Udo Klotz - 30 Jahre KLP (Interview)
Michael Schmidt: Lieber Udo, du bist seit 30 Jahren Treuhänder des Kurd Laßwitz Preis. Herzlichen Glückwunsch!
Udo
Klotz: Vielen Dank! Schön, dass Dir das Jubiläum aufgefallen ist.
Michael Schmidt: Als du 1991 angefangen hast, hast du da nur im leisesten daran gedacht, dass es eine so lange Zeit werden würde?
Udo Klotz: Nein, ganz bestimmt nicht, zumal ich ja sehr schnell und überraschend Treuhänder wurde.
Michael Schmidt: Wie
kam es zu deinem Job als Treuhänder?
Udo
Klotz: Ich habe damals in München mit zwei Freunden das Jahrbuch Der Golem
herausgegeben, das auch eine ausführliche Bibliographie der im Vorjahr auf
Deutsch erschienenen phantastischen Literatur enthielt. Unser Verleger, Thomas
Tilsner, wollte nicht, dass der KLP einschläft, den er zuvor zweimal mit seinem
Magazin Science Fiction Media gewonnen hatte. Der damalige Treuhänder,
Uwe Luserke, hatte keine Zeit mehr für den KLP, da seine Literaturagentur
gerade richtig Fahrt aufnahm. Und so regte Thomas an, dass wir den Abstimmenden
aus unseren Bibliographiedaten eine Vorauswahlliste der erschienenen SF-Romane
und SF-Erzählungen generieren – in Zeiten vor dem Internet war das eine
ansonsten nicht verfügbare Information. Also habe ich das erstellt, und dann
meinte Thomas, ob ich denn auch für die Rückläufe, also die Nominierungen und
später die Wahl als Briefkastenadresse herhalten würde. Er wollte das nicht
über seinen Verlag machen, da es ansonsten einen Beigeschmack gehabt hätte,
wenn Werke aus seinem Verlag nominiert worden wären. Somit war ich die nach
außen sichtbare Kontaktperson für den KLP, die dann auch die Wahl auswerten
durfte. Kurz darauf fanden die SF-Tage NRW in Düsseldorf statt, die ich
besuchen wollte, also fragte Thomas, ob ich nicht dort dann auch die
Wahlergebnisse verkünden wollte. Das habe ich natürlich gerne getan, ohne zu
ahnen, dass diese Zusagen so lange Bestand haben würden und dass dies nicht nur
für das folgende Jahr galt, sondern für die nächsten Jahrzehnte.
Michael Schmidt:
Zurückblickend auf 30 Jahre. Was waren die Höhepunkte in den dreißig Jahren KLP?
Udo
Klotz: Spannend waren die ersten Jahre, wo ich vieles neu organisiert und
umstrukturiert habe, was sich auch in der Einführung von Hörspiel- und
Übersetzerjury, Laudationes und der Preisverleihung als Multimediaveranstaltung
von 70-80 Minuten Dauer widerspiegelt. Ich erinnere mich immer noch gerne an
die erste richtig stilvolle Preisverleihung im Dortmunder Harenberg-Center mit
Klavierbegleitung in den Neunzigern oder an das Skypen mit Preisträger Liu
Cixin in Beijing vor vier Jahren während der Preisverleihung in Dresden mit
Synchronübersetzung durch seine Übersetzerin Martina Haase, die ebenfalls den KLP gewonnen hatte. Aber am schönsten sind jedes Jahr die begeisterten
Antworten der Nominierten, wenn ich sie informiere, dass sie den KLP gewonnen
haben.
Michael Schmidt: Das
Jahr neigt sich dem Ende zu und das 31. Jahr beginnt. Hast du schon Pläne für
eine geordnete Übergabe oder denkst du, die nächsten zehn Jahre machst du es
auf jeden Fall noch?
Udo
Klotz: Die nächsten zehn Jahre durchzuhalten sind tatsächlich mein Ziel, denn
dann würde ich dem KLP zu seinem 50. Geburtstag verhelfen. Und ein Nachfolger
hat sich auch noch nicht gemeldet. Was wir aber dringender suchen, ist ein
Nachfolger für die Organisation des Hörspielteils. Horst Tröster leitet die
Hörspieljury bereits seit 1994 und würde gerne den Staffelstab weitergeben.
