Max

  Ein Haufen Kurzgeschichten haben sich im Laufe der Zeit angesammelt. Geschichten  verschiedenster Genres, verschiedenster Art. Zeit genug, die Geschichten Stück für Stück zu präsentieren:


Platz 2 beim Vincent Preis 2014  als Beste Anthologie erreichten die Horror-Legionen 2 mit meiner Geschichte Max, die ein wenig Urlaubsgefühl verbreitet, bevor sie ins Phantastische abdriftet. Das bemerkenswerte Titelbild ist aus der Feder von Mark Freier.

Max (aus Horror-Legionen 2)

Die Sonne spiegelte sich, bildete eine funkelnde Fläche auf der Wasseroberfläche. Der Wellengang war gleichmäßig und vermittelte ein Gefühl stetiger Bewegung. Mit kraftvollen Kraulstößen durchpflügte ich das Wasser und näherte mich meiner süßen Begleiterin. Diese schwamm ruhig und gleichmäßig, schon bald hatte ich sie erreicht.

Vor ihr tauchte ich hinab, unter ihr hindurch, drehte mich und kam vor ihr aus dem Wasser geschossen, lächelnd, während das Wasser von meinem Gesicht abperlte.

Sie erschrak, unterbrach unbewusst die Schwimmbewegung und schrie entsetzt auf, bevor sie mich erkannte. Ihr kleines Gesicht verzog sich ärgerlich, während sie mir unflätige Worte, die so gar nicht zu ihr passten, zornig entgegenspie.

Mein Grinsen wurde noch breiter, ich zog sie zu mir heran und küsste sie.

„Also wirklich, Max! Musst du mich so erschrecken?“, entgegnete sie mir, aber ihre Stimme klang schon wesentlich versöhnlicher. Aus der anfangs verkrampften Haltung wurde ein weiches Anschmiegen. Unsere Münder verschmolzen erneut, diesmal in beidseitigem Interesse. Ich kämpfte allerdings damit, über Wasser zu bleiben, so löste sich Helena geschwind von mir und tunkte mich. Ich ging unter, schluckte Wasser – Helena hatte mich mit ihrer Aktion überrascht -, doch schnell fand ich die Orientierung wieder und nahm schwimmend die Verfolgung auf. 

Kurz kam ich aus dem Takt. Etwas hatte mich gestochen. Ich hob das Bein aus dem Wasser, doch da war nichts. Ich schwamm schnell weiter und hetzte hinter Helena her, hatte den Vorfall in dem Moment schon wieder vergessen. Wie Johnny Weissmüller pflügte ich durch das Wasser und hatte Helena wenig später eingeholt. 

Plötzlich stockte sie und verharrte auf der Stelle. Ich nutzte die Gunst der Stunde und tunkte sie ebenfalls. Prustend und Wasser spuckend tauchte sie wieder auf.

„Lass das“, herrschte sie mich wütend an.

„Na, du musst gerade reden...“

„Ich habe da was Komisches gesehen. Schau, dort vorne.“

Ihre Hand zeigte ins offene Meer. Ich trat auf der Stelle und konzentrierte mich auf das einmalige Panorama des blauen Ozeans. Ich fühlte einen Hauch von Ewigkeit, das Meer zog sich endlos dahin, ebenso der Himmel, der blau und wolkenlos erstrahlte.

„Da“, unterbrach mich ihre Stimme aus meinem Tagtraum. Ich schaute auf die von ihr angezeigte Stelle, konnte jedoch nichts entdecken.

„Ich sehe nichts“, erwiderte ich ein wenig lahm. Mir war nicht ganz klar, ob Helena mich hochnahm oder ob sie wirklich etwas gesehen hatte. Ich konzentrierte mich auf den Bereich, den sie vorhin angezeigt hatte, kniff die Augen zusammen und suchte systematisch nach – ja, nach was?

Eventuell waren es Schildkröten, dies war mir vor Jahren an Sides Küste passiert. In nicht allzu großer Entfernung war ein Kopf aus dem Wasser getaucht, nur kurz, sodass ich nicht wirklich erkennen konnte, um was es sich handelte. Damals war mein erster Impuls wegzuschwimmen gewesen, doch hatte sich das Phänomen nicht wiederholt.

Damals wirkte das Auftauchen wie der Kopf eines außerirdischen Raumanzuges, jedoch erzählten später Einheimische, dass sich an diesem Küstenstreifen Schildkröten versammelten. Und im Nachhinein konnte ich den Kopf des außerirdischen Raumfahrers als eben dieses identifizieren. Ich schwamm tags darauf erneut hinaus und vergewisserte mich von der Schildkrötenrealität.

Plötzlich unterbrach das Egokino. Statt dem identifizierbaren Phänomen, zappelte und schrie Helena im Hier und Jetzt.

„Max, hilf mir!“

Ihre Stimme überschlug sich, während sie gegen einen unsichtbaren Feind ankämpfte. Irgendetwas hatte sie unter Wasser gepackt und wollte sie in die Tiefe ziehen.

Ich nahm ihren Arm und versuchte, sie von der Stelle wegzuziehen, sie aus dem Griff des unsichtbaren Angreifers zu entreißen. Doch alle Anstrengung nützte nichts. Es war, als ob man an einem Fels zu rütteln versuchte.

„Argh! Es schlägt seine Zähne in meinen Unterleib. Max! Tu was!“

Pures Adrenalin pumpte jetzt durch meine Adern. Ich verlor keine Zeit, ließ Helena los und tauchte unter. Das trübe Wasser erschwerte die Sicht, trotzdem war das Ergebnis meines Tauchgangs eindeutig. Außer ihren strampelnden Beinen war da absolut nichts. Ich schwamm näher an sie heran und riss ihre Arme, die sich um die Bauchdecke verkrampften, weg. Aber auch dort erkannte ich nichts. Kein Angreifer, kein Zeichen einer Verletzung, geschweige denn Blut.

Plötzlich hörten ihre krampfartigen Bewegungen auf und sie wurde stocksteif.

Der Luftknappheit Tribut zollend stieg ich auf und rang keuchend nach Atem. Ich schaute nach Helena. Ihr Gesicht war versteinert, während sie regungslos im Wasser trieb. Ich eilte zu ihr und hob den Kopf aus dem Wasser. Sie atmete, wenn auch flach.

„Helena! Sag was! Was ist los? Was ist passiert? Was ist mit dir? Helena! Helena!“

Ich schüttelte sie, bekam aber keine Reaktion zurück. Meine Gedanken rasten, ebenso mein Herz. Ich verstand gar nichts, so konzentrierte ich mich auf das Naheliegende. Ich legte sie auf mich, schlang den rechten Arm um sie herum und schwamm zurück zum Ufer. 

Meine Beine brannten ob der ungewohnten Anstrengung, der Atem ging stoßweise, nach wenigen Minuten hatte ich total erschöpft das Ufer erreicht. Aber ich gönnte mir keine Ruhe und bettete Helena im weichen Sand.

Zu meiner Überraschung schlug sie die Augen auf und sah mich fragend an. Doch ihre Worte riefen schieres Entsetzen in mir hervor.

„Wo bin ich? Wer sind sie? Was mache ich hier? Und vor allem: Wer bin ich?“


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