Femme Fatale
Ein Haufen Geschichten haben sich im Laufe der Zeit angesammelt. Geschichten verschiedenster Genres, verschiedenster Art. Zeit genug, die Geschichten Stück für Stück zu präsentieren:
Femme Fatale (aus Das geheime Sanatorium):
Erwartungsvoll stand ich am großen, fast die komplette Wand einnehmenden Fenster und wartete, dass die Sonne unterging. Langsam färbte sich der Himmel rot, der Ton wurde dunkler, bis die Finsternis den Tag besiegt hatte.
Unwillkürlich lächelte ich.
Ich war bereit und freute mich auf die kommende Abwechslung.
Einen letzten sehnsüchtigen Blick warf ich durch den Raum. An der gegenüberliegenden Seite standen schwere, alte Schränke, vor mir ein Polstersofa, das aus der Zeit gefallen schien, und das Zentrum bildete ein mächtiger Kronleuchter, der normalerweise ein sanftes Licht verbreitete. Heute hatte ich darauf verzichtet, ihn anzuschalten.
Langsam schritt ich zur Tür, straffte meine Schultern und wartete.
Es läutete.
Ein wenig musste er sich gedulden. Leise nahm ich Abschied von meinem momentanen Heim. Wochenlang würde ich nicht mehr hierher zurückkommen. Vielleicht auch noch länger. Vielleicht sogar gar nicht. Ich kannte mich. Eine kurze Periode verharrte ich, breitete meine Wurzeln aus und bereitete mir ein Heim. Doch es dauerte zumeist nicht lange, bis mich eine innere Unruhe durchdrang und ich weiter musste. Dieser Zeitpunkt war gekommen.
Ehrlich gesagt war das nicht der einzige Grund für eine Veränderung. Mein Problem verschwand nicht von selbst. Zu lange hatte ich es mit mir herumgetragen, hatte gezaudert und gehofft, ein Wunder würde geschehen und mein Problem sich in Luft auflösen. Aber das tat es natürlich nicht. Ich musste selbst einen Schritt machen und die Entscheidung hatte mir Kraft verliehen. Kraft und Zuversicht.
Endlich gab ich mir einen Ruck und öffnete die Tür. Energiegeladen schob ich die Brust vor, verzog die Lippen zu einem leicht spöttischen Grinsen und ließ die Augen blitzen, verheißungsvoll, wie ich an der Reaktion meines Gegenübers erkannte. Was nicht anders zu erwarten war. Ich war mir meiner Wirkung bewusst und setzte sie daher gezielt ein.
Peter Degenhardt, der Fahrer des Psychotherapeuten Emil Bolze, verbeugte sich förmlich, nahm meine Reisetasche entgegen, trug sie zum Kofferraum der schweren Limousine und verstaute sie mit geübten Handgriffen. Galant öffnete er mir die Tür. Seine Blicke flatterten ein wenig, ansonsten hatte er sich gut im Griff.
Noch!
Beim Einsteigen streiften meine Fingerspitzen seine Wange, heiß zuckte die Energie zu ihm herüber. Der Saum meines Kleides hob sich ein wenig unschicklich, natürlich völlig beabsichtigt, als ich mich umständlich in den Fond niederließ und ihn von unten herauf betrachtete. Ein attraktiver Chauffeur als Auftakt, das tröstete mich etwas über den Abschied hinweg.
„Du bist Peter?“, fragte ich mit meiner markanten rauchigen Stimme, die ihre Wirkung prompt entfaltete.
Der Chauffeur errötete.
„Ja, ich bin Peter, und ich bringe Sie zum geheimen Sanatorium.“
„Mich, du bringst mich. Mein Name ist Thea und ich hasse Förmlichkeiten, gerade dann, wenn sie absolut nicht angebracht sind. Ich freue mich. Auf den Aufenthalt. Auf Emil. Und natürlich auf dich. Wir werden viel Spaß miteinander haben“, erwiderte ich mit einem Augenaufschlag.
Peters Gesicht überzog sich mit einem noch intensiveren roten Schimmer. Fast überhastet schloss er die Hintertür und setzte sich ans Steuer, konnte es aber nicht unterlassen, im Rückspiegel einen letzten Blick auf mich zu werfen. Ja, der gute Peter zappelte schon an meinem Haken. Zufrieden lehnte ich mich in die weichen Polster und dachte an das, was mich erwartete.
Ob Bolze mir wirklich helfen konnte?
Mein Schlaf war viel zu kurz. Was für andere spät war, war für mich nur eine helle Nacht. Noch keine elf Uhr und ich hatte bei Bolze anzutreten. Normalerweise stand ich niemals vor Mittag auf, aber Emil hatte mir diesen Termin als absolut spätesten Zeitpunkt für das Einführungsgespräch genannt. Ich hätte ihn ja lieber nach Sonnenuntergang konsultiert, aber mein zukünftiger Psychotherapeut hatte entschieden abgelehnt. Ob er sich vor mir fürchtete?
