Ingrid Pointecker (Interview)

 


Michael Schmidt: Hallo Ingrid bzw. herzliches Willkommen. Ich hatte dich damals für den Vincent Preis interviewt. Seitdem ist viel passiert.

Ingrid Pointecker: Hi Michael, schön, dass wir uns wiederlesen. Ja, da ist doch ein bisschen Kram passiert, obwohl es nicht so lange her ist.


Michael Schmidt: Du beendest deine Tätigkeit als Verlegerin zum 31.12.2026. Aber das muss nicht das Ende des Verlags sein, wenn ich das richtig verstanden habe. Gibt es schon Optionen wie es weitergeht?

Ingrid Pointecker: Genau, das Ablaufdatum ist fix, wie es mit mir persönlich weitergeht, weiß ich auch schon. Beim Verlag arbeiten wir gerade daran, den gut weiterzugeben, nämlich an einen anderen Verlag. Gerade passieren da die finalen Gespräche, es sieht aber ganz gut aus, dass euch ohneohren erhalten bleiben kann – nur eben mit neuer Chefin.

Michael Schmidt: Wenn man die Brocken hinschmeißt, hat das in der Regel verschiedene Gründe. Was hat dich zu dem Entschluss gebracht, den Verlag in andere Hände zu geben?

Ingrid Pointecker: Man kann es auf einen Satz runterbrechen: Ich kann nicht mehr. Es ist ein Mix aus persönlichen und wirtschaftlichen Beweggründen. Dass ein Kleinverlag nicht reich macht, wissen wir (glaube ich) alle. Mittlerweile ist das gesellschaftliche Klima aber so weit, dass mir Drohungen zugestellt werden, der Verlag einfach mein ganzes Leben gefressen hat, weil Bürokratie und andere Prozesse den kreativen Part weitestgehend geschluckt haben. Das ist ein Systemfehler, der sich (vielleicht leicht abgeändert) auch auf meine Autor*innen erstreckt.
Die Bedingungen auf dem Buchmarkt sind suboptimal – für alle Beteiligten.

Michael Schmidt: Wir haben noch keine 2026, aber vielleicht kannst du uns einen kurzen Abriss geben von den ersten Ideen, den Verlag zu gründen bis zur Entscheidung, das Ruder zu übergeben?



Ingrid Pointecker: Die erste Idee kam mir als Autorin. Mein damaliger Verlag schloss seine Tore, dann dachte ich, dass man das schon irgendwie machen kann mit der Phantastik. Parallel zum Studium habe ich mich 2013 einfach kopfüber reingestürzt. Die ersten Jahre waren recht tiefenentspannt, wir haben viel ausprobiert. Ende 2018 habe ich dann das Programm geschärft, mich thematisch kritischer auseinandergesetzt und entsprechende Autor*innen gefördert. Die Pandemie hat zum ersten Mal eine Phase gebracht, in der ich ohne Brotjob komfortabel vom Verlag leben konnte. Schließlich haben wir die Bücher zum Bananenbrot geliefert. Ab dem verkündeten Ende der Pandemie wurde das Gaspedal durchgedrückt, alles musste schneller, besser und glitzernder erscheinen. Kollegin Birgit hat mir in den letzten Jahren doch noch gut den verlegerischen Arsch gerettet. Seit letztem Jahr sind die Energiereserven so gut wie leer – und das bei einem Minimum von 80 Stunden die Woche. Nach zweimal Covid und anderen gesundheitlichen Highlights, die ich „weggearbeitet“ habe, hole ich mir langsam mein Leben zurück. Meine Verlagszeit wird aber auch deswegen zu Ende gehen, weil ich aus Leidenschaftsgründen einfach auch schlecht im Griff habe, wie viel von mir ich in das ganze Unternehmen reininvestiere.

Michael Schmidt: Ja, das klingt nachvollziehbar. Trennung zwischen Arbeit und Privat ist bei einem normalen Job schon schwer. Hast du besondere Highlights in den Jahren als Verleger?

