Aiki Mira (Interview)
Michael Schmidt: Hallo Aiki, erstmal vielen Dank, dass du
dich meinen Fragen stellst. Ich stelle eine virtuellen Tee zur Verfügung und
hoffe, du kannst in dieser für dich hektischen Zeit für einen Moment
entspannen.
Aiki Mira: Yeah, VR-Tee hatte ich schon lange nicht mehr!
Michael Schmidt: Aiki ist ein Begriff aus dem Japanischen.
Hat das eine spezielle Bedeutung für dich? Oder ist das einfach nur dein Name?
Aiki Mira: Es ist ein Identitätsname ‒ so ein Name hat eine große
Bedeutung für mich. In Aiki verbergen sich außerdem die beiden Akronyme »A.I.«
und »K.I.«.
Michael Schmidt: Ich habe Neongrau vor mir liegen. Ein wahrer Ziegelstein, 504 Seiten +Glossar, wunderbar illustriert von Christin Giessel. Wie gefällt dir das Buch selbst und was empfindest du beim Anblick deines eigenen Exemplars?
Aiki Mira: Neongrau existiert! ‒ In dieser Realität! ‒ Unglaublich!
Michael Schmidt: Auf dem Umschlagbild und im Text finden
sich Formen (Dreiecke, Rechtecke, Kreise, ein X). Ich habe das Buch erst
angelesen. Haben die eine bestimmte Bedeutung?
Aiki Mira: Das sind Anspielungen auf die Tasten-Symbole, die
auf Gaming-Controller zu finden sind.
Michael Schmidt: Stuntboi Go Kazumi ist erst ein
Skateboardjunge, dann die Tochter von, gerade achtzehn und weiß noch nicht,
wohin die Reise geht. Auf dem Bucon sagtest du, du bist Autorx, fühlst dich
nicht nur als Frau, oder nur als Mann, die Festlegung auf ein Geschlecht
würdest du so nicht empfinden. Ich bin mir jetzt nicht sicher, ob ich das so
richtig wiedergegeben habe, aber du fühlst dich als nonbinäre Person. Go ist
auch so eine Person, mit einer Familie, die väterlicherseits afrikanischstämmig
ist, mütterlicherseits sind die Ahnen japanisch, aber natürlich ist Stuntboi Go
Hamburger, da spielt die Geschichte. Wieviel von Aiki ist in Go enthalten und
macht diese Familiengeschichte Go zu einem Wanderer zwischen Welten und
Geschlechtern?
Aiki Mira: Stimmt, mit Go verbindet mich der Sammelbegriff »Nichtbinarität«.
Darunter werden jedoch ganz unterschiedliche Identitäten gefasst. So versteht
sich Go im Gegensatz zu mir als genderfluid. Das Fluide greifbar zu machen, war
die Herausforderung bei diesem Roman.
Gos Familiengeschichte verweist auf einen
Migrationshintergrund ‒ ein weiterer Sammelbegriff, den ich wie viele Menschen
mit Go teile.
Die Figuren in meinen Geschichten ergeben sich jedoch nicht
aus bestimmten, realen Personen, sondern aus dem Weltenbau und dem Flow der
Geschichte. Go ist ein Individuum, das in einer sehr spezifischen Welt
aufgewachsen ist und dort ganz eigene Erfahrungen gemacht hat. Über Go zu schreiben
ist mein Versuch mich einer Identität zu nähern, die dauernd in Bewegung ist.
Michael Schmidt: Jetzt bin ich schon direkt ins Geschehen
von Neongrau gesprungen. Als was würdest du den Roman kategorisieren?
Cyberpunk? Oder mehr?
Aiki Mira: Ich möchte den Roman gar nicht kategorisieren ‒
Rezensionen und Kritiken machen da bereits einen sehr guten Job.
Michael Schmidt: In dem Roman, das ist mir schon nach
wenigen Seiten aufgefallen, gibt es keine Privatsphäre. Selbst dort, wo die
Person glaubt, da wäre eine. Siehst du unsere Zukunft in dieser Richtung so
pessimistisch oder ist das einfach eine Übertreibung?
Aiki Mira: Fotos von privaten Häusern bei der Vorschau einer
Navigationssoftware zu sehen, stufen wir nicht mehr als privat, sondern als
nützlich ein ‒ das war bei der Einführung dieser Funktion noch anders. Mir
stellt sich daher die Frage: Wie werden wir das Private in Zukunft verstehen? In
Neongrau dringen Technologien zwar bis in unsere Gedanken ein, ein Bewusstsein für
das Intime existiert aber immer noch.
Michael Schmidt: Gos Mutter Ren ist auf der Suche nach
der Künstlichen Intelligenz, genau wie die Vasquez. Glaubst du, es ist nur eine
Frage der Zeit, bis es eine Künstliche Intelligenz gibt oder denkst du sogar,
es existiert schon eine? Woran würdest du eine richtige Künstliche Intelligenz
im Gegensatz zu einem normalen Programm festmachen?
Aiki Mira: In der KI-Forschung wird davon ausgegangen, dass künstliche
Systeme, die rational handeln, auch als intelligent bezeichnet werden dürfen. Bereits
heute bewältigen KIs ein vorgegebenes Aufgabenfeld und beweisen dadurch, dass sie
rational handeln können. Daher bin ich der Meinung, dass es zumindest schwache
KIs gibt.
