Vincent Voss – Das Ordnungsamt und das Hexenhaus (Zwielicht 15)
Zwielicht 15 ist im Dezember erschienen und steht zur Wahl beim Vincent Preis 2020.
Die Liste der Kurzgeschichten ist lang und gerade dort zählt jede Stimme. Ein herrlich ironischer Beitrag von Vincent Voss schreibt der Zauberspiegel! Über Bürokratie muss man einfach immer wieder lachen - solange man nicht selbst davon betroffen ist.
Vincent
Voss – Das Ordnungsamt und das Hexenhaus
„… der faule Hund!“, hörte Hagen die
Stimme von Frau Tönnies vom Baubetriebshof aus dem Büro des
Fachbereichsleiters, seines obersten Vorgesetzten. Hagen wusste, dass die alte
Tönnies ihn meinte. Sein Chef, Herr Kallandt, lachte.
„Wir wissen ja beide, dass Herr Heinrichs
nichts taugt. Nicht beim Ordnungsamt und woanders wohl auch nicht“, antwortete
er der Tönnies. Hagen schluckte vor der angelehnten Tür seinen Schmerz
hinunter, klopfte an und trat ein.
„Herr Kallandt, Sie wollten mich
sprechen?“, wandte er sich an seinen Vorgesetzten. Frau Tönnies nickte er nur
kurz zu, ihr schadenfrohes Lächeln war nicht zu übersehen. Kallandt nickte.
„Ja, Herr Heinrichs. Frau Tönnies hat
wieder einmal Ihre Arbeit erledigt. Arbeit, die ins Ressort des Ordnungsamtes
fällt.“
„Handelt es sich dabei wieder um
kriminelle Herbstlaubentsorger, Herr Kallandt?“, fragte er nach und rief ihnen
allen die damalige Amtsposse in Erinnerung, die sich erst vor ein paar Wochen
zugetragen hatte und in allen Käseblättern aber auch in überregionalen
Zeitungen Beachtung fand. Der Bürgermeister war über seine Verwaltung wenig
amüsiert gewesen.
„Nein, darum geht es nicht!“, zischte Frau
Tönnies. „Es geht um eine illegale Behausung im Lüttmoor. Da hat sich jemand
eine Hütte aus Schrott zusammengezimmert und wohnt da. Schon seit längerem.
Aber es scheint hier ja niemanden zu interessieren.“ Mit hier war das Rathaus, genauer das Ordnungsamt und ganz genau er
gemeint, der Baubetriebshof lag an der Gemeindegrenze, war ein Eigenbetrieb,
der sich um Mängel bei den Außenflächen der Großgemeinde kümmern sollte.
„Davon weiß ich nichts“, sagte er und
Tönnies und sein Chef solidarisierten sich miteinander in strafendem Schweigen.
Er reagierte, wenn die Bürger sich beschwerten, aber für Tönnies und seinen
Vorgesetzten waren die Bürger der wahre Feind, den es zu bekämpfen galt.
Tönnies war immer mit einem Zollstock im Außendienst, um Bäume, Hecken, Büsche
und Gräser auf ihre Abstände zu Wegflächen nachzumessen. Alles musste umgehend
zurückgeschnitten werden und persönliche Schicksale waren ihr und Kallandt
egal. Letzten Winter hatte Hagen ehrenamtlich für eine ältere Witwe Schnee
geräumt, die wegen eines Beinbruchs im Krankenhaus lag und keine Angehörigen
hatte. Sie wäre sonst mit
Bußgeldern gegängelt worden.
„Dann sollten Sie sich das einmal ansehen,
Herr Heinrichs. Hier. Frau Tönnies hat Bilder geschossen und eine
Wegbeschreibung beigelegt.“ Kallandt reichte ihm eine Mappe.
„Vorbildlich“, antwortete er, besah sich
die Bilder. Eines zeigte eine Tür mit einem Vorhängeschloss, zwei
darauffolgende Bilder das Innere der Hütte. Eine Matratze, einen Tisch, ein
Bündel Kleidung.
„Haben Sie mit der obdachlosen Person
gesprochen, Frau Tönnies?“, fragte Hagen.
„Nein. Da war niemand.“
„Aber hier auf dem Bild ist die Tür doch durch
ein Schloss gesichert und hier auf den beiden … das sind doch Aufnahmen von dem
Inneren“, stellte er fest.
„Frau Tönnies war in Sorge um den
Bewohnenden und hat das Schloss geknackt“, verteidigte Kallandt das Vorgehen
der Kollegin.
„Gehen Sie verdammt noch mal da hin und
sorgen Sie für Ordnung!“ Kallandt wurde lauter.
„Natürlich“, antwortete er, der ein
solches Vorgehen noch nie gutgeheißen hatte, das aber hier gang und gäbe war.
Er zog sich mit seinem Auftrag aus dem
Büro zurück.
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