Michael Schmidt: Sollte
sich jemand am KLP beteiligen wollen, was muss er tun?
Udo
Klotz: Mit Beteiligen meinst Du vermutlich Nominieren und Abstimmen. Dafür gibt
es Aufnahmebedingungen, die in den Statuten des Preises und damit auch auf der
Webseite stehen. Kurz gesagt, er oder sie muss ausreichend oft professionell im
Bereich der SF veröffentlicht haben, dann ist er/sie abstimmungsberechtigt. Wer
denkt, dass er dies erfüllt und noch nie von mir angeschrieben wurde, sollte
sich einfach bei mir melden, dann können wir das abklären. Meist passt das, und
ich ergänze meinen Verteiler entsprechend – dieser enthält derzeit über 600
Abstimmungsberechtigte. Sollte sich aber jemand an der Organisation beteiligen
wollen, einfach bei mir melden. Helfende Hände sind immer willkommen.
Udo
Klotz: Die !Time Machine hat ihre Ursprünge in der Münchner Gruppe Phantastisches
Quartett. Wir waren vier Mitglieder der Münchner Phantasten, die
fast im gleichen Alter auf sehr ähnliche Lese-Erfahrungen zurückblicken
konnten. Anlässlich des zweiten MucCons, den die Phantasten 2012 veranstaltet
haben, kamen wir, also Ralf Bodemann, Christian Hoffmann, Stefan Kuhn und ich,
auf die Idee, das Phantastische Quartett zu bilden, um als Programmpunkt
ein Dutzend Bücher kurz vorzustellen, die „Perlen der Science Fiction“. Das kam
sehr gut an, und so haben wir das die nächsten Jahre auch auf anderen Cons
gemacht. 2015 wollte Christian nochmals „ein Fanzine wie früher“ machen, also
auf Papier in kleiner Auflage, aber gut gemacht, mit viel Fachwissen, aber
nicht bierernst. Und die Viererbande war sofort Feuer und Flamme. So entstand
der !Xaver, der Titel spielt auf einen bayrischen SF-Kultfilm an. Die
Rückmeldungen waren so großartig, dass wir uns genötigt sahen, ein zweites Heft
zu machen. Da !Xaver als One-Shot geplant war, hieß der Nachfolger !Alois.
Schon mit der Ankündigung des !Alois meldete sich Ernst Wurdack, der
immer schon ein Magazin in seinem Verlag machen wollte. Einzige Bedingung: ein
permanenter Name. Wir einigten uns auf !Time Machine , da dieser Name für
all das steht, was man in unserem Fanzine findet: Es geht um SF-Bücher, aber
auch um SF-Filme. Wir besprechen gerne alte und neue Klassiker, aber decken
letztendlich alle Zeitalter der SF ab. Man findet Übersichtsartikel und
Einzelrezensionen (die wir als Reminiszenz an die Ursprünge „SF-Perlen“ nennen),
aber auch persönlich gefärbte Berichte rund um Bücher. Die letzten beiden
Ausgaben sind Themenbände, die vierte zum Mars, die fünfte zur Künstlichen
Intelligenz, aber die Nummer sechs, die gerade im Layout ist und im Januar 2022
erscheint, wird wieder eine bunte Mischung sein. Das Phantastische Quartett
gibt es nicht mehr, Stefan ist dieses Jahr verstorben, und die !Time Machine wird seit einiger Zeit nur noch von Christian und mir herausgegeben. Dafür wird
aber der Kreis der Mitarbeiter, die Beiträge für die !Time Machine schreiben, von Ausgabe zu Ausgabe größer. Mein eigener Anteil an der !Time Machine (neben dem Herausgeben) schwankt, mal sind es nur 20% der
Textmenge, mal fast 50%. Und die gerade erschienene fünfte Ausgabe stammt
komplett aus meiner Feder.
Michael Schmidt:
Stell uns doch mal die Münchner SF Gruppe vor!
Udo
Klotz: Die Münchner Phantasten gibt es seit 2011. Damals hatten Simone
Edelmann sowie Tina und Torsten Low den ersten MucCon veranstaltet und den
Phantasten-Stammtisch ins Leben gerufen. Der Con hat dann viele neue Mitglieder
requiriert, darunter auch mich und die anderen vom Phantastischen Quartett.
