Merlin Thomas (Interview)
Michael
Schmidt: Hallo Merlin, sag mal, wer ist eigentlich Merlin Thomas?
Merlin
Thomas: Hallo Michael. „Wer ist Merlin Thomas“, da gehst du ja gleich in die
Vollen mit deinen Fragen. Probieren wir es mal ganz pragmatisch: er ist
der durchschnittliche Freizeit-Phantastik-Autor
von nebenan mit zu viel Bauch und zu wenig Haar. Wenn er in der Stadt an dir
vorbei ginge, würde er dir vermutlich nicht weiter im Gedächtnis bleiben. Doch
während seiner täglichen Zugfahrten wird er zu Writing-Man … aber darüber darf
ich nicht sprechen.
Michael
Schmidt: Operation Heal wurde für den Kurd Laßwitz Preis 2014 als Beste Erzählung nominiert. Herzlichen Glückwunsch!
Merlin
Thomas: Vielen Dank! Auch dafür, dass du die Gelegenheit nutzt, mich mit diesem
Interview in die Öffentlichkeit zu locken.
Michael
Schmidt: Welche Chancen rechnest du dir aus?
Merlin
Thomas: Ich sehe mich ganz klar als Außenseiter, aus verschiedenen Gründen. Zum
einen sind viele der mit mir gemeinsam nominierten Autoren natürlich viel
bekannter als ich. Ich denke da beispielsweise an Thorsten Küper, Michael
Marrak oder Markus Hammerschmitt. Je bekannter ein Autor ist, desto mehr Leser
zieht seien Geschichte sicherlich auch an.
Zum
zweiten sind die meisten anderen nominierten Geschichten in Zeitschriften bzw.
Magazinen erschienen, die eine deutlich größere Verbreitung haben dürften als
die Anthologie Blackburn, in der meine Geschichte erschienen ist.
Zum
dritten ist mein Beitrag formal etwas experimenteller gehalten, das trifft
sicherlich nicht jedermanns Geschmack.
Alles
in allem war es schon eine große Überraschung und Freude für mich, als ich die
E-Mail von Udo Klotz, dem KLP-Treuhänder, bekam. Von den anderen Geschichten
kenne ich bislang nur Grosvenors Räderwerk aus einer Lesung in Second
Life. Ich gehe davon aus, dass die anderen nominierten Beiträge ein ähnliches
Qualitätsniveau an den Tag legen und daher würde ich jeder von ihnen auch den
Sieg gönnen.
Cover von Lothar Bauer |
Michael
Schmidt: Worum geht es in der Geschichte?
Merlin
Thomas: Da muss ich etwas weiter ausholen. Operation Heal war ein
Beitrag zu einer Ausschreibung zu der Anthologie Blackburn aus Michael
Haitels Verlag p.machinery. Die Ausschreibung wiederum basierte auf dem Film Black
Hawk Down von Ridley Scott, dem ein reales Ereignisse aus dem somalischen
Bürgerkrieg zugrunde liegt.
Die
USA wollen einen somalischen Warlord stellen, doch bei dem Einsatz werden zwei
Kampfhubschrauber abgeschossen und mehrere amerikanische Soldaten getötet. So
weit Realität und Film.
Michael
Haitel ergänzte das Szenario um die Idee, dass sich unter den Getöteten zwei
Söhne des US-Präsidenten befanden, der daraufhin ganz Somalia mit taktischen
Nuklearschlägen ausradieren lässt. Und die Aufgabenstellung lautete: was
passiert danach?
Meine
Geschichte setzt acht Jahre später ein, ein neuer Präsident hat in den USA die
Regierungsgeschäfte übernommen und möchte der Welt beweisen, dass Amerika
bereit ist, zu sühnen und Wiedergutmachung zu leisten. Er entsendet Hilfskräfte
in die verwüstete Region, die für Dekontaminierung und Wiederaufbau sorgen
sollen. Doch kommen bald Zweifel auf, ob das Handeln der Vereinigten Staaten
wirklich so selbstlos ist, wie es medienwirksam dargestellt wird.
