Das letzte Blatt

Eine neue Episode aus dem Galactic Pot Healer, die in die Zukunft blickt und eine Prophezeiung wagt. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind nicht ausgeschlossen, werden aber konsequent geleugnet, wie es sich für solch ein Thema geziert. 

Die Illustrationen wurden mittels Microsoft Bing Bildersteller geschaffen.



Das letzte Blatt

Spontane Selbstentflammungen waren ein häufiges Phänomen bei den Freudianern. Ein gewichtiger Grund, warum man sich von dem Planeten und seinen Bewohnern fernhielt. Aber auch sonst hatten sie allerlei krude Angewohnheiten. Ach, nicht nur Angewohnheiten. Wer schon einmal auf Freud war, weiß wovon ich spreche. Dort ist eine seltsame Energie in der Luft und es herrscht der Irrglaube, es sind winzige, intelligente Wesen, die dort die Luft bevölkern. Das mit dem Irrglaube steht so in dem Galaktischen Lexikon der Planeten und Völker, ich bin da ein wenig anderer Meinung. Sie heben fragend die Augenbrauen? Bestehen darauf, dass ich meine für sie haltlose Meinung mit Beweisen belege? Nun, ein Beweis zu erbringen ist nicht so einfach. Freudianer trifft man so gut wie nie. Und es müsste einer sein, der auch seine persönliche Luft mitgebracht hat. Klingt schräg? Ist auch schräg. Lassen Sie mich berichten von einer Begegnung mit dem Freudianer Lupus Cohorn Corydon und seinem Abenteuer in der Galactic Pot Healer Bar. Ja, genau die, die gibt es nämlich wirklich. Aber ich will nicht vorgreifen. Hier mein Bericht.

 

Mich hatte alle Hände voll zu tun. Das Galactic Pot Healer war zum Bersten gefüllt. Das Nazgȗl floss in Strömen, denn die Kundschaft war durstig und in Feierlaune. Immerhin tranken sie sich in Glückseligkeit. Ob Aquarius, der galant einer zierlichen Friedrichrodaerin seine Aufwartung machte und scheinbar seine große Liebe für den Moment vergaß. Oder Mr. Curry, dem eine ganze Gruppe Jünglinge huldigte, an seinen Lippen hing oder sie zu küssen versuchte. Selbst Harvey, der Faith Healer, genoss den Nazgȗl ohne Maßen und erfreute sich an sich selbst.

„Hör mal, Ober. Für mich auch noch einen Nazgȗl. Und sag mal, geht dir die notorische moralische Attitüde der Friedrichrodaerin nicht auf die Eier? Ah, ich seh, du hast überhaupt keine. Dein Glück, die Alte geht mir dermaßen gegen den Strich, die bringt mich von Null auf Hundert in unter zehn Sekunden zur Weißglut.“

Rotgesichtig und erregt saß der kleine verwachsene Humanoide vor ihm. Beim Sprechen rannte ihm der Geifer aus dem Mundwinkel und Bläschen zerplatzten bei jedem Wort auf der brennenden Zunge.

Schnell servierte Mich ihm ein frisches Nazgȗl und sah zu, dass er KƱ±LL K+§sr±ƍ bediente, der nach eigener Aussage individuellste aller männlichen Exemplare aus dem Volk der JUDAS. Der gab ein großzügiges Trinkgeld, legte ihm den Arm um die Schulter und begann ihn voll zu sülzen, woraufhin er sah, dass er Land gewann. Zurück hinter der Theke verlangte der Rotgesichtige ein weiteres Glas Nazgȗl.

„Na, sie haben aber einen Zug am Leib!“ entfuhr es Mich ungewollt.

Sein Kunde sah ihn nur mitleidig an.

„Als Freudianer muss man seinen Geistern gewogen bleiben. Im Nazgȗl liegt die Wirklichkeit und ermöglicht es mir, mit meinen Weingeistern zu kommunizieren. Sie leiten und geleiten mich, wenn der Herr versteht.“

Mich verstand nichts, setzte aber eine gewichtige Miene auf.

„Wie auch immer. Mir gelüstet es nach einem Spiel. Einer aufregenden Partie Karten. Ist das hier in der Pot Healer Bar möglich oder wohin muss ich mich für einen solchen Zeitvertreib hinbegeben?“

Mich war wie elektrisiert. Er spürte, dieser Wicht war der richtige. Wie es der Goldene Reiter prophezeit hatte und das noch zum absolut perfekten Zeitpunkt.

