Michael Böhnhardt (Interview)

Michael Schmidt: Hallo Michael, stell dich den  Zwielicht Lesern doch mal kurz vor!
Michael Böhnhardt: Ich bin Jahrgang 1973 und in einem wirklich sehr kleinen Dorf im Norden von Thüringen, knapp unterhalb des Harzes, aufgewachsen. Inzwischen habe ich schon an so einigen Orten in Deutschland gelebt. Heute arbeite ich als Software-Berater und lebe mit meiner Familie in der Nähe von Dortmund.
Michael Schmidt: Du gibst in Ausgabe 4  mit deiner Geschichte „Die Flamme von Troja“ dein Debüt in Zwielicht. Wovon handelt die Geschichte?
Michael Böhnhardt: Die Geschichte interpretiert bekannte Motive aus Goethes Faust mal etwas anders. Doktor Faust nutzt die Macht, die ihm sein Pakt mit Mephistopheles verleiht, unter anderem dazu, Kaiser Maximilian mit immer ausgefalleneren Kunststücken zu beeindrucken. Doch als es darum geht, die schöne Helena erscheinen zu lassen, muss auch der Teufel zu einem Trick greifen …

Michael Schmidt: Deine Geschichte ist ja keine typische Horrorgeschichte, sondern mischt Antike, klassische Phantastik und ein Thema, das auch in anderem Gewand funktionieren kann. Was macht für dich eine gute Geschichte aus und welche Spielarten der Phantastik bevorzugst du?
Michael Böhnhardt: Vor allem interessieren mich Geschichten, in denen es kein klares Richtig oder Falsch gibt. Richtig spannend wird es dann, wenn ich selbst nicht weiß, was man anstelle des Protagonisten tun sollte. Ich bevorzuge keine bestimmten Spielarten der Phantastik, sondern lese (und schaue Filme) querbeet, und beschränke mich dabei auch nicht auf das phantastische Genre.  Zu meinen Lieblingsautoren gehören Jack Ketchum, Clive Barker, Stephen King, Dan Simmons, Robert Harris, Eric van Lustbader, James Clavell und Arturo Perez Reverte.
Michael Schmidt: Bekannt geworden bist du durch die Übersetzungen der Dr. Nikola Romane im Wurdack Verlag. Wer ist Dr. Nikola und wie kam es zu der Zusammenarbeit?
Michael Böhnhardt: Dr. Nikola ist wohl der erste Serienbösewicht der Literaturgeschichte. Er entsprang der Fantasie des heute vergessenen Schriftstellers Guy Newell Boothby. Boothby lebte von 1867 bis 1905. Man mag von der Qualität seiner Bücher halten, was man will, aber auf jeden Fall war er ein unglaublich fleißiger Autor: In den nur etwa zehn Jahren seiner Karriere verfasste er etwa sechzig Romane und Kurzgeschichtensammlungen. Dr. Nikola trat in fünf von seinen Büchern auf. Zu Beginn der Reihe ist er ein strategisches Genie des Verbrechens, der Kopf einer Verbrecherbande, der sich im Hintergrund hält und diabolische Intrigen spinnt. Das wandelt sich ein wenig: Später ist er mehr ein besessener Wissenschaftler, der nach dem Geheimnis der Unsterblichkeit sucht und dabei weder vor irgendeiner Gefahr zurückschreckt noch irgendwelche Skrupel kennt. Trotz dieser etwas marktschreierischen Beschreibung sind Boothbys Romane immer von einer gewissen viktorianischen Behaglichkeit.
Ich hatte seinerzeit im Rahmen eines eigenen Internet-Projektes damit begonnen, die Geschichten zu übersetzen. Ernst Wurdack war über meine Seite gestolpert und fragte nach, ob ich mir vorstellen könnte, das Ganze als Sammler-Edition in seinem Verlag zu veröffentlichen; und das konnte ich mir sehr gut vorstellen.
