Das geheime Sanatorium (Interview)

 Michael Schmidt: Hallo Ihr Beiden, stellt euch doch mal vor!

Nadine: Hallo Michael. Also, ich bin die Nadine, 44 Jahre alt, Lebenskünstlerin, Autorin, Reisende. Viele kennen mich auch als „Federfunken“, da ich hauptberuflich als Lektorin, Texterin und Schreibberaterin in meinem eigenen Unternehmen „Schreibcoaching Federfunken“ arbeite. Ich lebe in Heidelberg, und wenn ich nicht gerade am Schreibtisch sitze, mag ich es, zu wandern, zu geocachen, Konzerte zu besuchen oder mich mit Freunden zu treffen.

Rainer: Ja, wer bin ich? Das ist schwer zu beschreiben, wenn man etwas über sich erzählen soll. Ich würde mich als einen gefühlsbetonten Mittfünfziger sehen, einen Weltenbürger und leidenschaftlichen Literaten. Die Welt ist mein Spielball und meine Lebenserfahrung mein größter Schatz, wenn ich schreibe. Es gab bisher viele glückliche wie auch traurige Momente in meinem Leben, die mich zu dem gemacht haben, der ich heute bin. Veränderungen waren für mich immer ein innere Drang um Neues zu entdecken. Beruflich bin ich vom gelernten Schriftsetzer über den Fitness-Trainer bis hin zum Massagetherapeuten unterwegs gewesen. Jetzt bin ich in meinem eigenen Unternehmen „PrinzO“ als Mediengestalter tätig. Wieder anderen Herausforderungen stellte ich mich beim Marathonlaufen. Persönlich haben mich Wege immer weiter gebracht. Ein Endpunkt ist nie in Sicht. Der Weg ist das Ziel. Heute teile ich mein Leben mit Nadine Muriel. Unsere gemeinsame Seele teilt sich zwei Haushalte, einen in Oberhausen, den anderen in Heidelberg.



Michael Schmidt: Das geheime Sanatorium erscheint im September. Wie kam es zu dem Buch und auf was darf sich der Leser freuen?

Nadine: Die Grundidee stammt von Rainer, ich bin dann später mit viel Begeisterung mit eingestiegen. Rainer und ich interessieren uns beide sehr für Themen und Fragen rund um die Psyche. Ich selbst liebe z.B. die Klassiker der Phantastik wie E.T.A. Hoffmann, E.A. Poe, Gustav Meyrink oder Franz Kafka, in deren Geschichten immer der Wahnsinn lauert. Rainer wiederum steht auf Geschichten und Filme über verrückte Serienmörder, in denen das Wahnsystem voll ausgelotet wird, das zu diesen Taten führt. Gemeinsam analysieren wir eigentlich ständig unsere Mitmenschen. Da war es irgendwie naheliegend, dass wir auch mal ein Buchprojekt über die Abgründe der Psyche machen. Und genau darauf darf sich der Leser freuen. Die Geschichten sind sehr unterschiedlich, es gibt Grusel, Krimis, Romanzen, philosophische Gedankenspiele, sehr viel Spannung und jede Menge herrlich durchgeknallten Humor. Aber allen Geschichten ist gemeinsam, dass sie sich auf sehr tiefgründige Weise mit psychologischen Themen auseinandersetzen. Es geht z.B. immer wieder um die Frage, was überhaupt „normal“ ist, um variierende Erwartungshaltungen und dem Umgang damit, um unterschiedliche und oftmals unkonventionelle Wege, die eigenen Problemen zu bewältigen ... Ich bin wirklich begeistert, wie gewissenhaft unsere Autoren Krankheitsbilder recherchiert haben und wie einfühlsam sie mit dem Themenkomplex „psychische Probleme“ umgegangen sind.

Rainer: Im März 2020 haben wir die Idee gehabt, ein Sanatorium für Fantasy-Wesen unterirdisch in den Bergen der Karpaten anzusiedeln. Als wir dann auf der „Nicht-Messe“ in Leipzig ankamen, haben wir den Rahmen für das geheime Sanatorium zusammengestrickt. Wir wollten uns damit auch selbst beweisen, dass Corona uns nicht unterkriegt und dass wir die Hoffnung nicht aufgeben, das Buch in absehbarer Zeit auf einer Buchmesse vorzustellen. Jetzt darf sich der Leser auf verrückte Geschichten freuen, die einerseits sehr unterschiedlich sind, aber andererseits stark miteinander verbunden sind. Die Rahmengeschichte zelebriert die einzelnen Geschichten als eine fortlaufende Serie.

Michael Schmidt: Das Buch ist keine Anthologie im wörtlichen Sinn!

