Der gealterte Mann
Ein Haufen Geschichten haben sich im Laufe der Zeit angesammelt. Geschichten verschiedenster Genres, verschiedenster Art. Zeit genug, die Geschichten Stück für Stück zu präsentieren:
Der gealterte Mann
(aus Geschichten der Dekadenz) erschien im Oktober 2016.
Rentner schießen.
Oder im alten Benz, das Zielfernrohr auf der Motorhaube, und Schwups, den einen
Alten am Zebrastreifen erfasst, den nächsten vom Bürgersteig rasiert.
Schon früh lernt
man, Rentner sind das ideale Feindbild und gehören gejagt. Nicht nur wegen der
Demografie, aber auch. Zur Demografie kommen wir später.
Senioren, auch
liebevoll Generation Silberhaar genannt, das sind diejenigen, die Liegen schon
vor Sonnenaufgang mit ihrem Handtuch belegen, sich dann ewig nicht blicken
lassen, um dann ihre am lebendigen Leib verwesenden Körper in der Sonne zu
präsentieren und damit unsere Augen und Nasen zu malträtieren.
Welkes
Fleisch, angesäuert mit schlechten Flüssigkeiten, dem Fluch der verlangsamten
Zellteilung folgend. Der gealterte Mann und die gealterte Frau, der lebende
Beweis, dass Biomechanik und -chemie ihre engen Grenzen hat.
Hier
ein Furz, da ein Rülps, selbst die schlechten Flüssigkeiten, der eingelagerte
Abfall, drängt in die Freiheit der großen weiten Welt.
So
auch der gealterte Mann. Hat er sich der gealterten Frau entledigt, sie sich
selbst und ihren inneren, meist simulierten Leiden überlassen, wildert er auch
noch im Revier der Jetzigen.
Wie
Federn an klebriger Masse ist das viele Geld im Lauf unzähliger Jahre an ihm
haften geblieben. Jetzt wedelt er damit und das junge Weibsvolk, trainiert auf
exzessiven Konsum und geistfreier Wirbellosigkeit, zeigt seine gymnastischen
Fähigkeiten und schaltet dabei alle fünf Sinne ab, so scheint es zu sein, wie
sonst sollte man solche Verbindungen ertragen, die etwas mit enkeln zu tun
haben. Enkeln ist dabei die verschärfte Form von heiraten, und meist endet das
Enkeln in mittelfristiger Herzinsuffizienz oder gar kurzfristigem Hochtunen des
Kreislaufapparates samt dauerhafter Schädigung des porösen Leitungssystems des
gealterten Mannes.
Den
Wenigen, denen beschieden ist, das enkeln bei bester Gesundheit durchzustehen,
strahlt alsbald ein neuer Erdenbürger entgegen, der dem jungen Weibsvolk die
Frührente beschert, dem älteren Mann dagegen den eindeutigen Hinweis, dass sein
Platz jetzt von einem jüngeren besetzt ist und seine Zeit abläuft. Dabei darf
er sich nicht einmal sicher sein, dass es sein Erfolg war, auch wenn die Ohren
und das Kinn nach ihm zu geraten scheinen. Das einzige nämlich, was im unteren
Bereich gehen Himmel steigt, ist der Druck, den der gealterte Mann verspürt und
der sich schlagartig entleeren möchte. Die Prostata sorgt, das ganz jung und
ganz alt wieder vereint sind, nämlich im Tragen einer Pampers. Somit hört es
auf wie es einmal anfing.
Doch
bevor der frischgeborene Pupser den Platz des gealterten Mannes einnimmt, wird Generation
Silberhaar ein letztes Mal aktiv. Ausgerüstet wie der letztjährige Sieger der
Tour de France, nur das Beste für den reifen Mann, steigt er, hager und faltig,
auf den Mercedes der Rennräder, auch wenn er kurz damit schwanger ging, sich
ein elektrisch angetriebenes Gefährt auszusuchen. Bei sengender Hitze, den
Durst löscht er mit alkoholfreiem Weizen oder Apfelschorle, radelt er samt der
wenigen ihm verbliebenen Genossen und verbreitet Schrecken für all diejenigen,
deren Weg die Horde der Rentneraffen streift.