Michael
Schmidt: Wie kam es zu der Idee? Wie entstehen generell bei dir die
Geschichten?
Merlin
Thomas: Die Idee zu Operation Heal entwickelte ich ganz stringent aus
der Ausschreibung, die mir die Verantwortung für endlose Quadratkilometer
Ödland überlassen hatte. Ich stellte mir die Frage, was in bzw. mit diesem
verwüsteten Gebiet passieren könnte und kam auf die Idee, dass jemand beginnen
könnte, es wieder urbar zu machen. Die anschließenden Fragen lauteten dann: Wer
hätte die Mittel dazu? Welches Interesse hätte er daran? Und wie kann ich
daraus einen lesenswerten Konflikt generieren? (Utopische Entwürfe, wie sie
ursprünglich in der Ausschreibung gefordert waren, haben ja oft das Problem,
dass es schwierig ist, eine gute Geschichte darin zu erzählen, da einfach alles
toll ist.)
Als
ich mir dann den Hintergrund überlegt hatte, stand ich vor der Schwierigkeit,
aus welcher Perspektive ich ein solch großes Szenario in einer Kurzgeschichte
abhandeln sollte. Der US-Präsident als Protagonist wäre mir zu weit vom
tatsächlichen Geschehen entfernt gewesen und auf der anderen Seite hätte ich es
für unglaubwürdig gehalten, wenn eine einfache Figur vor Ort die politischen
Hintergründe hätte aufdecken können. Daher entschied ich mich, das Szenario in
Form einer Collage aus verschiedenen Dokumenten und Berichten zu entfalten, z.
B. Presseerklärungen, Briefen, öffentlichen Reden etc. Wer sich darunter nur
schwer etwas vorstellen kann, findet in meinem Blog unter www.wortwerken.de/2014/03/31/leseprobe-operation-heal/
eine Leseprobe zu der Geschichte, die das verdeutlicht.
Ähnlich
entstehen eigentlich alle meine Geschichten. Es gibt irgendeine Art von
Keimzelle, sei es eine Figur, eine Szene oder eine Vorgabe aus einer
Ausschreibung. Diese Zelle reift dann im Hintergrund, manchmal durchaus über Wochen
und Monate, trifft auf andere Zellen und wächst, bis der Kern einer Geschichte
entstanden ist. Diesen Kern setze ich dann systematisch weiteren Fragen aus, um
zu erkennen, welche Schale darum herum gehört, um eine Geschichte daraus zu
machen.
Für
den nächsten Schritt habe ich dann allerdings noch nicht ganz meinen optimalen
Arbeitsstil gefunden. Ich meine die Frage, wie viel der Geschichte ich im
Voraus plotte und wie viel einfach beim Schreiben entsteht. Wenn ich zu
detailliert plotte, werde ich oft gelangweilt von dem Text, an dem ich arbeite,
da ich meine, ja schon alles zu wissen, was geschehen wird. Wenn ich aber frei
schreibe, dann lauf ich auch leicht mal in eine Sackgasse oder habe das Gefühl,
dass ich mit den spontanen Ideen nicht so viel aus der Geschichte heraushole,
wie es möglich gewesen wäre. Da bin ich noch auf der Suche nach meiner
persönlichen Balance.
Michael
Schmidt: Jenseits der Tür ist dein
Debüt in Zwielicht. Worum geht es in der Geschichte und warum sollten die Leser
gerade diese Geschichte lesen?
