Sie wirft einen prüfenden Blick in den Spiegel. Entschlossen legt Elisabeth sich die passende Garderobe bereit, nimmt die unvermeidlichen Hilfsmittel, die jede Frau benutzt, und beginnt sich zurecht zu machen. Das Leben ist eine einzige Illusion und sie wird eine erschaffen, dass sich selbst die Jünglinge die Finger danach lecken werden. Motiviert begibt sie sich an das Werk.
Das Kellergewölbe hallt von der harten und metallischen Musik. Vier junge Männer üben wie die Besessenen. Die zwei Gitarristen stehen dicht nebeneinander. Der kleinere der beiden Musiker trägt einen kurzen Bart und seine Augen funkeln, während er seine Soli zelebriert. Der größere Mann spielt die Rhythmusgitarre, singt und beäugt seinen Nebenmann kritisch, bevor er mitten im Refrain abbricht.
„Preacher, du bist heute nicht bei der Sache.“
„Ja“, erwidert der zerknirscht, bricht sein Solo ebenso ab wie Schlagzeug und Bass ihren Klangteppich. „Mir ist heute nicht danach! Heute ist einfach ein Scheißtag!“
Mit einer wütenden Geste legt er die Gitarre zur Seite und stürmt angefressen aus dem Proberaum. Wolf sieht seine beiden verbliebenen Bandmitglieder an und zuckt nur mit den Schultern. „Lasst uns für heute aufhören. Treffen wir uns übermorgen zur nächsten Probe. Ich rede mit Preacher. Das wird schon wieder.“
Wolf wartet die Antwort erst gar nicht ab und eilt Preacher hinterher.
Das Dream
Deceiver ist ein unglaublich schicker Laden, gelegen in der feinsten Gegend
Weststadts, ein Hot Spot Silbermonds. Eigentlich ein Club, imitiert seine
Inneneinrichtung ein barockes Schloss. Kristallene Leuchter hängen an den Decken,
auf den Plattformen davor tanzen leicht bekleidete Männer, die ihren
durchtrainierten Körper zur Schau stellen. Elisabeth trägt eine Robe à la
française, die ihre zarten Schultern betont, aber ihren kräftigeren Unterbau
geschickt kaschiert. Das Haar hat sie kunstvoll arrangiert, die Haut bleich
gepudert und die Augen ausdrucksstark betont. Schon zwei Stunden wandelt sie
durch das Dream Deceiver, doch heute will einfach niemand anbändeln. Sie
beschließt das Heft des Handelns selbst in die Hand zu nehmen. Mit sanfter
Stimme spricht sie einen ihr genehmen, feingliedrigen jungen Herrn an, doch
seine Reaktion ist eine eiskalte Dusche. Bevor er zu Ende gesprochen hat,
flieht sie mit Tränen in den Augen, nicht nur aus dessen Nähe, sondern
überhaupt aus dem Dream Deceiver. Die Illusion ist dahin. Sie ist alt
und es lässt sich nicht mehr kaschieren. Elisabeth sieht nur noch eine Chance.
Sie trifft eine überfällige Entscheidung.
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