Vincent Voss - Die dicksten Kartoffeln (Zwielicht 14)


 Zwielicht 14 ist im Juni 2020 erschienen und steht zur Wahl beim Vincent Preis 2020/21.

Die Liste der Kurzgeschichten ist lang und gerade dort zählt jede Stimme. Bei den Geschichten in Zwielicht 14 kam die Geschichte von Vincent Voss sehr gut an. Gentechnik, Landwirtschaft und ihre Tücken, das schildert Nordlicht Vincent Voss mehr als anschaulich. Grund genug eine Textprobe für den interessierten Leser zu veröffentlichen, die vollständige Story findet sich in Zwielicht 14 :

Vincent Voss - Die dicksten Kartoffeln

„Warum ich?“

„Hein hätte das so gewollt“, antwortete Katja. Sie schob das Hallentor auf und Theo stand mit seiner Tochter Melinda und Heinrichs Ehefrau Katja und ihrer Tochter Frauke vor der Werkhalle, die neben den Stallgebäuden für 84 Stück Milchvieh nur einen Teil des norddeutschen Bauernhofes ausmachte. Hein war verschwunden. Er war mit seinem Trecker im Februar zu Protestkundgebungen nach Berlin gefahren und dann einfach nicht wiedergekommen. Seitdem bewirtschaftete Theo zwei Höfe und jetzt war April. April! Theo arbeitete momentan sechzehn Stunden am Tag. Pflügen, düngen, säen.

„Tja, ich weiß nicht.“ Er blieb skeptisch, betrat die Halle. Hier, zwischen all dem landwirtschaftlichen Gerät, hatten sie oft ein Feierabendbier getrunken und gute Lieder aus dem Radio lauter gedreht. Und jetzt sollte all das in seinen Besitz übergehen? Es fühlte sich für Theo merkwürdig an. So, als gäbe es für Hein keine Hoffnung mehr. Und Theo selbst hatte sie noch. Vielleicht hatte Hein einfach nur einen Rappel bekommen und brauchte Abstand? Aufhören und den Hof einfach dichtmachen, mit diesen Gedanken schlugen sich derzeit viele Bauern herum. Theo auch. Er durchschritt langsam die Halle und ließ seinen Blick über alle Gegenstände schweifen. Nun mit anderen Augen. Was für Hein wichtig gewesen war, hatte er Theo immer gezeigt, jetzt besaß alles eine andere Bedeutung und Theo spürte so ein Gefühl, dass er wohl haben würde, wenn er endlich mal im Lotto gewänne.

„Kann es denn erst einmal hier stehen bleiben?“, fragte er, wandte sich zu Katja um, die mit seiner und ihrer Tochter im hellen Rechteck des Tores nur wie ein Schatten zu sehen waren. Melinda und Frauke, als Bauerskinder so erzogen, dass sie ohne Aufforderung keine Werkhalle betraten, wenn er sich nicht beeilte, würden sie auf die Idee kommen, miteinander spielen zu wollen. Die beiden waren gleichaltrig und unzertrennlich. Theo hatte jedenfalls berechtigte Angst vor einem Unfall, war hier ja auch schon mal passiert. Der zweijährige Altmann-Sohn damals. Theo wollte umkehren, als ihm an der einen Wand eine Stelle auffiel, wo Hein etwas mit mehreren Planen abgedeckt hatte. Hierhin hatte er Theo auch nie geführt. Theo ging darauf zu, hob die Plane an. Fässer. Lagerte Hein hier etwa Öl? Er zog die Plane so weit zurück, dass die zwei vordersten Fässer frei standen und leuchtete mit seinem Handy. Die Etikette vorne auf den Fässern zeigten sonderbare, ihm unbekannte Symbole. Augen, Wellen, ein Kopf mit Hörnern. Griechisch vielleicht. Theo hatte keine Ahnung.

„Weißt du, was Hein hier in den Fässern gelagert hat?“, rief er zu Katja. Hein hatte immer extrem gute Ernten eingefahren. Bei jeder Wetterlage, ganz egal, was er angebaut hatte.

„Das war seine Geheimzutat, so hat er immer gesagt. Keine Ahnung, wo er das herhatte!“

Theo fuhr mit der Hand über ein Fass, kniete sich hin und suchte nach Hinweisen zur Anwendung.

„Weißt du, ob er irgendwo Unterlagen dazu hat?“ Theo leuchtete zur daneben stehenden Werkbank und suchte nach Ordnern und Heftern.

„Weiß ich nicht.“ Er hat immer pro Feld ein Fass genommen. Und es gab zwei Sorten, Dünger und das was Viecher wegmacht. Und er hatte immer für zwei Jahre Vorrat“, antwortete sie. Und er hat mir nie etwas verraten, dachte Theo. Theo zog die Plane weg und überschlug die Anzahl der Fässer. Etwas mehr als zwei Jahre, errechnete er.

„Er hätte bestimmt gewollt, dass du das auch für deine Felder benutzt, Theo.“ Theo lachte trocken auf. Ganz bestimmt hätte er das. Theo ließ die Fässer Fässer sein und ging hinaus.

„Gut“, sagte er zu Katja. „Als erstes werde ich mit den Fässern seine Felder düngen, damit ihr beide versorgt seid.“ Er sah zu Frauke und Katja. Und dann werde ich meine Felder auch damit düngen, dachte er sich.

 Zur Wahl des Horrorpreises geht es hier: Vincent Preis 2020

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