Michael Schmidt: Hallo Christoph, stell dich doch mal
vor!
Christoph Grimm: Kennst du den schüchternen, dicken Jungen
aus Schultagen, der nie cool war, dir alles über STAR TREK erzählen konnte und
seine Nase immer in einem Buch stecken hatte? Stell ihn dir als Enddreißiger
vor …
Ich bin hauptberuflich in der Logistik tätig und lebe mit
Frau, Kampfzwergin und Karnickeln in einem Kaff nahe Heidelberg. Seit einigen
Jahren lebe ich meine Liebe zur Phantastik als Herausgeber und Autor aus.
Michael Schmidt: Herzlichen Glückwunsch! Du bist dreimal
für den Kurd Laßwitz Preis nominiert.
Christoph Grimm: Danke. Der Kurzgeschichten-Jahrgang 2022
hatte einige Kleinode zu bieten, daher ehrt mich die Nominierung sehr. Ich
freue mich, dass Alien Contagium
als Gesamtkunstwerk überzeugen konnte und gerade weil das Feedback zum Weltenportal bisher sehr überschaubar
ausfiel, bin ich von der Nominierung überrascht. Das liest ja doch jemand 😉
… Andererseits bin ich mittlerweile lange genug in dem Teil der Szene, der sich
ausgiebiger mit dem Kurd-Laßwitz-Preis auseinandersetzt, um zu wissen, dass es „lediglich“
das Wohlwollen und Gefallen von Wenigen braucht, um es zu einer Nominierung zu bringen.
Wie gesagt: Ich freue mich, halte es aber mit meinem geschätzten Freund und
Kollegen Sven Haupt, der seine DSFP-Gewinne und die KLP-Nominierungen mehr als
Zeichen dafür sieht, dass das, was er macht, nicht völlig am Wunsch des
Publikums vorbeigehen kann.
Michael Schmidt: Fangen wir mit der aus meiner Sicht
persönlichsten Nominierung an. Die Summe aller Teile wurde als Beste Erzählung vorgeschlagen. Worum geht es in der Geschichte und was ist das Besondere an
ihr?
Christoph Grimm: Vordergründig geht es um die Komplexität
und Vielfältigkeit der Spezies Mensch, aber hintergründig um unsere größte
Hürde: Verständnis füreinander. Wir kommunizieren unentwegt – bekanntermaßen
kann man nicht nicht kommunizieren –, doch können wir uns anderen je begreiflich
machen? Können andere uns wirklich verstehen? Die Geschichte treibt es
auf die Spitze, indem behauptet wird, dass ein Menschenleben – und sei es noch
so lang – nicht dafür ausreicht. Für den Gegenpart zu meiner Protagonisten
wollte ich das fremdartigste Wesen, das ich mir nur vorstellen konnte. (Die
Idee maximaler, aber nicht zwangsweise bedrohlicher Fremdartigkeit habe ich im
Übrigen auch Detlef Klewer als Anhaltspunkt für die Gestaltung des Covers
genannt). Sven Haupt, dessen Fähigkeiten als Struktur-Lektor ich gar nicht
genug preisen kann, half mir meine Ideen mit dem Vorschlag eines lebendigen
Fotoalbums zu kanalisieren.
Die Summe aller Teile (Link führt zur Geschichte, die kostenlos gelesen werden kann)
Michael Schmidt: Sie erschien in Alien Contagium, die
Sammlung wurde für den Sonderpreis einmalig nominiert. Erzähle doch mal wie es
zu der Sammlung an Erstkontaktgeschichten kam und was die Intention dahinter
war.
Christoph Grimm: Für den Eridanus Verlag habe zuvor ich die
Anthologie Fast menschlich
herausgegeben. Die Sammlung kam gut an und die Zusammenarbeit mit der
Verlegerin Jana Hoffhenke war einfach großartig. Daher stand am Anfang der gemeinsame
Wunsch nach einer weiteren Anthologie. Wir haben einige Themen diskutiert,
darunter Near-Future-Anthologien um „gläserne Menschen“ oder ein Leben nach
dramatischen, klimatischen Veränderungen. Allerdings gab es mit „2084: Orwells
Albtraum“ (p. machinery) und „Der grüne Planet“ (Hirnkost Verlag) aktuelle Anthologien,
die ich nicht besser hätte machen können. Das Erstkontakt-Thema ist zwar auch
nicht neu, aber einerseits sind wir alle – nicht nur das SF Publikum – von der
Frage nach außerirdischem Leben fasziniert, und andererseits erlaubte das Thema
die Zusammenstellung von sehr unterschiedlichen Geschichten.
Michael Schmidt: Du hast den Band mit Jana Hoffhenke
zusammen herausgegeben. Wie kann man sich so eine Zusammenarbeit vorstellen?
Wie genau sieht da die Arbeitsaufteilung aus?
