Michael Marrak (Interview)



Michael Schmidt: Hallo Michael, stell dich doch mal vor!

Michael Marrak: Ich wurde 1965 im tauberfränkischen Weikersheim geboren, studierte (nach einer fürchterlichen Ausbildung zum Großhandelskaufmann) Grafik-Design, Desktop-Publishing und Multimedia in Stuttgart und veröffentliche meine erste Story 1989.
Zwischen 1993 und 1999 gab ich das Magazin „Zimmerit“ und als Mit-Herausgeber die Anthologien „Der agnostische Saal“ 1 und 2 heraus. Nach mehreren Jahren als freier Illustrator widme ich mich seit 1997 vornehmlich dem Schreiben.
Übersetzungen meiner Texte erschienen in Frankreich, Griechenland, Russland, China und den USA.
Meine Romane, Erzählungen und Grafiken umfassen laut den Aussagen diverser Rezensenten ein breites Spektrum aus Phantastik, Horror, Thriller, Science Fiction und Magischem Realismus.
Nach drei Phantastik-Buchveröffentlichungen im Lübbe-Verlag folgte 2008 im Ravensburger Buchverlag der Jugendroman "Das Aion". Von Mitte 2006 bis Anfang 2012 war ich im Hannoveraner Entwicklerstudio Reakktor Media verantwortlich für das Story-Development und Game-Design des im Frühjahr 2011 erschienenen SF-MMOs "Black Prophecy", dessen Hintergrundgeschichte ich seit 2005 entwarf; ein Umstand, der mich gut sieben Jahre lang vom „normalen“ Schreiben abhielt.
Mitte 2011 erschien mit "Gambit" auch ein erster Roman zum Spiel. Die beiden geplanten Folgebände fielen leider der Einstellung des Spiels Ende 2012 zum Opfer.
Derzeit lebe und arbeite ich als freier Schriftsteller und Illustrator im Orbit eines beschaulichen Ortes im Harzvorland, wo ich mein Habitat mit einem kybernetisch getunten Marder und meinen Garten mit persistentem Wildwuchs teile. Ein Umzug steht bevor, aber das Ziel noch nicht endgültig fest.


Michael Schmidt: Horror oder SF? Wo fühlst du dich mehr zu Hause?


Michael Marrak: In der Phantastik. Das tendiert mal zum einen, dann wieder zum anderen. Am wohlsten fühle ich mich irgendwo in der Mitte. Damit riskiere ich zwar, ähnlich wie Dan Simmons genremäßig nicht eindeutig greifbar zu sein, aber das nehme ich in Kauf.

Michael Schmidt: Schreiben oder Zeichnen? Wofür schlägt dein Herz mehr?


Illustration Wind-Auguren von Michael Marrak

Michael Marrak: Für das Schreiben. Illustrationen oder Cover entstehen eigentlich nur noch in Ruhephasen zwischen umfangreichen Schreibperioden oder als „seelischer“ Ausgleich. Ganz missen möchte ich das Talent allerdings nicht, auch wenn ich nicht so viel Zeit dafür erübrigen kann, wie ich gerne hineinstecken würde. Ich bin seit Jahren am Überlegen, ob ich einen kleinen Bildband per Crowdfunding realisieren soll, aber so recht warm bin ich mit dem Gedanken noch nicht geworden. Zudem würde ich dafür natürlich auch gerne noch ein paar neue Bilder fertig stellen. Na ja, mal sehen …



Michael Schmidt: 2013 erschienen zwei Kurzromane von dir in der Horror Factory. Epitaph kommt ja ein wenig progressiv rüber und wurde von Herausgeber Uwe Voehl über den grünen Klee gelobt. Worum geht es in dem Roman und wie lautet die Entstehungsgeschichte dahinter? Ich habe immer noch die Zeiger mit den Leuten im Kopf…

Michael Marrak: „Epitaph“ ist eine erweiterte Version meiner Erzählung „Sadek“ aus meiner Collection „Die Stille nach dem Ton“. Wobei Version eigentlich das falsche Wort ist. „Epitaph“ ist ein komplettes Re-Work von „Sadek“. Von einem Roman ist es jedoch meilenweit entfernt. Selbst Kurzroman ist eine sehr generöse Definition für die Horror-Factory-Texte. Es sind Novellen, nicht mehr und nicht weniger.
Zur Entstehungsgeschichte von „Epitaph/Sadek“ kann ich nicht viel sagen. Die Sequenzen mit den riesigen Menschenuhrzeigern beruhen auf einem Traum. Und die Dimension, in der die kilometerhohen Knochentürme mit besagten Uhren stehen, auf einem nicht verwendeten Höllenkreis-Kapitel für „Die Stadt der Klage“. Es ist also quasi ein zur eigenständigen Story mutiertes Outtake. Ich bin nicht sicher, ob ich den kleinen Querverweis ein paar Jahre später eingebaut habe, aber gegen Ende meines Romans „Morphogenesis“ gibt es ein Kapitel, in der der Protagonist über die gigantische Höllenstadt geflogen wird und, so glaube ich mich zu erinnern, die Sadek-Knochentürme weit entfernt im Dunst stehen sieht …



