Aqua

 Ein Haufen Geschichten haben sich im Laufe der Zeit angesammelt. Geschichten  verschiedenster Genres, verschiedenster Art. Zeit genug, die Geschichten Stück für Stück zu präsentieren:

Aqua  ist dabei vordergründig dem Fantasy Genre zugehörig, aber wer sie liest, wird sehen, es handelt sich um eine lupenreine Horrorgeschichte. Aqua selbst habe ich in sechs verschiedenen Geschichten mitspielen lassen. Die anderen Saramee Autoren haben die Figur allerdings nicht verwendet.


Aqua aus In den Gassen von Saramee erschien im Mai 2008 und wurde im E-Book Der Glanz der Durtone erneut veröffentlicht.


Das dumpfe Trommeln übertönte jedes andere Geräusch. Rhythmisch, mal schneller zunehmend, bevor die Schläge wieder länger und tiefer wurden, ähnlich einer Sekunde, die sich urplötzlich immer weiter dehnt, ein kurzer Moment der Ewigkeit, bevor sie wie im Nichts verrinnt.

Stille!

Dann setzte das Trommeln erneut ein. Schneller als zuvor, fordernd, mit einer Wildheit, welche die versammelte Menge in Ekstase versetzte. Körper schüttelten sich, warfen jegliche bewusste Wahrnehmung ab, wurden eins mit der Musik, der Energie, einem wilden, tief verwurzelten Instinkt folgend.

Die Luft knisterte und jederzeit konnte die Stimmung umschlagen und die gesammelte Aggressivität, ein Ventil suchend, explodieren.

Die Houndi waren die Attraktion in Saramee, versetzten die Massen in Entzücken mit ihrer Mischung aus Kunst, Intellekt und Gewalt. Seit Wochen musizierten sie, allerdings außerhalb der Stadtmauern, da Arun Beran, Harus und Meister der Gelehrtengilde, sie dazu verdonnert hatte, ihre Konzerte in die Einöde des Umlandes zu verlegen. Sie wären ein Anziehungspunkt für den Sündenpfuhl der Stadt, aus Berans Sicht die Gestaltwerdung des Bösen und da greifbar, eine willkommene Zielscheibe, um den immer mehr um sich greifenden Verfall von Sitten und Moral zu brandmarken.

Beran sollte vor seiner eigenen Haustür kehren und seine gierigen Blicke von den jungen Mädels lassen, deren Lehrer er zu sein vorgab.

Aqua schüttelte bei diesem Gedanken automatisch den Kopf, während er den restlichen Körper im Rhythmus der Houndi wiegte. Aber ihn interessierte die Verbannung der Houndi in Wirklichkeit überhaupt nicht. Hier, außerhalb der Stadt, war es viel einfacher, seinen dunklen Begierden zu folgen.

Er blickte über die tanzende Menge, eingerahmt von Dschungel und Meer, sah die provisorischen Stände der Wetahverkäufer. Diese Lichtung war ein Brennpunkt nächtlichen Treibens und zog von Mal zu Mal mehr Besucher an.

Seine vierzehigen Füße führten ein unheilvolles Eigenleben, tanzten, sprangen, ohne dass er ihnen Einhalt gebieten konnte. So schlecht seine Ohren auch waren, die Phi-eigenen Organe am Hinterkopf nahmen die Musik auf und brachten sein kühles Blut zum Erhitzen. Er kannte eine unendliche Anzahl von Musikern, aber noch nie empfand er etwas anderes als fades Interesse, nie ein solch intensives Gefühl wie bei dem orgastischen Rhythmus der Houndi: Die gallertartige Masse, die anstelle Knochen seinen Körper formte, sendete Wellen voll Glückseligkeit in seine vorderen Hirnlappen. In der Mitte das riesige Feuer, das ein bizarres Schauspiel über die versammelte Menge warf, umhüllt von den glänzenden, mit Öl eingeriebenen Houndis, die sich ganz ihrer Musik hingaben, hatte dieser Abend etwas Magisches, Einmaliges.

Aqua musterte die unzähligen Gruppen, die sich berauscht von Wetah und Stärkerem der Symphonie der Trommeln hingaben. Eine Gruppe Glisk, seltsam steif, bewegte sich ruckartig in einer komplizierten Schrittfolge um ein imaginäres Zentrum. Dort die dunklen und glänzenden Körper der hoch gewachsenen Okaner, deren Augen weit aufgerissen von der süßen Frucht Yalmens in höhere Sphären blickten. Er hingegen kaute auf einem Stück Yang-Knolle, was seinem Geldbeutel mehr entgegen kam.

Links neben sich gewahrte er eine bleichgesichtige Gruppe ekstatisch tanzender Istader und er wollte seinen von der Vielzahl an Sinneseindrücken trägen Blick gerade weiterwandern lassen, da erblickte er sie und erstarrte mitten in der Bewegung. Ihre Größe passte zu den in der tanzenden Istadern, doch das Gesicht war nicht spitz, sondern weich, die blassen, grauen Pupillen ihrer Augen schwammen in einer trüben Flüssigkeit. Als sie ihn anblickte, pochten die Säfte in seinem Inneren. Die gallertartige Masse dehnte sich und zog sich zusammen, machte ihn länger und kürzer, gleichzeitig versprühten seine Drüsen jene Düfte rücksichtloser Lust, die vollständig von ihm Besitz ergriffen hatte. Er stolperte, verlor die Magie der Musik für sich unendlich dehnende Sekunden, fiel zu Boden, während sein Ich erbebte. Schnell erhob er sich, immer noch unkoordiniert schwankend, dann stand er mit suchendem Blick und geriet an den Rand der Panik.

