Alles oder nichts

Ein Haufen Geschichten haben sich im Laufe der Zeit angesammelt. Geschichten  verschiedenster Genres, verschiedenster Art. Zeit genug, die Geschichten Stück für Stück zu präsentieren:


Saramee ist eine Shared World Serie in der Tradition der Diebeswelt. Im Gegensatz zu seinem Vorbild erschien die Serie erst als Kurzromanreihe, ich steuerte Band 5 und 9 zu. Erst danach wurden die Geschichten in Anthologien veröffentlicht. Alles oder nichts wurde dabei 2010 in der ersten Fantasyguide Anthologie veröffentlicht: Der wahre Schatz 

13. Woche Regenzeit

Gaarson musterte sein Spiegelbild kritisch. Er war schmal und groß, der Körper muskulös und athletisch, kein Bauchansatz trübte das Bild eines durchtrainierten, jungen Mannes von diesseits der Dreißig. Kräftige Wangenknochen prägten ein markantes Gesicht. Dunkle Augen und die schmale lange Nase rundeten den Eindruck ab. Das braune Haar war kurz und glatt.

Ja, er konnte sich sehen lassen. Eine Augenweide für alle Frauen und so hatte er eigentlich nie Probleme, sie für sich zu gewinnen. Kaum eine hatte ihm die kalte Schulter gezeigt oder ihn unnötig lange zappeln lassen. Bis er auf Amata getroffen war. Amata mit ihren wunderschönen braunen Augen und dem ganz eigenen Kopf. Seufzend drehte sich Gaarson um und griff nach seinem langen gelbweißen Mantel, der die Zeichen der Turoswächter trug. Dann verließ er sein Zimmer.

Die Gänge waren leer, nur hier und da traf er auf einen anderen Turoswächter. Im Moment gab es viele Reisende, König Tarus war in der Stadt und zog die Massen an. Es kamen Händler, Glücksritter, aber auch allerlei zwielichtige Gestalten aus aller Herren Länder.

Gaarson war froh, heute und morgen frei zu haben. Zwei Wochen hatte er ohne längere Pausen durchgeackert und sich somit die Erholung verdient. Es war keine leichte Aufgabe, die Reisen durch die Portale zu ermöglichen und die Turoswächter hatten alle Hände voll zu tun, um den Betrieb aufrecht zu erhalten. Man war bestrebt, neue Leute zu rekrutieren, allerdings war eine Entscheidung diesbezüglich noch offen. Gaarson wartete sehnsüchtig auf Verstärkung, er konnte gut und gerne eine helfende Hand gebrauchen. Andere sprachen sich dafür aus, den Personenkreis nicht auszudehnen, stattdessen die Anzahl der Reisen durch das Portal zu limitieren und damit die starke Position in der Stadt noch weiter zu festigen.

Mit langen Schritten durchquerte er das Gewirr der scheinbar endlosen Gänge, die das Portal durchzogen. Hier und da grüßte er, wenn er jemandem begegnete, ließ sich aber auf keine längeren Gespräche ein. Er hatte eine Verabredung mit Amata und wollte vorher seinen kleinen Bruder Naarson besuchen. Es gab nicht allzu viele Gelegenheiten, er war zu beschäftigt durch seine reichlichen Aufgaben im Kult der Turoswächter und kam selten in das Zentrum Saramees.

Endlich erreichte er sein Ziel, betrat durch ein abgelegenes Seitentor die Straßen Saramees und tauchte in die hektische Welt der Hafenstadt ein. Bezeichnenderweise hieß diese Straße Nordrand, begrenzte doch das Portal die Stadt in diese Richtung. Darauf achtend, den zahlreichen Besuchern nicht zu nahe zu kommen, begab er sich umgehend auf den breiten Portalsweg, neben der prächtigen Turosallee die größte Straße Saramees. Die Straße führte vom Portal direkt zum Hauptmarkt und damit zum zentralen Punkt Saramees.

Die Straße platzte aus allen Nähten. Massen an Menschen, Glisk und Gayra boten ihre Waren feil, priesen lautstark ihre Götter an oder warben für ihre politischen Ziele. Die Hitze tat ihr Übriges, so sah der Turoswächter alle paar Minuten eine verbale oder gar handgreifliche Auseinandersetzung.

