Grimms Märchenwald

 


 Die brandneuste Episode aus dem Galactic Pot Healer. Die Nadel lief beim Stricken diesmal dermaßen heiß, da waren Brandblasen nicht vermeidbar, aber schließlich geht es ja auch um Brandmauern. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind nicht ausgeschlossen, werden aber konsequent abgestritten.


Grimms Märchenwald

 Das Raumschiff kreiste um Grimms Planet, einem wahrhaft märchenhaften Planeten. Der größte Teil war von einem Wald bedeckt, der sich schon Jahrtausende in seinem ursprünglichen Zustand befand. Strenge Gesetzte sorgten für die Einhaltung und es drohten drakonische Strafen für jegliches Fehlverhalten.

Dieser Waldplanet namens Grimm hatte Oasenstädte, die wie weiß rote Tupfer über das Land verteilt waren, denn aus diesen beiden Farben bestanden die Gebäuden und Straßen vollständig. Jeweils eine einzige Fernstraße verband die weit voneinander entfernten Urbanisation und diese konnte man fast aus dem Weltraum in all ihrer braunschimmernden Pracht bewundern.



Paula wartete ungeduldig auf die Landung in Rapunzel, der größten Stadt und als einzige mit einem Raumhafen versehen. Im Moment verhinderten dichte Wolken die Sicht von hier oben, also beschäftigte sie sich mit sich selbst. Ihr Konterfei spiegelte sich in dem Fenster der Außenluke. Sie musterte ihren Körper. Die hohen Brüste, das kräftige Becken und den nicht ganz flachen Bauch. Sie war keine Miss Twiggy. Sie mochte sich so und nicht anders. Gut genährt und lebensfroh. Nicht mehr lange allerdings. Die Transformation war schon eingeleitet und in wenigen Minuten würde sie einschlummern und sich in Elisabeth III., der Kaiserin A.D. des alten Hohenzollerngeschlecht, verwandeln.

Elisabeth III. war allerdings untergetaucht, da sie von ihrem Ursprungsplaneten fliehen musste. Nicht nur war ihre Partei verboten, ihr drohte auch eine lange Kerkerstrafe.

Die sogenannte Dame schlüpfte in die Rolle von Adelheid aus Naivland, einer marktschreierischen Person, die gerne und ausgiebig über andere herzog. Niemand wusste offiziell, dass Elisabeth II: und Adelheid ein und dieselbe Person waren.

Aber ihr Boss hatte die geheime Verbindung zu der königlichen Frau vom Planeten Royal ausgemacht und sie mit dieser heiklen Mission beauftragt.

Als hätte er auf das Stichwort gewartet meldete er sich schon. Das LUI Feld baute sich auf und sorgte für die Abwehr unerwünschter Zuhörer.

„Paula, ich wollte mich noch einmal versichern, dass alles soweit im Plan ist. Ab sofort bist du alleine auf dich gestellt“.

Ihr Boss war eine Nervensäge. Zum zehnten Mal in den letzten zwanzig Tagen briefte er sie und Paula konnte es schon auswendig. Geduldig hörte sie zu, warf hier und da ein paar kluge Floskeln ein oder stellte unverfängliche Fragen, die ihrem Boss das Gefühl gaben, er wäre ihr überlegen. Männer brauchten das Gefühl klug zu sein und sie wusste, wie sie seinem Ego schmeichelte.

Endlich unterbrach er das Gespräch.

Paula sah nach draußen. Grimms Planet hatte schlechtes Wetter, aber zumindest in dem Teil, den ihr die Außenluke zeigte, riss die Wolkendecke auf und hüllte die endlosen Wälder in ein strahlendes Licht.

Ein gutes Omen. Jetzt war es an der Zeit, sich der Transformation hinzugeben und sich in Adelheid zu verwandeln. Vierundzwanzig Stunden Standardzeit dauerte dies. Kurz danach erwartete Paula die Startfreigabe. Für die nächsten Tage war auf Grimms Planet Sonnenschein angesagt. Lächelnd legte sich Paula hin, schlief ein und wachte als Adelheid auf.

 


Die Stadt war ein Märchen. Alles, wirklich alles bestand aus Holz. Anfangs wurden die Baustoffe nur von dort genommen, wo die Städte entstanden, später wurde Holz importiert, denn Abholzen ist grundsätzlich und außerhalb der Oasenstädte strengstens verboten auf Grimm.