Nadine: Definitiv nicht! Die Geschichten sind sehr eng miteinander verknüpft. Das liegt natürlich zum einen daran, dass sie alle im „Geheimen Sanatorium“, einer unterirdischen Psychiatrie für Fantasywesen, spielen. Dadurch tauchen bestimmte Locations und Figuren in den Geschichten immer wieder auf, z.B. der Psychotherapeut Dr. Bolze, sein Faktotum Boris Hororwicz und die Aufnahmeschwester, die Heinzeldame Lotte. Zudem haben viele Autoren weitere Figuren aus anderen Geschichten aufgegriffen und ihnen in ihren Geschichten mehr oder minder tragende Rollen gegeben. Der Werwolf Robert, der Vampir Licas oder die Nixe Maryssa etwa durchlaufen während des Buchs jeweils eine interessante Entwicklung ... Ich persönlich würde „Das geheime Sanatorium“ darum als Anthologie-Soap oder als Anthologie-Arztserie bezeichnen. *lach*

Rainer: Eigentlich würde ich hier nur das Wort „stimmt“ einsetzen. Ergänzen möchte ich noch: Die Autoren haben mit einem solchen Enthusiasmus an dem Buch mitgewirkt, dass das ganze Werk jetzt einer verfilmten Serie mit verknüpften Serienteilen gleicht.

Michael Schmidt: Für welche Zielgruppe ist das Buch geeignet?

Nadine: Das ist wirklich schwierig zu sagen. Genremäßig gehört das Buch in den Bereich der Phantastik, die Geschichten haben u.a. Elemente aus Schauerliteratur, Krimi, Romantasy und Sci Fi.  Durch die psychologischen Themen ist es wahrscheinlich vor allem für Leser interessant, die eher gebrochene als strahlende Helden mögen und die es genießen, wenn nicht nur äußere Gegner bekämpft werden, sondern auch die eigenen inneren Dämonen. Oh, und unsere Leser sollten Sinn für Humor und Spaß an Abstrusitäten mitbringen, denn „Das geheime Sanatorium“ ist keine Sammlung von Betroffenheitsberichten. Die Geschichten sind mit viel Witz, Charme und Augenzwinkern geschrieben, ich habe beim Lektorieren immer wieder geschmunzelt oder sogar laut gelacht. Es gibt im „geheimen Sanatorium“ nicht nur Therapiestunden, sondern auch Freundschaften, Verbrechen, Herzschmerz und jede Menge Action!

Rainer: Dieses Buch ist nicht einfach für DEN Fantasy-Leser gedacht. Es geht mehr um Leser, die ihre ursprüngliche Freude am Lesen haben, die in Welten eintauchen können und sich mit Protagonisten oder sogar Antagonisten verbinden möchten, vielleicht sogar eins sein wollen.

Michael Schmidt: Wird es einen Nachfolgeband geben?

Nadine: Gute Frage. Rainer und ich sprudeln derzeit geradezu über vor Ideen, wie man die nächste Staffel der Anthologie-Soap „Das geheime Sanatorium“ angehen könnte. Auch die Frage nach der geheimnisumwitterten Herkunft von Dr. Emil Bolze und dem Faktotum Boris Hororwicz ist ja noch nicht geklärt. Aber wir müssen natürlich erst mal abwarten, wie sich „Das geheime Sanatorium“ verkauft und was der Verlag sagt, ehe wir konkrete Pläne schmieden ... Sollte es aber einen zweiten Band geben, werden wir dich, Michael, auf jeden Fall wieder dazu einladen, denn du warst mit deinen großartigen Geschichten eine absolute Bereicherung für „Das geheime Sanatorium“.

Rainer: Michael, du kannst wirklich schwere Fragen stellen. Hier würde ich gerne bei einer fast politischen Aussage ankommen. Es besteht die Möglichkeit, wenn alles gut läuft, auch einen Folgeband zu erstellen.

Michael Schmidt: Ist es euer erstes Buch als Herausgeber bzw. habt ihr weitere Projekte geplant?



Nadine: Ich habe bereits zwei Bücher herausgeben: „Goldene Märchen aus dem Schloss“ mit Evengelista Sie und „Das Dimensionstor“ mit Stefan Cernohuby. Aktuell gebe ich noch gemeinsam mit Amandara Schulzke eine Anthologie über Met heraus, die zur Leipziger Buchmesse 2022 im Lindwurm Verlag erscheinen soll. Die Met-Anthologie wird bis dahin definitiv mein Hauptbetätigungsfeld sein.

Rainer: Diese Herausgeberschaft ist unsere erste gemeinsame. Vor mehr als 10 Jahren habe ich die Anthologie „Nachbarschaftsgeflüster“ mit humorvollen Geschichten über Nachbbarschaftsstreitigkeiten herausgegeben. Und ja, wir haben auch weitere Projekte geplant. Da sind gleich zwei Romane angedacht und durchgeplottet. Mehr kann und will ich aber noch nicht dazu sagen.

Michael Schmidt: Ihr gebt nicht nur heraus sondern schreibt auch selbst Von Rainer empfehle ich „Alles eine Frage der Zeit“, eine Geschichte über Rock`n´Roll und die 50er aus Rock´n´Rollin Band 2 von Nadine Dampfherz. Was sind eure Lieblingsgeschichten von euch selbst und von dem gegenüber?


