SIE sucht IHN


Ein Haufen Geschichten haben sich im Laufe der Zeit angesammelt. Geschichten  verschiedenster Genres, verschiedenster Art. Zeit genug, die Geschichten Stück für Stück zu präsentieren:

SIE sucht IHN 

Die etwas andere Art des Blind Dates debütierte in der leider eingestellten Zeitschrift Kurzgeschichten, Ausgabe 06/2006 und nähert sich dem Thema auf humorvolle Weise...

Erneut veröffentlicht findet sie sich in meiner Sammlung Geschichten der Dekadenz.


Als ich das Lokal betrat, war es brechend voll. Meine zehnminütige Verspätung war keine Nachlässigkeit, sondern eine beabsichtigte Handlung. Suchend sah ich mich um. Das Mobiliar war schlicht, die Wände mit Weinflaschen und Kletterpflanzen dekoriert. Mein Blick fiel auf mehrere Frauen, die alleine am Tisch saßen. Prüfend beäugte ich sie, mit welcher ich mich wohl heute treffen sollte?

Ich liebte diese Blind Dates, doch einen gewissen Vorteil wünschte ich mir schon.

So stand ich einfach nur da, bis ein Kellner an mich heran trat.

„Kann ich Ihnen weiterhelfen?“

„Ich hatte einen Tisch auf den Namen Rheinländer reserviert.“

Der Kellner forderte mich auf, ihm zu folgen.

„Hier entlang, bitte!“

Er führte mich durch die Menschenmenge durch das ganze Lokal, bis wir an einen etwas abgelegenen Tisch kamen, an dem sie saß. Mir war, als würde mein Gesicht in Eiswasser getaucht, ich hoffte, mein Lächeln wäre nicht allzu sehr gekünstelt.

„Hallo, ich bin Bernd Rheinländer.“

„Hallo! Freut mich Sie kennenzulernen. Ich bin Martha Meißner.“

Wir gaben uns die Hand. Ihr Händedruck war fest, ihre trockene Haut eher unangenehm. Ich übergab meine Jacke dem Kellner und nahm ihr gegenüber Platz.

Die Anzeige hatte wie folgt gelautet: Enddreißigerin, sportlich, attraktiv, naturverbunden, sehr schlank, gute Umgangsformen, sucht sympathischen IHN zwecks anregender Freizeitgestaltung.

Das einzige, was wohl auf sie zutraf war das "naturverbunden", von allem anderen war hier nicht die Spur zu erkennen.

Ich hatte die Anzeige selbst gar nicht entdeckt, einer meiner Golfpartner wusste von meiner Leidenschaft für Blind Dates und hatte mich auf sie aufmerksam gemacht.

„Entschuldigen Sie die Verspätung. Ich wurde leider aufgehalten. Haben Sie schon gewählt?“

„Nein, ich wollte auf Sie warten. Sind Sie mit dem Auto hier?“

„Nein, und Sie?“

So zog sich die verkrampfte und belanglose Unterhaltung bis zum Essen hin. Während der Mahlzeit schwieg sie, eine willkommene Unterbrechung. Ich nahm sie in Augenschein.

Groß, in weite Klamotten gehüllt. Die dunklen Haare lieblos im Nacken zu einem Pferdeschwanz gebunden. Eine riesige Brille mit rechteckigen Gläsern verunstaltete ihr generell schon wenig attraktives Gesicht. Schmale farblose Lippen bildeten einen Strich mit hängenden Enden. Ihre Gesichtsfarbe war ein ungesundes Grau. Die braunen Augen wirkten leblos und ließen jegliches Temperament vermissen. Den grauen Sack als Pullover zu bezeichnen verursachte mir fast Bauchschmerzen. Ihre Brüste – wahrscheinlich war sie flach wie eine Flunder - waren nicht zu erkennen.

Als wir die Mahlzeit beendet hatten, wählte sie einen trockenen Rotwein, genau die Sorte, die ich am meisten verabscheue. Dann gab sie den Ton an. Zeitgeschehen, Politik, die wirtschaftliche Lage. Mir wurde immer weniger wohl in meiner Haut. Gerne hätte ich leichtere Themen gewählt: Der nächste oder letzte Urlaub, das Wiederaufkommen der Kleidermode aus den Siebzigern, die aktuelle Tour der Rolling Stones.

Doch sie interessierte sich genau für die Sachen, mit denen ich mich schon beim letzten Geschäftsessen auseinandersetzen musste. Es kotzte mich an. Sie war belesen, gebildet und stocklangweilig. 

Vollständig zu finden in Geschichten der Dekadenz

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