Alle Gebäude waren in rot und weiß gehalten, die Straßen selbst bestanden aus rotem Schotter, der in Grimm auf natürliche Weise vorkam.

Die Fahrt vom Flughafen zum Zentrum von Rapunzel in einem traditionellen Pferdewagen war ein echtes Ereignis und nach der Ankunft schmerzte Adelheid jeglicher Knochen, der sich in ihrem Körper befand. Sie residierte in dem Knusperhaus Hänsel und Gretel und wurde schon erwartet.

Eiche Hoden war ein Baum, zumindest nach der menschlichen Sichtweise von Adelheid. Wenn auch nicht ganz. Er hatte einen dicken Stamm und mehrere Äste, die wohl dem Äquivalent von Armen entsprachen und sich recht fein verästelten. Ins Auge fielen, Adelheid musste unwillkürlich an Kavalierschmerzen denken, die prallgefüllten und sackähnlichen Kugeln, die dort hingen, wo sich bei einem männlichen Humanoiden die Hoden befanden.

Fasziniert betrachte sie den Grimmigen, wie sich die Bewohner des Planeten nannten, während dieser in einem watschelnden Gang auf sie zukam. Die Beine waren wie Wurzeln, und man hatte das Gefühl, sie könnten jederzeit unter dem Gewicht von Stamm und Kugeln zusammenbrechen.

Adelheid selbst war eine eher schmalere Person, maskulin, ohne ausgeprägte Rundungen, trotzdem nicht knabenhaft. Ihre Lippen waren füllig, die Wangenknochen kräftig, auch wenn das Gesicht eher pfannenkuchenrund war. Adelheid hatte tiefe Falten im Gesicht, die ihren spröden Charakter betonten. Da war die innere Gesinnung ins Äußere gekehrt. Ihr langes, recht farbloses Haar hatte sie streng zu eine Zopf gebunden. Ihre blassgrauen Augen sahen Eiche erwartungsvoll an.

„Willkommen auf Grimm, liebe Adelheid aus Naivland. Wie vereinbart werde ich sie zu dem geheimen Versteck in Grimms Märchenwald führen.“

Es folgte eine wüste Beschimpfung, mit krächzender, überschlagender Stimme. Adelheid wurde abwechselnd rot und weiß, prallte zurück und spürte, wie sich ihre Wut an die Oberfläche bahnte.

„Das ist mein Tourette“, entschuldigte sich Eiche. „Ich habe mein Sprachzentrum nicht unter Kontrolle und die Beschimpfungen sind immer gleich, egal, mit wem ich mich unterhalte. Daher nehmen Sie es sportlich.“

Skeptisch betrachtete Adelheid das Baumwesen, beschloss dann, seinen Ausführungen Glauben zu schenken und schickte den Wutanfall zurück ins Unterbewusstsein. Gerüchten zu Folge waren die Grimmigen sehr speziell, aber so abgeschieden, wie sie lebten, so energisch sie sich der galaktischen Weltgemeinschaft entsagten, war wenig über sie und ihre Eigenheiten im Vorfeld zu erfahren.

„Du alte XE“‘§, leg dich flach, morgen in der Früh werde ich Sie abholen und zum Märchenwald bringen. Also los, du {³}²}$§, mach schon, sonst gibt es was auf die §$“*. Entschuldigen Sie.“

Drehte sich rum und entschwand ohne weitere Worte. Adelheid blieb völlig erschlagen zurück. Das konnte ja heiter werden. Sie beschloss, Eiches Rat zu folgen. Morgen ging es früh los und da musste sie ausgeschlafen sein.

 


Was Adelheid sich auch immer unter einem Wald vorgestellt hatte, Grimm übertraf das bei weitem. Ihr Pferdewagen rumpelte die Straße entlang, und alles was sie sah waren Bäume, Bäume und nochmal Bäume. Stunden später säumten die Straßen immer noch Bäume. Meist waren es düstere Tannen oder verwachsene Eichen, aber auch Kiefern, Kastanien, Linden, die ganze diverse Bäume Schar. Adelheid liebte Eichen. Auch Tannen vermochte sie etwas abzugewinnen, aber der ganze diverse Rest war ihr zuwider. So lauschte sie angewidert Eiche, dem wandelnden Baumlexikon, der zu jeder noch so seltenen Baumart einen umfassenden Vortrag hielt. Sie schaltete ab und schweifte immer weiter in ihre Phantasiewelt, bis der Ton schärfer wurde und sie unvermittelt entdeckte, sie hatten ihr Ziel erreicht. Rotkäppchen hieß der Wald und Adelheid fehlte jegliches Vorstellungsvermögen, wie man diesen bestimmten Teil von den anderen Wäldern unterscheiden konnte.

