Isobel Goudie

Ein Haufen Geschichten haben sich im Laufe der Zeit angesammelt. Geschichten  verschiedenster Genres, verschiedenster Art. Zeit genug, die Geschichten Stück für Stück zu präsentieren:





Isobel Goudie ist eine Horrorgeschichte, erschienen im November 2021 in dem Magazin Neuer Stern 74 und wurde wiederveröffentlicht in Branded and Exiled.



Die Geschichte entstand aus dem Fragment Walburga im Frühjahr 2020. Seitdem hat sie aber ein paar Transformationen durchgemacht, bevor sie in der vorliegenden Form erschien. Sie spielt wie weitere Geschichten in der Stadt Silbermond. Inspiriert vom gleichnamigen Lied der schottischen Rockband The Sensational Harvey Band.


Leseprobe:

Grell leuchteten Blitze durch die trüben Fensterscheiben. Die Läden klapperten im Sturm und das ganze Haus schien zu ächzen. Die Glocken schlugen zwölf, Mitternacht, und der buckelige Alte war wach geworden und stieg mürrisch aus dem Bett. Bei dem Krach konnte sowieso keiner schlafen. Hier, nahe des Rhyn, pfiff der Wind besonders schlimm und durch die undichten Fenster kroch die Kälte ins Zimmer. Er stand auf, verließ sein Schlafzimmer und entfachte umständlich die Holzscheite in dem Kamin. Der Alte setzte sich in den verschlissenen braunen Sessel und genoss die Wärme, die der Kamin ausstrahlte. Er versuchte leise zu sein, um die Kleine nicht zu wecken. Wenn sie erst einmal schlief, sollte es auch so bleiben. Sie hatte es schwer genug und kam kaum zur Ruhe, seit ihre Mutter vor ein paar Tagen gestorben war und er sie bei sich aufgenommen hatte. Das alte Haus, in dem er wohnte, ächzte und knarzte, und die Trauer des Kindes tat ihr Übriges.

Seine Nichte Julia war ein Engel und erinnerte ihn permanent an seine verstorbene Schwester Katrin. Auch er trug schwer an dem Verlust, sie hatten immer ein enges Verhältnis gehabt. Er, der wesentlich ältere Bruder, und die jugendliche Mutter, die ohne Mann ihr Kind großzog. Dass jetzt er versuchte großzuziehen.

Ein lautes Knacken weckte seine Aufmerksamkeit. Er hob den Kopf, der schon auf die Brust gesunken war. Der Alte merkte, er war doch müder, als er sich eingestand.

Die Holzscheite brannten lichterloh und wärmten mittlerweile das ganze Zimmer. Die Feuerzungen leckten nach vorne, bildeten Arme, verjüngten sich zu Fingern, die nach ihm griffen.

Plötzlich war er hellwach.

Was ist das?, dachte er verdutzt. Tatsächlich, es sind Arme.

Erschrocken erkannte er, dass den Armen ein Körper folgte und die Feuerlohe Kontur annahm. Eine hoch gewachsene Gestalt mit einem riesigen Kopf, der sich mit zunehmender Hitze ausdehnte, löste sich von den Holzscheiten.

Ihm wurde eiskalt. Sein Herz stockte und er wagte nicht zu atmen, als die Feuergestalt nach vorne trat, aus dem Kamin heraus, und in wenigen Schritten die Distanz zu ihm überbrückte. Er wunderte sich noch, dass die Fußspuren den Teppich nicht entflammten.

Das war aber der letzte bewusste Gedankengang. Aus der Kälte, die ihn vor lauter Angst schlottern ließ, wurde eine unerträgliche Hitze. Die Schreie, die er ausstieß, wurden von der Flammenlohe erstickt, die ihn bis auf die Knochen verbrannte.

Doch das merkte er schon nicht mehr.

 

Hinter dem Türspalt kauernd und zitternd hatte das Mädchen beobachtet, wie der Onkel in Flammen auf-ging.

Fasziniert und schockiert zugleich sah Julia, wie das Flammenwesen zurück in den Kamin kroch und in die Scheite eindrang. Die Flammen erloschen und das Holz sah völlig unversehrt aus. Ein wenig vertrocknet und rissig, aber es trug keinerlei Brandspuren.

Julia verharrte minutenlang und war unfähig sich zu rühren, doch urplötzlich fiel die Starre von ihr ab und sie fror vor Angst.

Weg. Sie musste fort von hier.

Wie der Blitz fuhr sie herum. Sie rannte durch den Flur, riss die Haustür und hetzte die Treppen hinunter, sprang förmlich auf die Straße, die um diese Zeit ausgestorben war. Sie flitzte die Häuserzeile entlang aber schon bald spürte sie den Regen und die Kälte durch ihr dünnes Nachthemd und die nackten Füße. Schnell erlahmten ihre Kräfte und fieberhaft überlegte sie, wohin sie gehen könnte.

Ein Reklameschild sprang ihr ins Auge. Albert Eins, private Ermittlungen. Sie rüttelte an der Tür und stellte überrascht fest, dass sie nicht verschlossen war. Sie nahm sich ein Herz und betrat das Haus. Die nächste Tür allerdings war verriegelt. Kraftlos sackte sie davor zusammen. Frierend und weinend blieb sie liegen, bis der Schlaf sie übermannte.

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