Carsten Schmitt (Interview)
Michael Schmidt: Hallo Carsten, stell dich
doch mal vor!
Carsten Schmitt: Es geht ums Älterwerden,
um Familie und die Muster, Erinnerungen und Verletzungen, die uns mit den
Menschen in unserem Umfeld verbinden. Letztendlich aber um die Frage:
Wenn Algorithmen lernen können, wer ich bin, und mich dabei unterstützen
könnten auch bei fortschreitender Demenz länger “Ich” zu bleiben—heißt das
dann, dass ich als derjenige konserviert werde, der ich vor der Diagnose war?
Oder gibt es noch ein Ich danach, dass sich entwickeln und ändern kann,
eigene Entscheidungen treffen darf?
Michael Schmidt: Erschienen ist sie in der Anthologie Wie künstlich ist die Intelligenz. Was erwartet den Leser in diesem Buch?
Carsten Schmitt: Die Anthologie war der
Einstand des Plan9-Verlags, genaugenommen ein Imprint der
Bedey-und-Thoms-Verlagsgruppe. Verlegerin Sandra Thoms hat ein großes Herz für
die Science Fiction und kam im Gespräch mit Herausgeber Klaus N. Frick auf die
Idee, Storys zum Thema Künstliche Intelligenz zu sammeln.
Weil mich die Wechselwirkung zwischen Kunst
und Wissenschaft, konkret zwischen Science Fiction als Kunstform und realer
technologischer und sozialer Innovation interessiert, habe ich angeregt, einen
Beitrag vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI)
einzubinden, was sich im Nachwort von Reinhard Karger niedergeschlagen hat.
(Nebenbei bemerkt war es für mich als Autor eine schöne Erfahrung, sich neben
meiner Erzählung auch mit solchen Ideen inhaltlich einbringen zu können.)
Michael Schmidt: Findest du solch aktuelle
Themen wichtig oder sollte SF eher unterhaltsam sein?
Carsten Schmitt: Das ist eine Fangfrage,
oder? Ein bisschen kann man meine Meinung dazu schon aus meiner vorigen Antwort
herauslesen. Science Fiction als Zukunftswerkzeug, Stichwort “Science Fiction
Prototyping”, ist eine faszinierende Sache, die mir persönlich am Herzen liegt.
Außerdem ist Literatur immer ein Kind ihrer Zeit, also lassen sich aktuelle
Themen nie ganz vermeiden.
Der Vergleich zur Literatur hinkt
natürlich, allein schon weil Literatur im besten Fall sowohl, ich nenne es mal
“Anspruch”, und “Unterhaltung” verbinden kann. Doch es ist völlig in Ordnung,
wenn eine Geschichte eine Tendenz in die eine oder andere Richtung hat. Nur
ordentlich gemacht soll sie sein. Gute Unterhaltung muss nicht dumm-primitiv
sein, anspruchsvolle Literatur nicht langweilig. Der erzieherische Anspruch
muss mir auch nicht auf jeder Seite ins Gesicht springen.
Michael Schmidt: Wagners Stimme wurde für den KLP
nominiert und erreichte einen elften Platz. Zufrieden?
Michael Schmidt: Beim DSFP wurde Wagners Stimme als eine von fünf
Geschichten nominiert. Erfüllt dich das mit Stolz und wie schätzt du deine
Chancen ein?
Carsten Schmitt: Na, eins zu vier, oder?😉 Ich will es so ausdrücken: Ich habe am Wochenende der Preisverleihung
freitags eine Lesung in Saarbrücken geplant und die habe ich nicht abgesagt,
als ich von der Nominierung erfahren habe. Zum Sinn und Unsinn von
Spekulationen habe ich oben schon etwas gesagt.
Michael Schmidt: Ich habe mal auf deiner Homepage gestöbert. Du schreibst
auf deutsch UND englisch?
Carsten Schmitt: Das hat sich mehr oder
weniger aus Zufall ergeben. Ich dachte immer, ich bin kein Joseph Conrad und
habe mir das nicht zugetraut. Dann las ich die Ausschreibung für George R. R.
Martins TERRAN AWARD, und dachte mir, was kann schon schiefgehen? Wenn ich
nicht genommen werde, habe ich nichts verloren. Ich wurde “nur” zweiter, was
aber bedeutete, dass ich für den TAOS TOOLBOX-Workshop von Walter Jon Williams
und Nancy Kress angenommen war. Seitdem schreibe ich hin und wieder auf
Englisch oder übersetze meine Texte. Wobei ich manchmal frage, warum ich mir
diese Mühe antue. Dann sehe ich den Markt für Kurzgeschichten in Deutschland
und dann fällt es mir wieder ein 😀. Dafür sind die Anforderungen in der
“Anglosphäre“ um einiges höher und man muss sich an die zahlreichen Ablehnungen
gewöhnen.
