Thomas Franke und die Kunscht (Interview)

 


Michael Schmidt: Hallo Thomas, Wodka oder Wasser?

Thomas Franke: Keines von beiden, denn eigentlich ist ja beides Wasser: bei dem Wort „Wodka“ (водка übersetzt: „Wässerchen“) handelt es sich um eine hinterlistige Verniedlichung des Wortes „Woda“ (Вода), das übersetzt „Wasser“ heißt. Trotzdem ich ein paar Jahre solches gezwungenermaßen oder aus Übermut freiwillig in den Hals kippend in verschiedenen Ländern mit slawischer Kultur lebte, trinke ich lieber Bier. Ich bevorzugte schon immer Bier als Schlappergetränk, denn es handelt sich dabei um eine schwach alkoholische Flüssigkeit, die den Durst löscht.

Eingedenk des Befehls von Wilhelm Busch: „Die erste Pflicht der Musensöhne ist, daß man sich ans Bier gewöhne“, unterwarf ich mich diesem. Ich war wohl vier oder fünf Jahre jung, als meine Eltern auf unserem damals wunderschönen DDR-Grundstück eine Fete mit den Familien der Musikanten-Big-Band meines Vaters veranstalteten, der diesen Spruch mit großer Hingabe und kalligraphisch sehr akribisch an eine Innenwand unserer Garage pinselte. Am Morgen nach der Fete standen noch ein paar halbvolle Gläser mit schalem Bier auf den Tischen, meine Eltern schliefen – und ich unternahm unbeobachtet meinen ersten Schritt, Wilhelm Buschs Weisung zu befolgen.

Michael Schmidt: Köthen ist laut Wikipedia die Welthauptstadt der Homöopathie, gehört zum Landkreis Anhalt-Bitterfeld. Bei Bitterfeld denke ich immer an Chemieindustriebrachen. Bonn als Synonym für bundesrepublikanischen Mief vor der Wende. Sind natürlich Klischees, aber beide Standorte sind in deiner Vita vorhanden. Wie prägend ist so ein Unterschied oder ist es am Ende gar keiner?



Thomas Franke: Köthen wurde erst nach der Mauerumschubserei und der sich anschließenden Kolonialisierung durch den Westen Deutschelandes zur Hauptstadt der Homöopathie. Die Kommandozentrale dieses dubiosen homöopathischen Weltärzteverbandes liegt heute übrigens gegenüber der Schule, in der ich mein Abitur bestand, in der Köthener Wallstraße. Als ich dort herumschülerte, war jedoch noch nichts von dieser Kommandozentrale zu sehen, sondern im Dachgeschoß des wendefolgend abgerissenen Hauses lebte mein Gitarrenlehrer. Köthen war zur DDR-Zeit als Bachstadt und als Wohnort des Vogelkundlers Johann Friedrich Naumann (1780 – 1857) bekannt, der sich als erster wissenschaftlich mit einheimischen Vogelarten beschäftigte (wir pubertierenden Schüler nannten ihn den Vögel-Naumann, denn er zeugte wohl 13 Kinder mit seiner Frau).

Selbstverständlich prägte meine Lebensumgebung in der DDR meine gesellschaftsbezogene Haltung sowie meinen beruflichen Werdegang. Viele meiner damaligen Freunde waren Arbeiter, Bauern, Friseure (damals hatte ich lange, lange Haare und einen Bart wie Billy Gibbons und war auf Friseure angewiesen), bis ich um 1972 herum auch plötzlich Freunde unter den SF-Schriftstellern der DDR wie der Welt fand, Künschtelern der Bildmacherei wie der Musicke und unter den Verlagsmitarbeitern; ich konnte meinen kreativen Begabungen nachgehen und mich darinnen suhlen, ohne an Geld denken zu müssen, konnte Pläne schmieden und erleben, wie sie dem Brechtschen Axiom folgend scheiterten…, - und ich lebte nicht in einer Chemiewüste, sondern im Grünen, in einer von der Landwirtschaft dominierten Gegend dieser Welt (siehe die angehängten Fotografien). Ich stand mit Schweinen und Rindern, Füchsen und Hasen, Katzen und zufällig mir begegnenden Rehen sowie mit in der DDR stationierten Soldaten und Offizieren der Roten Armee auf Du und Du. Als ich 1984 plötzelichst im Westen Deutschelandes leben mußte, weil ich auch einem Stasi-Mitarbeiter das Du angetragen hatte – zuerst lebte ich in München (teures Pflaster), einige Zeit später dann in Bonn (damals nicht ganz so teures Pflaster und für einen Künschteler leidlich finanzierbar) –, verlor ich alles das. Ich mußte mit der spießigen Überheblichkeit der Westler und Westlerinnen gegenüber einem DDRler, mit deren kleinbürgerlicher Arroganz, mit permanenten Demütigungen aggressiv ausufernder Ignoranz gegenüber den künschtelerischen, überhaupt den kreativen Berufen zurechtkommen und hechelte der Sicherung meiner Existenz hinterher, indem ich profanen Berufen nachging, welche mir meine Persönlichkeit zerfetzten und meine künschtelerische Entwicklung erschwerten. Wie prägend dieser Unterschied sich in der Realität auswirkte? In der DDR konnte ich wochenlang über einer Zeichnung brüten, ohne mir Gedanken um das Geld für die Miete, Speis und Trank machen zu müssen, im Westen Deutschelandes war ich gezwungen, Bildnerisches im Rutziputzi-Verfahren herzustellen und nebenbei mit Brüllikram bekannt und eventuell sogar berühmt zu werden, damit ich mein Bildnerisches für viel Geld an die Leute bringen konnte, wenn ich von meinen Berufen leben wollte…, - und so weiter und so fort. Hauptsächlich war ich jedoch damit beschäftigt, Administratives zu erledigen, Ämterbefehle zu befolgen und das Geld für die elend teure Miete samt Nebenkosten zu erwirtschaften, die ich für eine Karnickelbunde berappen mußte. Ich wechselte also von meinen filigranen Bleistift- und punktierten Tuschezeichnungen zu Holzstichcollagen, die sich viel, viel schneller zusammenbasteln lassen. Ich darf nicht vergessen zu erwähnen, daß die Unterhaltungen und die Diskussionen mit Menschen und Tieren zu meiner DDR-Zeit künschtelerisch sich anregender und aufregender auf meine Arbeit auswirkten als die im Westen geführten, die viel zu oft kleinbürgerlich-vorurteilsgesättigte Klischees zum Inhalt hatten, die mir fremd waren und die ich bis heute nicht begreife und demzufolge nicht gerne führe. Dialektische Zusammenhänge oder bereichernd auf meine künschtelerische Arbeit Wirkendes folgten daraus nicht, sondern es sammelte sich ein Misthaufen Entfremdungen an; - es gelang mir nicht, mich je wieder irgendwo zu Hause zu fühlen. Nicht einmal in Köthen, wo ich mit meiner Liebsten im Juli dieses Jahres zu Besuch war.



Michael Schmidt: Ich habe mal einen Text von dir gelesen, der war doch etwas schwer zugänglich. Andererseits illustrierst du die Herbert W. Franke Werksausgabe und der war eher nüchtern in seiner Ausdrucksweise. Sind da verschiedene Herzen in deiner Brust? Deine Collagen auf der Franke Werksausgabe wirken einerseits technisch-funktionell, andererseits doch abstrakt.

Thomas Franke: Wir beide entdeckten ja, daß es sich bei diesem Text um den narrativen Essay „Zone und Null“ handelte, den ich für Herberts Roman „Zone Null“ geschrieben hatte, - ein Roman, der mich sehr beeindruckte und mein Denken beeinflußte, als ich ihn Ende der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts noch in der DDR lebend las. Den narrativen Essay „Zone und Null“ schrieb ich speziell für den in der Herbert-W.-Franke-Science-Fiction-Werkausgabe erschienenen Band „Zone Null“ und er wurde in „Gegen Unendlich #12 – Phantastische Geschichten“ nachgedruckt. Der Mitherausgeber dieser Erzählungensammlung Andreas Fieberg schreibt im Vorwort: „Er [das bin ich] schildert – nicht ohne selbstironisches Pathos – die hochfliegenden und letztlich enttäuschten Hoffnungen, die er noch zu DDR-Zeiten mit dem Auftrag verband, Vignetten für die Erstveröffentlichung von Herbert W. Frankes Roman „Zone Null“ gestalten zu dürfen.“ In diesem Essay schrieb ich mir also die Erlebnisse dieser Zeit gleichnis- und märchenhaft von der Seele, die ich als Künschteleler im Zusammenhang mit meiner Bebilderungsarbeit, nicht nur hinsichtlich einiger Vignetten, sondern auch größerer Grafiken für Bücher von Herbert W. Franke erarbeiten und veröffentlichen zu können, durchstehen mußte. Der Text ist gewiß nicht ohne umfassendere Literaturkenntnisse – nicht nur umfassende Kenntnisse phantastischer, sondern auch angrenzender literarischer Genres –, ohne eine gewisse Beschlagenheit in griechischer Mythologie, in christlicher Ikonografie und ein wenig Wissen bezüglich meiner individuellen künschtelerischen Orientierung zu verstehen. Als Herbert W. Franke den Essay gelesen hatte, schrieb er mir übrigens dazu: „Ein großer Teil Ihrer Ausführungen haben mir aber auch neue Kenntnisse über Ihren Weg und Ihre Aktivitäten gebracht, und in dieser Hinsicht ist Ihr Anhang „Zone und Null“ natürlich höchst aufschlußreich – der im Übrigen auch literarisch bemerkenswert ist.“

Du solltest bedenken, daß meine Bilder nicht zu trennen sind von den Titeln, die ich für sie dichte; diese Titel findet man beispielens in den Büchern der Herbert-W.-Franke-Science-Fiction-Werkausgabe, in welche die Gesamtmotive – oft als mehrseitig ausfaltbare Frontispize – eingebunden wurden. Die für die Cover verwendeten Motive bestehen nur aus jeweils einem Ausschnitt aus der gesamten Grafik, den ich schon während der Arbeit an der jeweiligen Holzstichcollage als solch ein mögliches Covermotiv konzipierte. Die Gesamtmotive habe ich ergo so entworfen, daß der jeweilige Auswahlteil jedes Motivs als vollwertiges Covermotiv existieren kann.