Ingrid Pointecker: Das sind viele – sowohl auf Bücher- als auch auf menschlicher Ebene. So viele stolze Eltern, Großeltern und Freund*innen bei mir am Messestand, die ein Debüt mitbegleitet und sich so sehr gefreut haben. Zahllose Preisnominierungen, Tränen der Freude beim Erscheinen besonders geliebter Geschichten und die Nachrichten, dass ein Buch genau das war, was eine bestimmte Person gerade gebraucht hat in ihrem Leben. Mein persönliches Highlight ist aber immer, wenn ich mich an einem Manuskript festlese. Der Moment, an dem ich denke, dass das geiler Scheiß ist, der ist unbezahlbar. Den werde ich auch am meisten vermissen. Geschichten zu begleiten ist ein riesiges Privileg.

Michael Schmidt: Und was waren die Tiefpunkte?

Ingrid Pointecker: 2017 hatten wir wenige Verkäufe, bis heute ungeklärt, warum. Und ich war zu soft, habe mich ausnutzen und bequatschen lassen, habe trotz Kranksein, Trauerfällen in der eigenen Familie, Care-Arbeit und in Momenten, in denen mich Freund*innen gebraucht hätten, gearbeitet.

Michael Schmidt: Wie schwer ist es, als kleiner Verlag in der Haifischbranche Buch zu überstehen? Bücher sind ja keine Mangelware.

Ingrid Pointecker: Schwierig und leicht zugleich. Schwierig aufgrund der ohnehin bisher genannten Gründe. Allerdings ist es in dem Sinne leicht, dass die Stammkund*innenpflege viel persönlicher und einfacher läuft. Es gibt Menschen, die haben in unseren Büchern regelmäßig ein Zuhause gefunden. Und die tragen einen Kleinverlag gut.

Michael Schmidt: Du hast jetzt anderthalb Jahre bis zum Ende. Welche Projekte willst du noch unbedingt umsetzen?



Ingrid Pointecker: Wir machen dieses Jahr den finalen Teil der „Valkyrie“-Reihe von Tina Skupin (Band 5). Das wird ziemlich großartig. Faye Hell wird alle im Herbst mit einer harten Dystopie namens „Destruktion“ an den Start gehen. Bei Iva Moor wird es mit „Liminal Creatures“ am Jahresende noch einmal musikalisch-phantastisch. „Die Blätter des Herbstbringers“ erscheint zu Herbstbeginn in der dritten (und liebevoll gestalteten) Auflage. Ein, zwei Überraschungen gibt es noch (zum Beispiel von Oliver Plaschka), die restlichen Projekte orientieren sich aber ein bisschen an der Verlagsübergabe (auch zeitlich). Motiviert sind wir jedenfalls. An den Geschichten hat es ja nie gelegen.

Michael Schmidt: Gibt es denn eine minimale Chance, dass du deinen Entschluss noch einmal überdenkst oder ist das endgültig? Man gibt ja ein Lebenswerk auf.

Ingrid Pointecker: Nein, die Chance besteht nicht. Und ein bisschen verwehre ich mich gegen den Begriff „Lebenswerk“. Um so etwas zu produzieren, braucht man ja erst einmal ein Leben, auch außerhalb des Verlags. Und das hatte ich nicht mehr. Mein Weggang soll ja auch durchaus ein Warnschuss für andere sein.

Michael Schmidt: Was würdest du dir von der Szene wünschen?

Ingrid Pointecker: Solidarität. Sei es, dass man auf Lesungen geht, auch wenn es nicht die eigenen sind. Oder dass man selbst aktiv nach Kleinverlagen sucht, wenn man schon von anderen erwartet, dass sie diese lesen. Oder dass man nicht bei jeder Online-Prügelei dabei sein muss (weil es manchmal besser ist, den lautesten Schreihälsen einfach die Resonanz zu verwehren, die sie sich so sehr wünschen).

Michael Schmidt: Noch ein Wort an die Meute dort draußen!

Ingrid Pointecker: Lest Bücher! Das werde ich bald auch wieder vermehrt tun. Und geht in euch, wenn ihr Teil des Büchermach-Systems seid. Ganz tief in euch. Es gibt viele Autor*innen, die ebenfalls strugglen. Niemand sollte das. Ein Tischler verschenkt auch keine Tische für Werbung und eine Rezension. Darüber sollten ein paar Menschen mal nachdenken.

 

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