Christoph Grimm: Meine Hauptaufgaben waren Konzeption,
Ausschreibung, Zusammenstellung, Lektorat und Lektoratskoordination, Kontrolle
und die Anthologie zu bewerben: Blogger und Rezensent:innen gewinnen,
Onlinebewerbung, Lesungen, in Foren posten, Gast in Podcasts zu sein usw. Jana
kümmerte sich als Verlegerin vorrangig um Tätigkeiten, die eine Buchpublikation
mit sich bringen: Autor:innenverträge, Bucherstellung (Layout/Satz),
E-Book-Erstellung, Endkontrolle, Beauftragung der Druckerei,
Beleg-/Pflicht-/Rezi-Exemplare verschicken, Einlistung, Händlerbelieferung usw.
Bei vielen Aufgaben haben wir allerdings eng zusammengearbeitet und mir war bei
der Zusammenstellung der Geschichten ihre Meinung sehr wichtig.
Michael Schmidt: Ist der Eridanus Verlag dein bevorzugter
Ort für solche Veröffentlichungen? Was verbindet dich mit dem Verlag?
Christoph Grimm: Detlef Klewer, der für alle meine
Publikationen Titelbilder und Illustrationen anfertigt, ist der Stammdesigner
des Eridanus Verlag. Als er die Anthologie
ALIEN EROTICON zusammenstellte, hat
er meine Geschichte „Die Phase“ ausgewählt, wodurch ich Jana und den Verlag
kennenlernen durfte. Jana legt gleichermaßen Wert auf Qualität und
Originalität. Das zeigt sich im Verlagsprogramm mit Werken von großartigen
Autor:innen wie Sebastian Schaefer, Sven Haupt, Tatjana Stöckler oder Michael
Erle. Größerer Erfolg ist gewünscht und natürlich müssen sich Investitionen,
wie bei jedem anderen Verlag auch, schlussendlich lohnen, aber der
Eridanus Verlag sieht sich selbst nicht in der Notwendigkeit, sein Programm auf
Massenkompatibilität ausrichten zu müssen. In so einem Umfeld fühle ich mich
sehr wohl. Hinzu kommt: Als Autor und Herausgeber habe in anderen Verlagen,
teils noch unter meinem früheren Namen, einige schlechte Erfahrungen gemacht. Die
Zusammenarbeit mit Jana ist großartig. Deshalb erscheint auch die
Sherlock-Holmes-Pastiche-Anthologie
EN PASSANT, die ich gemeinsam mit Sarah
Lutter zusammenstellte, in Janas historischem Zweitverlag
Burgenwelt.
Michael Schmidt: Ob du mit dem Buch gewinnst, steht ja in
den Sternen. Schließlich machst du dir selbst Konkurrenz, denn mit dem
Weltenportal bist du ebenfalls nominiert. Das Magazin hat bisher vier Ausgaben,
die ersten beiden gibt es meines Wissens nur als pdf, Nummer 3+4 auch als
gedruckte Variante. Erzähl doch mal wie es zum Weltenportal kam, auf was sich
die Leser freuen können und wie die Zukunft des Magazins geplant ist.
Christoph Grimm: Die ersten beiden Ausgaben wurden auch
gedruckt, sind aber mittlerweile vergriffen. Hier muss ich etwas weiter
ausholen: Ich gehöre als Jahrgang 1985 zur letzten Generation, die ohne
Internet heranwuchs bzw. bei der das Internet eine geringere Rolle einnahm.
Mein Fenster zur Welt waren Zeitschriften. Neben der SPACE VIEW zählten TV
HIGHLIGHTS und STAR TREK: DAS OFFIZIELLE MAGAZIN, aber auch Anthologien und Anthologie-Reihen
– ganz besonders THE MAGAZINE OF FANTASY AND SCIENCE FICTION STORIES – sowie
die Literaturzeitschrift AM ERKER dazu. (Der Vollständigkeit halber: Ich blieb
PERRY RHODAN und GEISTERJÄGER JOHN SINCLAIR viele Jahre treu). Jetzt hast du
vermutlich eine Vorstellung, wohin Taschengeld und Azubigehalt geflossen sind …
Heute lese ich regelmäßig EXODUS, NOVA, GEEK!, FUTURE FICTION MAGAZINE, VEILCHEN,
das SHERLOCK HOLMES MAGAZIN und PHANTASTISCH. (Und der Vollständigkeit halber:
PERRY RHODAN NEO und gelegentlich DEAF FOREVER). Du siehst, ich mag
Zeitschriften. Sie haben, ganz im Gegensatz zum Netz, in ihrer ausgewählten
Abgeschlossenheit etwas Entspannendes. Mich mit einer Zeitschrift für eine oder
Stunden zurückziehen, ist immer noch mein
liebster Zeitvertreib. (Man munkelt, mit Büchern ginge es mir ähnlich).
Die Idee zu einer eigenen Zeitschrift gärte schon länger.
Allerdings war mir recht schnell klar, dass es neben PHANTASTISCH keine allgemeine
Phantastik-Literaturzeitschrift braucht, und ich im SF-Story-Bereich EXODUS
oder NOVA nicht überflügeln kann oder Konkurrenz machen muss. Daher sind im
WELTENPORTAL prinzipiell alle phantastischen Genre vertreten. In den Artikeln,
Interviews und Rezensionen wird sich auf einheimische Autor:innen fokussiert.