Wo war sie?

Erleichtert fand er ihre Konturen, ihren harmonischen Gang, fließende Bewegungen, eins mit dem dumpfen Bumm-Bumm, das die Luft erfüllte. Im Gleichklang tanzte er durch die Menge, wich aus, wo nötig, doch der Abstand verringerte sich nicht. Über die Schulter warf sie ihm einen koketten Blick zu, ein spöttisches Lächeln auf den Lippen.

Er beschleunigte seine Schritte und folgte ihr noch, als sie den Weg in das Dickicht nahm. Die Trommeln waren immer noch allgegenwärtig, doch nahm die Lautstärke ab, erst unhörbar, doch je mehr ihn die grüne Wand in sich aufnahm, desto mehr geriet die hypnotische Musik in den Hintergrund. Immer wieder verschwand die Unbekannte hinter hohen Bäumen und wucherndem Gestrüpp, aber kaum wallte Panik in ihm auf, eine urtümliche Verlustangst, blitzte ihr lieblich bleiches Gesicht im vollen Schein Landras auf.

Aqua verlor immer mehr die Orientierung, tauchte immer tiefer in das Hinterland ein, bis sich die Umgebung schlagartig änderte. Vor ihm öffnete sich eine Lichtung, die in das schwarz schimmernde Meer überging. Er war gar nicht ins Hinterland Saramees vorgedrungen. Der Weg musste ihn hin und her, schlussendlich aber wieder zum offenen Wasser geführt haben. Ganz zart fühlte er die Musik der Houndi in der Luft, doch schien sie weit entfernt und seltsam dumpf.

Gerade noch sah er das Mädchen wie ein Pfeil durch die Luft schnellen, dann durchbrach sie mit einem leichten Platsch die Wasseroberfläche und verschwand in den Tiefen des Ozeans.

Er zögerte, verlangsamte seine Schritte bis zum Stillstand und blickte unschlüssig die Fluten an. Diese Phi hatte lange unterdrückte Bedürfnisse geweckt. Leidenschaften hervorbeschworen, die er längst vergessen glaubte. Wie lange war es her, dass er jemanden seiner Rasse getroffen hatte? Und dann eine solche begehrenswerte Phi …

Das Meer rief, die Verlockung nach dem kühlen Nass und der lang verwehrten Vereinigung ließ ihn rasch handeln. Er entledigte sich seines einteiligen Gewandes, sprang in die Fluten, die herrlich kalt waren. Er tauchte, folgte dem inneren Kompass, der ihn in Spiralen nach unten zog, dem Ziel seiner Begierde folgend.

Aqua tauchte in das kühle Nass. Das trübe Wasser erschwerte die Sicht, aber schon nach wenigen Zügen hatten sich seine Augen auf die veränderten Bedingungen eingestellt. Während er das Wasser gefühlvoll in seine Kiemen einsog, durchlief ein kaltes Kribbeln seinen Körper. Jetzt war er in seinem Element, schoss durch die Fluten, mal in eine warme Strömung, mal in eine kältere. Weit vorn schwamm die Phi, er verdoppelte die Anstrengung und stellte fluchend fest, dass er nicht näher heran kam. Die Muskeln anspannend erhöhte er die Taktzahl, katapultierte sich nach vorne, seiner Sehnsucht entgegen. Und tatsächlich, endlich verringerte sich der Abstand.

Seine Erregung wuchs.

Er beobachtete, wie sie die Richtung änderte und nach unten abtauchte, er im Gleichklang hinterher. Sie drehte Spiralen, er auch, ein unheimliches, fast lustvolles Ballett.

Ein unbeteiligter Beobachter wäre entzückt, ein solches Schauspiel zu beobachten, durchfuhr es Aqua unwillkürlich.

Immer schneller durchdrangen sie das Wasser, immer wilder waren die Figuren die sie dabei zeichneten, und immer knapper wurde der Abstand zu ihr.

Und urplötzlich war sie verschwunden. Weg!

Für einen Moment blieb Aqua ohne Orientierung, schwamm im Kreis, während Panik ob ihres Verlustes Besitz von ihm ergriff.

Dann hörte er ein rhythmisches Pochen, die Musik der Houndi war zurückgekehrt, hier unten, weit weg von der Lichtung, wo alles begann.

Sein ganzer Körper pulsierte im Takt, war gefangen vom Zauber der einfachen, aber köstlichen Melodie. Ohne es zu merken, hatte er eine bestimmte Richtung eingeschlagen: Der Musik entgegen.

Der Rest der Geschichte findet sich in den Publikationen  In den Gassen von Saramee sowie dem E-Book Der Glanz der Durtone.

Hier die Geschichten mit Aqua:

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