Jörg Munsonius - Bärenklau (Interview)

Michael Schmidt: Hallo Jörg, was darf ich dir für unser Interview servieren: Deftig oder süß?

Jörg Munsonius: Kurz und knapp: Ich lass’ mich überraschen.

Michael Schmidt: Du bist ein Tausendsassa und in allen Bereichen aktiv, da fällt es schwer, den Anfang zu finden. Okay, du hast den Deutsche Fantasy Preis gewonnen! Erzähle mal! 


Jörg Munsonius: Das war im Jahre 2005 für das
Lexikon der Fantasy-Literatur, also eine kleine Ewigkeit her und ich war nicht allein. Mit mir wurde der Preis auch an Hans Joachim Alpers, Werner Fuchs, Ronald Hahn und Hermann Urbanek vergeben. Die meisten von ihnen sind dem phantastikaffinen Leser bestimmt sogar besser bekannt als mein Name.

Es wurde ein ziemlich schweres Hardcover bei Fanpro, über 1,6 kg und sollte später bei Heyne als Taschenbuchausgabe, ähnlich dem SF-Lexikon, die Reihen vervollständigen, was aber leider nicht klappte. Gefreut haben sich alle, denn es war eine mehrjährige Arbeit für die Beteiligten und eine kleine Genugtuung, dass sie so gewürdigt wurde.

Etwas Ähnliches hatte es kurz nach der Jahrtausendwende in Deutschland im Bereich Fantasy noch nicht gegeben. Wenn man über die internationale Szene sich einen ersten Überblick verschaffen wollte, musste man auf die Standardwerke z. B. von John Clute oder für den europäischen Sprachraum die wirklich opulenten Corian-Sachen wälzen, was mich immer wieder bei letzterer Loseblattsammlung in die öffentlichen Bibliotheken eilen ließ.

Michael Schmidt: Wer ist Steve Mayer?


Jörg Munsonius: Steve ist im Bereich Fotografie und Illustration mein Künstlername. Wobei ich mich heute vorwiegend auf die Bildgestaltung konzentriere. Und es kommt daher, dass ich meinen Namen gern nach „Genre“ getrennt sehe. Also Illustrationen/Fotografie als Steve Mayer, bei Artikeln, Aufsätzen oder in meiner Herausgebertätigkeit eben mit bürgerlichem Namen Jörg Martin Munsonius und als Autor nur Marten Munsonius. (Kein Schreibfehler – Marten mit „e“.)

Michael Schmidt: Wie gehst du vor bei den Illustrationen? Wie entstehen die Bilder?

Jörg Munsonius: Ich bevorzuge Affinity zum digitalen erstellen meiner Bilder, eine Mischung aus Fotos, Collagen, Stockfotos von Bildagenturen oder meinen eigenen Bildern, KI-gepromptete Details und den elektronischen Pinsel, um meine Vorstellungen in mannigfaltigen Bildwelten zu materialisieren.

Ein Beispiel: Die ursprüngliche Vorlage ist ein altes s/w-Foto der Tänzerin, vermutlich schon über 100 Jahre alt. Letztendlich habe ich das daraus gemacht. 

Michael Schmidt: Die Edition Bärenklau ist …

Jörg Munsonius: Ein Verlag der allgemeinen Belletristik.

Michael Schmidt: Wie kam es zum Verlag und was hat sich im Laufe der Zeit so verändert?

Jörg Munsonius: Uuups – mit dem Künstler hat das aber nichts zu tun, ha. Okay – der Vorgängerverlag war der „Bärenklau Verlag“ gegründet so etwa Ende der 90er Jahre. Es sollten ein paar junge Autoren gefördert werden und ich wollte meinem damaligen Steckenpferd „Hörbuch“ dabei unbedingt nachgehen können. Ich meine so um die Jahrtausendwende oder ein, zwei Jahre später lernte ich Uve Techner kennen, ein tolles Talent mit eigenem Ministudio, der mit vielleicht einem Dutzend Hörbüchern für mich, meine damaligen Vorstellungen selbst gebrannter CDs kongenial umsetzte. Wirklich – selbst gebrannte CDs, gedrucktes Cover und CD-Hülle. Also irgendwo zwischen Amateur- und semiprofessionellem Status.

