Eric Hantsch (Interview)
Seit ich lesen kann hat mich die phantastische Literatur fasziniert. Zu Beginn waren es vor allem Jules Verne, Alexander Wolkow und die SF-Literatur des Ostblocks, die ich verschlungen habe. Im Alter von 11 Jahren entdeckte ich dann Maupassant, Lovecraft und Poe. Seitdem bin ich der Dunklen Phantastik heillos verfallen, lese aber auch gern mal quer.
Michael Schmidt: Seit Zwielicht Classic 7 bist du mit der Buchkolumne Aus dem vergessenen Buchregal vertreten. Welchen Lesestoff besprichst du dort?
Eric Hantsch: Nun, wie der Name vielleicht schon andeutet, primär Texte, die nur noch wenigen Lesern bekannt sein dürften und nur noch antiquarisch erhältlich sind. Klassiker der Phantastik werden ja immer mal wieder aufgelegt, aber es gibt auch Werke die in Vergessenheit geraten sind. Jene, bei denen das ungerechtfertigter Weise geschehen ist, versuche ich mit meiner Kolumne wieder etwas näher ins Licht der Aufmerksamkeit zu rücken. Bisher habe ich Bücher von Frédéric Boutet, Martin Luserke, Kurt Münzer oder Paul Leppin besprochen; aber auch moderne Schriftsteller, die meines Erachtens in Deutschland unzureichend publiziert wurden, finden darin Erwähnung, wie zum Beispiel James P. Blaylock oder Ramsey Campbell.
Gute Literatur hat kein Verfallsdatum, deshalb finde ich es wichtig ist, auf vergessene Bücher aufmerksam zu machen. Es macht unheimlich viel Spaß nach Phantastik vergangener Zeit zu stöbern! Man fühlt sich dabei wie ein Schatzsucher, auf dem ungeahnter Reichtum wartet.
Michael Schmidt: Ursprünglich sind die Rezensionen aus Cthulhu Libria. Seit wann gibt es das Magazin und wie hat es sich im Laufe der Zeit gewandelt? Aktuell erscheint ja mit Cthulhu Libria Äon die gedruckte Variante.
Eric Hantsch: Libria war zu Beginn (2008) ein einfaches Newsletter, das ungefähr 34 Leser abonniert hatten. Darin habe ich einmal im Monat über lovecraftsche und allgemeine Neuerscheinungen aus dem phantastischen Bereich berichtet. Das vergessene Bücherregal kam knapp ein Jahr später hinzu. Bis Ende 2010 habe ich CL allein betrieben, bis Nina Horvath dazustieß und begann, das Korrektorat für das Newsletter zu machen. Kurz darauf kam auch von Nina die Idee, eine PDF-Zine daraus zu machen. Sie stellte den Kontakt mit Johann Peterka her, ich versuchte ein paar „Mitschreiber“ zu organisieren, von denen Elmar Huber bis heute der Treueste ist. Im März 2011 erschien Cthulhu Libria zum ersten Mal als E-Zine und fand seinen Platz unter anderem bei Literra.info und auf Cthulhu.de. Eine eigene Seite folgte etwas später.
Mitte 2012 stieß Axel Weiß als Redakteur hinzu und übernahm mit der November-Ausgabe im gleichen Jahr auch das Layout von CL. Durch Axels Engagement entwickelte sich das Zine immer weiter, bis wir Anfang 2014 schließlich beschlossen, eine gedruckte Version anzubieten.
Michael Schmidt: Warum gibt es Äon nur noch gedruckt und nicht mehr als Download?
Eric Hantsch: Das ist nicht ganz richtig. Es gibt nur Äon 3 ausschließlich als Print. Warum? Nun, es fällt mir schwer, dass zu sagen, aber es ist wahrscheinlich die letzte Ausgabe von Cthulhu Libria und die wollte ich gern als reines Druckmagazin machen. Ich bin auch der Meinung, der Inhalt rechtfertigt durchaus den Kauf!
CL ist an einen Punkt angelangt, an dem ein weiteres Betreiben als reines Hobby-Projekt nicht mehr ausreichend ist. Mit dem Ende von CL ist aber nicht aller Tage Abend! Eine neue Kraft ist gerade dabei, sich zu entwickeln. Wer den diesjährigen Marburg-Con besucht, wird es zuerst erfahren. Mehr möchte ich an dieser Stelle aber nicht verraten, sondern einfach sagen: Kommt vom 24. bis 27. April nach Marburg und seht selbst.
Michael Schmidt: Wie der Name eures Magazins ausdrückt verehrt ihr HP Lovecraft. Ist CL ein reines Lovecraft Zine oder bietet ihr auch andere Spielarten der Literatur?