„Hm, lassen Sie mich überlegen. Ja, warum nicht. Ich habe da eine Idee. Ganz in ihrem Sinne. Ein Spiel der Superlative, des Ungewöhnlichen, Sonderbaren, gar Absonderlichen. Allerdings ist nicht jeder dazu in der Lage, es gibt gewisse Voraussetzungen, auf die ich keinen Einfluss habe. Daher müsste ich Rücksprache nehmen und mich bei dem Veranstalter versichern, dass sie zu den gewünschten Spielpartnern zählen. Ich denke zwar, das lässt sich machen, schließlich geht es nicht um einen Zweikampf, sondern um ein vielseitigeres Spiel. Also seien Sie morgen um die gleiche Zeit wieder hier und ich werden ihnen dann sagen können, wie die Entscheidung gefallen ist. Jedoch brauche ich vorher ihren Namen.“

Der Rotgesichtige sah ihn durchdringend an, wollte aufbrausen, überlegte es sich dann aber doch anders. Es lag nicht in seiner Hand und warum sollte man seine Möglichkeiten negativ beeinflussen.

„Mein Name lautet Lupus Cohorn Corydon, der Wolfsclown vom Planeten Freud. Nennen Sie mich einfach Corydon, das trifft es ziemlich.“

Ein letzter eisiger Blick. Lupus Cohorn Corydon nahm sein Glas, stürzte den Inhalt todesmutig in seinen Schlund, drehte sich und verschwand ohne ein Wort des Abschieds.

Mich zögerte nicht lange. Er benachrichtigte seinen Kollegen, dass er mal kurz weg müsste und brachte dem Goldenen Reiter die frohe Nachricht, den letzten Teilnehmer gefunden zu haben.

 


Der Goldene Reiter durchstreifte nach dem Gespräch mit Mich den Satelliten. Er statte dem Lassalle, einem elitären Debattierclub, einen Besuch ab und verwickelte den blassen, fast durchscheinenden Leif ins Gespräch bei einem dünnen Tee, um ihm abschließend ein besonderes Angebot zu machen.

Der stolze Habicht bestach durch sein impulsives Auftreten. Vorbereitung war nichts für ihn. Er entschied spontan und daher nannte man ihn auch Luftikus. Meist traf man ihn im Lübecker Tor an, wo er regelmäßig in Form eines Poetry Slams lustige Vorträge hielt. Und genau im Finale seines Vortrags traf ihn der Goldene Reiter und unterbreitete ihm ebenfalls ein Angebot.

Der alte Fritz dagegen, offiziell Friedrich IV., betrank sich regelmäßig in der Pot Healer Bar, vielleicht hatte er deswegen manchmal recht impulsive Aussetzer. Bei einem Nazgȗl wurde man sich schnell handelseinig, der Goldene Reite wusste, wie man den Herrn packte, der sich doch gerne in seiner Überlegenheit sonnte. Adelheid aus Naivland, einer marktschreierischen Person, die gerne und ausgiebig über andere herzog, mischte sich in der Regel ungern unter das gemeine Volk. Somit besuchte er sie persönlich. Er schmierte ihr ebenfalls Honig um den verkniffenen Mund und als er ihr überraschend eine Machtposition darstellte, war sie sofort Feuer und Flamme-

Das Ziel war erreicht. Er hatte fünf Teilnehmer zusammen. Das Quintett des Grauens. Das Spiel konnte beginnen. Morgen, pünktlich zur Teestunde, würde ein denkwürdiger Event starten.

 


Der Raum war überfüllt von Zuschauern. Mich schlängelte sich mit Mühe durch die Massen und servierte Nazgȗl in rauen Mengen. Einzig Adelheid und Leif tranken dünnen Frisicum Tee, die Dame mit Honig aus Rjurik, der zwar eine sehr herbe Note hatte, aber die satte Süße überdeckte das locker.

Leif, ein etwas verkniffen wirkender Bursche vom Planeten Ossenbrügge im Sternbild Lower Saxionix betrachtete schweigend die Runde, während alle anderen quer durcheinander schwadronierten. Leif schwieg, musterte, schwieg. Dabei verlor seine Hautfarbe langsam an Intensität, wurde blass und blasser und Leif erweckte den Eindruck, durchscheinend zu werden.

