Torsten Scheib – Träume und Tränen (Alles eine Frage des Stils)
Alles eine Frage des Stils ist im Frühjahr erschienen und steht zur Wahl beim Vincent Preis 2020. Die Liste der Kurzgeschichten ist lang und gerade dort zählt jede Stimme.
Eine Geschichte, die den Geist der Pulps in sich trägt und genauso Abenteuer wie Horrorgeschichte ist, aber lesen Sie selbst, die vollständige Geschichte finde sich in Alles eine Frage des Stils:
Torsten Scheib – Träume und Tränen
Alaminos, Florida
Die Gegenwart
Die
Menschen weisen uns den Weg. Ein Volksauflauf, junge wie ergraute Menschen,
Einheimische, Touristen, in Neugier vereint. Stets dasselbe.
“Die
alte Leier”, kommt es von Deputy Harmon. Ich kommentiere es mit kurz-prägnantem
Sirenengeheul. Die Blitzleuchte überzieht die teilende Menge mit Ultramarin.
Neben
dem Rettungsdienst stoppe ich. Abseits steht ein zweiter Streifenwagen. Zwei
Deputys sperren ab und halten die Gaffer in Schach. Auf Angelis und Guffey ist
Verlass, denen muss man nicht einbläuen, was zu tun ist.
“Dann
wollen wir mal.” Entschlossen stößt Chris die Wagentür auf. Ich zögere. Kurz
gilt meine Aufmerksamkeit dem Gewehr, das zwischen den Sitzen klemmt. Erst dann
folge ich.
“Sheriff
Bream! Sheriff Bream!”
Der
hat mir noch gefehlt. Gerne würde ich meine angelernte Höflichkeit übergehen,
aber sogar bei einem so schmierigen Objekt wie Pat Wanamaker ist es mir
zuwider. Überdies bin ich der hiesige Sheriff und muss freundlich
bleiben. Vorbildfunktion und so.
“Pat!
Was für eine Freude!” Ich kann gut flunkern, doch bei dem da wähle ich
absichtlich die Überzeichnung.
“Ein
Kommentar für die Alaminos Gazette?”
Ich
lasse kurzzeitig meinen Charme aufblitzen, dann: “Kein Kommentar, Pat.”
Der
Reporter bleibt hartnäckig. Er drängt sich gegen das Absperrband und wird von
Guffey in die Schranken verwiesen. “Wieder ein Monster, Sheriff?”
“Mehr
die stattliche Anzahl unbezahlter Strafzettel eines gewissen Lokalreporters”,
kontere ich. Ein Schuss ins Blaue, der zum Volltreffer wird. Schmollend rückt
Wanamaker ab, während man rings um ihn schmunzelt und gackert.
Zufrieden
in Anbetracht der Umstände will ich mich auf den Weg machen, doch abermals hält
man mich auf. Diesmal ist es Norm Voight, Inhaber und Namensgeber von Norm‘s
Diner & Motel. Klangvoller Titel, runtergekommene Anlage. Die
verschmutzte Neonreklame an der Straße lockt sämtliche Insekten aus einem
Zehnmeilenradius an und lässt die vermoosten Flachdächer der Motelblockhütten
und des Hauptgebäudes fluoreszieren.
Dass
das Diner ausgestorben ist, verwundert nicht. Selbst ohne Monster ist da kaum
mehr los. Wer Lebensmittelvergiftungen vermeiden will, der speist eben woanders.
Voight
zupft und zerrt an meinem Ärmel, er bittet und bettelt, zwischen den Lippen ein
abgekauter, erloschener Zigarrenstumpen. “Keiner plant, Ihren Laden zu
schließen”, beruhige ich ihn und befreie mich. “Außer, es fand ein Mord statt
oder Sie haben Dreck am Stecken, Norm. Haben Sie?”
Voight
präsentiert mir seine Handflächen. “Wirke ich so auf Sie, Sheriff?”
Ein
anderes Mal werde ich ihm erzählen, wie er auf mich wirkt. Eventuell mit einem
Wisch vom Veterinäramt oder einem Durchsuchungsbefehl in der Tasche.
Kein
Gedränge, keine Forensiker, keine Rechtsmedizin. Als zwei Sanitäter den
Betroffenen via Rollbahre aus dem Zimmer schieben, wird es sogar noch
leerer. Bedenke ich den Zustand des Mannes, dürfte der in nächster Zeit nicht
besonders plauderfreudig sein.