Besonders in den frühen Zeichnungen und in einigen der gegenwärtigen Holzstichcollagen zu den Werken von Herbert W. Franke ist zu beobachten, wie der Stil von Herbert W. Frankes literarischem Werk meine naturwissenschaftlichen Interessen im Dialog mit diesem hervorkitzelte, was jene – wie Du sie nennst – technisch-funktionellen, abstrakten Motive erzeugte; allerdings fasziniert mich die Verwendung technischer Zeichnungen im Zusammenhang mit gegenständlichen Details grundsätzlich. Meine erste Idee für die Gestaltung der Franke-Werkausgabe bestand aus der Vision, Blaupausen als Basismotive zu verwenden. Weil ich nicht genügend unterschiedliche Blaupausen auftreiben konnte, entschied ich mich schließlich für die Schriftbasis, auf welcher die Titelei und die Vignette sitzen. Aufgrund der Kombination alter technischer Zeichnungen und abstrakter Motive mit gegenständlichen Holzstichmotiven wurden diese meine Bilderchen dem Steampunk angewanzt, als dieses Genre zeitgeistig war, – eine kurzlebige Modeerscheinung wie so vieles in der Kunscht. Ich sah das nie so. Diese Zuordnung entstand wohl hauptsächlich deswegen, weil ich für meine Collagen alte Holzstiche aus Zeitschriften und wissenschaftlichen Kompendien des neunzehnten, Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts verwendete. Damals gab es keine andere Möglichkeit, als Bilder in Zeitschriften und wissenschaftlichen Büchern von strapazierfähigen Holzstichblöcken zu drucken.

Seit Anfang dieses Jahrtausends ist die Holzstichcollage mein bevorzugtes Medium, das mir durch die Nähe zum Surrealen, Dadaistischen, Phantastischen aus der Perspektive der Technisierung in unserer heutigen Zeit, in welcher das menschliche Individuum zunehmend zum Teil einer riesigen Maschinerie sich entwickelt, die Schaffung einer dystopischen Welt aus einem ironischen Blickwinkel ermöglicht, den ich oft darauf werfe und provokativ artikuliere, wozu diese aufgrund der Verwendung alten Bildmaterials rückwärts gerichtet scheinende, dennoch gegenwärtig oder gar zukünftig anmutende Verbindung der Details sich herrlich eignet. Wolfgang Jeschke schrieb in einem Essay für den Katalog, der anläßlich einer Ausstellung meiner Machwerke in Köln erschien: „Was die Science Fiction, ja die Phantastik allgemein betrifft, ist Thomas Franke der Künstler, der dem Kern des Phänomens am nächsten kommt. Seine Collagen treffen ins Schwarze. Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, Science Fiction stelle Zukunft dar ... nein, sie montiert realistische Details der Gegenwart und Vergangenheit auf neue Weise zu ungewohnten Ensembles zusammen, die Aufmerksamkeit erregen und den Blick schärfen, der vom längst Gewohnten eingelullt, aus der Lethargie gerissen werden soll, weil sich plötzlich mehrere alternative Wirklichkeiten übereinander projiziert darbieten, um Aufmerksamkeit zu wecken, zu frappieren und zu neuen Sichtweisen zu zwingen, Unruhe zu stiften und Unsicherheit zu verbreiten, zum Hinterfragen des Gegebenen herausfordern.

Und genau das tun die Collagen von Thomas Franke auf ihre friedfertige und doch beunruhigende Weise.“



Die Technik der Holzstichcollage hatte mich übrigens schon zu der Zeit außerordentlich gereizt, als ich noch in der DDR lebte. Schon als Knirps im Alter von fünf Jahren war ich von diesen feinstricheligen Abbildungen fasziniert, die ich damals auf den Bildtafeln in zwei Bänden von „Meyers Konversationslexikon“ aus dem Jahre 1899 selbstversunken, also weltabgeschieden immer wieder betrachtete, welche meine Eltern im Bücherregal stehen hatten. Und schon damals juckten mir die Flingerlingerchen, diese Bücher auseinanderzunehmen, die Holzstichmotive auszuschneiden und zu neuen Bildern zusammenzufügen, obwohl ich noch überhaupt nichts von der Collagen-Technik wusste. Nun ja: auch die Achtung, die ich meinen Eltern entgegenbrachte, hielt mich zurück, diese Bücher für meine Ideen zu zerstören. Immerhin trug die Faszination am fein Gestrichelten mit Sicherheit dazu bei, daß ich später, als Grafiker, eine ebensolche filigrane Technik für meine Zeichnungen wählte. Da kannte ich aber die Arbeiten Max Ernsts schon und hatte zudem die Historie der phantastischen bildenden Kunscht eingesaugt; ungefähr 1978, während meines Studiums der Malerei und Grafik, hatte ich in einer Fachzeitschrift des Verbandes Bildender Künstler einige Holzstichcollagen dieses seitdem von mir sehr verehrten Künstlers gesehen und spürte eine mich verunsichernde Seelenverwandtschaft: Die Suggestionskraft solcher Werke verwirrte meine Sinne wie unmäßig viel gesoffener Wodka - und sie erwiesen sich dann auch als Droge. Aber es brauchte noch den Wechsel in den Westen, den Existenzdruck (denn mit meiner zeitlich sehr aufwendigen bleistiftgestrichelten und der mit Tusche gepünktelten Technik wäre ich hier verhungert) und die Möglichkeiten des Internets, wo ich alte Bücher mit Holzstichbildern preiswert ersteigern und kaufen konnte, um solche Grafiken entstehen zu lassen, wie ich sie derzeit für meine Buchgestaltungen schaffe. Übrigens: die beiden Lexikon-Bände meiner Eltern zerlegte ich viele Jahre später dann doch noch, - mit ihrer Erlaubnis!

Ach ja, meine Eltern: Meine Eltern ängstigten sich aufgrund meiner kreativen Talente, daß ich eines Tages als Künschteler den Kitt aus den Fenstern fressen müßte (was ja auch geschah, nachdem ich mich im Westen Deutschlands dem kapitalistischen Wertekanon, mithin der Diktatur des Geldes unterwerfen mußte), weswegen sie alles unternahmen, meine naturwissenschaftlichen Interessen zu fördern. Und so geschah es, daß ich 1974 das Studium der Physik begann, - und diese Facette meiner Persönlichkeit findet sich als Ergebnis meiner Überlegungen zur Inhalt-Form-Beziehung in einigen technisch-funktionellen und abstrakten Arbeiten wieder.

Als ich künschtelerisch zu arbeiten begann, schuf ich kleinformatige, minutiöse, sehr aufwendig erarbeitete Bleistift- und Federzeichnungen. Und aufgrund meiner Verquickung in die Literaturszene der DDR, deren Dazugehörende meine Arbeiten als an- und aufregend empfanden, trat 1977, schon während meines Kunststudiums an der Burg Giebichenstein in Halle, der Ostberliner Verlag Neues Leben an mich heran und vereinbarte mit mir erste Gestaltungsaufträge für Bücher des phantastischen und Science-Fiction-Genres. Man meinte, nicht nur meine Art zu zeichnen, sondern auch mein Interesse für die Naturwissenschaften, insbesondere für die Physik und die Astronomie, prädestinierten mich für dieses Genre, das im Osten als „wissenschaftliche Phantastik“ bezeichnet wurde. Allerdings waren meine für solche Bücher geschaffenen oder genutzten Werke nie gebrauchsgrafische Illustrationen, sondern alle Arbeiten erzählten eigene, von dem jeweiligen literarischen Text angeregte Geschichten und Ereignisse, von denen ich meinte, daß sie sich in dieser geschilderten Welt so ereignet haben könnten. Ich abstrahierte Inhalte und ließ sie zu bildlichen Metaphern, Symbolen, Parabeln oder Allegorien gerinnen. Meine Zeichnungen und Grafiken vermochten also für sich zu stehen, weil ich mich für ihre Gestaltung immer wieder von der christlichen und von der Ikonografie der griechisch-römischen Mythologie anregen ließ und selbstverständlich Inspirationen aus der klassischen Literatur der Romantik verwendete, insbesondere aus Erzählungen E. T. A. Hoffmanns (als Beispiel will ich die Erzählung „Der Sandmann“ mit der menschlich anmutenden Puppe Olimpia erwähnen, die Hoffmann „die Automate“ nennt), den Romanen Jules Vernes oder auch Karel Čapeks. Diese Nähe zur Literatur, welche ich auch in meinem zweiten Beruf als Schauspieler pflegen mußte, ließ mich schließlich die Werke zuvörderst der Schriftsteller des Magischen Realismus entdecken, und hier besonders das Œuvre des Argentiniers Jorge Luis Borges, der sich, ob seiner umfassenden Bildung nicht nur von mir hochverehrt, nach und nach als Initiator einer neuen Art und Weise meines Umgangs mit den Künschten und meines diesbezüglichen Selbstverständnisses erwies, nachdem ich die DDR verlassen hatte. Aus meiner tiefreichenden Verunsicherung, mit der ich in der Folge meines Hinauswurfs aus der DDR zu kämpfen hatte, aus der Auflösung ethischer, moralischer, überhaupt weltanschaulicher Ansichten und Orientierungen, entstand die Notwendigkeit, sowohl mich als auch mein Kunschtverständnis neu aufbauen zu müssen, und während meiner Suche rückte mir Borges als Verwandter im Geiste nahe, als der „…vielleicht größte Lehrer und Meister der Wahrheit wie der Lüge, Ketzer und Gläubiger, Gott und Teufel in einer Person.“ (Martin Gregor-Dellin)