Ich habe da viel Herzblut reingesteckt. Und stolz bin ich immer noch auf meinen Star „Thomas Ligotti“ den der Berliner Autor und Künstler Thomas Wagner und Frau Eddie Angerhuber an Land gezogen hatten. Eine Auswahl von Ligottis Kurzgeschichten in Deutsch gelesen von den beiden, und als echtes Sahnehäubchen obendrauf wurde die auf 1-2-3 Exemplare limitierte Auflage vom Meister drüben in Amerika persönlich durchnummeriert und alle Cover handsigniert. Die meisten Exemplare gingen in ganz Europa weg. Ich meine mich zu erinnern, dass ein Uni-Prof aus der Türkei gleich zwei Exemplare bestellt hat.


Die Ära endete dann mit Aufkommen von Amazons-eBooks für den deutschen Markt so um 2010/11. Die Ära für den Bärenklau Verlag war ab den späten Nullerjahren für mich beendet und ich gründete die
Edition Bärenklau. Ich setzte auf eBooks und meine Kontakte innerhalb der Autorenszene bescherten mir rasch einen ganzen Stamm von deutschsprachigen Autoren und die Wiederverwertung ihrer Romane in dem damals noch jungen Medium.

Na ja, die großen deutschen Verlage sahen da in den ersten Jahren keinerlei Konkurrenz. So ist das eben … Leichte Belletristik blieb mein Motto – für jeden ist etwas dabei. Thriller, Krimis, Science-Fiction, Western, Horror und allgemeine Phantastik. Ein paar Übersetzungen aus dem englischsprachigen Raum, mehrheitlich Phantastik, rundeten das Programm dann ab.

Ende des Jahrzehnts sollten dann auch gedruckte Exemplare das Programm noch vielfältiger machen. Wir experimentierten, doch am Ende war es aus betriebsinternen Gründen mit Lizenznehmern so nicht umsetzbar, wie ich mir das vorgestellt habe.

Ich gründete mit einer meiner ehemaligen Lektorinnen, Frau Kerstin Peschel, dann einen neuen Verlag: Bärenklau Exklusiv. Ein eigener Shop folgte.

Und damit sind wir im Hier und Heute angekommen – und wenn auch die Edition Bärenklau zurückgefahren wurde und ich mich im Moment mehr auf Bärenklau Exklusiv konzentriere – wir haben noch einiges geplant. Das Ende der Fahnenstange ist noch nicht in Sicht, auch wenn momentan das gesamte Branchenumfeld in schweres Fahrwasser geraten ist.

Wir bleiben auf Kurs, kein Vertun!

Kerstin Peschel: Jörg Munsonius hat mich gebeten, mich an dieser Stelle als Co-Verlegerin schriftlich mit einzubringen.

Für mich sind Texte das, was für einen Musiker die Melodien mit den dazugehörigen Texten sind. Auch Roman-Texte, wenn ich sie lese, erzeugen in mir eine eigene „Melodie“, die stets von Rechtschreib- oder Grammatik- manchmal auch Wortfehlern gestört wurde und wird. Da bilden die Bestseller großer Verlage keine Ausnahme. Aus diesem Grund habe ich mir irgendwann selbst zur Aufgabe gemacht, Bücher mit möglichst wenig Fehlern, deren „Text-Melodie“ für mich harmonisch klingt, auf den Markt zu bringen. So begann mein Dasein als Lektorin. Leider musste ich mich ganz schnell von der Möglichkeit eines absolut fehlerfreien Buches verabschieden.

Da die Edition Bärenklau damals der einzige Verlag war, der auf meine Hinweise bezüglich von Fehlern in deren Büchern überhaupt reagiert hat, liegt es nahe, dass ich in diesem Verlag als Lektorin gelandet bin.

Da für mich bei Büchern auch die äußere Optik also die Cover-Gestaltung wichtig ist, habe ich bereits zeitig begonnen, mit einer Grafik-Designerin zusammenzuarbeiten, die nach meinen Vorstellungen Cover entworfen hat.

All diese Bemühungen führten schließlich dazu, dass Jörg Munsonius eines Tages an mich herangetreten ist und mich gefragt hat, ob ich mir vorstellen könnte, mit ihm einen Verlag zu gründen, indem ich die Möglichkeit hätte, all das zu verwirklichen, was ich mir für ein gutes Buch vorstellte. Ich überlegte nicht lange und bald danach war Bärenklau Exklusiv, unser gemeinsamer Verlag, „geboren“.

Michael Schmidt: Auf welche Bücher bist du besonders stolz?

Jörg Munsonius: Ein bisserl eine unangenehme Frage. Bei mir, sorry, bei uns ist kein schlechter Autor. Da haben alle ihre Stärken und natürlich auch ein paar Schwächen. Die Stärken überwiegen bei allen eindeutig.