Das Numen aus „Epitaph“ stand jedenfalls Pate für das sinistere Spinnenwesen Demuarsell in „Morphogenesis“. Damals, Ende der 1990er Jahre, gingen mir allerlei seltsam-verschrobene Ideen durch den Kopf. „Die Stadt der Klage“, „Die Stille nach dem Ton“, „Quo vadis, Armageddon?“ oder „Am Ende der Beißzeit“ – alles ziemlich schräge Sachen. Es war so eine Art Sturm-und-Drang-Zeit, in der ich noch keine zukunftsorientierten Ziele hatte und nichts verrückt genug sein konnte/durfte. Das hatte sich erst nach „Lord Gamma“ geändert. Manchmal bewirkt ein Jahrtausendwechsel auch einen Quantensprung mit Aha-Effekt … ;-)

Michael Schmidt: Ist da noch Raum um an die Idee anzuknüpfen? Vielleicht mit einer weiteren Geschichte?
Michael Marrak: Ein Klassiker: Der Wunsch, dass es, nachdem eine Geschichte gefallen hat, irgendwie irgendwo noch mehr davon geben sollte.
Nur: Was soll nach „Epitaph“ noch folgen? Die Maschine ist zerstört, die Gefangenen frei, der Alptraum vorbei. Ende. Würde ich im Hinblick auf die letzten Erkenntnisse des Protagonisten etwas Neues schreiben, dass an „Epitaph“ anknüpft, müsste das schon in epische Dimensionen führen. Aber wer weiß …

Michael Schmidt: Ammonit als zweiter Beitrag zur Horror Factory ist da was ganz anderes. Bisher jeder, mit dem ich zu den beiden Romanen ins Gespräch kam, favorisierte den einen oder den anderen. Warum ein gänzlich anderer Ansatz und worum geht es in Ammonit?


Michael Marrak: „Ammonit“ war im Grunde ein unplanmäßiger Beitrag. Nachdem damals kurzfristig ein Autor abgesprungen war, hatte der Herausgeber der Reihe per E-Mail an alle übrigen Autoren gewandt und gefragt, ob jemand zufällig eine fertige Horrorstory in petto hätte, die man als Ersatz einschieben könnte. Ich schrieb ihm, dass ich eine Novelle hätte, diese aber noch ein wenig gekürzt werden müsste. So kam es zustande, dass sechs Wochen nach „Epitaph“ bereits mein zweiter HF-Beitrag erschien. Ursprünglich hatte ich eine ganz andere Geschichte als zweite Veröffentlichung geplant. Ehe diese von mir aber „an den Mann“ gebracht werden konnte, wurde der Erscheinungsturnus der Reihe geändert, und alles lief etwas langsamer – bis zum plötzlichen, für mich überraschenden Ende der Horror Factory.
Im Gegensatz zu „Epitaph“ beginnt „Ammonit“ sehr ruhig und entwickelt sich zu einer lovecraftschen Erzählung, während „Epitaph“ von Beginn an ein hohes Erzähltempo aufweist und sehr direkt ist. Man könnte die beiden Novellen vom Erzählstil her mit „Lord Gamma“ und „Imagon“ vergleichen. Die eine rasant und abgedreht, die andere langsam aufbauend und im lovecraftschen Desaster endend.

Michael Schmidt: Du veröffentlichst auch immer mal wieder Horrorkurzgeschichten. Hast du einen Liebling und welche würdest du einem Leser, der dich noch nicht kennt, ans Herz legen?


Michael Marrak: Erwachsenen Lesern würde ich natürlich „Epitaph“ und „Ammonit“ aus der Horror Factory, „Das Concaliom“ aus „Der agnostische Saal 1“ und „Quo vadis, Armageddon?“ aus „Die Prophezeiungs-Falle“ (Aarachne Verlag) empfehlen, den jugendlichen Lesern vielleicht „Lamia“ und „Liliths Töchter“ aus den beiden von Boris Koch herausgegebenen „Gothic“-Anthologien.

Michael Schmidt: Ein Sammelband mit deinen Geschichten ist aber nicht geplant, oder?
Michael Marrak: Doch, für Ende 2015/Anfang 2016. Mehr dazu kann ich allerdings erst (bzw. frühestens) Ende März verraten.