Einige Beispiele meines bildkünstlerischen Schaffens, die über technisch-funktionelle und abstrakte Motive hinausgehen, können Interessierte auf dieser Seite im Internetz anschauen, die ich zu meinem großen Bedauern aufgrund des großen Berges Arbeit, der vor mir liegt, nicht weiterzupflegen schaffe: https://www.flickr.com/photos/157472105@N05/



Michael Schmidt: Kanntest du Herbert W. Franke persönlich?

Thomas Franke: Ich entschuldige mich an dieser Stelle bei den älteren Lesern dieses Interviews, die diese Geschichte kennen, weil ich Sie schon des Öfteren erzählen mußte: Herbert und ich begegneten einander zum ersten Mal im Jahr 1976, auf dem Eurocon im polnischen Poznań. Ich hatte damals trotz aller diesbezüglicher Erschwernisse – ich lebte ja noch in der DDR - schon seinen Roman "Zone Null" sowie die Kürzestgeschichtensammlung "Der grüne Komet" gelesen, die erste Schneckerlinge und Schnauckbartraupen sowie weiteres eklektizistisches, marodes Ungeziefer durch meine Visionen hetzen ließen, und mich zu jenen morbiden Grafiken reizten, für die ich bekannt werden sollte, und blickte zu ihm auf mit jener Schwärmerei, mit der man halt als Zweiundzwanzigjähriger die Objekte seiner kreativen Begierden anhimmelt. Ich war mit übermächtiger intellektueller wie schöpferischer Gier nach Inschpiratzion zu dieser Juropieen Szaienz Ficktschen Conventschen gereist, einige meiner frühen punktierten Federzeichnungen... nun ja: konspirativ am Mann, weil ich sie dort nicht ausstellen, sondern nur herumzeigen durfte. Über das beständige Herumzeigen kamen wir ins Gespräch. Ich erinnere mich amüsiert jenes Wortwechsels, während dessen Herbert mich fragte: „Wie war doch gleich Ihr Name?“ Und als ich antwortete: "Franke, mein Name ist Franke", entgegneten er verlegen giggelnd: "Ach ja, - ein Name, den man sich schlecht merken kann."

Anschließend kamen wir überein, ein paar meiner Federzeichnungen als Illustrationen in einem Band der Heyne-Reihe "Science Fiction Story Reader" zu drucken (ein wenig bekannt als Grafiker des Phantastischen war ich seinerzeit im westlichen Teil Deutschlands schon, weil ich der Zeitschrift "EXODUS" Grafiken zur Veröffentlichung überlassen hatte, die damals ein gieriges Rufen nach mehr  bei den SF-Fans erzeugten) und im darauf folgenden Jahr 1977 erschienen im von Herbert W. Franke herausgegebenen "Science Fiction Story Reader 8" vier Grafiken von mir, dem weitere Veröffentlichungen in den Ausgaben 9 und 10 folgten. 1978 beauftragte mich der DDR-Verlag „Das Neue Leben, Berlin“ schließlich mit der Illustration seines Romans „Ypsilon minus“, der als Lizenzausgabe dort erschien - und den Suhrkamp Verlag auf meine bildkünschtelerischen Arbeiten aufmerksam werden ließ, für dessen von Franz Rottensteiner herausgegebene „Phantastische Bibliothek“ ich dann zwischen 1979 und 1983 fünfzig Bände mit meinen Vignetten gestaltete.



Während der folgenden Jahre führten Herbert und ich eine manchmal sehr rege Korrespondenz, bis ich am vierten März 1984, der Tag meines Hinauswurfs aus der DDR, im bisher als schrecklichstes von mir erlebten Morgengrauen mit verheulten, auch vom voralpischen Schneetreiben geröteten Augen in Egling vor seiner Haustür stand und mit meiner damaligen Frau drei Tage bei ihm herumlungern durfte.

Als ich im Westen Deutschlands unter kapitalistischen Bedingungen lebend und finanziell von existentiellen Zwängen gegängelt nicht nur meine bildkünschtelerische Arbeit betreffend, sondern auch meine Weltsicht und das kulturelle Interesse verändernd, mich von der Science Fiction entfernte, reduzierte sich unser Kontakt auf eher zufällige Begegnungen, bis ich auf seinen Wunsch hin im Jahr 2014 die Science-Fiction-Werkausgabe für p.machinery zu gestalten begann.

Erst anderthalb Jahre vor seinem Tod bot er mir das „Du“ an.

Michael Schmidt: Du wolltest Astronom werden, bist dann aber ans Theater gegangen. Science-Fiction ist ja auch das Spiel mit der Phantasie und technischer Grundlage. Wie kreativ ist die Science-Fiction?

Thomas Franke: Damit hast Du salopp über vieles hinweg hüpfend meinen beruflichen Werdegang verkürzt (kicher!). Als ich 17 Jahre jung war (es ist witzig: wenn man die Zahl umdreht, hat man mein gegenwärtiges Alter!), wollte ich tatsächlich Astronom werden, wozu ich Festkörperphysik hätte studieren müssen. Aufgrund meiner Ruppigkeit, weil ich politisch-ethisch nicht in eine Schublade einsortiert werden konnte und weil in der DDR nur fünf Astronomen jährlich gebraucht wurden, erhielt ich keine Zusage für diese Studienrichtung und man empfahl mir das Studium der Physik mit dem Berufsziel, Lehrer für dieses Fach zu werden. Dieses erinnere ich noch anhand eines lange zurück liegenden scheppernden Steinwurfechos – und ab und zu denke ich darüber nach wie es gelaufen wäre, wenn mein Leben sich nicht so entwickelt hätte, wie das Schicksal es für angemessen hielt. Oder ein Teufelchen. Oder ein Raunen, das tief aus meinem Unterbewußtsein flüsternd mich schubste. Beinahe wäre ich also Physiklehrer geworden, was ich in Halle zu studieren begann. Auf dem Weg zur Universitätka fuhr ich täglich mit der Straßenbahn an der "Burg Giebichenstein" vorbei, bis ich es nicht mehr ertrug, die Leute mit den großen Grafikmappen unterm Arm auf dem Trottoir vor der Kunschthochschule entlang stolzieren zu sehen. Ich wollte ebenfalls mit einer Mappe unter dem Arm dort herumstolzieren, weswegen ich mich an der „Hochschule für industrielle Formgestaltung“, wie sie damals hieß, bewarb, im freien Fachbereich Malerei und Grafik zu studieren, - und die Naturwissenschaften in die Saale warf, denn ich wurde angenommen. Weil mein Interesse schon sehr früh der Symbiose bildender Kunscht mit der Literatur gehörte, durfte ich als praktische Diplomarbeit ein Bühnenbild zu Brechts Stück „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ erarbeiten,- neben der theoretischen über das Spezifische phantastischer Metaphern, Symbole und Allegorien im Werk von Hieronymus Bosch, Francisco de Goya und Max Klinger. Als das Bühnenbild aufgebaut wurde, rastete ich auf den Brettern aus, welche angeblich die Welt bedeuten sollen, und brüllte die Bühnenarbeiter an, weil sie die Seiten des Bühnenbildaufbaus vertauscht hatten, nicht ahnend, dass gerade jemand heimlich in der Technik eine Flasche Whisky süffelte und mir zuschaute. Der wollte mich später in der Kantine sprechen: ein kleiner, kompakter, mir damals völlig unbekannter Mann mit dicken Brillengläsern und einem wundervoll geschnittenen Kaschmirmantel; und der beschwätzte mich, dass ich zusätzlich noch darstellende Kunst studieren müsste, denn ich hätte eine unglaubliche Bühnenpräsenz, die man nicht erlernen könnte, weil sie einem vom Theatergott in die Wiege gelegt worden wäre. Mir würde es jedoch an Technik mangeln, denn wie ich feststellen müßte, wäre ich beim Schreien heiser geworden. Einige Monate später studierte ich die darstellende Kunscht, ging als Austauschstudent für das Charakterfach-Studium nach Moskau – damals noch in der Sowjetunion gelegen –, wo ich an der „Russischen Akademie für Theaterkunst“ (GITIS) mein Diplom als Staatsschauspieler ablegte. (Wozu diese beiden Studiengänge und die dabei erworbenen Diplome gut sind, fand ich im Goldenen Westen nie heraus; hier wurden ja beide Berufe während der Zeit der Coronadiktatur endgültig als systemunrelevante definiert.)