Eric Hantsch: Cthulhu Libria, so tendenziös der Name auch wirken mag, war nie eine reines Lovecraft-Zine. Dazu waren die Interessen aller Beteiligten zu breit gestreut. Nein. Man kann es auch ganz gut an der aktuellen Äon 3 sehen: ein umfangreicher Artikel zu Ambrose Bierce ist das Herzstück, es gibt einen Artikel zu H.W. Zahn und ein Interview mit Dr. Heiko Postma, seines Zeichens Herausgeber der „Bibliothek der Phantasten“ im jmb Verlag. Außerdem zwei Kurzgeschichten von Mirko Stauch und Feodor Wehl, denen nichts tentakliges anhaftet
Auf der anderen Seite war Cthulhu Libria aber sicherlich das einzige Zine, das regelmäßig über lovecraftschen und cthuloiden Lesestoff berichtet hat. Ein Alleinstellungsmerkmal, an dem mir als Herausgeber und Fan sehr gelegen war.
Michael Schmidt: Bist du alleiniger Herausgeber bzw. wie sieht das Team von CL aus?
Eric Hantsch: Bis Axel dazustieß war ich allein für die Zusammenstellung zuständig. Seit 2013 haben wir das gemeinsam gemacht, was die Qualität von CL noch um einiges gehoben hat. Es hat über die Jahre viele Veränderungen im Team gegeben. Wie das so ist, es war ein kommen und gehen, aber ein festes Kernteam hat es dennoch gegeben. Dazu gehören bis heute Elmar Huber, Markus Solty und Johann Peterka. Lars Dangel, Michael Lanzinger und Jörg Kleudgen stießen in den letzten Ausgaben Äon 1 und 2 dazu. Ohne engagierte und sachkundige Mitstreiter kann man kein Magazin machen. Und es war mir wirklich eine große Freude, mit ihnen allen an CL arbeiten zu dürfen!
Michael Schmidt: Es gibt auch die Edition CL. Was ist das?
Eric Hantsch: Die Edition CL ist eine kleine Buchreihe, in der ich Geschichtensammlungen und Romane in gediegener Ausstattung präsentiere. Alle Bücher sind in Leinen gebunden, mit Goldprägung auf dem Buchrücken, Lesebändchen und Schutzumschlag. Außerdem enthält jeder Band Illustrationen und ist limitiert.
Ich bin ein großer Fan schön aufgemachter Bücher. Die Titel der Edition Phantasia oder des Lindenstruth Verlags habe ich immer sehr geliebt. Außerdem war ich Neugierig darauf, wie ein Buch entsteht. Also selbst ist der Mann!
Eric Hantsch: Jörg Kleudgen und seinen Bücher aus der Goblin Press war es zu verdanken, dass ich ins Horror- und Phantastik-Fandom fand. Außerdem mag ich seine Texte. Für mich ist Jörg einer der besten gegenwärtigen Phantastik-Autoren Deutschlands. Deshalb musste ich auch nicht lange überlegen, wen ich für den ersten Band der Edition CL ansprechen wollte.
Als ich im Oktober 2013 in Hessen war und zu einem Besuch bei ihm in Büdingen vorbeischaute, konnte ich fragen. Jörg sagte sofort zu.
Im Laufe der Arbeit an dem Buch kristallisierte sich heraus, dass es eine bestimmte Richtung nehmen würde. Jörg hatte noch ein Romanfragment bei sich auf der Festplatte liegen und als wir schließlich den Titel für das Buch, „Die Chroniken von Kull“, fanden, fiel Jörg auch ein, wie er den begonnenen Roman glücklich zu Ende bringen konnte.
Schließlich fanden wir in Bernd Jans, den Gründer der Goblin Press, auch einen tollen Illustrator, der die 12 enthalten Geschichten kongenial zu untermalen wusste.
Von „Die Chroniken von Kull“ habe ich aktuell noch zwei Exemplare. Wer also noch nicht hat, sollte sich beeilen.
Eric Hantsch: Ich habe schon überlegt, ob man die Edition CL-Bände nicht noch einmal auflegen könnte. Jedoch ist jeder limitiert und ich will und werde die Leser nicht an der Nase herumführen. Wenn eine Neuauflage, dann sicherlich nicht in gebundener Form. Vielleicht als Taschenbuch und nur wenn der Autor damit einverstanden ist. Hm, mal sehen.
„Das Gespensterhaus in Hildesheim“ enthielt 9 klassische Spukgeschichten aus dem 19. Jahrhundert. Der Autor, Feodor Wehl, wurde 1821 auf Gut Kunzendorf, Bernstadt geboren. Als Journalist und Autor war er ein kritischer Beobachter seiner Zeit; als Theaterintendant- und Kritiker wohl einer der engagiertesten, kenntnisreichsten seiner Zeit. Wehl studierte Philosophie und promovierte 1859 in Jena zum Doktor der Philosophie. Er fungierte als Dramaturg am Magdeburger Stadttheater und war Intendant am Stuttgarter Hoftheater. Er starb 1890 in Hamburg, wo er ab 1886 als freier Schriftsteller gewirkt hatte.