Ich wage mich trotzdem mal aufs „Glatteis“ und begründe das damit, dass mein Geschmack ja nicht der Geschmack aller Leser sein kann und sollte, denn sonst würden wir ja alle dasselbe lesen. Allein meine Co-Verlegerin favorisiert oft – nicht immer – andere Stoffe und letztendlich sind wir beide zufrieden, wenn der gigantische eBook-Markt unsere „Ware“ mag und die eBooks und sogar ein paar gedruckte Bücher gekauft werden.

Was finde ich gut? Hier lasse ich der Co-Verlegerin Frau Kerstin Peschel zuerst den Vortritt:

Kerstin Peschel: Ich habe ganz schnell gemerkt, dass sich meine Genre-Vorlieben mit denen von Jörg Munsonius ergänzen. Ich liebe Krimis, historische Romane und wenn es um Liebe und Herz-Schmerz geht, bin ich nicht abgeneigt. Mit Märchen verbindet mich eine besondere Leidenschaft, die ich nicht erklären kann.

Bei einem unserer vielen Telefonate meinte Jörg Munsonius sogar einmal: „Was, du liebst Krimis UND historische Romane? Dann ist ein Western genau das Richtige für dich.“ Ich wollte ihm nicht glauben, ließ mich jedoch dazu überreden, einen Western zu lesen und ich musste ihm recht geben: Ein Western vereint gleich mehrere Genres. So finden sich in diesen „historischen“ Romanen meist auch Elemente aus dem Krimi- und Abenteuer-Bereich, manchmal sogar Liebe und Herz-Schmerz. Daher gebe ich auch gerne diesem Genre in unserem Verlag eine weitere Chance, als eBook gelesen zu werden.


Ich persönlich bin sehr auf unsere seit einigen Jahren alljährlich erscheinenden
Weihnachtsanthologien stolz, die mittlerweile ob der Band mit Märchen bzw. Geschichten für die ganze Familie oder unsere kriminellen Adventskalender als eBook und Print recht guten Anklang bei den Leserinnen und Lesern finden.

Eins meiner neusten Herzensprojekte ist die Wiederveröffentlichung der Tony-Ballard-Romane von A. F. Morland unter dem neuen Serien-Titel Tony-Ballard Reloaded, die exklusiv in den Shops von Bärenklau Exklusiv, dem XEBAN-Verlag sowie im Marvellous-Buchshop erhältlich sind.

 


Jörg Munsonius: Was bleibt mir? Ich schicke voraus, dass ich ursprünglich aus dem Hardcore-Bereich der Phantastik gekommen bin. Ein paar Kurzgeschichten und Romane – Sachtexte für das Heyne-SF-Jahr, damals noch unter Wolfgang Jeschke und für den Quarber Merkur von Dr. Franz Rottensteiner, um nur zwei zu nennen. Tolle Leute – seufz, leider habe ich von Wolfgang Jeschke nichts im Programm, dafür aber was von Franz Rottensteiner und Herbert W. Franke.

Danke Leute.

Und wenn man Rottensteiner sagt, kommt man als alter Hase nicht an der Insel-Bücherei vorbei und später an der Lila Reihe der phantastischen Bibliothek des Suhrcamp Verlages.

Der Kreis schließt sich mit Lovecraft, Smith und anderen Autoren des Verlages, von Franz Rottensteiner damals herausgegeben – und von da ist es nicht weit zu S.T. Joshi, der ein wichtiger Helfer für unseren Verlag Bärenklau Exklusiv ist.


Eine sehr schöne Auswahl bietet „
Unter dem Traumschleier“ von S. T. Joshi, oder „A Mountain Walked“ von S.T. Joshi, die bei uns in mehreren Bänden publiziert wurden.

Ich schätze weiter das Gesamtwerk meines amerikanischen Autors Michael Minnis und liebe David Barker & W. H. Pugmire. Doch stolz bin ich auch auf Werke anderer Genres in unserem Verlag: Thomas Ostwald alias Tomos Forrest, ein wirklich toller Autor gerade bei historischen Stoffen. Christian Dörge hat in einem Partnerverlag eine wirklich superbe Westernnummer mit Geschichten verschiedener Autoren zusammengestellt: „Die Winterlinie“-Hardcover, Band 50 der Reihe Western-Colt.