Michael Schmidt: Du hast mit Petra Hartmann zusammen neue Dr. Nikola Romane geschrieben. Wie kam es dazu und was macht ihr anders als der ursprüngliche Autor und was ändert ihr auf keinen Fall?
Michael Böhnhardt: Im Wurdack Verlag sind vier von Boothbys Dr.-Nikola-Romanen erschienen. Wir haben den Roman The lust of hate weggelassen, da er mit dem eigentlichen Zyklus nichts zu tun hat und Dr. Nikola darin nur eine Nebenrolle spielt. Ernst fragte mich, ob ich den Roman nicht trotzdem übersetzen wolle, um die Serie komplett zu haben. Ich deutete an, dass es mir mehr Spaß machen würde, die Geschichte mit einem eigenen Roman fortzusetzen, und schickte Ernst ein Exposé darüber, wie ich mir diese Fortsetzung vorstellen würde. Die Idee gefiel ihm, und er holte zudem für eine weitere Fortsetzung Petra Hartmann mit ins Boot.
Was machen wir anders? Zunächst einmal haben wir Dr. Nikola in eine andere Zeit geholt. Das ging, weil er ja ein Forscher auf der Jagd nach der Unsterblichkeit war. Aber auch gerade dadurch, dass wir Boothbys Erzählansatz beibehielten, konnten wir deutliche Veränderungen durchführen. Schon bei Boothby werden die Romane immer von einem Ich-Erzähler erzählt und wir erleben also den Superschurken stets aus einem anderen Blickwinkel. Das haben wir fortgeführt: Bei mir ist der Erzähler ein baltischer Baron im russischen Bürgerkrieg um 1920, bei Petra ist es ein deutscher Banker in Berlin nach dem Schwarzen Freitag 1927. Wir konnten also jeweils eine Stimme wählen, die uns für unsere Geschichte angemessen erschien, und die beiden Romane sind auch sehr unterschiedlich. Das Luftschiff des Doctor Nikola aus meiner Feder ist ein eher düsteres Buch geworden, während ich bei Petras Serum des Doctor Nikola immer an alte Filme wie Der Mann der Sherlock Holmes war denken muss.
Michael Schmidt: Petra Hartmann schrieb in ihrem Blog die neuen Romane von euch werden übersetzt. Wie kam es dazu und in welcher Sprache werden die Bände erscheinen?
Michael Böhnhardt: Auch hier kam wieder einmal der Zufall zu Hilfe, und zwar in Gestalt der Amazon-Funktion „Wer diesen Artikel kaufte, kaufte auch …“. Die Bücher werden ins Englische übersetzt, und zwar von dem amerikanischen Autor William Patrick Maynard, und er ist derjenige, dessen unbeirrbarer Einsatz dieses Projekt zustande gebracht hat. Bill verfolgte schon zuvor ein verblüffend ähnliches Projekt: Er verfasst Fortsetzungen zu Sax Rohmers Superschurken Dr. Fu Manchu. Bisher sind dabei zwei Romane erschienen: The Terror of Fu Manchu und The Destiny of Fu Manchu. In diesem Jahr erscheint ein dritter Band namens The Triumph of Fu Manchu. Wie man sieht, sind Superverbrecher sein Ding, und zu dieser Spezies gehört auch der deutsche Dr. Mabuse. Und weil eine bestimmte Sammler-Edition bei Amazon.de günstiger war als bei Amazon.com, schlug er eben dort zu, und wurde dabei von dem schon erwähnten Gimmick auf unsere beiden Romane hingewiesen. Dr. Nikola kannte er natürlich - er ist wahrscheinlich einer der wenigen, bei denen man dieses „natürlich“ bedenkenlos verwenden kann - ; und dass es deutsche Fortsetzungen gab, fand er interessant genug, um sie zu kaufen und dann anschließend einen amerikanischen Verlag, nämlich Altus Press, für die entsprechenden Übersetzungen zu suchen.