Das Interesse für die Wissenschaften nistete sich jedoch in meinem Kopf ein und wahrscheinlich fühlte ich mich deswegen zur Science Fiction wie zur wissenschaftlichen Phantastik hingezogen.

Über Deine Frage, wie kreativ ist die Science-Fiction ist, dachte ich lange nach, kam jedoch zu keinem mich selbst überzeugenden Ergebnis, weil dieses Literaturgenre mich nur während meiner Kindheit und als Jugendlicher zu faszinieren vermochte und sich in späteren Jahren nach und nach verflüchtigte. Nach meinem fünfundzwanzigsten Lebensjahr ungefähr hatte ich mich in das Werk von Schriftstellern eingelesen, die … nennen wir es genreübergreifend „Phantastisches“ schrieben. Kreativität, also schöpferische Kraft, kann nicht einem künschtelerischen Genre zugeordnet werden. Sie ist kausal den Menschen zu eigen, nur treibt sie den einen stärker als einen anderen an, sie zu gebrauchen.

Was nun die Kreativität bezüglich der Science Fiction angeht, so beobachte ich, daß diejenigen, die sich damit beschäftigen, sehr kreativ beim Erfinden und Einhegen von Mikrogenres sind. Recht spießig hieß eine solche Literatur früher phantastische oder wissenschaftlich-phantastische Literatur, danach bezeichneten wir sie als Hard Science Fiction, zu welcher beispielsweise die Space Opera und die Military SF gehörten, nicht zu vergessen die Soft-Science-Fiction, und als diese Genres merkantil nicht mehr so gut funktionierten, erfand man die Genres Dystopie, die oft in eine Postapokalypse überging, angelehnt an gegenwärtige Entwicklungen in der Wissenschaft wie in der Gesellschaft den Cyberpunk, den Hope Punk, Steampunk und Rocketpunk und so weiter und so fort. Es wurde noch nicht zu Ende erfunden. Resümierend möchte ich auf die vorher in diesem Interview zitierte Äußerung Wolfgang Jeschkes verweisen; Science Fiction schrappt oft näher an der Realität, als man denkt. Gegenwärtig schieben sich Digitalisierungsprozesse ins menschliche Leben – und viele Science-Fiction-Schreibende verlegen die erzählten Geschehnisse in solche Welten. Ich empfinde solche Geschichten oft als Gegenwartsliteratur on the edge. Ich vermisse den Sense of Wonder in solchen Werken (aber eventuell bin ich hochmütig).

Michael Schmidt: Du hast für Suhrkamps Phantastische Bibliothek gearbeitet, da warst du noch im Osten. Kannst du ein paar Begebenheiten aus der Zeit erzählen?

Thomas Franke: Um 1977, 1978 herum gerieten mir zwei Bücher der Reihe „Phantastische Bibliothek“ des Suhrkamp Verlags ins bewußte Dasein. Im Frühling des Jahres 1978 trieb ich mich nämlich in Tychy, einer Stadt bei Katowice in der Volksrepublicke Polen, herum, um im Teatr Mały eine Ausstellung meiner Zeichnungen einzurichten. In den Pausen des Ausstellungsaufbaus betranken wir uns, der Direktor dieser Institution, sein Adlatus und ich, mit schlecht verschnittenem Cognac, - oder ich trieb mich im nahen Katowice herum. Und eines Tages sah ich während des Herumtreibens in einem Buchantiquariat ein hell-purpurfarbenes Taschenbuch mit einer dunkelblauen Vignette und gleicher dunkelblauer Titelei, dessen Ästhetik der Gestaltung mich auf eine seltsam lustvolle Weise aufkratzte und mich emotional tief berührte; - nein, nicht nur tief berührte: ich erbebte physisch und emotional. Der Buchtitel war ein deutscher, - ein deutsches Buch also, im Schaufenster eines polnischen Antiquariats ausliegend, jedoch mit Erzählungen des damals berühmten polnischen Schriftstellers Stanisław Lem; - das zumindest schien mir unter den bestehenden politischen Zuständen begreiflich, denn dieses Taschenbuch war aufgrund der Ästhetik seiner Gestaltung als ein Buch aus dem Westen Deutschlands zu erkennen – erschienen also im Land des Klassenfeindes! - und ich konnte es hier für ein paar staatsmonopolistische Złoty käuflich erwerben und mit mir nach Hause nehmen. Dieses "mit mir nach Hause nehmen" liest sich heute so leichthin, damals jedoch bedeutete es, ein Machwerk des Klassenfeindes über die Polnisch-DDRliche Grenze zu schmuggeln, ... zu schmuggeln (!), - sich also beim heimlichen Verbringen dieses Buches von dem einen staatsmonopolistischen in ein anderes solches Land nicht erwischen zu lassen. Und ich erwarb und schmuggelte es, ängstlich, nervös, innerlich vibrierend, körperlich angespannt, durch die Filzungen polnischer und DDheRrischer Grenzer hin ins heimatliche kleine Dörfchen. Dieses Taschenbuch war der erste Band der "Phantastischen Bibliothek", "Nacht undSchimmel", Erzählungen des Schriftstellers Stanisław Lem: mein Schatz seinerzeit - und auch heute noch. Das Hell-Purpur des Covers ist mittlerweile ein wenig blasser als damals und die Buchseiten sind vergilbt, aber es bleibt ein gänsehäutige Erinnerungen auslösendes Kleinod in meiner Bibliothek. Damals brütete ich beinahe täglich über dem Cover dieses Buches, entfachte es doch in mir wiederholt dieses Erbeben, das mit kreativem Schaffensdrang und der Ahnung künschtelerischer Möglichkeiten und Zukünfte einherging, - gar nicht erst davon zu schreiben, daß ich mir sehnlichst wünschte, diese Buchreihe, die "Phantastische Bibliothek", gestalten zu dürfen, was noch bis zum Spätherbst dieses Jahres als heimliche, argwöhnisch verschwiegene Sehnsucht in mir nagte.



Das zweite Buch der "Phantastischen Bibliothek", welches ich wenige Monate später in die Hände bekam, und das mich aufgrund der Gestaltungsästhetik und vor allem der Titelvignette wegen laut aufjauchzen ließ, war der dritte Band in der Reihe: Herbert W. Frankes "Ypsilon minus“. Im Herbst 1978 klopfte nämlich der Chefgrafiker des Verlages Neues Leben, dessen Namen ich nicht mehr erinnere, mit einem Brief bei mir an, dem das Taschenbüchlein der Suhrkamps beilag, ob ich Interesse hätte, die in der DDR in Lizenz erscheinende Ausgabe dieses Herbert-W.-Franke-Romans zu begraficken. Hatte ich, reizte mich, und meine Grafickrei dazu sollten mich berühmt machen, - sowieso! Und diese Vignette auf dem Suhrkampbuch-Cover ... Ich kroch ins Bild hinein, breitete mich darinnen aus, leckte gierig Inschpiratzjohn wie ein Vampir das Blut, trank das Motiv: das im dunkelblauen, fast dunkelvioletten, purpurstichigen Schatten einer ausgestanzten Makroplatine verschwindende Gesicht eines Menschen, der in etwas Militärisches Assoziierendes gekleidet ist, das aus nebelig schlierendem Raum sich materialisiert. Und während ich noch über meine Grafiken zu „Ypsilon minus“ brütete, fragte mich Hans Joachim Alpers, der damals so eine Art Agent in der BRD für mich war, im Auftrag des Suhrkamp Verlags, ob ich die Gestaltung der „Phantastischen Bibliothek“ übernehmen wollte, denn das Grafikerpaar, das sie bis dahin mit seinen wunderschönen Vignetten gestaltet hatte, Hans Ulrich & Ute Osterwalder, wollte aufhören. Meine Grafiken waren zu jener Zeit im Westen Deutschlands schon recht bekannt, druckten doch viele Fanzines - EXODUS, Solaris Story Reader, Phalanx, die SFT, Comet und andere, die ich mittlerweile vergessen habe - meine Federzeichnungen, und Herbert W. Franke wie auch Wolfgang Jeschke nutzten meine Motive als Illustrationen und Umschlag- wie auch Covergestaltungen für die von ihnen herausgegebenen Science-Fiction-Bücher des Wilhelm-Heyne-Verlags, Werner Zillig beim Goldmann-Verlag, Horst Heidtmann beim Signal Verlag Baden-Baden und andere Herausgeber in Büchern anderer Verlage. Ich sagte also dem Suhrkamp Verlag zu, dessen Chefgestalter Rolf Staudt - damals nannten wir die Dinge, Berufe und Sachverhalte noch beim deutschen Namen, weswegen ich auch noch kein „Artwork designte“, sondern für die Buchcover „Vignetten zeichnete“, und Rolf Staudt und Willy Fleckhaus ganz profan „Chefgestalter“ genannt wurden, noch nicht „Art Director“ - sofort Kontakt zu mir aufnahm, um mir die ersten Aufträge zu übermitteln. Damals bezahlten die Verlage noch für Buchgestaltungen und Illustrationen, und Suhrkamp honorierte mich sehr gut. Jedoch verursachte die Honorierung meiner Arbeit nachhaltige Folgen, da ich in der DDR lebte und das Geld nicht problemlos auf mein Konto überweisen lassen durfte: der Staatsmonopolkapitalismus der DDR öffnete die Pforten seiner Mühlen für mich, denn ich mußte meine Arbeit für Buchverlage in der westlichen Hemisphäre der Welt auf solide Füße stellen, das heißt: sie vom „Büro für Urheberrechte“ genehmigen lassen, einer Institution des Außenministeriums der DDR, dessen Büros in einem Gebäude in Steinwurfnähe zur Berliner Mauer lagen, weswegen ich den Grenzsoldatitschkis der NVA jedes Mal meinen Ausweis und die schriftliche Einladung präsentieren mußte, wenn ich im „Büro für Urheberrechte“ vorstellig wurde. Nachdem ich also die Genehmigung durchgekämpft hatte, offiziell für Verlage der westlichen Welthemisphäre arbeiten zu dürfen, was mich übrigens beinahe ein halbes Jahr permanenter Diskussionen und Rechtfertigungen kostete und mir spezielle Verehrer und Interviewer von der Staatssicherheit, heute zärtlich „Stasi“ genannt, verschaffte, war ich gezwungen, dem „Büro für Urheberrechte“ jeden Auftrag, jede bezahlte Veröffentlichung zu melden und die gezahlten Honorare „… zu meinen Gunsten auf das Außenhandelskonto der DDR …“ anweisen zu lassen, die ich dann im Umrechnungskurs 1:1 (auch Dollari und Pfunde!) beantragen mußte, damit sie auf mein DDR-Konto überwiesen wurden, wovon ich dann 25 Prozentow als GENEX-Schecks beantragen durfte. Mit solchen Schecks konnte ich in den Intershops dort angebotenen, überflüssigen Krimskrams westlicher, kapitalistischer Produktion käuflich erwerben: Ohdekollonje, Conjack (den Rachenputzer „Dujardin“ beispielens!), Seife, Matchbox-Autos …, - irgendwelche Scheiße also, bunte Glaskugeln, auf die meine DDR-Miteingeborenen scharf waren, ich jedoch nicht. Ich hätte lieber Kupferdruckpapier, Farben, Pinsel und hochwertige Tuschen käuflich erworben. Aber die gab es in den Intershop-Läden nicht. Viele meiner Mitmenschen waren überzeugt davon, daß ich die blauen Hunderter stapelweise unter meinem Bett horten würde, und es breiteten sich, Krebswucherungen gleich, Mißgust und vor allem Neid in meinem sozialen Umfeld als auch darüber hinaus bei Leuten aus, die mich nicht einmal persönlich, sondern nur vom Hörensagen kannten.