Da ich nicht so sehr der Typ bin, der gut Werbung in eigener Sache machen kann, möchte ich auf die Rezension von Carsten Kuhr auf Phantastik News verweisen. Er hat das Buch recht positiv besprochen, was mich natürlich sehr freut.
Michael Schmidt: Machst du die Edition CL eigentlich alleine? Und wird es dabei bleiben, ausschließlich gebundene Bücher zu veröffentlichen?
Eric Hantsch: Natürlich werde ich von dem jeweiligen Autor unterstützt und bin offen für jede Idee, die sie haben. Bei „Die Chroniken von Kull“ standen mir Bernd Jans, für „Das Gespensterhaus in Hildesheim“ Axel Weiß als kompetente Illustratoren zur Seite. Das Lektorat macht Sylvia Kleudgen zusammen mit mir. Es ist ein kleines, feines Team, über dessen Engagement ich mich sehr freue!
Es wird definitiv bei den gebunden Büchern bleiben. Das ist das Besondere an der Edition CL.
Michael Schmidt: Wenn ich mich richtig ersinne stehen die Bücher für die nächsten Jahre schon fest. Was erscheint 2015 in der Edition CL?
Eric Hantsch: Im April, pünktlich zum Marburg-Con, erscheint mit „Teatro Obscura“ ein Roman von Jörg Kleudgen. Im Oktober folgt eine Anthologie mit phantastischen Geschichten, die vor 1900 erschienen sind. Als Herausgeber wird der Phantastik-Connaisseur Lars Dangel fungieren.
Michael Schmidt: Und welche Bücher sind für die Zukunft geplant?
Eric Hantsch: Nun, fest in der Planung steht ein bisher noch unveröffentlichter Roman von Michael Knoke und eine Geschichtensammlung von Tobias Bachmann. Im klassischen Bereich ist eine Anthologie, wieder herausgegeben von Lars Dangel, mit Geschichten nach 1900 geplant sowie ein Roman von Georg von der Gabelentz.
Michael Schmidt: Hast du geplant, das Programm auszuweiten oder ist da nicht mit dir zu reden?
Eric Hantsch: Die Edition CL ist kein Verlag, sondern ein nicht-kommerzielles Buchprojekt. Aus diesem Grund ist der Rahmen auch eng gesteckt und eigentlich will bzw. kann ich nicht mehr machen. Ich habe einen Hauptberuf, die Edition CL ist mein Hobby – das gilt auch für alle Beteiligten. Mehr als zwei Bücher im Jahr sind nicht drin. Ich kann aber so viel verraten, dass nicht nur Literatur erscheinen soll. Dazu kann ich aber erst etwas sagen, wenn alles in Sack und Tüten ist.
Michael Schmidt: Seit 2013 bist du beim Vincent Preis aktiv. Aktuell läuft der Vincent Preis 2014. Gibt es Neuerungen im Vergleich zu den Vorjahren und wie ist die Beteiligung bisher?
Eric Hantsch: Nun, in den Bereich der Änderungen fällt sicherlich, dass der Sonderpreis nur noch an den verliehen wird, der die meiste Punktzahl auf sich vereinen kann. Diese Änderung resultierte aus der Überlegung, dass ein Sonderpreis nur dann diesem Prädikat gerecht werden kann, wenn er nur einmal vergeben wird. Ansonsten halten wir uns an die Statuten, die von Dir und Elmar aufgestellt wurden. Der Vincent Preis, so ist meine Wahrnehmung, erlangt von Jahr zu mehr Jahr mehr Popularität. Eine Entwicklung, die nur begrüßt werden kann.
Aktuell läuft die Nomminierungsrunde (bis zum 22. Februar) und es sind schon einige Stimmen eingegangen. Ich kann an dieser Stelle nur noch einmal dazu auffordern: stimmt ab! Davon lebt der Vincent Preis. Her mit Euren Nominierungen!
Michael Schmidt: Du hast für die Zwielicht Reihe bisher drei Artikel geschrieben. Dein Einstand war „Die zärtliche Stimme“ der Dunkelheit in Zwielicht 3. Was ist das Besondere am Werk der Eddie M. Angerhuber?