Es dauerte eine halbe Stunde, die er sich ohne Eile vertrieb, bis seine Aufmerksamkeit von einer Gauklergruppe in Anspruch genommen wurde. Vier Personen, allesamt Menschen. Ein kräftiger glatzköpfiger Hüne spie Feuer oder zerbrach Fischbein. Ein kleiner, sehr wendiger Mann zeigte allerlei akrobatische Kunststücke, schlug einen Salto oder bog sich so weit nach hinten, dass er den Kopf durch die Beine stecken konnte.

Der Dritte war in einen weiten Umhang aus grobem Leinen gehüllt und pries die eigentliche Attraktion an. Eine schwarzhaarige Schönheit, deren große dunkle Augen Gaarson sofort in einen Bann zogen. Ihre Kleidung war wenig züchtig, der Ausschnitt zeigte herrliche Rundungen und erweckte Lust auf körperliche Freuden. Die schlanken Beine waren sichtbar, da der Rock nur bis zu den Knien reichte. Ihre Haut hatte einen hellen Braunton und glänzte in der Sonne.

Sie sah ihn an und er erkannte überrascht das Versprechen, sich ihm hinzugeben. Selten hatte er eine solche Offenheit erlebt, schon nach dem ersten, flüchtigen Blickkontakt. Die dunklen Augen schauten ihn an, der Ausdruck darin war eine Mischung aus Wollust und Sehnsucht, gepaart mit etwas Undefinierbarem. Fast vermutete er einen Hauch Traurigkeit. Welches Schicksal die Frau wohl hinter sich hatte?

Unwillkürlich blieb Gaarson stehen und musterte die Gruppe. Keiner der drei Männer schenkte ihm nur den Hauch einer Beachtung, einzig die Frau schaute ihn herausfordernd an, gab ihm das Gefühl, als sei er der einzige Mensch auf der Welt. Ja, ihr Blick fixierte ihn, er verlor sich in den unergründlichen Tiefen dieser braunen Augen.

Für einen Moment stieg so etwas wie Unbehagen in Gaarson auf, dann zerstreuten sich seine Bedenken so schnell wie sie gekommen waren. Was sollte ihm dieses liebreizende Wesen schon antun?

Sie tanzte, da war er sich sicher, nur für ihn. Die Beine herumwerfend, folgte sie dem Rhythmus des Liedes, welches sie mit ihrer glockenhellen Stimme initiierte. Ihr Rock flog hoch, gab den Hauch eines Einblicks auf ihre Unterwäsche preis, doch verging der Moment so schnell, dass Gaarson kaum sagen konnte, welche Form und Farbe diese hatte. Ihr Lächeln wurde breiter, ihre Augen funkelten schelmisch, während sie eine Pirouette drehte und sich immer näher an ihn heran schob, ihn nicht aus den Augen lassend.

Er schluckte. Gerade er, der nie verlegen war, wenn es darum ging, einem Weibsbild nachzustellen, fühlte sich in dieser Situation wie sein schüchterner Bruder Naarson. Ganz kurz spürte er, wie seine Knie weich wurden, mühsam bewahrte er Haltung und riss sich zusammen. Er raffte seinen Umhang, straffte die Schultern und blickte der Schönen entgegen, wie er hoffte, mit einem Hauch Arroganz, aber auch einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein und Gelassenheit, ja fast ein wenig Desinteresse. Ihr Grinsen veränderte sich, wurde verschlagener, so erwiderte er es und winkte sie herrisch zu sich heran. Das Spiel begann ihm zu gefallen.

„Frau. Ihr tanzt, als seid Ihr beseelt von göttlicher Gnade. Wo lernt man eine solche Kunst mit einer derartigen Perfektion? Und wo werden solch schöne Töchter geboren? Ihr seid nicht von hier, sonst wäret ihr mir schon längst ins Auge gefallen.“

Sprach es mit leichter Strenge und streckte ihr eine Handvoll Cil entgegen. Sie lächelte erneut verheißungsvoll, nahm das Geld entgegen, ein kurzer Knicks, der fast schon beleidigend wirkte in seiner schnoddrigen Eleganz, dann tanzte sie sich weiter an ihn heran, dem exotischen Rhythmus ihres Liedes folgend. Sie kam ganz nah, sodass er ihren heißen, duftenden Atem verspürte. In ihren Augen funkelte der Schalk, gepaart mit einer Herausforderung, die viel versprach und noch mehr forderte. Die Lust brannte in seinen Adern und nur mühsam hielt er seine Hände zurück.

