Joe Piccol - Jojomedia (Interview)
Michael Schmidt: Hallo Jo, stell dich unseren Lesern doch mal vor!
Jo Piccol: Hallo Michael, sehr gerne, und vorab vielen Dank für die Möglichkeit, hier etwas über mich und meine literarischen Aktivitäten zu erzählen. Also, ich komme aus einem kleinen Ort im österreichischen Bundesland Steiermark, aus derselben Gegend wie die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek oder der Heimatdichter Peter Rosegger. Schon als Kind und Jugendlicher war ich begeisterter Leser von Comics und Romanheften, insbesondere dem Grusel- und SF-Zeugs wie den „Gespenster-Geschichten“ oder „Perry Rhodan“. Ich habe damals auch schon selbst zu schreiben begonnen – ich glaube, mein erster „Horror-Roman“ entstand im Alter von zwölf Jahren. Und auch mein heutiges Pseudonym bzw. mein Spitzname (Jo oder Joe) stammt aus dieser Zeit. Mit Neunzehn machte ich schließlich die Matura (das österreichische Abitur), davor war ich schon als Mitherausgeber einer Schülerzeitung mit unanständigen Inhalten von der Schule geflogen und Mitglied einer Kabarettgruppe geworden, für die ich auch die Texte schrieb. Später ging ich nach Wien, um Publizistik- und Kommunikationswissenschaft sowie Theater-, Film. und Medienwissenschaft zu studieren. Parallel dazu begann ich, als Texter und Konzepter für große Werbeagenturen und bekannte internationale Marken zu arbeiten. Ich brachte es bis zum Creative Director und Member of the Board einer renommierten Agentur, aber schließlich auch zu einem Burnout, nach dem ich mir eine ausführliche Auszeit gönnte. Dazwischen war in einem kleinen Frankfurter Verlag aber immerhin auch die Erstausgabe meiner, nennen wir sie mal so, Prosagedichte unter dem Titel „Anstaltsnotizen“ erschienen, was mir, wenn schon nicht Reichtum, so zumindest etwas Publicity einbrachte. Danach fiel mir auch nichts Besseres ein, als meine eigene Werbeagentur und ein paar Jahre später eine Agentur für Web- und App-Entwicklung zu gründen, die ich beide auch heute noch hauptberuflich betreibe. Vor fünf Jahren kam dann nebenbei auch noch der Jojomedia-Verlag dazu.
Michael Schmidt: Jojomedia ist
dein Kind. Wie kam es zur Verlagsgründung und was sind eure Ausrichtung und
Ziele?
Jo Piccol: Jojomedia geht auf ein gemeinsames Buchprojekt (ein brachial-humoristischer Reisebericht unter dem Titel „Zwei Schweine in Australien“) mit einem sehr guten Freund zurück, mit dem zuvor einen Abenteuertrip nach Down Under unternommen hatte, und der mit Vornamen auch Jo(sef) heißt. Also Jo und Jo = Jojomedia. Wir hatten zwar Angebote von anderen Verlagen, haben uns aber der „künstlerischen Freiheit“ wegen dazu entschlossen, das Buch einfach selbst zu veröffentlichen. Für den Freund war die Sache damit abgehakt, aber ich wollte unseren Kleinverlag von Anfang an weiterführen und dort eigene Sachen wie auch Texte von anderen Autoren veröffentlichen. Dann hatte ich mit meinen zwei Mitstreitern Ulli Faber und Ladi Bartok, die für Buchgestaltung und Illustrationen zuständig sind, die Idee für die UNTOTEN KLASSIKER, eine Reihe, in der wir unentdeckte vergriffene oder vergessene Highlights aus dem Bereich des Horrors und der Unheimlichen Phantastik in bibliophilen Ausgaben mit ausführlichen Hintergrundinformationen und kunstvollen Illustrationen neu veröffentlichen.
Michael Schmidt: Hanns Heinz
Ewers ist ein Schwerpunkt des Programms.