Björn Ian Craig |
Merlin
Thomas: Jenseits der Tür ist die Geschichte von Teevke. Wir treffen sie
erstmals im Alter von fünf Jahren, als
gerade ihre kleine Schwester geboren wurde. Teevke fühlt sich zurückgesetzt, da
sie nun nicht mehr im Zentrum der familiären Aufmerksamkeit steht. Während
eines Wutanfalls bemerkt sie plötzlich mitten in der Wand eine kleine schwarze
Tür, die vorher nicht da war. Und hinter dieser Tür wartet etwas auf sie, das
bereit ist, ihr die Aufmerksamkeit zu schenken, nach der sie sich sehnt. Und in
den nächsten Jahren wird Teevke immer
wieder auf diese Tür stoßen – mit fatalen Konsequenzen.
An Jenseits
der Tür fasziniert mich, wie das Grauen in ein ganz alltägliches
Familiensetting einzieht und sich über die Jahre entwickelt. Ich habe versucht,
die Geschichte so anzulegen, dass man sich als Leser selbst die Frage nach dem
Ursprung des Grauens beantworten muss: stammt es von jenseits der Tür oder
nicht vielleicht doch aus Teevkes Innerem? Jeder, der sich diese Frage
beantworten möchte, sollte die Geschichte lesen.
Abgesehen
davon ist es natürlich immer lohnenswert, Zwielicht zu lesen.
Michael
Schmidt: Welche Geschichten gibt es noch aus deiner Feder und welche würdest du
besonders empfehlen?
Merlin
Thomas: Inzwischen ist da ein knappes Dutzend aus den verschiedenen Bereichen
der Phantastik zusammengekommen. Da eine besonders zu empfehlen ist ein
bisschen so, wie sein Lieblingskind wählen zu müssen. Jedes hat seine Macken,
keines ist ganz so geworden, wie man sich das vorgestellt hat, aber man liebt
sie trotzdem alle.
Daher
möchte ich an dieser Stelle auf zwei Geschichten hinweisen, die den Lesern
einen Mehrwert bieten können, selbst wenn sie ihnen nicht gefallen sollten.
Eine komplette Veröffentlichungsliste findet sich in meinem Blog unter http://www.wortwerken.de
Cover von Timo Kümmel |
Zum
einen wäre das die Geschichte Wunschkind, die in der Anthologie Prototypen
und andere Unwägbarkeiten aus dem Begedia Verlag erschienen ist. (Übrigens
war das die erste Geschichte, für die ich eine Zusage bekommen habe, daher bin
ich natürlich schon ein bisschen stolzer auf sie, als auf einige andere, wenn
ich ehrlich bin.) Es geht in der Geschichte um die Frage, wie weit Eltern gehen
würden, um genau das Kind zu bekommen, dass sie sich wünschen. Und darum, wie
weit Firmen gehen würden, um aus dem Wunschkinderwunsch Kapital zu schlagen.
Der
Vorteil darin, dieses Buch zu erwerben, besteht darin, dass die anderen
Beiträge einen Querschnitt durch das Schaffen namhafter deutschsprachiger
SF-Kurzgeschichten-Schaffender bieten: Uwe Post, Niklas Peineke, Miriam Pharo,
Thorsten Küper, Frederic Brake und Nina Horvath, die für ihre Geschichte den
Deutschen Phantastk Preis erhalten hat, um nur einige zu nennen. Bei soviel
hochkarätiger Auswahl dürfte für jeden Geschmack etwas dabei sein.
Als
zweite Geschichte möchte ich noch Befreiungsschlag aus der Anthologie Geschichten
aus dem Æther nennen, eine düstere Steampunk-Military-Space-Opera über eine
kaiserlich-preußische Weltraumfestung im Orbit um den Mars, die in die Wirren
einer Unabhängigkeitsrevolte gerät.
Das
Schöne ist, dass die E-Book-Fassung der Anthologie kostenlos auf www.steampunk-chroniken.de
unter einer Creative-Commons-Lizenz zum Download bereit steht und die Leser
nach der Lektüre entscheiden können, ob und wie viel sie dem Projekt dafür
spenden wollen. Somit besteht also keine Gefahr, Geld für etwas auszugeben, was
einem später nicht gefällt.