„Ich bin eine Messianerin aus der Enklave Salou. Dort ist es oberstes Gebot, zu unterhalten und die Menschen zu erfreuen, so sollte es nicht verwundern, dass ich dieses Handwerk beherrsche. Anlässlich des Besuchs von König Tarus gedenke ich, für eine Weile den Bewohnern Saramees meine Kunst darzubieten und hoffe, Gefallen zu finden. Wenn ich Eure Blicke richtig deute, ist mir das vortrefflich gelungen. Und wenn ich ehrlich sein soll, es passiert selten, dass mein Tanz keine Wirkung zeigt.

Sagt, edler Herr, wie ist es, habt Ihr Lust, etwas über Eure Zukunft zu erfahren? Der Tanz ist nicht die einzige Leidenschaft, der ich fröne. Folgt mir und Ihr werdet Eure Neugier nicht bereuen.“

Sie drehte sich weiter, ihren Gesang fortführend tanzte sie über die staubige Straße, den Sand aufwirbelnd. Über die Schulter blickte sie ihn keck an, bevor sie im Rhythmus einer imaginären Musik die Straße hinab ging. Gaarsons Gedanken überschlugen sich.

Sollte er oder sollte er nicht?

Wenn Amata oder einer ihrer Gefolgsleute ihn zu Gesicht bekäme, wäre die Mühe der letzten Wochen umsonst gewesen. Er zögerte und focht einen inneren Kampf, der nur wenige Augenblicke andauerte, dann hatte er sich entschieden. Den Besuch bei seinem Bruder verschob er auf unbestimmte Zeit, stattdessen eilte er der tanzenden Schönheit in das fast unüberschaubare Gewirr der kleinen Gassen, die sich wie ein Labyrinth vom Portalsweg in Richtung des Hafens verzweigten, hinterher.

Gedankenverloren rempelte er in seiner Unaufmerksamkeit einen Passanten nach dem anderen an. Gaarson ignorierte die Flüche und Verwünschungen, die ihm entgegengebracht wurden. Als ihn jemand am Arm festhalten wollte, riss er sich wirsch los und eilte weiter. Seine Wahrnehmung fokussierte sich auf den wirbelnden Rock und den immer wiederkehrenden Blick, den sie ihm über die Schulter zuwarf und der niemals zuließ, dass er auch nur einen Gedanken daran verschwendete, stehen zu bleiben und umzukehren. Ein Blick, dessen Emotion ihn gefangen hielt. Ein Blick. Der ihn verzauberte.

Plötzlich stoppte die namenlose Schönheit, drehte sich abrupt um und wartete, bis er zu ihr aufgeschlossen hatte. Aus einer inneren Eingebung heraus blickte er nach rechts und links und sah erstaunt, dass die Gasse menschenleer war. Doch der Gedanke verschwand, kaum dass er ihn zu fassen bekam. Jetzt zählte nur noch der Moment. Er war ihr ganz nahe, verlor sich in ihren wunderschönen Augen, roch ihre weibliche Note, ihren warmen Atem, sah ihre schimmernde Haut. Ihre Münder kamen einander näher, ganz leicht berührten sich die Lippen, ihre Weichheit ließ den letzten Rest seines Verstandes schwinden. Im hintersten Winkel seines Bewusstseins dachte er an das Treffen mit Amata, doch erschien ihm dieser Gedanke seltsam unwirklich. Ihre Lippen verschmolzen, fest presste sie ihren Körper an ihn, die Schenkel, den weichen Bauch, die Brüste. Das Atmen fiel ihm schwer, nur mit Mühe hielt er sich zurück.

Dann schalt er sich einen Narren. Sein Herz pumpte das Blut schnell und kräftig durch seine Adern, seine Männlichkeit erwachte und ließ endgültig den Instinkt über den Verstand siegen.

Plötzlich verspürte er einen süßen Schmerz, fühlte sich seltsam leicht, dann wurde es dunkel um ihn.

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