Jo Piccol: Eigentlich eher nur zufällig. Wir haben für den ersten Band der UNTOTEN KLASSIKER nach einem bekannteren Autor gesucht, dessen Texte bereits rechtefrei sind. Da stießen wir auf Hanns Heinz Ewers, dessen beide ersten Sammlungen von unheimlichen Geschichten, DAS GRAUEN und DIE BESSESSENEN, mit denen er – noch vor ALRAUNE – auch den Durchbruch als Autor geschafft hat, schon lange nicht mehr aufgelegt worden waren. DAS GRAUEN war gleich ziemlich erfolgreich und verkauft sich auch weiterhin laufend ganz gut. In der Folge hat sich sogar der Biograf und langjährige Nachlassverwalter von Ewers, Dr. Wilfried Kugel, bei mir gemeldet und mir unveröffentlichte Texte aus dessen Nachlass angeboten. So entstand dann das Buch IMMACULATA, außerhalb der Reihe UNTOTE KLASSIKER. Demnächst wird anlässlich des 150. Geburtstages von Ewers auch noch die Sammlung DIE BESSESSENEN als Band 4 der UNTOTEN KLASSIKER erscheinen.
Michael Schmidt: William Chambers
Morrow ist bei euch erschienen und es ist ein weiteres Buch aus dessen Feder in
Vorbereitung. Wer ist William Chambers Morrow und warum hast du gerade diesen
ausgewählt?
Jo Piccol: Für Band 2 wollten wir einen Autor, der im angloamerikanischen Raum geschätzt wird, im deutschsprachigen Raum aber noch nicht so bekannt ist. Wir haben dann in der englischen Sekundärliteratur gestöbert und uns mit William Chambers Morrow für einen echten „Forgotten Master of Horror“ entschieden, von dem bisher nur einige wenige Geschichten auf Deutsch in Anthologien erschienen waren, der aber von Zeitgenossen wie Ambrose Bierce und internationalen Experten wie Sam Moskowitz oder S.T. Joshi hoch gerühmt wird. Ich habe dann die Geschichten vom Morrow im Original gelesen, habe mir Faksimiles der alten Zeitschriften besorgt, in denen diese gedruckt wurden, und war schwer begeistert. So begeistert, dass ich die einzige Sammlung von Morrow, die zu seinen Lebzeiten erschienen ist, auch gleich selbst übersetzt habe. Und da es neben DER AFFE, DER IDIOT UND ANDERE LEUTE noch eine Reihe weiterer toller Texte gibt, wird als Band 5 der UNTOTEN KLASSIKER ein weiteres Buch mit Geschichten von Morrow erscheinen. Auch wenn es zugegebenermaßen schwieriger ist, einem unbekannten Autor wie Morrow Publizität zu verleihen als einem doch einigermaßen prominenten wie Ewers.
Michael Schmidt: Maurice Level
ist ein französischer Autor und du warst wegen ihm sogar in Paris, wenn ich das
richtig verstanden habe.
Jo Piccol: Ja, für Level gilt Ähnliches wie für Morrow. Er war Arzt und Journalist, besonders beliebt waren seinerzeit seine „Contes cruels“ (grausame Geschichten), die zunächst in Zeitungen und Zeitschriften erschienen, und die von ihm selbst später erfolgreich für die Bühne des berühmten Grand-Guignol-Theaters in Paris bearbeitet wurden. Nach seinem Tod wurde er in seiner Heimat schnell vergessen, aber die Übersetzungen seiner beiden Geschichtensammlungen ins Englische und Japanische brachten ihm internationale Anerkennung und einen langanhaltenden Ruf als „Meister der Angst“. In Frankreich haben einige Enthusiasten Level in den letzten Jahren wiederentdeckt und Neuauflagen seiner bekanntesten Werke veröffentlicht – ein guter Grund, um vor Ort etwas zu recherchieren und mit DIE TORE DER HÖLLE seine erste Sammlung als Band 3 der UNTOTEN KLASSIKER und deutschsprachige Erstveröffentlichung herauszubringen. Ich halte Level persönlich für einen begnadeten Erzähler, und darum habe ich mich auch hier wieder selbst der Übersetzung angenommen.