Wir haben dann noch zwei weitere MucCons organisiert, aber auch gemerkt, dass
wir für so eine Sache zu wenige Aktive beim Stammtisch waren. Also haben wir
uns umorganisiert und machen seit 2014 regelmäßige monatliche Stammtischtreffen
mit einem oder zwei Programmpunkten. Dank Videomeetings können wir das auch in
Pandemie-Zeiten fortführen, d.h. einmal im Monat gibt es ein Online-Treffen
inklusive Vortrag. Über die Jahre hinweg hat sich die Zusammensetzung des
Stammtisches ziemlich gewandelt, anfangs dominierten die Fantasy-Fans, jetzt
sind es fast nur noch SF-Fans. Und wir konnten viele neue Mitglieder gewinnen,
was zu einem erfreulich niedrigen Altersschnitt geführt hat – und unser
Frauenanteil ist im Vergleich zum Fandom sogar höher. Zurzeit ist es eine bunte
Mischung aus bekannten Namen und reinen Fans, ein paar Self Publishern und
Fandom-Aktivisten, aber auch „Besuchern“ von außerhalb Münchens, die den
Vorteil der Online-Treffen nutzen, sich aus der Ferne zuzuschalten.
Michael Schmidt: Wo
erscheinen sonst noch Texte von dir?
Udo
Klotz: Ich habe seit 2015 eine Kolumne im Jahrbuch Das Science Fiction Jahr,
in der ich über die besten und interessantesten deutschsprachigen SF-Romane des
Vorjahres berichte – als KLP-Treuhänder habe ich die ja auch immer gelesen.
Früher habe ich mal für das Corian Loseblattlexikon zugeliefert oder
Artikel und Rezensionen für die Science Fiction Media verfasst, derzeit
wandern meine Texte zum Großteil in die !Time Machine. Parallel arbeite
ich an ein paar Buchprojekten, die aber alle noch nicht spruchreif sind.
Michael Schmidt:
Zurück zum KLP. Wie würdest du die deutschsprachige SF Szene beschreiben?
Udo Klotz: Das ist eine komplexe Frage, weil es viele Aspekte gibt, die man auflisten könnte. Aus Sicht des KLP ist sie ähnlich vielfältig wie andere lokale SF-Szenen, es gibt die gleiche Bandbreite an Inhalten in Romanen und Kurzgeschichten wie beispielsweise im anglophonen Bereich, es gibt talentierte Coverkünstler und engagierte Fans, und wir haben sehr fähige Übersetzer.
Auffällig ist aber der niedrige Frauenanteil im Vergleich zu USA oder GB, der sich auch in den Nominierungslisten widerspiegelt. Im deutschsprachigen Bereich sind nur ca. 15% der Autoren weiblich, wie jetzt jemand akribisch in Buchhandlungen recherchiert und bei den Phantastischen Tagen in Wetzlar referiert hat – und das entspricht exakt dem Frauenanteil des KLP in den Kategorien Roman und Erzählung sowohl in der Longlist als auch der Shortlist. In der Kategorie Ausländisches Werk liegt er deutlich höher, bei rund 40% mit steigender Tendenz.
Ganz anders in der Kategorie Übersetzung, da sind die Frauen in der Mehrheit – auch in der Jury. Und während in der anglophonen SF-Szene zunehmend Minderheiten und Randgruppen zu Wort kommen, ist das hierzulande noch völlig unterrepräsentiert; es gibt beispielsweise kaum deutschsprachige SF von Autoren mit Migrationshintergrund, und damit auch nicht auf den Nominierungslisten. Wobei das auch schwerer zu beurteilen ist, denn im Unterschied zu Publikumsverlagen finden sich in vielen Romanen von Kleinverlagen keine Angaben zum Autor.