Michael Schmidt: Auf welche deiner
Veröffentlichungen bist du besonders stolz?
Michael Schmidt: Woran schreibst du
gerade?
Dann wäre da noch das ominöse
Romanprojekt, aber wir reden nicht darüber. Weitergehen, weitergehen, hier gibt
es nichts zu sehen, niemand hat etwas von einem Romanprojekt gesagt. Gäbe
es dieses Romanprojekt, wäre es Fantasy, aber für Leute, die eher Science
Fiction mögen, was unter Marketinggesichtspunkten sicher eine großartige Idee
ist.
Michael Schmidt: Sind für die nächste Zeit
weitere Veröffentlichungen geplant?
Carsten Schmitt: Noch dieses Jahr soll das Buch MAGIC FUTURE MONEY erscheinen, eine Anthologie zum Thema “Geld” in der Zukunft. Darin ist meine Kurzgeschichte “Die Frau in Zimmer 9” enthalten. Nähere Informationen gibt’s auf der Seite des Wettbewerbs.
Sehr wahrscheinlich ebenfalls noch in diesem Jahr wird eine Übersetzung von “Tahdukeh” aus DER UNMÖGLICHE MORD, in Ausgabe 8 des britischen OCCULT DETECTIVE MAGAZINE erscheinen.
Augenblick läuft (noch) das Crowdfunding
für THE KNOW WOUND ROUND YOUR FINGER, des kanadischen Indie-Verlags Bellpress
Books. Darin enthalten ist die bereits angesprochene Kurzgeschichte “Lethe’s
Share“–eine Science-Fiction-Story über das Klonen, ewiges Leben, und vor allem
um Erinnerungen und wie sie uns ausmachen. Diese Geschichte gibt es noch nicht
auf deutsch.
Der Kickstarter läuft noch bis zum 20.August und der Verlag freut sich über jede Unterstützung, wenn mir der dezente Wink mit dem Zaunpfahl gestattet ist.
Carsten Schmitt: Ich lese nicht nur
Genre-Literatur, denn sonst kriegt man einen Tunnelblick — nie eine gute Sache.
Trotzdem lese ich tatsächlich überwiegend Spekulative oder Phantastische
Literatur. Ich hatte nach und nach Phasen, in der ein bestimmtes Sub-Genre
dabei überwog, aber mittlerweile habe ich einfach einen sehr breit gestreuten
Geschmack.
Ich gebe zu, dass ich in den letzten
Jahren ein paar Mal von gehypten, neueren Büchern mehr oder weniger enttäuscht
war. Vielleicht lese ich deshalb zurzeit eher ältere Sachen? Aber auch das wird
sich bestimmt irgendwann wieder ändern, ich lege mich da nicht fest.
Was andere Genres betrifft, so hatte ich
auch schon früh ein Faible für Krimis. Seit einigen Jahren entdecke ich die
Welt der Hard-Boild-Romane für mich und bin dankbar für den Tipp eines
Bekannten zu Donald Westlake (wobei ich auch dessen humorvollen Romane
schätze).
Michael Schmidt: Wie schätzt du die deutschsprachige SF Szene ein?
Carsten Schmitt: Eine vage formulierte
Frage… Ich fürchte, mir fehlt der Überblick, oder der tiefere Einblick, um eine
sinnvolle Aussage dazu zu treffen. Zwar lungere ich schon seit Jahrzehnten
irgendwo in den Randzonen herum, beobachte und mache auch immer wieder mal
Ausflüge ins Herz der Szene, aber nie lange genug, um feste Wurzeln zu
schlagen.
Was mir aber aufgefallen ist, dass im
Vergleich zu meiner “Anfangszeit“ die Bedingungen für deutschsprachige Autoren
besser geworden zu sein scheinen. Nach wie vor können die wenigsten davon
leben, aber im Vergleich zu den 1990ern hat sich einiges getan. Schade ist nur,
dass Kurzgeschichten immer noch eine Angelegenheit von Kleinverlagen zu sein
scheinen.
Michael Schmidt: Noch ein Wort an die
Meute dort draußen?
Carsten Schmitt: Seid nett zueinander—und
seht vor allem nicht immer alles so verbissen!
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