Michael Schmidt: Drei Autoren,
alles Autoren aus vergangenen Zeiten. Sind weitere Autoren in dieser Richtung
geplant?
Michael Schmidt: Du schreibst
selbst und deine Werke sind ebenfalls bei Jojomedia erschienen. Stell diese
doch mal vor!
Jo Piccol: Was bisher von mir erschienen ist, hat nur wenig mit Phantastik zu tun. Die ANSTALTSNOTIZEN sind lyrische Kopfspiele, in denen ich mich mit experimenteller Sprache abgründigen Themen wie Sexualität, Gewalt und Tod anzunähern versuche. 2 SCHWEINE IN AUSTRALIEN ist wie schon erwähnt ein Reisebericht mit brachialem Humor, der im Stil von Tommy Jaud die Erlebnisse von zwei Ösis in Australien schildert. Dann gibt es noch den COPY-KILLA, eine Wiener Kriminalgeschichte, die ich als groteske Hommage an Jack The Ripper, Thomas de Quincey und Helmut Zenker konzipiert habe. Und seit heuer gibt es sogar ein Kinderbuch mit dem Titel DIE FUSSBALL-WETTE von mir, das in einem größeren Verlag erschienen ist, und in dem Fuchs und Hase wetten, wer unter den Tieren des Waldes der beste Kicker ist … eine Geschichte, die laut Rückmeldungen von Groß und Klein für ganz lustig befunden wird … Aber an den Texten, die mir wirklich wichtig sind, feile ich schon seit Jahren herum. Und die gehen definitiv in Richtung der modernen und anspruchsvollen phantastischen Literatur. In der Warteschleife sind aktuell eine Storysammlung, ein Roman mit Horrorelementen und historischen Bezügen sowie mein „Opus magnum“, eine aberwitzige postmoderne Tour de force durch meinen höchstpersönlichen „Inner Space“.
Michael Schmidt: Wie würdest du
deine Prosa charakterisieren?
Jo Piccol: Ich denke, meine Schreibe ist ziemlich vielseitig und dem jeweiligen Sujet angepasst, was ich mit Sicherheit meinem werblichen Background verdanke – da musst du ja auch für Autos, Waschmittel, Joghurtmarken, Banken oder Fliesen die jeweils richtige Tonality finden. Persönlich mag ich es gerne unkonventionell und komplex, ich suche nach ungewöhnlichen Sujets und drastischen Sprachbildern, die in den Köpfen der Leser hängen bleiben. Das ist mir besonders auch bei meinen unheimlichen Geschichten wichtig. Mit klassischen Gestalten wie Vampiren, Werwölfen oder Zombies kannst Du heute niemandem mehr ernsthaft Angst einjagen, die funktionieren doch nur mehr als Karikaturen. Und ich stelle an meine „ernsthaften“ Texte den Anspruch an eine „Aussage“ oder einen Subtext, da ist mir der Unterhaltungswert alleine wie gesagt zu wenig.
Michael Schmidt: Sind neben
deinen eigenen Werken weitere zeitgenössische Autoren im Verlagsprogramm
eingeplant?
Jo Piccol: Ja, in jedem Fall. Ich stehe gerade im Bereich der unheimlichen Phantastik mit einigen deutschsprachigen Autoren in Kontakt, von denen ich gerne etwas veröffentlichen würde. Die Vision ist es, hier analog zu den UNTOTEN KLASSIKERN eine Reihe mit Einzelausgaben von jüngeren zeitgenössischen Autoren zu schaffen – du beackerst ja mit deinen Zwielicht-Anthologien auch ein ähnliches Feld. Hier bin ich immer offen für Texte, die zu unseren Ansprüchen passen. Aber die sind nicht immer leicht zu finden, obwohl – man glaubt es kaum! – auch wir als Kleinverlag regelmäßig Einsendungen bekommen, die offen gesagt aber meist schon handwerklich erhebliche Schwächen haben. Schön wäre es, auch die Rechte für einige Sammlungen internationaler Genre-Autoren zu bekommen, die noch nicht auf Deutsch erschienen sind. Auf alle Fälle möchte ich aber auch unseren „allgemeinen Bereich“ weiter pflegen – hier gibt es auch schon einige konkrete Projekte für das nächste Jahr.