Doch die Strapaze fing jetzt erst an. Über Stock und Stein ging es  durchs Unterholz, während Eiche „Blau blüht der Enzian“ sang, laut und misstönend, dazu die unzähligen kleinen Waldbewohner, die Adelheid aus der Luft und am Boden traktierten, sich an ihrem Blut und ihrem Schweiß labten. Verschwitzt und erschöpft erreichten sie nach einer Ewigkeit endlich eine kleine Lichtung. Hier musste sich der gesuchte Gegenstand befinden. Eiche versicherte es ihr wortreich.

Jedoch befand sich zwischen Adelheid und ihrem Ziel noch ein Hindernis. Dicht an dicht standen dort unzählige Windmühlen und verhinderten so, dass sie ihren Auftrag erfüllen konnte.

Quod infernum?



Adelheid überlegte nicht lang, schließlich war sie eine Frau der Tat. Weicheier, Warmduscher und Genderisten würden jetzt klein bei geben, aber sie war aus anderem Stahl gegossen. Echt Solingen und wenn sie erst einmal in Rage war, schnitt sie selbst Granit wie Butter. Und diese Rage würde sie aktivieren. Die Wut stieg in ihr hoch, sie stachelte sie an, dachte an Klimalim, Wokeismus, Genderundersøgelser und Soziomarotzer.

Ihre Augen verengten sich, der Gesichtsausdruck wurde starr. Blässe stieg ihr ins Gesicht, die Wut hatte all ihr Blut in den Unterleib gepumpt und ihre Muskeln waren zum Platzen gespannt.

Wie ein Berserker nahm sie die mitgebrachte Axt. Sie riss die Windmühlen eine nach der anderen nieder und zerschlug sie zu Kleinholz, haute drauf, dass es eine wahre Freude war. Während sie wie wild auf die verhassten Windmühlen eindrosch, sprang sie auf einem Bein immer wieder in die Luft und schrie: „Ach wie gut das niemand weiß, wie die Adelheid wirklich heißt!“

Eine ganze Stunde war sie außer sich und zertrümmerte alles, aber wirklich alles, was ihr in den Weg kam. Als alles dem Erdboden gleich war, wechselte sie aus dem Wutmodus und erlangte den klaren Blick zurück.

Inmitten der Lichtung, umgeben von den Trümmern der Windmühlen, war ein hölzerner Schrein aufgebaut. Adelheid kramte den im passenden Schlüssel aus einer der unzähligen Taschen ihres Gewands. Geschwind, alle Erschöpfung streifte sie wie eine alte Haut ab, eilte sie dorthin, öffnete die Klappe und entnahm eine Phiole mit einem besonderen Inhalt: Grünes Abwasser!

Wie ein Schatz würde sie diese Phiole hüten. Sie stopfte sie in die mitgebrachte Tasche, die innen mit weichem Material ausgefüllt war, damit die kostbare Fracht nicht zerbrach. Sofort begab sich Adelheid zusammen mit Eiche auf den Rückweg, der zwar ebenso beschwerlich war, den sie aber jetzt mit neuen Mut in Angriff nahm.

 


Die Rückkehr ähnelte einer Flucht. Diese archaische, düster Planet war ihr auf das Gemüt geschlagen. Als Adelheid war sie in eine andere Persönlichkeit geschlüpft, die generell härter, widerstandsfähiger und rücksichtsloser war und merkwürdigerweise nur zwei Baumarten mochte.

Aber auch nach der Rücktransformation und in der sicheren Umgebung des Raumschiffs spürte sie noch den Schrecken in sich. Den Schrecken, sich in eine Gestalt wie Adelheid zu verwandeln und so zu fühlen wie diese Person.

Sie kam gerade zur Ruhe, da meldete sich ihr Auftraggeber. Mit starrem Gesicht nahm sie das Ziel entgegen. Der Empfänger der Phiole mit dem grünen Abwasser war ihr zweiter Boss und gleichzeitig der Herr über einen sonderbaren Satelliten. Das Galactic Pot Healer.