Als ich dann 1984 plötzelichst im Güldenen Westen Deutschelandes aufschlug, distanzierte sich der Suhrkamp Verlag von mir. Die Gründe dafür servierte der bis dahin von mir verehrte Rolf Staudt in unserem letzten Telefongespräch eiskalt nach: zum Ersten würde der Verlag die herausgegebenen Bücher nicht für die Liebhaber meiner Covervignetten machen, zum Zweiten wäre dem Verlag von wem auch immer mitgeteilt worden, bei einer weiteren Zusammenarbeit mit mir keine Buchlizenzen mehr aus der DDR gewährt zu bekommen, was man vermeiden wollte, und zum Dritten hätte der Verlag andere hochtalentierte Gestalter gefunden. Allerdings erwies sich die dritte Behauptung als eine, die der Verlag niemals einzulösen schaffte; nach den außergewöhnlichen Vignettenmotiven der Ulrich/Osterwalders und den meinen fand der Suhrkamp Verlag keinen adäquaten Gestalter mehr für die Buchreihe. Aber auch die anderen Verlage der Bummsdesrepublicke brachen den Kontakt zu mir ab. Ich war wohl im Osten wie auch im Westen bekannter als ich es eingeschätzt hatte und menschlicher Opportunismus sorgte lange Zeit dafür, daß ich als Persona non grata angesehen wurde.

Michael Schmidt: Schauspieler und Grafiker. Geht das in einer Hand oder sind das verschiedene Persönlichkeiten in die du schlüpfst, wenn du die jeweilige Rolle einnimmst?

Thomas Franke: Es kommt nicht auf das künschtelerische Genre an, in welchem ich jeweils arbeite, sondern auf den individuellen Umgang mit dem Material, der aus meiner Persönlichkeit resultiert, aus den Dingen, mit denen ich mich beschäftige. Meine große Affinität zur Literatur und meine Arbeit als Schauspieler fließen ein in die bildkünschtelerische Arbeit und die so gewonnenen Erfahrungen und Einsichten wirken prägend auf das, was ich als Schauspieler in Angriff nehme. So entstehen beispielens diese literarischen Texte als Bildtitel, in denen ich als Regisseur, Kostümbildner, Dramenautor, Erzähler und Schauspieler zugleich mit satirischer Distanz zur Gesellschaft der Gegenwart Zusammengeschmiedetes inszeniere, und lustvoll aber auch zynisch, grausam, frivol, politisch inkorrekt und hin und wieder bösartig das treibe, was zum Beispiel Jorge Luis Borges‘ Literatur in mir freisetzte: Als Menschenskeptiker, der ich bin, erfinde ich in beiden Berufen dialektisch unerträgliche Situationen und krude Geschichten, ich intrigiere mich durch die Kunstgeschichte, provoziere mit literarischen, cineastischen, philosophischen, naturwissenschaftlichen Anspielungen und Pointen und löcke Halbwissen. Die Bildtitel wie auch die Charaktere, die ich auf der Bühne spiele, geben nur vor, zu erläutern oder einen Sinn zu entschlüsseln. Realiter leiten oder verführen sie den Betrachter auf einen falschen Weg, - der im Grunde auch kein falscher, sondern oft ein weiterführender ist, auf welchem der nach Verstehen Suchende Vexierspielen mit Bekanntem oder gar Verfremdungsstrategien ausgeliefert wird oder mittels Verballhornungen oder phonetischen Assoziationen Ereignisse oder Zustände als Wahrhaftiges in die Holzstichcollagen hineininterpretiert bekommt, was sich bei intensiverer Betrachtung allerdings als intellektuelle Erfindung, als Narretei, als geschickte Lüge herausstellt. "Wer nichts weiß, muss alles glauben", formulierte Marie von Ebner-Eschenbach, und anhand dieses Axioms boykottiere, überrolle und dämonisiere ich mit meiner Kunscht eine dem Verdorren ethischer und moralischer Wertorientierung preisgegebene Menschengesellschaft mit ihren banalen Profilneurosen und groteskem Potenzgehabe schlechthin, mit ihrer technischen Hybris und ihrem als unerbittlich inhuman sich erweisenden wissenschaftlichen Ehrgeiz. Und alles das findet Eingang in meine Holzstichcollagen und Zeichnungen, wenn ich lustvoll drauflosarbeite: die Gattungen bildende Kunscht, Theater, Literatur und die Naturwissenschaften verschmelzen oder verzahnen miteinander.

Im Grunde umreißt Folgendes das Wesen meiner Arbeit und mein Leben als Künschteler am treffendsten: „Jemand setzt sich zur Aufgabe, die Welt abzuzeichnen. Im Laufe der Jahre bevölkert er einen Raum mit Bildern von Provinzen, Königreichen, Gebirgen, Buchten, Schiffen, Inseln, Fischen, Behausungen, Werkzeugen, Gestirnen, Pferden und Personen. Kurz bevor er stirbt, entdeckt er, daß dieses geduldige Labyrinth aus Linien das Bild seines eigenen Gesichts wiedergibt.“ (Jorge Luis Borges in „Borges und ich“)

Michael Schmidt: Du hast es wahrscheinlich schon tausendmal berichten müssen, aber warum hast du Pickmans Modell als Theaterstück umgesetzt? Was hat dich an der Geschichte nachhaltig beeindruckt?

Thomas Franke: Nee, - ich erzähle diese Geschichte zum ersten Mal. Während der Jahre, die ich die „Phantastische Bibliothek“ mitgestaltete, schickte mir der Suhrkamp Verlag jene Bücher, die in der Reihe erschienen waren, bevor ich die Vignetten für die Bände gestaltete. So erhielt ich auch den Lovecraft-Band „Cthulhu Geistergeschichten“, in welchem ich die Erzählung „Pickmans Modell“ las, die mich vor allem deswegen beeindruckte, weil Lovecraft dem Maler Pickman Bilder und Grafiken zuschreibt gemalt zu haben, die ich kannte: es handelte sich um Schilderungen einiger Gemälde und Grafiken von Francisco de Goya, James Ensor, Johann Heinrich Füssli, von Gustave Moreau und von Gustave Doré. Es konnten also nur Pastiches sein, weswegen Pickman für mich ein Hochstapler, ein Lügner oder ein Psychopath war; - oder konnte er sie doch gemalt haben? Anhand solcher Überlegungen geriet ich in einen Zustand, in welchem sich die reale und die surreale Welt wie Yin und Yang ergänzten. Wenn ich diesen Zusammenhang in die reale Welt zu übertragen versuchte, durchdrangen das Wirkliche und das Unwahrscheinliche einander. Eine Möglichkeit, Pickman als Persönlichkeit zu verstehen bestand darin, daß der Erzähler an einer dissoziativen Identitätsstörung (DIS) leidet.