Cover von Stefan Holzhauer |
Michael
Schmidt: Was liest du selbst und hast du irgendwelche Empfehlungen an die
Zwielicht Leser?
Merlin
Thomas: Ich lese hauptsächlich die phantastischen Genres und dabei vorwiegend Science-Fiction.
Mein Einstieg waren hauptsächlich die Star-Trek-Romane, die in den Neunzigern
regalmeterweise bei Heyne erschienen. Darüber hinaus kaufte ich alles an
Phantastik, was sich auf den Grabbeltischen fand, um Geld zu sparen.
Inzwischen
lese ich vorrangig deutschsprachige Autoren, eher aus der Kleinverlagsszene und
Serien wie Rettungskreuzer Ikarus, Maddrax und neuerdings Die
neunte Expansion.
Seitdem
ich einen E-Book-Reader habe – der meinen Lesekonsum übrigens merklich
gesteigert hat – lese ich auch wieder vermehrt Veröffentlichungen aus dem
englischsprachigen Raum, dann vorwiegend im Original.
Den
Zwielicht-Lesern etwas zu empfehlen traue ich mir eher nicht zu, da ich im
Horror-Bereich relativ unbelesen bin, abgesehen von den vermutlich unvermeidlichen
und wohlbekannten Stephen-King-Werken.
Michael
Schmidt: Auf was können wir uns in der näheren Zukunft freuen?
Merlin
Thomas: Für zwei Geschichten – eine Steampunk-Gespenster-Geschichte und eine
eher märchenhafte Fantasy-Geschichte – habe ich derzeit Zusagen von Verlagen,
aber ich kann noch kein Veröffentlichungsdatum nennen – du weist ja selbst am
besten, wie aufwändig es ist, eine Anthologie zu verlegen. Darüber hinaus habe
ich noch eine Handvoll Geschichten in der Rohfassung fertig, die dringend der
Überarbeitung bedürfen, damit ich sie anbieten kann. Aber ohne herannahenden
Abgabetermin fällt es mir oft schwer, Texte zu beenden.
Darüber
hinaus habe ich jede Menge Ideen aber noch keine konkreten Pläne.
Michael
Schmidt: Was liest du selbst? Hast du Vorbilder?
Merlin
Thomas: Meine absolute Lieblingsserie ist definitiv der Barrayar-Zyklus von
Lois McMaster Bujold. Die Figuren, die sie geschaffen hat, sind so unglaublich
plastisch, dass man wirklich glaubt, sie aus Fleisch und Blut zu kennen. Und aus
diesen Figuren ergibt sich dann eigentlich alles Weitere. Das bewundere ich.
Michael
Schmidt: Wie würdest du die deutsche SF Szene beschreiben? Was fehlt ihr und
was hat sie schon?
Merlin
Thomas: Ich würde mich nicht als Szenekenner bezeichnen. Ich bin in einem Forum
aktiv, plaudere mit einigen Leuten auf Twitter und lese Fandom Observer,
phantastisch! und die Andromeda Nachrichten, aber das war es auch schon. Um
Cons zu besuchen bin ich zu schüchtern. Daher kann ich nicht so viel zur Szene
sagen. Aber was ihr vermutlich fehlt, ist Nachwuchs. Ich habe oft das Gefühl,
einer der Jüngeren zu sein und gehe auch schon auf die Vierzig zu.
Was
sie hat ist auf jeden Fall eine Menge talentierte Leute, die hoffentlich noch
lange Zeit viele schöne Werke produzieren. Damit meine ich nicht nur die Texte,
die geschrieben werden, sondern insbesondere auch die Grafiker und Zeichner wie
Timo Kümmel oder Alexander Preuss, die regelmäßige beeindruckende Arbeiten
abliefern.
Michael
Schmidt: Noch ein Wort an die Leute dort draußen!
Merlin
Thomas: Lest!
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