Erik Hauser zu Das Erbe der Wölfe (Interview)
Michael Schmidt: Hallo Erik, da ich nicht weiß, ob dich alle kennen, stell dich doch mal vor!
Erik Hauser: Persönlich bin ich schon etwas älter, als „Szenemensch“ bin ich noch jünger und eher weniger in Erscheinung getreten. Von Beruf bin ich Gymnasiallehrer und schreibe in meinen Freistunden oder in Cafés Phantastisches. Privat kümmere ich mich um zwei Hunde und eine Katze, außerdem springen in meinem Haushalt noch drei Jugendliche herum, die behaupten, unterhaltstechnisch von mir abhängig zu sein, was mir manchmal Bauchgrimmen bereitet.
Michael Schmidt: Werwölfe magst du!
Erik Hauser: Nö, überhaupt nicht (grins). - Nein, ehrlich:
Werwölfe sind schon faszinierend, vor allem die Identitätsproblematik finde ich
sehr spannend und reizvoll. Im Gegensatz zum Vampir, der weiß, dass er ein
Vampir ist, verwandelt sich der Werwolf – zumindest in den meisten klassischen
Darstellungen – bei Vollmond gegen seinen Willen in das Monster. Er hat zwei
Persönlichkeiten, die im Widerstreit miteinander liegen, eine animalische und
eine soziale oder Alltagspersönlichkeit. Welches ist die wahre Persönlichkeit
und welches sozusagen das falsche „Fell“, in das er schlüpft? Aus diesem Konflikt ergeben sich viele erzählerische
Möglichkeiten.
Michael Schmidt: Das Erbe der
Wölfe ist dein Debütroman, oder?
Erik Hauser: Mein Debütroman, stimmt. Allerdings habe ich
vorher schon einen Band mit makabren Geschichten veröffentlicht. Da die
Kurzgeschichte hier bei uns jedoch, anders als zum Beispiel im
anglo-amerikanischen Sprachraum, ein Schattendasein fristet, zählt als Debüt
irgendwie erst die Veröffentlichung eines Romans.
Michael Schmidt: Worum geht es in dem Roman?
Erik Hauser: Das ist gar nicht so einfach zu sagen. Natürlich
um Werwölfe. Allerdings agieren die eher im Hintergrund. Kurzgefasst: In einem
kleinen russischen Dorf tauchen zwei Studenten auf, Narodniki oder Rothemden,
Vertreter einer sozialrevolutionären Strömung, die gegen Ende des 19.
Jahrhunderts in Russland von der Universität in die Dörfer ging, um dem
einfachen Volk die Ideale von Freiheit, Brüderlichkeit, Gemeingut etc. nahe zu
bringen. Ging natürlich historisch krachend schief, weil die Studenten keinen Schimmer
vom Leben der einfachen Landbevölkerung und ihren Überzeugungen hatten. Auch in
meinem Roman kommt es bald zu Konflikten: Schafe werden gerissen, ein Mensch
getötet. Wer dahinter steckt, ist jedem im Dorf schnell klar: Werwölfe. Aber
sind es die Narodniki oder doch jemand anderes? Das Geheimnis wird erst am Ende
gelüftet, dazu muss man das Buch lesen. - Ein anderes Geheimnis, das nur die
Leser:innen deines Blogs erfahren, verrate ich jetzt: Eine der
Inspirationsquellen des Romans war tatsächlich das allseits beliebte
Party-Werwolfspiel, in der jede Nacht ein Dorfbewohner getötet wird und die
übrigen dann raten müssen, wer Werwolf und wer Dorfbewohner ist. Meine
Hauptheldin im Roman, Galina, ist in gewisser Hinsicht eine Variante des
„blinzelnden Mädchens“, allerdings eine eher unzuverlässige, wie sich
herausstellt.
Michael Schmidt: Russland als Handlungsort, bei all den
aktuellen Geschehnissen…spielt keine Rolle für einen phantastischen Roman,
oder? Was fasziniert dich an dem russischen Zarenreich?
Erik Hauser: Als ich den Roman vor drei, vier Jahren anfing,
konnte ich natürlich noch nicht ahnen, dass am 24. Februar 2022 Russland die
Ukraine überfallen würde. Es war mir daher ein Bedürfnis, den fertigen Roman
allen mutigen Russinnen und Russen zu widmen, die sich gegen das
verbrecherische Putin-regime in ihrem Land wehren. Insgesamt lässt sich „Das Erbe der Wölfe“ natürlich auch als Parabel auf Machtmissbrauch lesen. Fake News
und Propaganda spielen auch eine Rolle; schließlich nutzen die Herren des Dorfes
die Werwolfpanik für ihre Zwecke weidlich aus. Und ja, was fasziniert mich am
zaristischen Russland? Zum einen habe ich ganz viele russische Autoren gelesen,
Turgenjew, Tschechow, Tolstoj, Dostojewski und so weiter, und war begeistert
von der ironischen Erzählhaltung dieser Autoren, von denen ich mir einiges
abgeguckt habe (s.u.); zum anderen bot sich als Handlungsort für so eine in
vieler Hinsicht „klassische“ Werwolfgeschichte natürlich ein abgeschiedener,
rückständiger (in unseren westlichen Augen) Ort an, wie es z.B. ein Dorf im
fernen Russland darstellt.
Michael Schmidt: Und was fasziniert dich am 19. Jahrhundert?