Wenn
die müden alten Krieger später in ihren polierten Porsche Cayenne steigen, muss
sich die Arbeiterklasse Angst um das Erreichen ihrer eigenen Rente machen, so
forsch – und andererseits auch so unsicher, das schwindende Augenlicht lässt
grüßen - werden die unzähligen Pferdestärken durch den dichten Verkehr gezwängt,
ohne Rücksicht auf Verluste.
Rücksicht
ist eines der Wörter welche der ältere Mann aus seinem verengten Vokabular dauerhaft
gestrichen hat.
Jemand
vorlassen? Warten? Nachgeben?
Weicheier.
Diese Generation Y oder Millenniums, oder wie man die gerade nennt, kann keine
Gnade erwarten. Die durch unzählige Western-, Piraten-, und Actionfilme
gestählten Grauköppe kennen weniger Erbarmen als James Bond oder Chuck Norris.
Sie kennen nur eins: Wir zuerst! Und nach uns die Sintflut.
Also
verprassen sie die Ressourcen, fahren dicke Kisten, lassen das Licht brennen
und schleichen im Normalfall elektrisch die Fahrradwege entlang. Der
Flachbildschirm hat 48inch und alles im Haushalt ist elektrisch. Man hat es
sich ja verdient.
Auch
wenn es anstößig riecht, gerade im Alter, scheißen sie auf den
Generationsvertrag. Wenig wird für die Millenniums übrig bleiben, warum also
nicht vorher noch schnell alles verprassen, schließlich gibt es die Diktatur
der Grauen Panther, ihrer Mehrheiten sind legendär und werden sich noch
verfestigen. 2050 soll es ebenso viele Rentner geben wie Menschen im arbeitsfähigen
Alter. Auch wenn solch generelle Vorhersagen sich meist nur bedingt erfüllen
und später revidiert werden, eines ist sicher, die Demografie spricht für die
Herrschaft der Rentner.
Es
sei denn man schießt Rentner, wie zu anfangs erwähnt.
Natürlich
sorgen sie auch für die Anhebung des Bruttosozialproduktes, schließlich
schmilzt ihr Vermögen wie Butter in der Sonne, es sei denn, sie überlassen
alles dem Nachwuchs, der es sich aber jetzt schon schön bequem einrichtet, aber
das ist eine andere Geschichte.
Legionen
an Osteuropäern und fernöstlichen Damen erfreuen sich an dem gealterten Mann.
Wenn er sie nicht direkt enkelt, verdienen sie sich ihren Lebensunterhalt
damit, ihn zu pflegen und seinem Siechtum zu übergeben. Seniorenheime sind
Nutznießer dieser Bewegung, aber auch private Betreuung ist angesagt.
Zahntechniker
erfreuen sich, aber auch die Ärzteschaft, kann sie doch künstliche Knie und
Hüften in Masse unter das Volk bringen. Der gealterte Mann transformiert zum
künstlichen Mann, das macht auch vor Herzklappen und Adern nicht halt.
Liegt
der gealterte Mann dann endlich in den letzten Zügen, ist es eine Maschine, die
ihn mit Luft versorgt und sein Blut durch den Kreislauf pumpt. Jetzt kann einem
der gealterte Mann leid tun, er hat seine Entscheidungskraft am Krankenhaustor
abgegeben. Er ist der Willkür anderer ausgeliefert.
Gleiches
gilt für das Geschenk des Vergessens. Im Leben häuft sich einiges an, was man
verdrängen möchte und das Gedächtnis hilft einem, indem die Erinnerung
verblasst.
Doch
alsbald gerät das Vergessen außer Kontrolle und man vegetiert vor sich hin,
Alzheimer oder Demenz halten einen gefangen. Selbst die jungen Dinger, die
einem den Sabber wegwischen oder die Rosette putzen, schaffen es nicht, den
Schleier des Vergessens wegzuschieben dank ihres Aussehens und ihrer Präsenz.
Der
gealterte Mann ist am Ende, sein Leben gelebt und wenn es schlecht gelaufen
ist, grämt er sich der gelebten Jahre.
Jetzt
muss er entscheiden, wie er die letzte Phase angeht. Im Laufe des Lebens hat er
sich befreit von religiösen Gefühlen, sein Weltbild ist die Freiheit, doch die
hat er eingebüßt und so besinnt er sich zurück, faltet die Hände zu einem
letzten Gebet und lässt sich fallen.
Der
gealterte Mann tritt ab. Und hat einen würdevollen Abgang verdient.
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