Wechselspiele
Ein Haufen Kurzgeschichten haben sich im Laufe der Zeit angesammelt. Geschichten verschiedenster Genres, verschiedenster Art. Zeit genug, die Geschichten Stück für Stück zu präsentieren:
Mitternacht.
Der Himmel wurde von einer dichten grauen Schicht überzogen, die sich bis auf
den kalten Asphalt heruntersenkte. Der grazilen Gestalt, die um diese späte
Uhrzeit durch die dunkle Gasse hetzte, war sichtlich unwohl. Man konnte an der
Körperhaltung und den Bewegungen deutlich die Angst erkennen, die sie gefangen
hielt. Houda wollte nach Hause und ein Taxi gab ihr Budget nicht her. Vorsichtig
schlich sie durch die dunkle Nacht und fühlte sich alles andere als wohl dabei.
Vorsichtig blickte sich die Frau aus ihren grün-grauen Augen nach allen Seiten
um, hielt sich im Schein der spärlichen Straßenbeleuchtung und huschte durch
das unbelebte Viertel.
Unbelebt?
Plötzlich
sprang sie ein dunkler Schatten aus einem Hauseingang an. Unerbittlich packte
der kräftige bärtige Mann sie und schob sie an die Hauswand. Seine blauen Augen
starrten sie gnadenlos an, sein Gesicht näherte sich dem ihren, fixierten ihren
Blick mit Eiseskälte.
Sie zitterte
wie ein Schüttelneurotiker. Ihre Beine versagten ihr den Dienst, doch der Mann
hielt sie mit unerbittlichem Griff aufrecht. Sein Mund öffnete sich leicht,
näherte sich ihr. Seine Lippen drückten sich auf die ihren, zwangen ihr einen
Kuss auf.
Energie
wechselte von dem Mann zur Frau. Ein bläuliches Licht sprang von seinen Lippen
zu den ihren, erhellte die Umgebung wie ein Blitzlicht und ließ die
darauffolgende Dunkelheit noch schwärzer wirken.
Houda fühlte
sich wie ein belichteter Film. Etwas Neues war in ihr. Sie spürte ein Erwachen,
ein Hochgefühl, gefolgt von einem tiefen Fall, der sie zu Boden sinken ließ.
Der Mann hatte längst von ihr abgelassen und sie hörte seine hallenden Schritte
in der engen Gasse wie ein höhnisches Lied, das sich immer weiter entfernte.
Die Frau stand allein in der menschenleeren Gasse. Kam langsam zur Besinnung.
Mühsam erhob
sie sich, klopfte sich Dreck und Staub von den Kleidern, doch das Erlebnis schüttelte
sie nicht so einfach ab. Ihr Bauch sendete Schmerzwellen aus. Die Beine
zitterten immer noch leicht, obwohl die Gefahr gebannt schien. Mühsam ging sie
weiter.
Kopfschüttelnd
rekapitulierte sie das Geschehen. Nie wieder, so schwor sie es sich, würde sie
um so eine späte Zeit allein durch eine unbelebte Gegend laufen.
Nie wieder!
Doch sie
hatte sich verändert. Der Kuss hatte sie verändert. Ein Gefühl, das eindeutig
war, aber viel Raum für Spekulation bot. Etwas war anders. Sie war anders. Sie
spürte eine wachsende Kraft in sich. Eine Kraft, die ihr Zuversicht gab und die
Angst verdrängte. Ja, sie fühlte sich gut. Anders als vor der Begegnung. Wie
viel anders, das stellte sie erst wesentlich später fest.
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