Erik Hauser: Es gab noch keine Handys oder Smart Phones. Es
mag überraschen, aber ja: ich selbst besitze kein Handy. Wenn ich eine „moderne“
Geschichte schreibe, vergesse ich das oft, wie leicht man sich heutzutage
nämlich aus einer misslichen Situation mittels Handyanruf befreien kann.
(Deshalb muss an dieser Stelle der Handlung mindestens eine der Personen auf
ihr Handy schauen und sagen: „Mist, hier gibt es gar kein Netz“.) - Im 19.
Jahrhundert gab es diese Probleme für Autor:innen noch nicht, was vieles
leichter macht.
Michael Schmidt: Deine Kurzgeschichten haben oft eine
humorvolle Note. Dein Roman auch?
Erik Hauser: Ich finde ja. Die Dorfbewohner sind schon sehr
skurril und ihr von Egoismus, Gier und Selbsterhaltungstrieb gelenktes Handeln
ist schon manchmal recht komisch, auch wenn der Hintergrund eher düster ist.
Insgesamt versuche ich, wie fast immer, eine Balance zwischen Horror und (unterschwelligem)
Humor zu halten, was nicht immer ganz einfach ist. Das schönste Lob eines
Lesers hatte ich im Anschluss an eine Lesung; er sagte mir, dass er, obwohl es
im Roman insgesamt recht grausam zuginge,
doch an manchen Stellen auch recht herzlich gelacht habe. Meinen Humor
im Roman und anderen Geschichten würde ich allerdings eher als makaber,
schwarzer Humor, gelegentlich auch als sarkastisch bezeichnen.
Michael Schmidt: Wie würdest du dich als Autor
charakterisieren?
Erik Hauser: Der ironische Grundton, der sich in den meisten
Geschichten und auch in „Das Erbe der Wölfe“ (s.o.) wiederfindet.
Michael Schmidt: Deine erste Kurzgeschichte!
Erik Hauser: Meine erste professionell veröffentlichte
Kurzgeschichte, das war, wenn ich mich recht erinnere, „Rosenblut“ in der
Anthologie Sad Roses von Alisha Bionda.
Michael Schmidt: Deine erste Herausgeberschaft!
Erik Hauser: Das war Berührungen der Nacht, ein Band
mit „gelehrten“ Spukgeschichten von englischen Autoren im Stile von M.R. James,
erschienen im Festa-Verlag. Frank-Rainer Scheck hat mich damals als Herausgeber
mit ins Boot geholt, nachdem ich eine Probeübersetzung abgegeben und wir am
Telefon dann lange über M.R. James und die durch ihn entstandene spezielle
Spielart dieser Gespenstergeschichte geredet hatten.
Michael Schmidt: Deine aktuelle Kurzgeschichte!
Erik Hauser: Zuletzt
erschien „Die natürliche Widrigkeit der Dinge“ im Zwielicht 17.
Michael Schmidt: Deine Lieblingsgeschichte aus deiner
Feder!
Erik Hauser: Oh, das ist schwer zu sagen. Wie Kinder hat man
sie alle auf ihre Art gerne. Und je nach momentaner Stimmungslage ist es mal
die eine, mal die andere. Etwas Besonders ist natürlich „Odem des Todes“, weil
die Novelle so viele positive Reaktionen hervorgerufen hat, z.B. eine überschwängliche
Rezension im Newsletter einer mir gänzlich unbekannten Buchhandlung im Ruhrpott
und ein Lob von Franz Rottensteiner höchstpersönlich in einer Besprechung im Quarber
Merkur. Und außerdem wurde sie dann ja auch für den Vincent-Preis
nominiert.
Michael Schmidt: Deine Lieblingsgeschichte aus fremder
Feder!
Erik Hauser: Noch schwerer, nein: unmöglich zu beantworten,
da gibt es so viele gute und herausragende. International lese ich gerade
wieder Thomas Owen, da ist eigentlich jede Story ein kleines Juwel. National,
weil ich gerade das (empfehlenswerte) Zwielicht 17 lese, haben mir besonders
die Beiträge von Lagermann und Stößer gefallen (aber auch alle anderen
Geschichten, einschließlich meiner eigenen 😀.
Michael Schmidt: Dein aktuelles Schreibprojekt!
Nach der Arbeit an dem Roman Das Erbe der Wölfe, die
sehr zeitaufwendig und intensiv war, beschäftige ich mich jetzt insgesamt
wieder stärker mit Kurzgeschichten. Ich habe schon eine ganze Reihe davon
zusammen, genug jedenfalls, um daraus einen weiteren Band zusammenstellen zu
können. Schauen wir mal.
Michael Schmidt: Ein Wort an die Leser!
Erik Hauser: Vielen Dank an euch alle, liebe Leser:innen, die
ihr an meinen Geschichten Gefallen gefunden habt. Ich freue mich, dass ich ein
wenig Vergnügen bereiten konnte, und hoffe, dass wir noch ein Stück weit den
Weg gemeinsam gehen werden. - Und ja, Supernatural war eine tolle Serie
und ist die einzige mir bekannte, die es zu einem irgendwie befriedigenden
Serienende geschafft hat. Macht's gut und: Augen auf bei Vollmond!
Schönes Interview (auf dem Foto sieht Erik etwas alleingelassen aus 😎), und es war mir auch eine Freude, euch beide kennengelernt zu haben.
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