Und bei den Krimis: Anja Gust & Kurt Geisler haben mit „Fangfrische Küstenkrimis“ einen cleveren Streifzug durch die norddeutsche Krimilandschaft angestoßen. Unbedingt lesen. Und damit wenigstens noch einmal die Edition Bärenklau genannt wird – „Jung, gierig, tödlich“ von dem Autorenteam Hans-Jürgen Raben mit Lynda Lys ist absolut lesenswert.

Michael Schmidt: Bärenklau bietet eine sehr breite Palette an. Fluch oder Segen?

Jörg Munsonius: Nö, wir sind zwar ein kleiner Verlag. Aber wir wollen viele Zielgruppen erreichen. Und hoffen einfach, dass einige Leser auch mal neugierig über den „Tellerrand“ schauen, was ein Autor sonst noch so macht …

Michael Schmidt: Was darf man für 2026 erwarten?


Jörg Munsonius: Ich freue mich und bin auch stolz, dass mit unserem italienischen Partner Alberto Panicucci von der Organisation RiLL bereits der dritte Jahresband mit den preisgekrönten phantastischen Stories italienischer Autoren aus dem Bereich Fantasy, SF, Weird Fiction von Bärenklau Exklusiv präsentiert werden dürfen.

Ich finde alle Siegergeschichten auf ihre Art gelungen. Schade, dass die moderne italienische Phantastik nach einer kurzen Ära kurz vor der Jahrtausendwende heute in den deutschen Buchläden quasi nicht mehr existiert.

In den ersten Januartagen 2026 kommt der Erzählband „Die Häuser, die wir verloren haben“ als eBook in die Shops.

Es wird im Frühjahr ein erster phantastischer Erzählband neuer polnischer Phantastik ausgeliefert werden. Krzysztof Dąbrowski präsentiert ihn in Polnisch und in der deutschsprachigen Übersetzung. In beiden Sprachen wird er wohl zumindest im Untertitel „Legacy of Shadows – An Anthology of Polish Horror“ heißen, aber festlegen tue ich mich noch nicht.

Natürlich wird auch eine neue Anthologie „Fangfrische Küstenkrimis“ erscheinen, herausgegeben von Nick Jentsch unter dem vorläufigen Titel: „Seemannsgarn von Landratten und Leichtmatrosen – Maritime Kurzkrimis mit salziger Brise“.

So, genug. Auch alle anderen sind gut und ich müsste jetzt vermutlich noch 50 Seiten dranhängen …

Michael Schmidt: Du schreibst auch selbst. Was genau und was zeichnet deine Prosa aus?



Jörg Munsonius: Ich denke mein eigenes Werk ist sehr schmal, überwiegend zur Phantastik zuzurechnen, Horror und SF. Fast alles ist mit Autorenkollegen zusammen entstanden. Ich neige zu Reihenfortsetzungen – David Murphy (Gegen die Dämonender Dämmerung). Arik, der Schwertkämpfer. Corrigan, die Endzeitsaga. Alles ursprünglich in verschiedenen Verlagen verstreut erschienen. Hardcover, Taschenbücher und ein paar wenige Hefte.

Da sollen sich Dritte als Leser und Kritiker betätigen.

Mein Verleger-Schatten ist einfach viel größer und raubt mir einfach alle Zeit. Den Rest erledigt Steve Mayer. Und das macht der Kerl wirklich gern.

Michael Schmidt: Du bist ja schon lange im Geschäft. Wie würdest du den Wandel in der Phantastischen Literatur in dieser Zeit charakterisieren?

Jörg Munsonius: Jedes hat seine Zeit.

Der Wandel? Momentan hat man das Gefühl, dass die Verlage auf einige wenige Titel setzen und deren Fortsetzungen, wenn der Erfolg schon da war und das dann verlängern, so lange es geht. Der Lauf der Dinge eben. Neues, Ungewöhnliches, wird möglichst gemieden. Und gibt es mal was Interessantes wie Young Adult, Gay Romances, um mal zwei Sparten zu nennen, dann versuchen alle aufzuspringen. Auch wir als Kleinverlag nehmen uns da leider nicht aus.

Michael Schmidt: Welche Stärken siehst du in der deutschsprachigen Phantastik?

Jörg Munsonius: Deutschsprachige Phantastik? Ich liebe gute Phantastik aus jedem Land …

Michael Schmidt: Noch ein Wort an die Meute dort draußen!

Jörg Munsonius: Es wäre wunderbar, wenn es eine interessierte und vor allem „große Meute dort draußen gäbe!“ Ich gebe zumindest die Hoffnung auch für Genres jenseits des Mainstreams nicht auf.

 

 

 

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