Michael Schmidt: Einerseits Autor, andererseits Übersetzer und jetzt noch übersetzter Autor. Was ist der Unterschied zwischen einem Autor und Übersetzer und welche der Tätigkeiten bevorzugst du?
Michael Böhnhardt: Nun, die Aufgabe eines Übersetzers besteht darin, das Werk eines Autors in eine andere Sprache zu übertragen und dabei so nahe wie möglich am Original zu bleiben. Man stellt sich stets die Frage: Wie hätte der Autor das formuliert, wenn er es gleich in Deutsch geschrieben hätte? Das ist anspruchsvoll und macht umso mehr Spaß, je mehr man den entsprechenden Autor und seine Art und Weise, Geschichten zu erzählen, schätzt. Man feilt an seinem Stil, lernt, in unterschiedlichen Stilen zu schreiben. Aber trotzdem: Die Geschichten selbst zu erfinden, geht darüber weit hinaus, und das bevorzuge ich auch ganz klar.
Michael Schmidt: Werden weitere Romane erscheinen?
Michael Böhnhardt: Über Dr. Nikola? Das liegt daran, wie sich das Leserinteresse entwickelt. Wir haben uns mit unseren Romanen deutlich von Boothbys Nikola entfernt, und diese auch so angelegt, dass man sie lesen kann, ohne die ursprünglichen Romane zu kennen. Unser Ziel ist es, ein breiteres Publikum zu gewinnen als das, das sich für klassische viktorianische Geschichten interessiert. Wenn es uns das gelingt, haben wir genügend Stoff für weitere Abenteuer, in die sich unser Superschurke stürzen kann.
Michael Schmidt: Hast du neben „Die Flammen von Troja“ weitere Kurzgeschichten veröffentlicht bzw. geschrieben?
Michael Böhnhardt: Ja. Meine ersten Veröffentlichungen waren Leser-Geschichten in der John-Sinclair-Zweitauflage. Später habe ich vor allem für das inzwischen beendete Internet-Projekt Groschenstory.de geschrieben, das mein Bruder und ich zusammen betrieben haben. Ich war auch in Wurdack-Anthologien vertreten.
Michael Schmidt: Und was hast du für die nähere Zukunft geplant?
Michael Böhnhardt: Im Moment schreibe ich an einem historischen Abenteuerroman über eine brandenburgisch-preußische Kolonie an der afrikanischen Küste um das Jahr 1700. Da ich beruflich sehr eingespannt bin, geht das nicht so schnell voran, wie ich es gern hätte, aber ich tue, was ich kann.
Michael Schmidt: Die deutsche Phantastikszene führt ein Schattendasein sagen die einen. Die anderen betonen wie viele tolle Werke abseits des Mainstream bzw. abseits eines großen Publikums erscheinen. Wie würdest du die deutsche Phantastikszene beurteilen?
Michael Böhnhardt: Ehrlich gesagt bekomme ich nicht so richtig mit, ob man von einem Schattendasein sprechen kann. Da es mich interessiert, bekomme ich relativ viel von dem mit, was so in der deutschen Phantastikszene erscheint. Wie viele andere Leute diese Interessen teilen, ist mir als Leser ziemlich egal. Als Autor bin ich da nicht ganz so entspannt, aber es bringt mich auch nicht wirklich um meinen Schlaf.
Michael Schmidt: Und wie siehst du die fremdsprachige Konkurrenz?
Michael Böhnhardt: Da sehe ich mich mehr in meiner Rolle als Konsument und freue mich über ein größeres Angebot, aus dem ich auswählen kann. Man sieht an der Liste meiner Lieblingsautoren oben, dass ich eher fremdsprachige (allerdings nach Möglichkeit übersetzte) Werke lese.
Michael Schmidt: Ein letztes Wort an die Leute dort draußen!
Michael Böhnhardt: Viel Spaß beim Lesen, Leben, dem Universum und dem ganzen Rest.

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