Nadine: Ich glaube, mein Herz hängt besonders an denjenigen Geschichten von mir, die mit besonderen Erinnerungen verknüpft sind. Spontan fällt mir dazu „Die Gefährtin“ ein – diese Geschichte ist als Heftroman im Wunderwaldverlag erschienen und war damit meine allererste eigenständige Veröffentlichung. Der Moment, als ich den Vertrag unterzeichnete;  der Moment, als ich zuhause das Bücherpäckchen öffnete und zum ersten Mal mein Buch in der Hand hielt; der Moment, als ich vor dem Messegebäude in Leipzig stand und wusste, ich gehe da jetzt rein, um aus meinem gerade erschienenen Buch zu lesen ... Ich bekomme immer noch Gänsehaut, wenn ich daran zurückdenke.

Von Rainer mag ich besonders gern die Geschichte „Pelzibub“ in der Anthologie „Wundersame Haustiere und wie man sie überlebt“. Die fängt ganz lieblich an und wird dann so richtig schön böse mit gleich mehreren fiesen Twists am Ende! Respekt!



Rainer: Meinen eigene Lieblingsgeschichte stell ich mal kurz hinten an. Ladys first. Mir hat bei Nadine die Geschichte „Coleo“ aus AlienEroticon, mit der sie den 2. Platz beim Deutschen Science Fiction Preis gewonnen hat am besten gefallen. Dabei ist mir aber die Wahl sehr schwer gefallen, da sie sehr viele gute Geschichten geschrieben hat. Mein Favorit bei meinen eigenen Geschichten ist „Pelzibub“ aus der Anthologie „WundersameHaustiere und wie man sie überlebt“. Er war für mich ein Klick-Moment in meinem schriftstellerischen Leben.



Michael Schmidt: Schreibt ihr auch zusammen?

Nadine: Ja. Unser erster Versuch, zusammen eine Kurzgeschichte zu schreiben, hat zwar leicht desaströs geendet. Aber beim „Geheimen Sanatorium“ stand für uns fest, dass wir gemeinsam den Rahmenplot schreiben werden. Darum haben wir quasi zur Übung gemeinsam Kurzgeschichten in verschiedenen Genres verfasst, ehe wir uns an den Rahmenplot gewagt haben. Man soll ja aus Fehlern lernen. Nach dem unglücklichen ersten Versuch wollten wir frühzeitig testen, wie wir beim Schreiben am effektivsten zusammenarbeiten können, wo es Quellen für Schwierigkeiten gibt und wie wir diese am besten umgehen. Eine dieser Kurzgeschichten, eine humorvolle Erotik-Geschichte mit dem Titel „Richtig schlechter Sex“ ist inzwischen in der Anthologie „Verkehrsregeln“ des Elysion-Verlags veröffentlicht. Eine zweite gemeinsame Geschichte von uns, „Der Sandmann“, erscheint diesen Herbst in einer Psycho-Horror-Anthologie im Hybrid Verlag.

Rainer: Wir schreiben auch zusammen, aber nicht ausschließlich. Wenn ich allein schreibe klingt mein Schreibstil anders aber genau deswegen finde ich das gemeinsame Schreiben so spannend. Es ist für mich eine tolle Übung und Herausforderung beim gemeinsamen Schreiben meinen Schreibstil so zu verändern, dass es harmoniert.

Michael Schmidt: An welchen Projekten arbeitet ihr gerade?

Nadine: Bei mir hat jetzt erst mal die Met-Anthologie absolut Vorrang vor allem anderen.



Rainer: Ja, Michael, es gibt weitere Projekte, aber die sind, wie unser Sanatorium, noch geheim.

Michael Schmidt: Was ist euer Eindruck von der deutschsprachigen Phantastikszene? Was findet ihr besonders gut oder auch verbesserungswürdig?

Nadine: Ich empfinde die deutschsprachige Phantastikszene als meine Familie und mein Zuhause. Viel mehr kann ich dazu eigentlich nicht sagen. Mich begeistert das starke Gefühl von Zusammengehörigkeit, das konkurrenzfreie Miteinander. Natürlich gibt es – wie in jeder Familie – Leute, mit denen man sehr engen, herzlichen Kontakt hat und andere, mit denen man weniger gut kann. Aber das gehört für mich einfach zu diesem „Gesamtpaket Family-Feeling“ dazu.

Rainer: Die Phantastiksszene ist für mich ebenfalls wie Familie. Wir können zusammen lachen oder weinen. Wir können Unsinn reden, aber keiner nimmt es einem übel. Mir fehlen die Autoren und Verleger, die ich wieder in die Arme nehmen möchte. Hoffentlich gibt es bald wieder Buchmessen oder vielleicht private Treffen.



Michael Schmidt: Ein Wort an die Leute dort draußen!

Nadine: Love and Peace! Geht achtsam miteinander um, lasst euch gegen Corona impfen und erhebt eure Stimme gegen das intolerante rechte Volk. Die Welt braucht euch.

Rainer: Ein Buch ist nicht gleich die ganze Welt, aber die ganze Welt kann in einem Buch stecken, wenn ihr darin eintauchen wollt.



Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Zwielicht – Das deutsche Horrormagazin

Zwielicht 20