Aber dann vergaß ich die Erzählung, weil mich andere Dinge beschäftigten.

Anfang der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts fragte mich der mit mir befreundete Initiator und Regisseur einer Bonner freien Theatergruppe während eines Saufgelages, ob ich nicht Lust verspürte, mal einen Monolog zu spielen. Ich dachte selbstverständlich sofort an jenen Monolog, an den alle bei einer solchen Fragestellung denken: „Ein Bericht für eine Akademie“ nach der Geschichte von Kafka. Da aber beinahe alle Schauspieler sich an diesem Text vergriffen (und noch immer vergreifen), verwarf ich den Gedanken, - um mich im gleichen Augenblick der Geschichte „Pickmans Modell“ zu erinnern, die dem Kafka-Text in Duktus und dramatischem Aufbau entspricht und also einer Beichte oder einer Selbstrechtfertigung ähnelt, die Thurber seinem Besucher Eliot gegenüber schwadroniert, denn er war der letzte, der Pickman begegnete. Thurber schien seine Erlebnisse und die Gemälde, die er im geheimen Atelier des Kunschtmalers Pickman zu Gesicht bekam, nur schwer zu verarbeiten. Ich schlug dem Regisseur vor, diesen Text als Monolog zu spielen. Unsere erste Idee setzte einen zweiten Schauspieler mir auf der Bühne gegenüber, dessen Aufgabe es lediglich gewesen wäre, sein Gesicht zum Gehörten zu verziehen. Da sich kein Schauspielkollege für eine solche undankbare Aufgabe bereit erklärt hätte, wollten wir mit der nächsten Idee ein Opfer im Publikum dafür finden, das wir auf die Bühne mir am Tisch gegenüber zu setzen planten… Dann jedoch hatten wir mit besoffenen Köpfen die Idee, die Inszenierung für jeweils nur einen einzigen Zuschauenden zu erarbeiten (eine merkantil infantile Überlegung!) und ihn wie diesen in Lovecrafts Text erwähnten Besucher namens Eliot mir gegenüber an einen Tisch in einem Kellerraum zu setzen, wo er oder sie das von mir Erzählte über sich ergehen lassen und das physisch sich entwickelnde Geschehen ertragen mußte. Während der Proben zum Theaterstück stand plötzlich der frühere Gedanke im Raum, daß der Erzähler an einer dissoziativen Identitätsstörung (DIS) leidet. Dieses überzeugend darzustellen, ohne daß ich mich selbst darin verlor, erwies sich als ungeheure Herausforderung meines schauspielerischen Könnens und kitzelte meinen Ehrgeiz: der Erzähler Thurber und der Kunschtmaler Pickman erweisen sich als zwei – eventuell auch noch mehr – Charaktere in einer Person.

Der Beginn des Theaterstückes wurde in den Medien folgendermaßen beschrieben: „Vor einem leeren Bilderrahmen steht im Keller ein kahlköpfiger Mann. Stumm winkt er den zögernden Besucher zu sich, starrt ihn lange an, wendet sich schließlich ab und raunt: „Du glaubst, ich bin verrückt, Eliot...?“

Der bekannte Theatermacher Peter Brook schrieb: „Ich kann jeden leeren Raum nehmen und ihn eine nackte Bühne nennen. Ein Mann geht durch den Raum, während ihm ein anderer zusieht; das ist alles, was zur Theaterhandlung notwendig ist.“ Ich bin noch heute erstaunt, welches Echo die Inszenierung auch international fand. Wir nannten das Theaterstück „Das Modell“, weil wir Lovecrafts Text nicht in jedem Detail zu folgen vermochten und der Suhrkamp Verlag uns deswegen vorschlug, einen anderen Titel als den der Lovecraft-Geschichte zu verwenden. Dem Regisseur Reinar Ortmann war zum einen die Bestätigung von Peter Brooks Behauptung wichtig, zum anderen erwies sich die Inszenierung schließlich auch als Experiment größtmöglicher Nähe im Theater, - die übrigens nicht nur dem Zuschauer unheimlich werden konnte. Ich spielte die Inszenierung mit mehr als 800 Vorstellungen in den gruseligsten Kellern verschiedener Städte Deutschlands.

Im Jahr 2001 wurde das Theaterstück schließlich mit mir verfilmt.

Vor mehreren Jahren hatte ich die Idee, die Erzählung "Pickmans Modell" als von mir künstlerisch gestaltetes Buch zu herauszugeben, dem die DVD mit der Verfilmung Titels „Das Modell“ beiliegt. Ein sehr ästhetisch gestaltetes Buch mit der amerikanischen Originalversion der Erzählung von H. P. Lovecraft, der die deutsche Übersetzung gegenübersteht, mit den hochinteressanten Anmerkungen von S. T. Joshi zur Erzählung, in welchen er Lovecrafts Geschichte als aus den 1692 stattgefundenen Ereignissen der Hexenprozesse von Salem resultierend beschreibt. Dieser Bezug läßt sich konkret aus den Namen der Protagonisten, Thurber und Pickman, wie auch aus den Namen der weiterhin genannten Personen herstellen, die auf unterschiedliche Weisen in diese historisch belegbaren Vorgänge integriert waren (Quelle: H. P. Lovecraft – The Thing on the Doorstep and Other Weird Stories, Penguin Books, 2001). Weiterhin berichte ich in meiner Art und Weise, narrative Texte zu schreiben, über die kausale Idee, über meine Konzeption (von der sich die endgültige Realisierung des Theatermonologs unterschied, was ich noch immer bedauere), die sich anschließende Arbeit am Stück mit dem Faksimile des mit meinen Anmerkungen versehenen Textbuchs für die Probenarbeit und über die skurrilen Entdeckungen, bis aus der Idee dieses Theaterstück und schließlich seine Verfilmung entstand. Ich illustriere das Buch, und neben einer normalen Edition plane ich eine Vorzugsausgabe mit beiliegendem Originaldruck einer Grafikauflage. Wie immer geht es mir um das schön gestaltete, das bibliophile, das besondere Buch, wie ich es zu meiner großen Freude und sehr stolz mit Arno Schmidts Roman „Die Gelehrtenrepublik“ realisierte, das man auf dieser Internetzseite betrachten kann:

https://shop.asku-books.com/epages/es121063.sf/de_DE/?ObjectPath=/Shops/es121063/Products/BP-0060

(Für das geschilderte Vorhaben suche ich noch immer nach einem Verlag, der das Projekt gemeinsam mit mir in Angriff nimmt, nachdem es bisher trotz mehrerer Ansätze mit verschiedenen potentiellen Partnern nicht zustande kam.)



Michael Schmidt: Du hast von 1979 bis 83 für Suhrkamp gearbeitet, aktuell machst du viel für p.machinery. Als alter Hase, wie hat sich die Szene, die phantastische Literatur und die Buchindustrie im Laufe dieser langen Zeit entwickelt? Ist es besser oder schlechter geworden?

Thomas Franke: Die Szene kenne ich nicht so gut, lediglich ein paar Leute, mit denen ich zusammenarbeite, Mitglieder von ANDYMON, vom Freundeskreis SF Leipzig, die vom Berliner Otherland-Buchladen und so weiter und so fort. Die phantastische Literatur ist so, wie sie immer war; die Autorinnen und Autoren hecheln wissenschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen hinterher, sie extrapolieren zeitgeistige Themen in die Zukunft oder bemühen sich, Tolkien zu übertreffen (zumindest die Zahl der Bände, die sie für einen Ideen-Zyklus schreiben). Jene, die außergewöhnliche, autochthon entstandene phantastische Ideen umsetzen, werden oft ignoriert: Georg Klein mit seinen Romanen „Die Zukunft des Mars“ und „Miakro“ gehört beispielens dazu, Reinhard Jirgl mit „Nichts von euch auf Erden“ (ein schwer lesbarer Roman, ich gebe es zu, doch sollte man ihn nicht links liegenlassen), unbedingt Ror Wolfs Werk, Mircea Cartarescus Literatur…