Muss
er gar nicht. Die Bücherstapel auf dem Nachttisch, der Laptop auf dem Tisch,
daneben vollgekritzelte Landkarten … Ergibt alles einen Sinn.
Die
Notärztin, Thea Brougue, tritt neben mich. “Das eben war Floyd Kucher”, sagt
sie. “Vierunddreißig, wohnhaft in Seattle, Betreiber der Website Americana
Obscura. Die ultimative Quelle für amerikanische Mysterien aller Art: Ufos,
den Jersey Teufel, Bigfoot ...”
“Und
jetzt wollte er mal Bekanntschaft mit unserem Mysterium schließen”,
ergänze ich.
“Vier
Tage war er in den Sümpfen.
Die
Lady, die da leicht derangiert auf dem Stuhl in der Ecke kauert, stieß auf
unseren Freund, als er aus dem Unterholz taumelte. Adele Copper. Brachte ihn
auf sein Zimmer, rief im Anschluss uns an und wir dann dich.”
“War
draußen an der Eismaschine, als er mir auffiel”, erläutert Copper.
“Sie
übernachten auch im Motel?”
“Ist
meine letzte Nacht. Übermorgen hab ich einen Auftritt in Georgetown, Arkansas.
Bin Barsängerin. Wie Michelle Pfeiffer in den Fabelhaften Baker Boys.”
Es
ist sogar eine Ähnlichkeit zu ihrem möglichen Vorbild vorhanden. Fein, der
Altersunterschied ... Ich schätze Copper auf Anfang vierzig, und nimmt man die
Nervosität meines vierzehn Jahre jüngeren Deputys als Maßstab, so ist sie
ziemlich attraktiv, auch wenn sie durch den Wind ist.
“Die
ganze Zeit faselte er von Monstern”, spricht sie weiter. “Hat gezittert, ins
Leere gestiert, kalter Schweiß, Blässe …”
“Nervenzusammenbruch”,
bemerkt Thea. “Zum Glück war Miss Copper so gedankenschnell.”
“Sie
wirkt aber auch leicht blass um die Nase”, äußere ich mich.
“Zum
Abendessen gab es Norms berühmtes Chili.” Auch Thea weiß um dessen kulinarische
Qualitäten. Chris und ich rümpfen unisono die Nasen.
“Halb
so wild”, wiegelt Copper ab. “Mrs. Brougue war so nett und verabreichte mir
eine Magentablette. Ist schon viel besser geworden. Wenn Sie eventuell noch
eine Schlaftablette übrig hätten …? Ganz bestimmt bekomme ich heute Nacht kein
Auge zu.”
“Wie
wär‘s mit einer anderen Übernachtungsmöglichkeit?”, sage ich. “Kennen Sie das Murphy‘s
Inn am anderen Ende der Stadt?”
“Schon
...”
“Sie
packen Ihre Siebensachen, fahren da rüber und grüßen den Herrn an der Rezeption
von Sheriff Bream. Alles klar?”
“Ich
kann doch nicht ...”
“Sie
können und Sie werden. Um Norm kümmern wir uns.”
Copper
haucht ein “Danke” und weg ist sie. Beinahe. Auf der Türschwelle fällt ihr noch
was ein. “Verzeihung, aber … was kann einem erwachsenen Mann solch einen Schock
einjagen? Gibt es dort draußen doch etwas?”
“Gibt
es”, sage ich. “Nur keine Monster. Die Sümpfe sind ein autarkes Naturreservat
und nicht grundlos umzäunt. Wer sich aus freien Stücken und alleine reinwagt,
der muss mit Konsequenzen rechnen.”
“Ich
verstehe nicht … Konsequenzen?”
“Die
Sümpfe beheimaten Raubvögel, Alligatoren, Hirsche, Bären, manchmal Panther …
Tierarten, die der Stadtmensch höchstens im Zoo antrifft. Hinter Gittern oder
Panzerglas.”
“Die
lokalen Legenden waren verlockender.”
“Schätze
ja”, sage ich und hebe das erste Buch vom Stapel: The Spanish Discovery of
Florida.
Adele
Copper ist jetzt wirklich gegangen. Einzig Chris‘ Wehmutsfalten
bleiben.
“Nein,
die lernen es nie”, murmelt er.
“Shit.”
Gewichtig landet der Schmöker auf seinen Kollegen.
Er
ist wieder da.
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