„Alles klar Leif?“ erkundigte sich der Goldene Reiter besorgt und sah ein sanftes Lächeln auf den Lippen als Bestätigung, dass er sich keine Sorgen machen musste.

„Gut. Dann lasst uns beginnen. Wie ihr vielleicht wisst, die Spieler, das Publikum und die Galaktische Enzyklopädie, einst gewann ich in einer ähnlichen Pokerrunde das Galactic Pot Healer. Und schon einst stand fest, die nächste Runde wird als Siegestrophäe den gleichen Preis erlösen. Doch dieses Mal werde ich nicht mitspielen. Denn meine Pläne sind andere und meine Herrschaft über das GPH endet, sobald die Spielrunde einen Sieger gebiert.

Ich gebe die erste Runde an Karten und danach seid ihr euch selbst überlassen. Wie immer gibt es keine Regeln und es gewinnt der Rücksichtsloseste oder der Geschickteste, vielleicht auch der Strategischste, oder der Harnäckigste. Den Beweis, welche Taktik die beste ist, müsst ihr antreten.“



Der Goldene Reiter wandte sich vom Publikum ab, das mit offenen Mund staunte und seinen Worten gefolgt war, trat jetzt den letzten Schritt an den Tisch und schneller als ein menschliches Auge schauen konnte, verteilte er die Spielkarten.

Spontan und ohne zu überlegen, wie man es vom stolzen Habicht kannte, griff er nach seinen Karten. Nach allen fünf auf einmal, warf einen extrem kurzen Blick hinein. Ein süffisantes Grinsen enstand in seinem Gesicht. Siegesgewiss gab er seinen Einsatz: „Ich setze alles!“

Die darauffolgende Stille wurde nur von den Elektronen durchbrochen, die kreischend um ihre Atomkerne jagten. Direkt im ersten Spiel Alles-oder-Nichts. Das war, was man im Nachhinein erwarten konnte, womit man aber vorher niemals gerechnet hatte.

Adelheid ergriff ihr Blatt, musterte es und legte es zurück. Sie griff nach ihrem Tee, nahm dezent einen Schluck und man sah an, das sie ratlos war, aber auch wütend. Eine Wut, die ihr Gesicht verzog, ihm merkwürdige Proportionen verlieh. Ihr Blick wurde starr, die Nase gerümpft sprang sie auf, hob zeternd die Arme und fuchtelte fuchsteufelswild mit den Händen.

„Eine bodenlose Frechheit. Das wird Konsequenzen haben. Wie kann man sofort alles setzten. Das ist der schiere Wahnsinn. Das kann ich nicht akzeptieren. Ich fordere Sie auf, dies sofort zurück zu nehmen.“

„Das müssen sie akzeptieren, werte Dame. Ob Sie wollen oder nicht“, konterte der alte Fritz jovial, ein siegesgewisses Grinsen in der Fratze. Energisch griff er nach seinem Blatt und während ihm dämmerte, was die Karten sprachen, entglitten ihm seine Züge völlig. „Ich bin raus! Das ist Betrug!“, schrie er, sprang auf und verließ den Saal, in dem er sich wie eine Furie durch die Menge kämpfte.

Leif dagegen, der ebenfalls einen unauffälligen Blick in seine Karten geworfen hatte, überlegte lange. Überlegte, sinnierte, überlegte, überlegte erneut und zauderte. Er haderte, überlegte und verwarf, um, unsicher geworden, weiterhin zu überlegen und zu zaudern. Dabei wurde er immer blasser, immer durchscheinender.

Das Publikum buhte, pfiff, trampelte und als es seine Erregung abgeschüttelt hatte, stellte es fest, Leif war einfach verblasst. Eine unscheinbare Spiegelung zeigte die Reste seiner Gestalt, doch es konnte auch eine optische Täuschung sein. Definitiv war er nicht mehr da.

Adelheid stand auf. Schrie, geifernd, mit verzerrtem Gesicht: „Das werde ich nicht mitmachen!“

Sie warf die Karten auf den Tisch und verließ den Saal, weiterhin vor sich hin zeternd. Ob sie mit dem alten Fritz noch ein Nazgȗl trinken ging oder sich anderweitig näher mit ihm beschäftigte, das verschweigt die galaktische Postille. Die fliegenden Reporter wussten es, doch die Androhung hoher Strafen verhinderten, dass sie das Geheimnis jemals lüfteten.