Eric Hantsch: Eddie M. Angerhuber ist m.E eine der wenigen Autoren Deutschlands, der es gelingt eine geradezu erstickend-unheimliche Atmosphäre zu erzeugen. Auch hat sie sich von den üblichen Paraphernalien der Horror-Literatur und Dunklen Phantastik verabschiedet. Stattdessen berichtete sie von den Dingen hinter den Dingen. In ihren Geschichten lauert etwas hinter der vermeidlichen Realität. Damit berührt sie den Kosmischen Schrecken eines Lovecraft ohne auf Tentakelmonster zurückzugreifen. Leider schreibt sie nicht mehr. Ich rate dennoch jeden interessierten Leser sich die Bücher von ihr, die noch zu haben sind, zu Gemüte zu führen. Selten ist es einem Autor so vollkommen gelungen, mich in den Abgrund des Grauens zu stoßen.
Michael Schmidt: In Zwielicht 4 ist es Theodor Storm. An den denkt der Durchschnittshorrorleser nicht. Warum also Storm?
Eric Hantsch: Das der Durchschnittshorrorleser nicht an Storm denken würde, wenn es um schauerliche Unterhaltung geht, ist durchaus verständlich, sein bevorzugtes Gebiet war der Realismus. Dennoch hat er meines Erachten einige sehr wirkungsvolle Spukgeschichten verfasst. „Der Schimmelreiter“ ist dafür das beste Beispiel. Storm stand dem Geisterhaften und Unheimlichen durchaus anheimelnd gegenüber, sammelte sogar in „Das neue Gespensterbuch“ (von 1843 bis 1848) relevante Texte dazu. Außerdem war er als gebürtiger Nordfriese geradezu prädestiniert, über Spuk und dergleichen zu erzählen. Schließlich neigen die Bewohner der Waterkant von Haus aus zu nebelhafte Andeutungen von unheimliche Begebenheiten und Orten. Wer sich selbst überzeugen möchte, dem empfehle ich die Lektüre von „Renate“, Bulemanns Haus“, „Aquis submersus“ und natürlich „Der Schimmerlreiter“. In meinem Artikel in Zwielicht 4 gehe ich auf einige dieser Geschichten ja näher ein und man findet im Anschluss eine bibliographische Auflistung.
Michael Schmidt: In Zwielicht 6 ist Bruno Schulz Gegenstand deiner Betrachtungen. Mach den Leuten doch mal kurz den Mund wässrig!
Eric Hantsch: Bruno Schulz ist ein einzigartiger Schriftsteller, der aus seinen Kindheitserinnerungen eine bizarre und unheimliche Mythologie schuf. In seinen Geschichten wandelt man durch ein zwielichtiges Stadtviertel, kann beobachten, wie sich ein Mensch langsam in eine Kakerlake verwandelt oder der Vater des eines Protagonisten im „Sanatorium zur Sanduhr“ zum Unleben erweckt wird.
Schulz gilt vielen als polnischer Kafka, aber ich denke, dieser Vergleich hinkt. Seine Geschichten verbreiten nicht diese Kälte und Hoffnungslosigkeit, sondern haben etwas zutiefst Verspieltes und Wunderbares. Alltägliche Begebenheit und das Umfeld des Gewöhnlichen verrückt er in die Nähe des Traumhaften. Darein mischen er Vision die drohend und düster, Schatten in das so entstandene Universum werfen; Schatten in denen etwas Fremdes und Unbeschreibliches wimmelt und gärt. Es sind die feine Nuancen des Unheimlichen und seine unbändige Fabulierkunst, die Schulz auch für Horror- und Phantastik-Leser interessant macht.
Michael Schmidt: Was sind aus deiner Sicht die Highlights der aktuellen Horrorliteraturszene?
Eric Hantsch: Uff, schwierig. Zu begrüßen ist auf jeden Fall die Veröffentlichung von Ramsey Campbelles Cthulhu-Mythos Geschichten und Algernon Blackwoods „Der Zentaur“ aus dem Festa Verlag. Weiterhin ganz toll ist der Vorstoß von Bastei Lübbe mit der Anthologie „Angel Island“. Da haben sich die Herausgeber Oliver Schütte und Uwe Voehl mächtig ins Zeug gelegt. Ich hoffe, dass es nicht nur eine Eintagsfliege war!
Kürzlich erschien auch der Roman „Die Verfluchten“ von Joyce Carol Oates, den ich nur empfehlen kann. Und, möchte man einen guten Zombie-Roman goutieren, so ist man mit „Toxic Lullaby“ von Torsten Scheib mehr als nur gut bedient. Gespannt bin ich auch auf weitere Titel von Daniel Schenkel (sein „Die Muerenberg-Chroniken“ hat mir durchaus gefallen) und auch Michael Dissieux sowie Jörg Kleudgen will ich nicht vergessen. Es gäbe noch viele Namen und Bücher zu nennen, aber dann würde ich wahrscheinlich gar nicht mehr fertig werden!
Michael Schmidt: Ein letztes Wort noch!
Eric Hantsch: Vielen Dank für dieses Interview, Michael und allen dort draußen an den Bildschirmen wünsche ich immer ein gutes Buch in der Hand!
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