Michael Schmidt: Mit Kollegen haben wir auch heftig
darüber gestritten, wo die Grenze ist, an der man schon von einer KI sprechen
kann. Wenn man das weiterdenkt, also es einen richtigen Quantensprung gäbe und
es eine wahrhaftige Maschinenintelligenz geben würde. Was denkst du, wäre das
eher so eine Art Superhirn, also eine Art menschliche Maschine oder würde diese
KI etwas völlig anderes sein?
Aiki Mira: Für Neongrau habe ich mich mit KIs im Bereich Computerspiel,
Schach und dem Brettspiel GO auseinandergesetzt, was mich dabei am meisten
fasziniert hat: Selbstlernende KIs entwickeln ohne menschlichen Input eigene Spiel-Strategien,
auf die kein Mensch je gekommen ist ‒ die für ein menschliches Gehirn nicht
einmal mehr nachvollziehbar sind! Wir leben also bereits mit einer Art Alien-Intelligenz
zusammen.
Wenn jedoch bereits schwache KIs Alien-Intelligenz besitzen,
dann erscheint es mir nur logisch, dass auch starke KIs das Potential haben ganz
anders als wir sein zu können. Und ist das nicht viel spannender: statt einer
menschlichen Imitation, etwas vollkommen Neues hervorzubringen?
Michael Schmidt: Ich habe ja schon ein paar deiner
Geschichten gelesen und das Thema Identität kommt immer wieder vor. Auch und
gerade gepaart mit Maschinen. Wie würdest du dir eine Identität einer
Maschinenintelligenz vorstellen?
Aiki Mira: In Neongrau zeige ich, wie eine KI, dadurch dass
sie nicht in einem Körper aufgewachsen ist, eine andere Identität und ein
anderes Selbstverständnis entwickelt als wir Menschen. Dieser KI wird das
Besondere unserer menschlichen Existenz irgendwann klar. Sie ist sich allerdings
nicht sicher, ob wir jemals ihre KI-Identität verstehen können.
Michael Schmidt: In deinem Roman sind es die Konzerne,
die Spiele erschaffen, die Hamburg kontrollieren. Auch in der Realität ist
Tencent in China, ein Spielentwickler, der einer der größten Firmen dieser
Volksrepublik. Glaubst du, Gaming und die Firmen dahinter werden noch mehr
Einfluss auf unser Leben und unsere Entscheidungen nehmen, als es die letzten
vierzig Jahre schon gemacht hat?
Aiki Mira: Ich glaube den größten Einfluss auf unser Leben wird
nicht ein einzelnes Unternehmen haben, sondern die vielen gesichtslosen
Programme, die unser Leben schon heute komfortabler machen. Sie schlagen uns
die schnellste Route oder die passenden Partner*innen vor, werden so immer mehr
zur digitalen Infrastruktur, die wir kaum wahrnehmen, geschweige denn durchschauen.
Michael Schmidt: Drogen sind ja auch direkt am Anfang von
Neongrau ein Thema. Drogen und Spielsucht, das sind ja zwei recht ähnliche
Themen. Der Verlust der Realität ist bei beidem gegeben. Fürchtest du dich vor
Realitätsverlust oder willst du die Gesellschaft davor warnen?
Aiki Mira: Wenn ich einen Text lese, möchte ich nicht
gewarnt werden, sondern einem Experiment beiwohnen und meine eigenen Schlüsse
ziehen dürfen. Beim Schreiben gilt daher für mich: meinen Figuren vorurteilsfrei
zu begegnen und ihnen zu gewähren, sich frei zu entfalten ‒ dazu
gehört auch, dass sie Drogen nehmen dürfen.
Michael Schmidt: Ich habe Neongrau noch nicht durch.
Daher die Frage: Ist der Roman abgeschlossen bzw. wird es weiter und ähnliche
Erzählungen im Hamburg des Jahres 2112 geben?
Aiki Mira: Das Buch ist in sich abgeschlossen. Momentan
arbeite ich an einer Geschichte, die im gleichen Universum jedoch an einem
anderen Ort spielt. Sehr gut kann ich mir vorstellen, dass dort Menschen leben,
die von den Gaming-Geschwistern aus Hamburg gehört haben oder irgendwann von
ihnen hören werden.
Michael Schmidt: Gut, ich denke, jeder kann sich jetzt einen Eindruck von Neongrau machen. Letztes Jahr bist du wie aus dem Nichts gestartet und warst mit drei Geschichten für die deutschen Science Fiction Preise nominiert und hast mit Utopia 27 den DSFP und KLP gewonnen. Wie fühlt sich das an und möchtest du ein Wort an deine Leser, Bewunderer und Kritiker äußern?
Aiki Mira: Es berührt mich sehr, dass es da draußen Menschen
gibt, die sich mit meinen Texten auseinandersetzen. Ganz am Ende meiner Bücher
steht immer, was ich diesen Menschen gern sagen möchte: Vielen Dank!
Auch Dir, Michael, vielen Dank für das Interview ‒ und für den Tee 😀
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