Michael Schmidt:
Hallo C.M. Dyrnberg, stell dich doch mal vor!
C.M. Dyrnberg: Ich lebe in Wien und Salzburg, arbeite als
Universitätsassistent im Bereich Philosophie/Ethik, schreibe selten, aber doch
Kurzgeschichten, vor kurzem ist mein erster Roman erschienen und… „Dyrnberg“
ist nicht mein echter Name.
Michael Schmidt: Warum
verwendest Du ein Pseudonym?
Die erste Science-Fiction Kurzgeschichte, die ich schrieb,
trug den Titel „Das ist Freiheit“. Ich publizierte sie damals noch unter meinem
echten Namen Christian Dürnberger. Als ich dann mal einen beruflichen Vortrag
irgendwo in Deutschland hielt, wurde ich vom Moderator mit den Worten angekündigt,
dass ich mich als Philosoph u.a. mit dem Thema „Freiheit“ beschäftigt hätte –
ich war verwirrt, denn das stimmt überhaupt nicht. Dann aber verstand ich: Der
Moderator hatte meinen Namen gegoogelt und musste auf den Titel der
Kurzgeschichte gestoßen sein, ohne zu verstehen, dass es sich dabei eben um
keinen philosophischen Aufsatz, sondern eine Story handelte. Um derartige
Missverständnisse zu vermeiden, reichte ich ab diesem Moment alle weiteren Kurzgeschichten
als Dyrnberg ein.
Michael Schmidt:
Deine Geschichte Fast Forward aus Nova 31 ist für den KLP als Beste Erzählung nominiert. Herzlichen Glückwunsch!
C.M. Dyrnberg: Vielen Dank. Wenn ich mir anschaue, wer da so
aller mit mir nominiert ist, fühle ich mich mehr als nur geehrt.
Michael Schmidt:
Worum geht es in der Geschichte und was ist das Besondere an ihr?
C.M. Dyrnberg: Ob die Geschichte etwas Besonderes hat,
müssen andere beurteilen. Der Arbeitstitel der Story war „Liebeskummer im
Weltall“: Ein Mann wird von seiner Frau verlassen, kurz, bevor die Beiden
eigentlich eine Reise zu einem fremden Planeten antreten wollten, um dort ein
neues Leben zu beginnen. Der unglückliche Protagonist fliegt trotzdem – und
wird alle paar Jahre, später dann Jahrzehnte und Jahrhunderte aus
gesundheitlichen Gründen aus dem Kryoschlaf aufgeweckt. Irgendwann ist er für
ein paar Stunden wach und weiß: Die Frau, die ihm das Herz gebrochen hat, ist
mittlerweile seit langem tot – während er noch immer tieftraurig ist, denn für
ihn ist es gefühlt eben erst ein paar Tage her. Was bedeuten Kummer und Trauer,
wenn die Zeit eine andere wird, man sich quasi von ihr völlig loslöst? Und: Darf/soll/kann
man Trauerarbeit abkürzen? Die Story steuert dabei auf eine Pointe zu, ist aber
hoffentlich literarisch nicht von dieser Pointe getragen. Sprich: Mir war es
beim Schreiben wichtig, dass die Geschichte auch ohne diese Pointe lesenswert
wäre.
Michael Schmidt: Deine
Kurzgeschichte „Intervention“ aus Nova 25 wurde damals für den Deutschen Science-Fiction Preis 2019 nominiert. Worum
geht es in Intervention?
C.M. Dyrnberg: Ein Mann lebt mit zigtausend Anderen auf einer
beengten Raumstation und ist genervt – seiner Meinung nach fehlt es mit Blick
auf ein gutes Zusammenleben an „Anstand“. Daher beginnt er, andere zu
„erziehen“ mit seinen „Interventionen“, die nichts Anderes sind als kleine
Rachefeldzüge. Selbstjustiz im Kleinen, quasi. Bevor jemand den moralischen
Zeigefinger erhebt: Ja, das kann man kritisch sehen. Allzu Ernst sollte man die
Story aber ohnehin nicht nehmen. Sie will satirisch zuspitzen.
Michael Schmidt:
Dein Kurzgeschichtenwerk ist nicht umfangreich. Fünf Geschichten habe ich
gezählt. Warum schreibst oder veröffentlichst du so wenig?
C.M. Dyrnberg: Ich glaube, es sind ein paar mehr als fünf.