Da die Zeitschrift einen empfehlenden Charakter hat, hoffe ich, dass die
Lesenden in jeder Ausgabe neue Autor:innen oder einen Tipp für den nächsten
Gang zur Buchhandlung entdecken.
Wie es weitergeht: Wie immer bin ich selbstkritisch und
denke, dass bei der Qualität noch Luft nach oben ist. Außerdem eigne ich mir
gerade einige Tricks an, um die Optik der Zeitschrift aufzuwerten.
Michael Schmidt: Hast du weitere Projekte als Herausgeber
geplant?
Christoph Grimm: Aus zeitlichen Gründen pausiere ich mit der
Herausgabe von Anthologien und konzentriere mich in der nächsten Zeit auf das WELTENPORTAL
und ein Romanprojekt. Seit der Geburt meiner Tochter haben sich Prioritäten
verschoben und die Schreibabende (auch die Herausgeberabende)
sind seltener und kürzer geworden. Allerdings gebe ich jetzt einmal mysteriös
von mir, dass sich in nicht allzu ferner Zukunft etwas ergeben könnte.
Noch ist es ein ungelegtes Ei, daher möchte ich keine Details nennen. Du wirst
mit ziemlicher Sicherheit davon erfahren. Nur soviel: Es ist ein verdammt
großes Ei.
Michael Schmidt: Wie siehst du die deutschsprachige
Phantastik Szene, einmal historisch ganz allgemein und einmal die aktuelle
Situation?
Christoph Grimm: Ich glaube, zur historischen Entwicklung
kann ich wenig sagen. Ich habe zwar, wie erwähnt, in den Neunzigern und Nullern
das SPACE VIEW und später die GEEK! gelesen, mich gelegentlich in Foren mit
anderen über STAR TREK und Co. ausgetauscht, blieb als SF- und speziell
SF-Literatur-Fan aber bis vor wenigen Jahren eher für mich. Der BuCon 2022 war
mein erster Conventionbesuch, der nichts mit Fernsehserien zu tun hatte. Abgesehen
von einigen Bestsellern der Phantastikliteratur (Hohlbein, Eschbach,
Brandhorst) und einigen Romanheft-Serien kann ich zur Entwicklung der
Phantastik-Szene wirklich nichts sagen. Zur aktuellen Situation: Das ist so,
als müsste ich jemandem die Metal-Szene erklären. Es gibt ein paar Gemeinsamkeiten,
aber auch sehr viele Unterschiede. Sowohl bei den Kunstschaffenden als auch den
Konsumierenden. Eschbach oder Hohlbein sind vielleicht noch die Äquivalente zu
Iron Maiden, die alle kennen und denen die meisten etwas abgewinnen können. Diese
Vielfalt empfinde ich allerdings als sehr erfrischend.
Michael Schmidt: Du schreibst ja selbst. Kannst du aus
dem Pool von Geschichten welche herauspicken, die dir besonders am Herzen
liegen?
Christoph Grimm: Das wäre vermutlich „Die Summe aller Teile“. Hier gelang es mir in meinen Augen zum ersten Mal so richtig, alles,
was ich sagen wollte, mit einer gut strukturierten Geschichte und einem gefälligem
Stil zu verbinden. Sieht man von den sporadischen Gehversuchen als Teenager ab,
schreibe ich noch nicht lange. Erst seit einigen Jahren. Ich sehe mich als
kritischer Leser und begnüge mich daher nicht damit, eine nur leidlich lesbare
Geschichte auf die Menschheit loszulassen. Eine weitere Geschichte, mit der ich
sehr zufrieden bin, ist mein demnächst erscheinendes Sherlock-Holmes-Pastiche
„Im Klang von g-Moll“. Das musste nicht nur meinen inneren Literaturkritiker
überzeugen, sondern auch gleichzeitig noch den inneren Sherlockianer, der sich
der Qualitäten des Originalkanon von Sir Arthur Conan Doyle und Pastiches von
großartigen Autor:innen wie Nicholas Meyer, Ellery Queen, Anne Perry, Stephen
King oder Anthony Horowitz bewusst ist.
Michael Schmidt: Woran schreibst du aktuell?
Christoph Grimm: Derzeit überarbeite ich eine Horror Noir
Kurzgeschichte, die hoffentlich das Gefallen von Detlef Klewer findet.
Unvorsichtigerweise habe ich meiner Co-Redakteurin Sarah Ideen zu einer Holmespunk
Geschichte mit Irene Adler in der Hauptrolle geäußert. Die muss ich
jetzt natürlich schreiben, aber der Plot bereitet mir an einigen Stellen noch
Kopfzerbrechen. Die Arbeiten an „Die Summe aller Teile“ haben jedoch Samen für
ein Romanprojekt gesät. Die Schwierigkeiten von Kommunikation und dem
Verständnis füreinander sind erneut mein Leitmotiv. Keine Sorge: Dieses Mal
werden die Aliens definitiv weniger abgehoben sein ;).
Michael Schmidt: Ein Wort noch an die Leser dort draußen!
Christoph Grimm: Haben wir nicht das wundervollste aller
Hobbies :)?
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