Und das Verlagswesen? Das ist auf dem Weg der Kommerzialisierung, auf dem Weg der Monopolisierung der großen und mittelgroßen Verlage auf Kosten kleiner Akteure, womit auch in diesem Wirtschaftssegment die Vielfalt verloren geht. Ursula K. Le Guin forderte zum Beispiel in einer Rede, daß Schriftstellerinnen und Schriftsteller sich der Freiheit erinnern und Alternativen zu einer marktgesteuerten Kultur entwerfen müssten, die Bücher ausschließlich zu Waren degradiert. Für eine liberale Demokratie, die Pluralismus zu ihren Grundkonstanten zählt, ist diese Art der Kommerzialisierung nach meiner Meinung eine gefährliche Entwicklung. Eine Konzentration des Kapitals findet statt: einigermaßen erfolgreiche Verlage werden von Medienkonzernen aufgekauft, die sich aggressiv behaupten und viel Mist in die Buchläden einsortieren, bei denen ebenfalls eine Konzentration zu großen Buchhandelsketten stattfindet. Vor nicht allzu langer Zeit konnte ich noch Texte von lebenden Autorinnen und Autoren bei Lesungen vortragen und die Verlage fühlten sich bauchgepinselt, weil es Werbung war, die sie nicht bezahlen mußten; heute bin ich als Vortragender gezwungen, die Verlage zu fragen, ob ich deren Texte vortragen darf, - und wenn ich es darf, kostet mich das wegen der Urheberrechte einen oft teuren Obolus. Na, dann lese ich doch nur noch Texte vor, deren Verfasser und Verfasserinnen schon länger als siebzig Jahre unter der Erde liegen. Zur letzten Vernissage meiner Bilderchen plante ich, Texte von Ror Wolf († 17. Februar 2020) vorzutragen, weil dieser Schriftsteller mich außergewöhnlich beständig inspirierte. Seinen Hausverlag Schöffling & Co. grapschte sich 2022 der Schweizer Kampa Verlag, wo man es nicht einmal für nötig erachtete, auf meine Frage nach der Vortragserlaubnis zu antworten. Ich mußte oft erfahren, daß die Kultur der Kommunikation nach und nach seitens größerer Verlage und der Medienkonzerne wie auch seitens der Politikanten und Politikantinnen zum Erliegen kam. Gegenwärtig trifft man auf Schweigen oder wird belogen, wenn es darum geht, kausale Probleme miteinander zu lösen. Ich erinnere mich mit Grausen meiner Bemühungen, die Rechtefrage zur Powest „Picknick am Wegesrand“ der Brüder Strugatzki zu klären, die sich länger als ein Jahr hinzogen und während derer ich von der Rechteverhandlungsfürstin der Verlagsgruppe Penguin Random House (das ist Bertelsmann) durch ein kafkaeskes Labyrinth geschubst wurde.

Was die Buchgestaltungen betrifft, erledigen bis auf wenige Ausnahmen mittlerweile PR-Agenturen diese Arbeit mit Bildern, die sie bei globalisierten „Stock Photography“-Agenturen kaufen. Wenn ich nun von kleinen und mittleren Verlagen als Gestalter und Illustrator beauftragt werde, so zahlen die oft keinen Centavo mit der Begründung, wir würden doch alle nichts an den Büchern verdienen und wir würden doch alle an einem Strang ziehen und trotz all dieser Umstände: schön sollten sie doch aussehen. Letzten Endes wäre das ja auch Werbung für mich, so eine hübsche Buchgestaltung… Nun ja, - lassen wir das.

Michael Schmidt: Viel hört man von KI und dem langsamen Sterben der Bildkunst. Wie stehst du zu den Herausforderungen der Gegenwart und der nahen Zukunft? Bei der Schauspielerei gab es ja auch schon Visionen, Verstorbene zurück auf die Leinwand zu bringen.

Thomas Franke: (Ich denke, mit meinen folgenden Äußerungen werde ich mir viele Feinde machen und denen, die es wegen meiner früheren Äußerungen über die Kunscht-KI. schon waren, Wasser auf die Mühlen gießen, - aber: sei’s drum:) Ich muß noch viele Jahre nicht befürchten, daß irgendeine KI. die Holzstichcollage imitieren kann, denn es ist äußerst kompliziert und gegenwärtig beinahe unmöglich, die feinen Holzstichlinien zu digitalisieren, was ich immer wieder als Problem bei der Digitalisierung meiner Werke für Buchumschlaggestaltungen einpflegen muß. Ganz zu schweigen davon, daß die Künschterliche „Intelligenz“ daran scheitert, einzelne Motive aus einem Gesamtholzstich herauszuschneiden und zu einem völlig neuen Bild zusammenzufügen.

Das Geschwalle über und mit der KI. ist auch nur Geldmacherei, denn offensichtlich geht es um absichtliches Mißverstehen bzw. Nichtverstehen kreativer Prozesse und das vorsätzliche Ignorieren von Urheberrechten. Die Motivwelt eines bildenden Künschtelers speist sich nicht ausschließlich aus jener seiner Vorbilder und Wahlverwandten; sie entsteht durch das Lesen, das Hören von Musik, durch Erkenntnisse, gewonnen während schwatzhafter Diskussionen mit anderen Spinnern, zufällig, nicht einmal bewußt Wahrgenommenes… Ich möchte Jorge Luis Borges aus seinem Essay „Blindheit“ zitieren: „… jeder Mensch, sollte das, was ihm zustößt, als Instrument ansehen; alle Dinge sind ihm zu einem Zweck gegeben worden, und im Fall eines Künstlers muß dies noch weit stärker so sein.“ Die KI. entfremdet uns von dieser Notwendigkeit des Gebrauchens unserer künschtelerischen Begabung.

Ich habe mir zwar nie Gedanken über Inhalte, Tendenzen oder gar über eine Philosophie hinter meiner künschtelerischen Arbeit gemacht und auch selten darüber nachgedacht, was mich zu dieser Arbeit treibt; ich habe all die Jahre einfach lustvoll drauflosgearbeitet. Aber wenn ich nun kausal darüber nachdenke, was mich bewegt, während ich diese Zeichnungen, Grafiken und später dann Holzstichcollagen erarbeite, stelle ich fest: ich möchte etwas Geheimnisvolles, noch nie in diesem Zusammenhang Erschautes schaffen, Bilddetails in ungewöhnliche Zusammenhänge zeichnen oder montieren, um damit seltsame, mysteriöse Geschichten zu erzählen; ich möchte die Betrachter mit spannenden Motiven reizen, über das Dargestellte nachzudenken und sich selber Abenteuer aus dem zu ersinnen, was sie in meinen Werken sehen. Denn wenn ich ein Werk anschaue oder es lese, will ich Geschichten darinnen entdecken - und die Persönlichkeit dessen, der es schuf. Mit dem zuletzt genannten Bedürfnis kollidiere ich immer wieder, weil bei manchen Leuten eine Tendenz zu erkennen ist, die KI. zu vermenschlichen. Aber KI.-Erzeugnisse sind unpersönlich und nur oberflächlich reizvoll, denn ein Prompt kann diese hier aufgezählten und noch mehr Momente, die in ein Kunschtwerk einfließen (ich möchte hier die Kunscht der Anschnitte, individuelles grafisches Empfinden usw. erwähnen) nicht transportieren. Ich las einmal, „auch die neueste, heißeste Form von KI. stößt an prinzipielle Grenzen; diese Anwendungen können – oft sogar – sehr einfache Probleme nicht lösen. Zwar schlucken die Apps riesige Mengen an Daten, sie finden auch statistisch wahrscheinliche Muster, aber letzten Endes schaffen sie nur eine Art Remix des Vorhandenen. Es sind Spielereien, die mal stimmen – und Altbekanntes wiedergeben – oder halluzinieren. Als KI. sollte man sie wirklich nicht betrachten.“ Ein Film, in welchem eine KI-generierte Marilyn Monroe eine Rolle gibt, zeigt lediglich ihr Äußeres und das, was die sie generierenden Fummler von ihr denken, in sie hineininterpretieren bzw. ihr an Körperlichkeit und schauspielerischen Aktionen pauschal unterstellen, nicht die eine Rolle spielende Actrice Marilyn Monroe. Weil die KI. von Menschen gemacht wird, kann sie kaum als dem Menschen überlegen gewertet werden: ihre „intersubjektive Vergleichbarkeit“ ist wesentlich davon abhängig, welche Menschen die KI. entwickeln und inwieweit sie die jeweilige KI. mit eigenen Interessen konstruieren. Mit der Kunscht-KI. werden also mittelmäßige Bilder und mittelmäßige Texte generiert, ganz zu schweigen von der mittelmäßigen Musicke die mittlerweile Spotify überschwemmt, - und die kurzen zeitlupigen Clips präsentieren ebenfalls nichts, was mich fasziniert. Nach fünf oder sechs solchen Aneinanderreihungen von kurzen Sequenzen, die in phantastischen Filmen wahrscheinlich besser aufgehoben wären, beginnt mich das zu Sehende zu langweilen.

Des Weiteren ist es Diebstahl geistigen Eigentums, der erforderlich war, um die Modelle zu „trainieren“ (es handelt sich schlicht um faktisches Kombinieren einprogrammierter Werke, nicht um autochthone schöpferische Qual). Milliardenschwere Tech-Konzerne wie OpenAI und Meta stehlen urheberrechtlich geschützte Daten (Texte, Bilder, Musik, etc.) und „trainieren“ damit ihre KI., ohne die Urheber und Urheberinnen zu fragen, - geschweige denn, sie zu vergüten. Die gesammelten Daten werden schließlich verwendet, um Buchcover, Songs oder eben Übersetzungen mit Mausklicks zu erstellen. Das ist natürlich billiger als echte Menschen für wirklich kreative Arbeit zu vergüten. Es ist aber vor allem kurzsichtig: Denn damit entziehen sie der Unterhaltungskunscht die Lebensgrundlage und schaffen sie allmählich ab. Die Kunscht ähnelt auf diese Weise Fast Food; richtig Kochen ist aufwendig, schmeckt und nährt allerdings auch ganz anders. Deswegen wird es weiterhin die menschengemachte Kunscht geben. Kunscht ist nicht nur für die Konsumenten gemacht, sondern weil viele Machende von einem inneren Zwang getrieben werden, sich zu äußern. Als ich noch studierte – damals, vor Jahrtausenden – unterschieden wir zwischen Kunst und Gebrauchskunst (ergo: angewandte Kunst). Was letztere bedeutet, können Interessierte bei WIKIPEDIA nachlesen.