Kichernd schwebte ich durch die Gänge auf das Therapiezimmer zu. Gerade kam ein anderer Patient heraus. Großgewachsen, ein herber Geruch ging von ihm aus. Ein wahres Schmuckstück von einem Mann!
Er sah mich aus kalten, aber irgendwie feurigen Augen an.
Ich spürte diese animalische Ausstrahlung unter seiner Fassade der Bürgerlichkeit. Da war ein Tier in ihm. Urplötzlich erinnerte ich mich an eine weit zurückliegende Begegnung. An Wilhelm. Er hatte eine ähnliche Präsenz. Es stieg aus den Tiefen meines Gedächtnisses hoch, lange vergessen, aber so intensiv, als wäre es gestern gewesen. Ich erinnerte mich nur zu gut, wie er unter mir lag, seine Fingernägel, die wie Krallen meinen Rücken bearbeiteten und tiefe Risse hinterließen. Die Wunden schienen gerade jetzt wieder aufzubrechen und der Phantomschmerz erregte mich ungemein. In meinem Gegenüber erkannte ich die gleiche wilde Leidenschaft und auch er hatte eine kräftige Behaarung an den Armen und im Gesicht, die sich aufstellte, als ich mich ihm näherte und ihn fragend anschaute.
„Hallo Geist! Bist du ebenfalls ein Patient?“ Seine Stimme war tief und rau.
„Ja“, hauchte ich heiser-rauchig. „Mein Gespräch wird nicht lange dauern. Vielleicht hast du danach Zeit für einen kleinen Plausch? Mich hat noch niemand in die Gesellschaft eingeführt.“
Es blitzte auf in seinen Augen. Mir schien es, als sprossen zusätzliche Haare auf seinen nackten Unterarmen, aber vielleicht täuschte ich mich. Er trat nahe an mich heran und seine archaische Ausstrahlung betörte mich. Die Gier stand ihm ins Gesicht geschrieben, doch plötzlich entspannte er sich und lächelte mich nachsichtig an.
„Leider nein. Ich reise jetzt ab. Wenn ich meine Koffer gepackt habe, geht es los.“
„Das ist aber schade.“
„Das finde ich auch. Vielleicht trifft man sich irgendwo noch einmal.“
„Nicht vielleicht. Mit Sicherheit. Das verspreche ich dir.“
Verzückt sah ich ihm nach, als er den Gang hinunter ging und dann um die Ecke verschwand. Er hatte auf mich reagiert. Eindeutig reagiert. Das spürte ich, auch wenn er sich redlich Mühe gab, seine aufkeimende Lust zu verbergen. Und er hatte dieses gewisse Etwas, so wie Wilhelm damals. Dieses Andere, das in ihm schlummerte und darauf wartete, zum Ausbruch zu kommen.
Aber auch er hatte etwas in mir ausgelöst.
Ich stand in Flammen. Es war ewig her, dass ich so intensive Gefühle verspürt hatte. Ich schwor mir, ihn wiederzusehen, so sehr hatte mich die Begegnung aufgerüttelt. Hatte es mich erwischt? – Es fühlte sich anders an als bei meinen üblichen Liebeleien. Verstörender. Heftiger.
Verwirrt klopfte ich an Bolzes Tür und trat ein.
„Ah, Thea, da bist du ja schon.“
„Hallo Emil. Ein schöner Ort. Mir gefällt es hier. Wer war dieser attraktive Mann, den ich leider nicht zum Bleiben überreden konnte?“
„Robert, der Werwolf. Den ersten Schritt seiner Heilung haben wir im Schnelldurchgang erledigt. Der zweite Schritt dürfte schwieriger werden. Aber das sind Berufsgeheimnisse. Setz dich!“, forderte er mit einschmeichelnder Stimme.
So nahm ich auf dem Sofa Platz, manifestierte meine Konturen zu einer mehr oder minder festen Gestalt und breitete mich aus, nicht ohne mich dabei vorteilhaft zu positionieren. Emil schluckte, hatte sich aber schnell wieder im Griff.
„Nun, fangen wir an. Wo drückt der Schuh?“
Dass Emil so direkt sein würde, hatte ich nicht erwartet. Ich seufzte innerlich. Männer! Aber gut, meinetwegen konnten wir das Vorgeplänkel auch weglassen und direkt zur Sache kommen.
„Also, es ist so. Tagsüber bin ich ein Geist und wandele halb stofflich durch die Welt. Nachts werde ich zur Frau, mit all den Vorzügen, die ein solcher Körper hat. Und wenn die Sonne aufgeht, verwandle ich mich erneut in einen Geist. Tagein, tagaus, Monat für Monat, Jahr für Jahr. Ich möchte gerne meine Ruhe finden und nicht mehr zwischen den beiden Welten pendeln, Geist oder Frau, nicht halb und halb. Und du sollst mir dabei helfen.“
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