Chris Schlicht – Wechselbalg (Alles eine Frage des Stils)

 

Alles eine Frage des Stils ist im Frühjahr erschienen und steht zur Wahl beim Vincent Preis 2020Die Liste der Kurzgeschichten ist lang und gerade dort zählt jede Stimme.

Chris Schlicht berichtet uns atmosphärisch dicht in „Wechselbalg“ von der Heimsuchung eines Jugendheims durch und mittels eines alten Spiegels.. Die vollständige Geschichte finde sich in Alles eine Frage des Stils:

Chris Schlicht – Wechselbalg

 

Aussage Benedikt Koll, Student der Sozialpädagogik

Abschrift nach Handyaufnahme

17. Juli 2019 ab 15:00 Uhr

Verhörende Beamte: KK Peter Laumann und KOK Hans Gabler

Pflichtverteidiger: Jens Birkmann

Protokoll aufgenommen und ausgefertigt von POM Laura Hagen.

 

Ja, ich habe Tommi getötet. Habe ihm das Genick gebrochen, als wir vor dem Haus auf der Wiese saßen, die als Sammelplatz diente. Als wir den Flammen zusahen, die diesen verfluchten Ort auffraßen. Ich hoffe wirklich, dass niemand auf die Idee kommt, das Ding wieder aufzubauen. Einfach einplanieren, die Überreste. Damit wäre der Menschheit wirklich gedient.

Warum ich den Kleinen umbrachte, obwohl ich ihn vorher aus der Hölle gerettet habe? So wie ich auch Frank, Leon, Samir und die anderen beiden, an deren Namen ich mich nicht erinnere, vor der Flammenhölle bewahrt habe? Ah, Senaid und Heiko, ja, nein, gesehen hab ich sie schon hin und wieder, aber nie mit ihnen gesprochen, waren aus Sebastians Gruppe. Und das, obwohl ich mich vorher so gut mit Tommi verstanden habe, weil er in meiner Gruppe der Fleißigste und Geschickteste war?

Weil es nicht mehr der Tommi war, den ich kannte. Er war es nicht und es ist gut, dass der Bastard tot ist. Der richtige Tommi ist an einem Ort ohne Wiederkehr. Vielleicht ist er mit dem Bastard gestorben, vielleicht ist er auf ewig gefangen. Er tut mir leid, ich habe eine vage Ahnung davon bekommen, was er durchmacht … Und er ist nicht der Einzige … war nicht der Erste, dem das widerfuhr.

Aber jetzt von vorne, sie wollen schließlich mein Geständnis hören. Es wird mich zwar auf ewig in die Psychiatrie bringen, aber was soll’s.

Herrgott, tut mir leid, ich muss ein bisschen ausholen. Und ich weiß, dass es verdammt seltsam klingen wird. Aber ich habe nie auch nur einen Hauch von irgendeiner Droge angerührt, das wissen Sie ja aus meinem Haartest. Meine Zotteln sind schließlich lang genug, um für ein paar Jahre Testmaterial zu bieten.

‚Rastaman‘, so haben mich die Jungs genannt. Aber das war nett gemeint. Sieht natürlich ein bisschen hippiemäßig aus, so als gehöre ich zu den Leuten, die gern mal ne Tüte kreisen lassen. Pech für sie, dass ich Asthma habe. Gibt angenehmere Arten des Selbstmords, als mit dem Problem an einer Tüte zu ziehen. Und Kekse mag ich so wenig wie Spritzen.

Okay, Semesterferien, sie wissen, dass ich Sozialpädagogik studiere. Ich wollte endlich mal einen Ferienjob machen, der auch was mit den Tätigkeiten zu tun hat, die ich später mal mache. Praktikum musste ich auch noch nachweisen. So weit, so schön.

Angeboten hat man mir dann, mit Knackis zu arbeiten. So habe ich sie nicht genannt! Das war die Tante vom Gericht, die blöde … Entschuldigung.

Das waren schließlich keine echten Knackis, denen der Knast oder Jugendarrest drohte. Nur Jungs, die was ausgefressen hatten und dafür Sozialstunden aufgedrückt bekamen. Diese Maßnahme in dem alten Gemäuer fand ich echt großartig, gerade für Sozialstunden. Hatte schon immer was für so gruselige Kästen übrig und Restaurator wäre für mich auch ein toller Job gewesen. Hätte ich gern gemacht, habe aber leider zwei linke Hände. Da ist schon mein Vater dran verzweifelt, er ist Schreiner. Groß und grob geht, aber keine Feinarbeiten. Das war zum Glück auch nicht erforderlich. Ich sollte die Jungs organisieren, anleiten, ihnen hin und wieder ordentlich die Leviten lesen und auf sie aufpassen.

Was die Stadtverwaltung allerdings auf die Idee gebracht hat, in dem riesigen Haus ausgerechnet ein Kinderheim einrichten zu wollen, und das mit Hilfe eben der Jungs von der Jugendstrafe … na ja, muss man nicht verstehen. Hieß, dass der Typ, dem der Kasten gehörte, ohne Erben starb. Für den Erhalt des Hauses aber ne Menge Geld hinterlassen hatte, sofern dort mit Kindern gearbeitet wird.

So im Nachhinein kapiere ich, was der Kerl für Pläne hatte, aber ich greife vor.

Mich hat am meisten die Bibliothek fasziniert. Die war wirklich ein Schmuckstück. Um die Bücher dort ist es zum Teil richtig schade, dass sie dem Brand zum Opfer fielen. Aber wer weiß, was da noch alles an Grauenhaftem versteckt war, das man nur noch nicht entdeckt hat.

Ja, Grauen! Da waren Bücher, ehrlich, denen hat man sich nicht mal auf Armlänge angenähert und es standen einem die Haare zu Berge.

 Sollte Ihnen die Geschichte gefallen haben, würden wir uns über eine Stimme beim Vincent Preis freuen. Zur Wahl des Horrorpreises geht es hier: Vincent Preis 2020 

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