Wahrscheinlich wird der KI. als künschtelerisches Spielzeug eine ähnliche Zukunft bevorstehen wie vielen Modeerscheinungen. Das ist wie beim Pornos-Schauen: man stumpft ab, das Erleben eines „sense of wonder“ verliert sich. Ich hoffe, daß es auch bald konsumierende KIs gibt, die sich den mittelmäßigen bis unerträglich schlechten, kitschigen KI.-Kunscht-Kram reinziehen und ihn zu kaufen imstande sind, denn die Tech-Konzerne wollen letzten Endes Profit generieren.

Michael Schmidt: Jeschke, Franke, die sind ja schon tot. Du lebst und kannst nach vorne aber auch zurück blicken. Wie würdest du dein Vermächtnis definieren? Was hat die Welt durch Thomas Franke erfahren?

Thomas Franke: … hm… Die Welt hat durch mich wahrscheinlich nichts erfahren. Aber der Thomas Franke kroch einige Jahre lang als Würmchen über ihre Oberfläche, welches durchgefüttert und intellektuell ruhig gestellt werden mußte. Einige andere Würmchen auf dieser Welt hatten Spaß mit mir – und auch durch mich, … also: aufgrund meiner Arbeit, daß ich ein paar hübsche Bücher schuf und als schauspielernde Charge über die Bretter hüpfte, welche nach Shakespeare wohl angeblich die Welt bedeuten. Diesbezüglich kommt mir in den Sinn, ob mein Werdegang mitsamt den Zufällen, die ihn auslösten, nicht augenscheinlich ein schicksalhafter zu nennen ist? Der Weltbürger, Schriftsteller und Philosoph Jean Gebser sagte einstmals, alles was uns widerfahre, sei nur eine Antwort oder ein Echo auf das, was wir wären. Mag sein, er hatte Recht?

Warum habe ich mich dann für einen solchen und nicht den Lebensweg als Physiker oder Politiker (ich wurde 1983 wirklich ernsthaft gefragt, ob ich als Abgeordneter der Liberaldemokratischen Partei Deutschlands [LDPD], deren Mitglied ich damals war, in die DDR-Volkskammer einrücken wollte) entschieden, auf dem ich sicher mehr hätte bewirken und als Vermächtnis hinterlassen können? Oh je, - das war für mich nicht die Frage einer Entscheidung; ich konnte diesem unbedeutenden, für das System unrelevanten Künschtelertum einfach nicht entgehen: mit so vielen Talenten gequält, mit so viel Neugier bestraft und mit so vielen Bildern vor dem inneren Auge, mit all diesen Erkenntnissen, Verletzlichkeiten, erschreckenden Erlebnissen. Als Künschteler leben zu müssen, ergibt sich wohl aus der Entwicklung meiner Persönlichkeit, meiner Ansichten und Meinungen gegenüber der Welt sowie meinem leisen Vorhandensein in dieser Gesellschaft. Solche Überlegungen führe ich mir immer wieder vor Augen, um die mir wertvollen ethisch-moralischen Grundsätze und meinen Gestaltungs- und Lebenshunger nicht aufgeben zu müssen. Und diese Einstellung preßte mich halt vermittels dialektischer Wechselwirkungen zu einem Sonderling, der am Rande dieser Gesellschaft dahinlebt, worauf ich nicht stolz bin. Deswegen will ich niemand anderem empfehlen, diesen Weg zu gehen.

Michael Schmidt: Der Poetry-Slam. Ein Quantensprung oder ein überflüssiges Format?

Thomas Franke: Dieses Veranstaltungskonzept kenne sowohl als Vortragender wie auch als Zuschauer. Poetry-Slams sind reine Unterhaltung, die an der Basis der Wettbewerbe eigentlich darauf bauen, wie viele Leute aus der Verwandtschaft der oder die Vortragende bewegen kann, am Abend des Vortrags bei der Abstimmung eine Hand mit Abstimmungskärtchen oder Blümchen hochzurecken. Aber wie ich eingangs bemerkte: ich trinke lieber ein paar Gläser Bier. (Ach ja, ich empfehle meinen Reimling sich zu Herzen zu nehmen: Mein erstes Gedicht…………., / ich schreib‘s besser nicht.)

Michael Schmidt: Kunst und Kommerz. Siehst du Wege, beidem gerecht zu werden, ohne sich zu verleugnen?

Thomas Franke: Nein, man kann nicht beidem gerecht werden, weil diese merkantil und lediglich am Profit einiger weniger Menschen orientierte Gesellschaft, weil die unterschiedliche Gewichtung von Kunscht und Kommerz unter diesen kapitalistischen Bedingungen, unter denen alles, selbst Geistiges, zur Ware verkommt, sich aus diesen Gründen nicht vermeiden läßt. Der Schauspieler Ulrich Mühe – er kam ebenfalls aus der DDR, war schon dort um einiges opportunistischer als ich und deswegen schließlich im Westen Deutschlands merkantil erfolgreicher – sagte einstmals in einem SPIEGEL-Interview, auch in dieser, der westlichen Gesellschaft könne man mit außergewöhnlicher Begabung nicht umgehen. Tja, der Kollege hatte Recht, - ansonsten konnten wir einander nicht leiden (auch zu Recht) und wahrscheinlich peinigen sie ihn jetzt in der profanen Hölle mit blödsinnigem analytischem Geschwätze und damit, daß sie ihm Seele für Seele das Leben einer Anderen vor die Augen führen. Ja: dieses Bild gefällt mir!

Ich machte die Erfahrung, daß Ruhm oft erst dann einsetzt, wenn der Mensch sich und seine ethisch-moralischen Grundsätze aufgibt und sich zum Narren macht; wenn er dann berühmt ist, verdient er viel Geld, muß allerdings weiterhin den Narren geben. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Lange Jahre hatte ich beispielens gedacht, die „Phantastische Bibliothek“ des Suhrkamp Verlags wäre eine kommerziell einträgliche Buchreihe, bis ich dann in einem Artikel von Franz Rottensteiner las - der Herausgeber dieser Buchreihe -, daß viele Ausgaben sich kaum verkaufen ließen und die „Phantastische Bibliothek“ hauptsächlich getragen wurde von Lovecraft-, Lem-, Dick-Büchern und den Sammelbänden. Aber die Buchreihe, immerhin edierte sie der Suhrkamp Verlag, war ein Prestigeobjekt – und ein solches auch für mich als Buchgestalter, denn wenn ich noch einmal Wolfgang Jeschke zitieren darf: „…Bis ich Ende der Siebzigerjahre auf Werke von Thomas Franke stieß. Ich war zu jener Zeit Herausgeber der Science Fiction-Reihe des Heyne Verlags und beneidete die Suhrkamp-Herausgeber mit einem so hervorragenden Coverkünstler zu punkten.

Aber natürlich war mir klar, dass er mit dem Heyne-Image nicht kompatibel war: Viel zu intellektuell, zu künstlerisch, zu wenig Farbe, zu wenig Action. Und zehn bis zwölf Neuerscheinungen monatlich mussten gestaltet werden. Man hätte eine neue schmale, hochkarätige Reihe erstklassiger Science Fiction starten müssen, aber das wagte ich gar nicht erst vorzuschlagen. Die saturierten Vertreter hätten so ein Projekt mit ihren dicken Patschhändchen sofort vom Tisch gewischt; diesen Banausen war mancher Coverentwurf des markterfahrenen Karel Thole schon zu abstrakt und unverständlich und das so gestaltete Buch galt ihnen als unverkäuflich. Ein aussichtsloses Unterfangen also.“

Watt else sollen isch noch da derzu sagen?



Michael Schmidt: Was würdest du, mit all deiner Erfahrung, jungen Kreativen mit auf den Weg geben?

Thomas Franke: Keine Ratschläge, weil die immer nach Pädagogik riechen. Jeder Kreativende muß seinen Weg für sich selber finden, jedoch sollte das Lebensziel nicht das Streben nach Geld und Ruhm sein oder, schauspielernd, die pragmatisch-pubertäre Einstellung, die Welt teilhaben lassen zu wollen an der eigenen Seele oder den als wichtig empfundenen Emotionen. Das eine korrumpiert, das andere ist dumm. Ich bin zum Beispiel auch sehr vorsichtig, mich selbst als „Künstler“ zu bezeichnen, weil ich das eventuell nicht bin. Deswegen bezeichne ich mich und alle jene, die sich heutzutage das kreative Dasein mit existentiellem Darben, mit Demütigungen, Erniedrigungen und Außenseitertum, Aussätzigen vergleichbar, erkämpfen, als „Künschteler“, weil dieses Wort ironisch, poetisch und witzig klingt und auch sprachassoziativ die Armut intendiert, mit welcher sie sich durchschleckern. Künschteler werden übrigens nach ihrem Tod in die Ewigen Künschteler-Gründe eingehen, wo ihnen halt das ewige Künschtelerglück winket, verstanden? Es handelt sich dabei um eine Art Arkadien, denn das steht uns unbedingt zu! Dort warten schon, um einen Biertisch versammelt, Hieronymus Bosch, Altdorfer, Max Ernst, Goya, Arno Schmidt, Arkadi und Boris Strugatzki und einige andere auf mich.

Michael Schmidt: Noch ein Wort an die Meute dort draußen!

Thomas Franke: Ich zolle allen denen, die sich bis hierher durch mein G’schwätzle gearbeitet haben, meine große Achtung. Zudem rate ich allen, sich nicht in einen dritten Weltkrieg treiben zu lassen.

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