Michael Schmidt: Wie sieht die
mittelfristige Verlagsplanung aus? Auf was dürfen wir uns freuen?
Jo Piccol: Bis Ende 2022 sind nach der aktuellen Ausgabe die Bände 4, 5 und 6 der UNTOTEN KLASSIKER geplant („Die Besessenen“ von Hanns Heinz Ewers, „Schreckliche Schatten“ von W.C. Morrow und „Die Nachtvögel“ von Maurice Level). Und ich würde im nächsten Jahr gerne die oben genannte Reihe mit zeitgenössischer unheimlicher Literatur starten. Ich habe da neben dem einen oder anderen deutschsprachigen auch ein paar englische und amerikanische Autoren im Visier, aber das hängt natürlich von entsprechenden Verhandlungen ab. Eine Erwägung ist auch, mit einer eigenen Storysammlung zu starten.
Michael Schmidt: Wie würdest du
die deutschsprachige Phantastikszene beurteilen? Wo sind ihre Stärken, wo ihre
Schwächen?
Jo Piccol: Es wäre jedenfalls wünschenswert, dass die deutschsprachige Phantastik über Szenegrenzen hinweg stärker wahrgenommen wird. Ich habe den Eindruck, dass sich viel im mehr oder weniger professionellen Fandom bzw. in der Kleinverlags- und Selfpublishing-Szene abspielt und von der Breitenwirkung daher weitgehend „unter der Decke“ bleibt, vor allem was inhaltlich oder sprachliche anspruchsvollere Texte betrifft. Die größeren Verlage haben ihre einschlägigen Programme drastisch reduziert oder veröffentlichen generell keine deutschsprachigen Autoren. Das Einzige, was aktuell auf dem Markt zu funktionieren scheint, sind dickleibige Fantasy-Wälzer, aber selbst die kommen meist aus dem Ausland und sind ohnehin nicht so mein Ding. Ich denke schon, dass es hierzulande einiges an Potential gibt, aber ehrlicherweise bedienen viele jüngere Autoren auch nur alte Klischees und beschreiten mit „more of the same“ ausgetretene Pfade. Vielleicht wäre es ein Ansatz, mehr auf eigenständige Themen zu setzen und zu versuchen, die bestehenden engen Genregrenzen zu durchbrechen. Phantastische Elemente sind ja mittlerweile durchaus auch in der sogenannten gehobenen Literatur gang und gäbe.
Michael Schmidt: Welche Autoren
würdest du neben deinem Verlagsprogramm empfehlen?
Jo Piccol: Im zeitgenössischen Phantastik-Bereich halte ich im deutschsprachigen Raum viel von meinen österreichischen KollegInnen Eric R. Andara, John Aysa und Faye Hell sowie Tobias O. Meißner und den „üblichen Verdächtigen“ Michael Siefener, Jörg. Kleudgen, Eddie M. Angerhuber und dem leider schon verstorbenen Malte S. Sembten. International bevorzuge ich diesbezüglich Autoren wie Ramsey Campbell, den frühen Clive Barker, Laird Barron, und ja, ich gebe es zu, auch Edward Lee, den ich einfach witzig finde. Außerdem versuche ich mich, durch die alten Ausgaben von „Weird Tales“ zu kämpfen. In der SF bleibe ich eher bei den alten Meistern wie Philip K. Dick, J.G. Ballard, James Tiptree jr. und Barry N. Malzberg. Außerhalb der Phantastik darf es gerne neben Klassikern wie Cormac McCarthy und Umberto Eco auch gehobener Underground sein, William Burroughs natürlich und Chuck Palahniuk, oder Französisches von Pascal Bruckner, Frederic Beigbeder und Michel Houellebecq zum Beispiel.
Michael Schmidt: Noch ein Wort an
die Meute dort draußen!
Jo Piccol: Lest mehr gute Bücher! Und vielen Dank, dass ihr so lange dran geblieben seid … 😊!
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