Der Glanz der Durtone (Leseprobe)

Michael Schmidt - Der Glanz der Durtone
Die Geldwechselstube bestand aus mehreren Räumen. Der größte maß vier Schritt lang und fünf Schritt breit und fungierte als Empfangs- und Arbeitsraum. Dort saß Balduin über seine Bücher gebeugt, als ein heruntergekommener Adyra den Raum betrat. Der übliche Flaum, der die Haut gewöhnlich bedeckte, war fast zu einem Federkleid mutiert. Ein deutliches Zeichen, dass der Adyra schon ein hohes Alter erreicht hatte. Seine Kleidung war schäbig und spiegelte den niedrigen Stand wieder, den das Vogelwesen verkörperte.
„Nun, was kann ich für Sie tun?“
Nicht schon wieder einer dieser Bittsteller, die nur Arbeit brachten ohne Aussicht auf einen Ertrag. Balduin blieb aber freundlich und zuvorkommend, schließlich hatte er einen Ruf zu verlieren, auch wenn es sich um einen abgerissen Adyra handelte.
„Herr Geldwechsler“, erklang eine hohe und schrille Stimme. „Ich habe ein paar Münzen, deren Wert ich gerne in Erfahrung bringen würde.“
Der Adyra neigte dabei leicht den Kopf. Baal hasste untertänige Gesten, zeigte seine Gefühle aber natürlich nicht.

„Nun, ich bin keine Schätzstelle wie man sie in Istad kennt. Ich gehöre der Gilde der Geldwechsler an, kaufe und verkaufe Münzen und Schuldverschreibungen. Im Rahmen dieser Profession bin ich gerne bereit, eine Schätzung ihrer Münzen abzugeben. Sollte das Geschäft nicht zustande kommen, entstehen Ihnen keinerlei Kosten. Doch eine Verkaufsabsicht muss vorliegen. Sollte diese nicht ersichtlich sein, werde ich das mögliche Geschäft und somit die Bewertung der Münzen ablehnen. Und das gilt für jedes Mitglied der Gilde der Geldwechsler.“
Balduin blickte dem Adyra erwartungsvoll entgegen und sah direkt, dass er den richtigen Ton angeschlagen hatte. Der Adyra war verunsichert vom gelehrten Tonfall. Balduin wartete gespannt, was sein Kunde anzubieten hatte.
Mit zitternden Händen kramte der Adyra in seinen Taschen und legte eine Handvoll Münzen auf den Tisch. Der Geldwechsler musste einen erstaunten Ausruf unterdrücken, so ungewöhnlich und unbekannt waren die Münzen. Er griff sich die nächstbeste und betrachtete sie eingehend. Sie waren nicht rund wie man es vom Großteil aller Zahlungsmittel kannte. Es handelte sich um unförmige Plättchen, vorne eine Zahl, die vermutlich den Wert darstellte. Hinten das Bildnis eines Mannes mit wirrem, langem Haar, wahrscheinlich der Herrscher dieser Epoche. Der Erhaltungsgrad war mehr als mäßig. Die Plättchen waren übersät von kleineren und größeren Macken, bei dem Metall dürfte es sich um eine wertlose Eisenmischung handeln. Beidseitig stach einem der Rost ins Auge. Balduin nahm einen Kratzstift und ritzte die Oberfläche an. Der Rost saß tief. Diese Münze war lange nicht mehr durch die Hände eines Geldwechslers gegangen. Es würde nicht einfach sein, diese wieder zu restaurieren. Der Münztyp war ihm unbekannt. Einzig das Bildnis auf der Rückseite kam ihm vage bekannt vor, er konnte es aber im Moment nicht zuordnen. 
Balduin streckte seinen schmerzenden Rücken und fixierte den Adyra. Der Wert dieser Münzen war nicht abschätzbar. Der reine Gegenstand machte nicht viel her. Aber wenn selbst er, der erfahrene Geldwechsler, sie nicht kannte, musste es sich um eine Rarität handeln. Dieser gab es zwar viele, aber ein untrüglicher Instinkt sagte ihm, in diesen steckte mehr drin, als es auf den ersten Blick den Anschein hatte.  
„Nun, diese Münzen sind zwar alt, aber leider sehr schlecht erhalten. Das Metall ist minderwertig. Wo haben Sie diese her?“
Der Geldwechsler sah die Enttäuschung im Gesicht seines Kunden und korrigierte den Kaufpreis sofort weitere Bai nach unten. Der Adyra hatte kein Talent zum Handeln und bestätigte damit Baals Einschätzung.
„Ich habe sie außerhalb Saramees gefunden. Beim Ausheben eines Brunnen bin ich darauf gestoßen. Sie sind nicht viel wert? Aber sie müssen uralt sein. Ich musste tief graben, um auf sie zu stoßen.“
„Nein, leider haben sie keinen wertvollen Fund gemacht. Wenn Sie mir eine Myrone aus der Zeit des Hernen Tordt bringen oder gar eine Fryme aus der Herrschaftszeit Kelmar des Schlächters, sie wären ein reicher Mann. Aber diese Plättchen - ich wage es kaum, sie Münzen zu nennen - sind leider mehr oder minder wertlos. In der Hoffnung, einen Sammler für diesen schlecht erhaltenen Fund zu finden und in Anbetracht der Mühe, die sie bei der Bergung hatten, wäre ich bereit, zwei Bai zu bezahlen. Mehr ist leider nicht drin.“
Dem Adyra stand die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. Er gab jedoch nicht auf und so begann das unvermeidliche Feilschen. Balduin befand sich in seinem Element und der Adyra war kein würdiger Gegner. Nach wenigen Minuten waren sie sich einig und die Münzen wechselten den Besitzer, nicht ohne, dass beide das Gefühl hatten, ein gutes Geschäft abzuschließen. Und Balduin war sich sicher, das bessere abgeschlossen zu haben.

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