Was ich aber unabhängig vom KLP sehr
schade finde, ist die geringe Beliebtheit von SF in Buchform hierzulande. Die
Deutschen sind Krimileser und sehen sich SF allenfalls im Kino, TV oder am PC
an. Da sind die Auflagen von SF-Romanen im Ausland in Relation zur
Bevölkerungszahl deutlich höher. Hinzu kommt, dass die wenigen SF-Fans auch
noch ungern zu Cons gehen, auch hier sind die Besucherzahlen in Nordeuropa oder
den USA ganz andere, insbesondere wenn man die Größe des jeweiligen lokalen
Fandoms berücksichtigt. Mir haben junge SF-Fans allen Ernstes erzählt, dass für
sie ein Chatten mit einem anderen Fan oder das Hören eines Podcast völlig
gleichwertig zu einem Conbesuch und einem direkten Gespräch sind. Und die
Untergruppen vermischen sich nicht, Rollenspieler gehen nicht zu
Literaturveranstaltungen und Leser nicht zu Rollenspieltreff, auch wenn dies
auf dem gleichen Con stattfindet. Man beklagt die wenigen Besucher auf der
eigenen Lesung, besucht aber nicht die Lesungen der anderen Autoren. Diese
Egozentrik finde ich schade, da scheint man im Ausland offener zu sein.
Michael Schmidt: Wie
ist das generelle Feedback zum KLP?
Udo
Klotz: In der SF-Szene sehr gut, die Nominierten freuen sich, die Preisträger
noch mehr. Meine Preisverleihungen sind immer gut besucht, und meine Arbeit
wird geschätzt. Es gibt natürlich immer wieder mal eine Diskussion im Netz,
warum der eine oder andere Titel nominiert oder eben nicht nominiert wurde,
aber in der Regel standen „fehlende“ Titel auf der Longlist und wurden nur
nicht oft genug genannt, um auf den Wahlbogen zu kommen. Außerhalb der SF-Szene
wird es aber dünn mit Feedback. Der KLP steht in der Wikipedia und in der
ISFDB, wird aber beispielsweise von überregionalen Zeitungen ignoriert, nach
dem Motto: „Wenn der Preis nicht dotiert ist, ist er auch nicht wichtig.“
Einzig die Hörspielkategorie ist auch außerhalb der Szene sehr gut bekannt,
dank der guten Kontakte von Horst Tröster. Nicht selten bedankt sich der
Intendant des jeweiligen Rundfunksenders persönlich für die Auszeichnung eines
seiner Hörspiele mit dem KLP. Autoren, Übersetzer und Grafiker machen dagegen
genauso gerne mit ihren Nominierungen und Auszeichnungen Werbung wie ihre
Verlage, es gibt sicher mehr als hundert Bücher, die den KLP im Klappentext
oder auf dem Backcover erwähnen.
Michael Schmidt: Was
wünschst du dir für den KLP 2021?
Udo
Klotz: Ein Wunsch ging schon in Erfüllung, wir hatten dieses Jahr eine
Rekordbeteiligung in der Nominierungsphase. Die Wahlergebnisse waren wieder
eine gute Mischung aus Favoritensiegen und Außenseitergewinnen, und bei der
Preisverleihung in Dresden nächste Woche werden die meisten Preisträger
anwesend sein. So kann es gerne die nächsten Jahre weitergehen.
Michael Schmidt: Noch
ein Wort an die SF Schaffenden und Leser dort draußen!
Udo
Klotz: Da ich oft gefragt werde, wie man es denn als neuer Autor schafft, für
den KLP nominiert zu werden: Die Texte müssen nicht nur eine originelle Idee
spannend transportieren, sondern vor allem auch sehr gut geschrieben sein.
Letzteres kann man selbst nur schwer beurteilen, daher ist es wichtig, sich
eine kritische und ehrliche Gruppe von Erstlesern zu leisten, die (neben einem
professionellen Lektorat – nicht Korrektorat) engagiert daran mitarbeiten, den
Text mehrfach zu verbessern, bevor er zum Verlag und in den Druck geht. Ein Vorgehen,
das im anglophonen Bereich anscheinend Standard ist, siehe die Nachworte und
Danksagungen der erfolgreichen amerikanischen und britischen Autoren, aber hier
offensichtlich eher die Ausnahme. Und an die Leser: Werdet aktiv! Versorgt die
Autoren mit eurem Feedback, besucht Stammtische und Cons – virtuell oder direkt
(je nach Pandemielage). Nur wenn die SF-Szene erhalten bleibt, kann sie so
vielfältig sein wie jetzt – wobei, da ist noch genug Luft nach oben.
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