Aber es stimmt: Ich schreibe und publiziere sehr wenig. Dafür gibt es viele
Gründe. Ich glaube nicht, dass ich besonderes genialisches Talent zum Schreiben
habe, daher: Eine Geschichte braucht schon auch Zeit bei mir. Dazu kommt mein
Leben: Ich habe einen Beruf und bin Vater von kleinen Kindern – das ist mir
wichtig. Und es ist zeitintensiv. Darüber hinaus glaube ich, dass ohnehin zu
viel publiziert wird. Teilweise – sorry to say – schlicht aus Eitelkeit. Mir
geht es zumindest so: Ich schreibe etwas und bin davon überzeugt. Schaue ich
aber 6 Monate später nochmal drauf, denke ich mir: „Na ja. Das kann man auch guten
Gewissens in der Schublade lassen. Da geht der Welt nichts verloren.“ Und
schließlich schreibe ich schon viel, aber nicht literarisch, sondern beruflich.
Im Bereich Philosophie/Ethik gibt es weit mehr von mir zu lesen.
Michael Schmidt:
Stell uns doch mal ein paar Deiner anderen Geschichten mal vor!
C.M. Dyrnberg: Ich wähl mal ein paar aus. In „Die
Gewächskirche“ (Anthologie: Scherben) liefere ich eine Steampunk-Geschichte
rund um Religion und Biotechnologie – eine seltsame Kombination, aber ganz ehrlich?
Ich mag die Story noch immer, weil sie – hoffentlich – moralisch verwirrt und
davor warnt, zu schnell Urteile zu treffen. In „Bären“ (Exodus 39) ist eine
Familie, die allein auf einem einsamen Außenposten auf einem weit entfernten
Planeten lebt, plötzlich mit einer Spezies konfrontiert, deren Exemplare sich
vor ihrer Station in die Luft sprengen. Immer und immer wieder tauchen neue
„Bären“ auf, um ihr Leben als Selbstmordattentäter zu beenden – ohne auch nur
irgendeinen Schaden anzurichten. Ein hoffnungslos unterlegener Widerstand – was
macht das mit uns? Das Feedback zur Story war eher verhalten, für mich aber ist
sie meine zweitbeste Story. Nach „Fast Forward“. In „Helden“ (Anthologie: DasErz der Engel) geht es um die Frage, wie man „das echte Böse“ im Universum
bekämpft – und die Antwort der Geschichte lautet glasklar: Kunst. Wer die Story
aufmerksam liest, wird eine Hommage an David Bowie darin erkennen.
Michael Schmidt:
Arbeitest du aktuell an einer Geschichte?
C.M. Dyrnberg: Kurzantwort: Nein. Ich bin von der
Kurzstrecke auf die Langstrecke gewechselt. Sprich, mein erster Roman ist im
Dezember 2022 erschienen: „Die Nacht der Fragen und der Morgen danach“ war und
ist ein großes Experiment. Das Buch ist ein Krimi, aber auch eine spielerische
Einführung in die Philosophie. Der Leser begleitet einen Ich-Erzähler durch
eine Partynacht samt Verbrechen. Das Besondere? Jede Figur, mit der der
Ich-Erzähler zu tun hat, steht für einen berühmten Philosophen oder eine
berühmte Philosophin. Der Leser soll raten: Wer verbirgt sich hinter dem
Barkeeper, für den alles Leben immer bloß Leid bedeutet? Wer verbirgt sich
hinter dem Teenager, der nicht mehr an das Gute im Menschen glauben will, da er
im Internat so schlimme Erfahrungen gemacht hat? Etc. Nach dem Roman folgt die
Auflösung, also ein Sachbuchteil: Wer ist wer? Dann beschreibe ich die
Philosophie von Sokrates oder Schopenhauer auf jeweils 5 Seiten. Ein Roman als
Einführung in die Philosophiegeschichte eben. Nach diesem Mammutprojekt atme
ich mal durch – und dann schau ich irgendwann weiter, ob ich was Neues
schreiben möchte. Und wenn ja, was.
Michael Schmidt:
Wie würdest du die deutschsprachige Science-Fiction oder Phantastik Szene
einschätzen?
C.M. Dyrnberg: Solch ein Urteil steht mir gar nicht zu. Ich
fühle mich als Außenstehender: Obwohl ich das Genre gerne lese, habe ich immer
das Gefühl, ich gehöre nicht wirklich dazu. Exemplarisch: Ich hatte noch nie
einen Perry Rhodan in der Hand. Ich kenne viele Klassiker nicht. Ich war noch
nie auf einer Con. Ich kenne niemanden aus der Szene persönlich. Etc. Aber ich
mag das Genre eben. Und ja, auch das deutschsprachige Genre. Da passiert viel
Gutes. Wir haben z.B. Journale und Magazine mit einer „harten Tür“, sprich mit
Herausgeber:innen, die kritisch sind. Und das ist gut, denn grundsätzlich
sollte man zwar menschlich nett zueinander sein – literarisch darf man sich aber
ruhig kritisieren. Und zwar wahrscheinlich härter, als wir es in der Regel tun.
Michael Schmidt:
Noch ein Wort an die Meute dort draußen!
C.M. Dyrnberg: Schön, dass es Euch gibt.
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