NOVA 21 Cover von Michael Marrak

Michael Schmidt: Coen Sloterdykes diametral levitierendes Chronoversum gewann den Kurd Laßwitz Preis 2014. Herzlichen Glückwunsch! Eine Novelle in drei Teilen, die in Nova erscheint, ist ja eher etwas Ungewöhnliches. Was erwartet den Leser und wie schätzt du die Chancen für Der mechanische Dybbuk beim diesjährigen KLP ein?

Michael Marrak: Darüber möchte ich weder spekulieren noch eine Wertung abgeben, sondern erst einmal abwarten, ob der „Dybbuk“ überhaupt nominiert wird. In rund zwei Monaten erscheint ja mit „Das Lied der Wind-Auguren“ die vierte Kanon-Novelle in Nova23. Allerdings ist es diesmal keine direkte Fortsetzung der bisherigen Handlung, sondern eine in sich abgeschlossene Geschichte, die zwischen „Der Kanon mechanischer Seelen“ und „Sloterdykes Chronoversum“ spielt. Das liegt am Konzept von NOVA 23. Es ist eine Themenausgabe unter dem Motto „Musik“.



Michael Schmidt: Drei deiner Romane erschienen bei Bastei. Lord Gamma, Imagon und Morphogenesis sind aber schon lange nicht mehr verfügbar. Ist eine Neuauflage geplant?
Michael Marrak: Das ist ebenfalls ein Kapitel des Work-in-Progress-Bergs und daher noch nicht spruchreif. Es hängt vom neuen Verlag ab, und davon, ob er die drei Bücher als Backkatalog aufnimmt. Dem aktuellen Trend folgend könnte ich mir vorstellen, dass die Romane zuerst als E-Books erhältlich sein werden, ehe sie physisch nachgedruckt werden. Bei Lübbe werden sie jedenfalls nicht neu aufgelegt.
BTW: „Bastei“ ist übrigens nur der Verlag mit den Heftchenromanen. Unter „Bastei Lübbe“ erscheinen die Taschenbücher, und unter „Lübbe“ die Hardcover. Das sollte man differenzieren.

Michael Schmidt: Hast du einen persönlichen Favoriten bei diesen drei dicken Wälzern?


Michael Marrak: Schwer, das aus heutiger Sicht zu sagen. Ich kann mich nicht zwischen „Lord Gamma“ und „Imagon“ entscheiden.

Michael Schmidt: Wird es einen weiteren Roman im Umfang dieser drei Bände geben?
Michael Marrak: Ja, er liegt bereits fertig redigiert vor und hat in etwa den Umfang von „Imagon“. Verlag, Titel und alles Weitere folgt, sobald die Programmvorschau veröffentlicht ist. Da der Roman erst vor zwei Monaten fertiggestellt wurde (ich habe nach meinem Aufenthalt in der Computerspiel-Parallelwelt erst Mitte 2013 mit dem Buch begonnen), wird es aber noch eine Weile dauern, bis es so weit ist.

Michael Schmidt: Woran arbeitest du im Moment?
Michael Marrak: Wie meistens zwischen den Jahren an ein paar kleinen Liebehaberprojekten. Ich habe vor zwei Wochen eine kurze Story für das Horror-Magazin „Nachtschatten 11“ fertiggestellt und bin aktuell bei den letzten Seiten für eine Novelle, die ursprünglich als Beitrag für die Horror Factory geplant war. Da letztere leider eingestellt wurde, die Story aber bereits zu zwei Dritteln fertig war, erscheint sie jetzt im zweiten Band von „Mängelexemplare: 3“. Und den NOVA-Leuten habe ich versprochen, dass ich (traditionsgemäß) noch zwei Illus für meine neue Kanon-Novelle anfertigen werde. Da sollte ich so langsam mal in die Pötte kommen ... ;-) Was Großverlags-Projekte betrifft: Da arbeite ich nach wie vor an der Romanversion von „Der Kanon mechanischer Seelen“.

Michael Schmidt: Du bist ein alter Hase in dem Geschäft. Dein Tipp für angehende Schriftsteller?


Michael Marrak: Versucht nicht mehr zu sein als die Summe eurer Teile. Haltet euch nie für klüger als eure Leser. Versucht nicht zu imponieren, sondern zu unterhalten. Vermeidet es, einen geltungsbedürftigen, komplexgesteuerten Gernegroß als Vorbild zu nehmen. Denkt immer an ein solides Fundament für eure Spinnereien. Glaubt nie, guten Ratschlägen erhaben zu sein und das Denken und Schreiben nach dem ersten großen Erfolg nicht weiterhin lernen und verbessern zu müssen. Seid selbstkritisch. Seid wachsam. Seid ihr selbst. Panta rhei.

Michael Schmidt: Noch ein Wort an die Leute dort draußen!

Michael Marrak: Jeder von euch ist fähig, Gedanken zu lesen. Ihr benötigt dafür nur Muse, einen offenen Geist und ein gutes Buch.




Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Zwielicht – Das deutsche Horrormagazin

Zwielicht 19