Zurück blieben der stolze Habicht und der Freudianer Lupus Cohorn Corydon. Nennen wir ihn der Einfachheit halber Lupus. Lupus, der einen Ballon mit sich trug, aus dem er fortwährend Luft zuführte, während er in besorgniserregender Geschwindigkeit ein Nazgȗl nach dem anderen in sich hineinschüttete. Lupus sah sein Gegenüber, den stolzen Habicht mit einem verächtlich-spöttischen Blick an.

„Zügellosigkeit ist deine Natur, du Sponti“, beschimpfte er sein Gegenüber. „Du hast doch jeglichen Realismus verloren. Abgehoben und dilettantisch. Ich werde es dir zeigen!“

Lupus hatte noch nicht in seine Karten geschaut. Er hatte dies auch nicht vor. Die Zunge glitt über die rauen Lippen, die Schlupflider zuckten, während das Gesicht eine ungesunde rote Färbung bekam.

Nervös tippte er mit dem Zeigefinger auf den Kartenstapel, während es den Eindruck erweckte, er führe Zwiesprache mit der Luft. Genau, mit der Luft, die er aus dem Ballon atmete und dort wieder hinein blies, geschwängert von den unzähligen Nazgȗl , während er den Blick weiterhin auf sein Gegenüber fixiert hatte.

Die Zeit schien stillzustehen, die Luft geladen von Millionen von Elektrovolt, so stark, dass es die beiden Kontrahenten anzog, sie aufstanden und sich zueinander beugten.

Die Entscheidung war gefallen.

„Ich gehe mit“, schrie Lupus, Bläschen alkoholisierter Flüssigkeit sprangen dabei sein Gegenüber an, der unwillkürlich zurückwich. „Zeigen!!“

Der stolze Habicht blieb ganz ruhig. Mit einer langsamen Bewegung nahm er die Karten und deckte sie eine nach der anderen auf.

Full House!

Lupus war der Unterlegene. Das Spiel entschieden. Gewinner und Verlierer standen fest. Oder doch nicht?

 


Dieser denkwürdige Abend war damit nämlich noch nicht zu Ende. Alles sah nach einem triumphalen Ende des stolzen Habichts aus. Doch die eingangs erwähnte spezielle Eigenschaft der Freudianer machte alles zunichte.

Plötzlich, übervoll mit zahlreichen Nazgȗl, entzündete sich Lupus selbst, brannte wie eine Fackel und nahm den stolzen Habicht mit in die ewigen Mahlströme des Universums und über seinen Ereignishorizont hinaus.

Beide brannten wie ein Quasar und leuchteten aus sich selbst heraus in einem grellblauen Licht. Mich, die Bedienung, eilte so schnell er konnte her, ließ das Tablett Nazgȗl fallen, welches er gerade zum Servieren balanciert hatte. Mit atemberaubenden Tempo griff er nach dem mobilen Löschapparat, stürzte zu den Kontrahenten und besprühte die Akkretionsscheibe mit schwarzer Energie, doch die einzige Konsequenz war, dass das Feuer erlosch und die beiden Kontrahenten vom Antlitz dieser Welt verschwanden.

Die Pokerrunde hatte ein denkwürdiges Ende gefunden. Fünf Kontrahenten waren angetreten und niemand hatte den Sieg davon getragen.

Das Publikum war außer sich, schrie wild durcheinander und jeder hatte seine eigene Version der Geschehnisse. Es wurden Geschichten entworfen, wie es dazu gekommen war und wie es weiterging. Mit dem Galactic Pot Healer, der Welt und dem Universum in seiner Gesamtheit. Doch es war nur der Chor der Ahnungslosen, der sich erhob. Einer machte dem ein Ende. Der Goldene Reiter trat vor und hob gebieterisch die Hand. Abrupt verstummte die Meute.

„Es war ein denkwürdiges Spiel mit besonderen Akteuren. Fünf Wesen von fünf Planeten. Jeder für sich eine Koryphäe, jeder für sich individuell und außerordentlich anders. Aber das alles hat ihnen nichts genützt. Heute hat es leider keinen Sieger gegeben. Die Entscheidung ist damit vertagt. Aber nicht abgesagt. Eine neue Runde wird geplant und wenn es soweit ist, werde ich es rechtzeitig verkünden. Der Preis bleibt weiterhin ausgelobt.  So verzagt nicht und genießt den angebrochenen Abend. Die Pot Healer Bar kennt keine Sperrstunde. Feiert und genießt den Augenblick. Es könnte euer letzter sein.“


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