Hämatophobie

 

Ein Haufen Geschichten haben sich im Laufe der Zeit angesammelt. Geschichten  verschiedenster Genres, verschiedenster Art. Zeit genug, die Geschichten Stück für Stück zu präsentieren:

Hämatophobie (aus Das geheime Sanatorium):


Die Nacht war sternenklar. Am Himmel thronte ein Supermond, voll und groß. Trotz dieses Umstandes war Robert kaum zu sehen. Einem Schatten gleich jagte er durch die von Büschen gesäumte Ebene. Unter seinen Extremitäten spritzten Steine und Dreck zur Seite, als wollten sie ihm ausweichen. Nächtliche Wanderer wie Ratten und Hasen flüchteten vor ihm, denn sie kannten das Grauen, das er repräsentierte, nur zu gut.

Doch kleine Säugetiere waren nicht das Ziel seiner nächtlichen Jagd. Er hatte größere Beute auserkoren.

Die Graslandschaft bot ein irrlichterndes Zwielicht, als er abrupt einen Satz nach links machte und Witterung aufnahm.

Altes, verbrauchtes Blut.

Er zögerte kurz, bereit zum Angriff, entschied sich aber, auf lohnenswertere Beute zu warten. So genoss er das Mondlicht und hetzte weiter, den mit Leben gefüllten, auseinanderstehenden Häusern entgegen, die am Horizont auf ihn warteten und einen Festschmaus bereithielten.

Kurz kam er von seinem Ziel ab. Im Überschwang sprang er einem Marder hinterher, den er aus seinem Versteck gescheucht hatte, und grub ihm seine Krallen in die Flanke. Dann verlor er das Interesse und ließ das verletzte Tier wimmernd zurück.

Das erste Haus, er roch altes Fleisch und jagte weiter. Auch vom zweiten Haus trat ihm ein schaler Geruch entgegen und so ignorierte er auch dieses.

Das dritte Gebäude versprach alles. Zwei junge, lebensfrohe Gestalten, die eine Wolke der Sexualität umgab, eine Aura der Begierde, die ihn anstachelte und deren Intensität er sofort steigern und umpolen wollte.

Aus Lust würde Angst entstehen. Er würde ein erquickendes Bad in Blut nehmen, von köstlichen Innereien naschen, die nach Panik munden und ihn in Entzücken versetzen würden.

Er setzte zum Sprung an, spannte die Hinterläufe ... als sich plötzlich seine gesamte Muskulatur verkrampfte und ihm die Gefolgschaft verweigerte. Zornig heulte er auf, verrenkte seinen Körper aufs Unnatürlichste, hieb mit seiner Pranke nach dem Mond. Langsam fiel die Lähmung von ihm ab. Er torkelte die ersten Meter, dann griff er fester mit seinen Krallen in den weichen Waldboden. Und je besser es ihm ging, desto aggressiver wurde er. Erneut schoss Robert mit wild pochendem Herzen dem reich gedeckten Tisch entgegen … und versagte wieder.

Er wusste, sein Geheul machte aus Lust Furcht, doch für das sich liebende Pärchen gab es keinen Grund, sich zu ängstigen. Und später, wenn sich beide wieder beruhigt hatten, würde der Sex besonders prickelnd sein.

Heulend jagte Robert in die Dunkelheit, raste die Ebene entlang, um sich auszupowern und seinem Frust davonzulaufen. Sein Herz pochte wild, das Blut floss wie Feuer durch seine Adern und die Muskeln lechzten nach Herausforderung. Der Druck musste jetzt irgendwohin, und wenn er schon das Blut verschmähte, musste die Verschmelzung mit der Natur herhalten, auch wenn dies nur ein schaler Ersatz war.

Ihm war bewusst, dass das sein Problem nicht dauerhaft löste. Nicht einmal kurzfristig. Es war an der Zeit, sich der Ursache zu stellen.


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