 


Direkt nach der Ankunft im Pot Healer eilte sie in die heiligen Hallen des Goldenen Reiter. Wie ein Monolith ragte er weit oben auf einem mächtigen Granitblock und in seinen goldenen Sonnebrillengläsern spiegelte sich die Schatten, die den Raum mit einem sonderbaren Eigenleben erfüllten.

Sein Gesicht zeigte ein Lächeln, doch er wehrte die Übergabe des grünen Abwassers ab.

„Hör zu, liebste Paula! Ich danke dir für die prompte Beschaffung und werde dich fürstlich entlohnen. Aber dein Auftrag ist noch nicht beendet. Du musst das Gefäß übergeben.“

Ergeben lauschte sie den Anweisungen des Goldenen Reiters.

 

Der alte Fritz, offiziell Friedrich IV., schüttete reichlich Nazgȗl in sich hinein, serviert von dem entenähnlichen Mich, der schon seit Ewigkeiten in der Galactic Pot Healer Bar servierte. Gut gelaunt war unser alter Fritz. Hatte er doch auf seinem Planeten Zentrissimo endlich die vollumfängliche Herrschaft übernommen. Alle Konkurrenten huldigten ihm und lagen zu seinen Füßen, wenige schärften in seinem Rücken ihre Messer, doch da er mit Theodore Salzquelle ein streng geheimes Abkommen hatte, betrachte er diese Gefahr mit einem milden, Außenstehende würden sagen etwas debilen Lächeln.

Vor drei Tagen hier angekommen, frönte er der hemmungslosen Dekadenz: Dirnen, Drogen und Delirium.

Sein Hofstaat lag schon unter dem Tisch oder hatte sich vollnarkotisiert zurückgezogen. Zwei fesche Dirnen links und rechts , die aber Abstand hielten. Die Brandmauer um ihn herum loderte zwar längst nicht mehr so stark, wie sie es zu seiner vollständigen Inthronisation machte, aber das Feuer glimmte immer noch sehr gefährlich.

Die Dirnen himmelten ihn an, dafür hatte er schließlich bezahlt, er schäkerte zurück und schrieb seine spontanen Gedanken auf einen Bierfilz. Das Manifest von Friedrich, dem IV., würde in naher Zukunft die Bibel aller Zentristen und er sah sich schon auf Augenhöhe mit den Legenden Methusalem, Birne und Mutti.

„Mich, mein Glas ist leer. Bitte noch einen Nazgȗl, aber schnell. Zeit ist Geld und das Leben viel zu schnell vorbei um es mit Warten zu verbringen“, instruierte er die lahme Bedienung, die Strang vor ihm hatte und in Rekordzeit ein volles Glas servierte.

Mit jedem Schluck verlor die Brandmauer an Intensität. Seine Gedanken freundeten sich langsam damit an, sich dem Nachbarplanet Naivland anzunähern. Eine Koalition zu bilden. Ein Zusammenschluss unter fast gleichen, natürlich unter seiner göttlichen Führung, die am Ende zu einer Unterwerfung der Naivisten führen würde.

Die Brandmauer um ihn bekam Lücken, ganze Bereiche wurden feuerfrei und die vorhandenen Glutnester drohten zu verlöschen.



Da trat eine sehr weibliche, überaus attraktive Blondine zu ihm.

„Fräulein“, scharwenzelte er. „ Kommen Sie, die späten Partygäste sind mir die liebsten. Ihre Ausstattung ist sehr vielversprechend und das weiß ich zu würdigen.“

Geistig rege wie er war, schickte er die beiden Dirnen mit einer verächtlichen Handbewegung fort und widmete sich dem rassigen Weib. „Ich könnte mich erniedrigen und ihnen für die Nacht Asyl gewähren, man ist ja nicht so.“

Ihr Lächeln versprach Glückseligkeit. Ihr Augenaufschlag riss Mauern herunter, aber das Gegenteil geschah.

Paula, um die es hier ging, nahm die Phiole mit dem grünen Abwasser, öffnete sie und schüttete die Flüssigkeit in die Brandmauer.

Erstaunliches geschah.

Statt die Brandmauer zu löschen, loderte sie hell auf und umgab den alten Fritz vollumschlossen, lodernd und heiß.

Die Naivisten würden sich noch gedulden müssen. Und der alte Fritz verzweifelte in seinem heißen Gefängnis, isoliert von seiner Umgebung.

 




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